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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.12.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961210029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896121002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896121002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-12
- Tag 1896-12-10
-
Monat
1896-12
-
Jahr
1896
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Schädler ließ an der Borlage, die vorher durch den StaalSsecretair Or. von Boetticher in kurzer, aber klarer Weise befürwortet worden war, kein gutes Haar. Er fand die Be schleunigung von 12 Knoten aus 13V, Knoten zu gering und meinte, daß man bei dieser geringen Geschwindigkeit im Kriegs fälle die Absicht, die subventionirten Dampfer zu Kriegs zwecken zu benutzen, nicht würde durchführen können: er hob ferner hervor, daß die Benutzung der subventionirten Dampfer sowohl für den Postdienst wie für den Personenverkehr, wie endlich auch für den Frachtverkehr eine viel zu geringe sei, um eine Unterstützung von weiteren IV, Millionen aus Staats mitteln zu rechtfertigen; vor allen Dingen aber war er gegen die Dampfer des Norddeutschen Lloyd aus agrarischen Gründen eingenommen, weil durch diese Dampfer zu billigen Frachten australische Wollen auf den deutschen Markt gebracht und dadurch die Wollpreise herabgedrückt würden. Mit diesem Argumente sand er natürlich Anklang bei dem konservativen Abg. v. Leipziger, der als weiteres Vergeben des Lloyds gegen die agrarischen Interessen feststellte, daß von einem subventionirten Dampfer indisches Getreide frachtfrei als Ballast mitgenommen und auf den deutschen Markt geworfen worden sei. Im Uebrigen schloß er sich den Gründen deS Centrumsabgeordneten im Großen und Ganzen an, nur daß er sich — wozu das Centrnm sicherlich nicht geneigt ist, — bereit erklärte, .die für Subventionszwecke geforderten l'/r Millionen für Zwecke der Kriegsmarine zu verwenden. Diese Bemerkung deö Herrn v. Leipziger war eine Verbeugung nach Oben, mit der er freilich nicht sehr viel Glück haben dürfte, denn die höchste Stelle hat bekanntlick auch ein sehr reges Interesse für die Entwickelung unserer Handelsmarine, insbesondere des Norddeutschen Lloyds. Es ergab sich bei der gestrigen Verhandlung das eigenartige Schauspiel, daß, während die konservative Partei, die vor 12 Jahren für die Dampfersubventionsvorlagc eingetreten war, jetzt gegen die Subvention eingenommen ist, die Vorlage aus dem Munde eines Angehörigen der Freisinnigen Vereinigung, deren Mitglieder, soweit sie damals im Reichstage waren, gegen die Vorlage stimmten, die eitrigste Vertheidigung er fuhr. Ob die Bereitwilligkeit dieser kleinen Fraction aus reicht, um die Vorlage vor der Ablehnung zu retten, ist freilick sehr fraglich. Nach dem Eindruck der gestrigen Ver handlung ist aus Annahme des Entwurfes kaum zu rechnen. Die Iustiznovelle kann, wenn nicht ganz überraschende Wendungen eintrelen sollten, schon jetzt als völlig ge scheitert bezeichnet werden. Die Verhandlungen »wischen der Regierung und dem Centrum sind, wie dre „Nat.-Lib. Corr." hört, ergebnißlos geblieben. Auf Seiten des Centrums war man geneigt, die Besetzung der Straf kammern erster Instanz mit drei Ricktern zuzugestehen, wrauSgesetzt, daß die Berufungskammern, die dann aus fünf Richtern zusammengesetzt würden, an den einzelnen Landesgerichten eingerichtet werden sollten. Die Stimmung für Verlegung der Berufungsinstanz in die Oberlandesgerichte, wie die Regierungsvorlage will, ist über haupt auf ein Minimum gesunken. Im Reichsjustizamt batte man schon vor zwei Tagen die Ueberzeugung, daß die Vor lage auf einem tobten Strang lief. Zieht man in Betracht, daß zweimal der ReickStag vergebens dazu den Anlauf ge nommen, daß, um die mühsamen Commissionsarbeiten deS letzten Winters nicht verfallen zu lasten, die Session vertagt und für die zweite Berathung die kostbare Zeit von zwei Wochen nutzlos verwandt worden, so muß man diesen AuSgang bedauern, uin so mehr, als unter den Trümmern auch die allein unbestritten gebliebene und in der Thal unnöthig mit den übrigen Reformen verquickte Forderung der Ent schädigung unschuldig Verurtbeilter mit begraben wird. Der Bunde-rath wird, wie verlautet, in seiner heutigen Sitzung seine Beschlüsse fassen. Die dritte Lesung der Novelle im Reichstage ist für Montag in Aussicht genommen. Die Frage, ob sich der Reichstag mit dem Proeefse Leckert-Lützow besckäftigen werde, ist durch die social demokratische Fraktion gelöst worden, die der „Voss. Ztg." zufolge den Antrag eingebracht hat, die ZA 53 und 69 der Strafproceßordnung aufzubeben, tz 53 lautet: „Oessentltche Beamte, auch wenn sie nickt mehr im Dienste sind, dürfen über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amts verschwiegenheit bezieht, als Zeugen nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde oder der ihnen zuletzt vor- gesetzt gewesenen Dienstbehörde vernommen werden. Für den Reichs kanzler bedarf es der Genehmigung des Kaiier«, für die Minister der Genehmigung des Landesherrn, für die Mitglieder der Senate der freien Hansestädte der Genehmigung des Senates. Di» Ge nehmigung darf nur versagt werden, wenn die Ablegung Les Zeug nisses dem Wohle deS Reiches oder eines Bundesstaates Nachtheil bereiten würde." Dieser Paraprapb ist eS, der dem Berliner Polizei präsidenten die Befugniß gab, Herrn ».Tausch die Genehmigung zur Nennung seines Gewäbrmanneö Gingold- Stärk zu versagen, tz 69 setzt die Strafen fest, die über eine»« Zeugen zu verhängen sind, der ohne gesetzlichen Grund da« Zeuzniß oder die Eidesleistung verwe-gert. Bon den Fragen, ob die bei dem Proteste Leckert-Lützow gemachten Erfahrungen geeignet sind, die Streichung dcS tz 69 rathsam erscheinen zu lasten, und ob sie genügend sind, die Streichung deS 8 53 zu rechtfertigen, kann man vorläufig ganz absehen. Jedenfalls wird der Antrag Gelegenheit geben, den Proceß und seine Ergebnisse von allen Seiten zu beleuchten, und man kann nur wünschen, daß daS geschieht. Daß auch der Reichstag alle Ursache hat, der TbäNgkeit der Berliner politischen Polizei seine Aufmerksamkeit zu widmen, geht u. A. aus folgenden Ausführungen der „Köln. Ztg." hervor: „Als der Kronprinz Friedrich Wilhelm im Winter 1887,88 in San Remo weilte, wurde die Nachricht verbreitet, ein Verband gefährlicher Anarchisten sei irgendwo an der Riviera ver sammelt, um ein Bubenstück gegen den sterbenskranken Kronprinzen vorzubereiten. Damals wollte im Grunde Niemand an diese Un geheuerlichkeit glauben, nur die geheime Polizei nahm sie ernst; sie entfaltete um den Kronprinzen und sein HauS ein Aufgebot ihrer „Vertrauensmänner"; nichts ist eingetreten, keine Spur des Anfangs eines Versuche- ist entdeckt worden. Sollte das Verdienst hierfür vielleicht doch nicht der Thätigkeit, sondern eher der Er findungsgabe einzelner Mitglieder dieser Geheimpolizei zu ver danken gewesen sein? Weiter erinnern wir uns, daß, als Ende Sep tember 1888 der junge Kaiser seinen Antrittsbesuch am Stutt garter Hose gemacht hatte und er sich anschicktr, die Weiterreise nach Mainau zu Len badischen Herrschaften anzutreten, plötzlich die Nachricht austauchte, die geheime Polizei habe festgesiellt, daß zwei berüchtigt» Anarchisten heimlich aus der Schweiz nach Württemberg gekommen seien und daß eine Gefährdung Les kaiserlichen Eisenbahnzugeszu befürchten sei. Irren wir nicht, so erwarteten damals vergeblich auf den wllritembergischcn Bahn- Höfen zahllose festlich gekleidete Schwäbinnen und Schwaben die Durchfahrt de« jugendlichen Kaisers. Sein Sonderzug war in- zwischen in aller Sülle von Stuttgart auS auf einem Umwege über Hohenzollern nach Konstanz geleitet worden. Auf der Hauptstrecke aber ist keine Spur einer Gefahr ermittelt und, irren wrr nickt, auch kein Anarchist entdeckt worden. Wir glauben, daß heute diese Ereignisse, an denen schon damals manche Menschen lebhaften Anstoß nahmen, unter einem ganz neuen Lichte erscheinen und daß mehr denn je eine Nachprüfung geboten erscheint, soweit sie noch möglich ist. Dann kam die erste Nordlandfahrt deS Kaiser« und damit alle jene nichtsnutzigen Gerüchte über die Krankheit LrS Kaisers, über sein Benehmen auf der Capitainsbrücke und über Ausschreitungen gegen Osficiere, über schwere Schuldenlasten rc., die erbärmlichsten Verdächtigungen und Lügen, die je ousgesonneu worden sind und die immer wieder von Neuem trotz aller zuver lässigen Ableugnuugeu verbreitet wurden." Nack einem vom deutschen Consul in Lourenyo Marquez in Berlin eingetroffenen Telegramm wurde der „Nordd. Allg. Ztq." zufolge, wie bereits kurz erwähnt, der hollän dische Consul angegriffen und verwundet, außer dem eine englische Flagge zerrissen und auf da deutsche Consulat ein Sturm veranstaltet. Da ist nun schon binnen kürzester Frist der dritte oder vierte Angriff, der in Louren^o Marquez und seiner Nachbarschaft von Portugiesen gegen fremde Consuln gerichtet wird. Die portugiesische Regierung in Lissabon hat in dem vorletzten bekannt gewordenen Falle vom 17. Oktober, in welchem der deutsche Consul gemein sam mit dem französischen Consul durch Angestellte der Eisenbahn angegriffen und beleidigt worden war, keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie mit allem Nachdruck für voll« Genugthuung sorgen werde. Auch im jetzigen Falle wird die portugiesische Regierung gewiß Alle« aufbieten, um den deutschen Forderungen vollauf gerecht zu werden; denn e« ist klar, daß e- nicht im portugie sischen StaatSinterrsse liegt, dieses von einem mächtigen Nachbarn viel umworbene Hasengebiet im Zustande der Anarchie und der Willkürherrschaft erscheinen zu lassen und dem betreffenden Nachbarn dadurch den erwünschten Anlaß zum Einschreiten und zur vorläufigen Besetzung zu geben. Ebensowenig aber ist anzunebmen, daß solche Gewaltsam keiten aus freien Stücken, lediglich aus Uebermuth oder aus der Freude an der Gewalt entstanden sein können. DaS ist nickt portugiesische Art. Der durchschnittliche Portugiese ist kein Raufbold. Man wird vielmehr eher zu dem Schluß geführt, daß es sich hier um Anzettelungen von fremder Seite her bandelt, und man wird, schreibt die der Anglo phobie gewiß nicht verdächtige „Köln. Ztg", darin um so mehr bestärkt werden, wenn die Depesche sich bewahrheiten sollte, daß bei dieser Gelegenheit auch die englischeFlagge zerrissen worden ist. Hier wäre vielleicht ein Fingerzeig gegeben darüber, was im Grunde mit diesen Unrubestiftungen beabsichtigt wird. Nachdem der verbrecherische Einfall deS mit so ausfälliger Schnelligkeit freigelassenen vr. Iameson in Transvaal gescheitert, nachdem Herr Cecil Rhodes von der Ostküste aus, nördlich von Louren^o Marquez, nach Rbodesia gezogen und dort den Segen europäischer Civilisation in Gestalt blutiger Hinschlächterrien der einge borenen Bevölkerung zu verbreiten gesucht hat, liegt aller dings derGedanke nabe, daß englischerseits nun Alles aufaeboten werden soll, wie bisher im Westen von Transvaal, so jetzt im Osten in dem für Transvaal so bedeutungsvollen Hafen festen Fuß zu fassen. Wir stimmen dieser Auffassung des rheinischen Blattes um so eher zu, als wir bereits anläßlich des Vorfalles vom 17. October auf englische Machenschaften deutlich hingewiesen haben. Die portugiesische Regierung hat so oft amtlich erklärt, daß sie das Eindringen einer fremden Macht in das ihr unterstellte Hasengebiet nicht zulassen wird, daß sie sicherlich Alles aufwendeu wird, dort den Anlaß zu Unruhen und Gewaltsamkeiten dauernd zu beseitigen. Einst weilen ist es für uns genügend, zu wissen, daß bereits ein deutsches Kriegsschiff, der „Condor", von dem naben Port Natal unterwegs ist, um die deutsche Flagge und die deutschen Interessen in Louren^o Marquez zu schützen. Wie wir nock in einein Theile der Auflage unseres heutigen Morgenblattes telegraphisch mittheilen konnten, hat die deutsche Regierung in Lissabon unverzüglich Genugthuung gefordert. Der „Condor" dürfte dieser Forderung den gehörigen Nach druck geben. ES ist kein Wunder, wenn der soeben bekannt gewordene, zum vorläufigen Abschlüsse gelangte Vertrag zwischen Rnfz- laud Utttz China die englische Presse in größte Aufregung versetzt, und wenn sie den Wunsch ausspricht, daß die eng lische Diplomatie die endgiltig« Unterzeichnung deS Vertrages auf jeden Fall zu verhindern versuchen solle. Der Vertrag würde Rußland strategisch wie commerciell die unbedingte Uebermacht in Nordchina sondern im Osten Asien« über haupt sichern. Er gestattet Rußland, im Anschlüsse an die der Vollendung rntgegengrbende sibirische Eisenbahn sowohl von Wladiwostock, al« auch von einer Station de« Amurgebietes nach Kirin, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, Linien zn bauen; und da ferner in Aussicht genommen ist, daß Rußland an China« Stelle die beabsichtigte Eisenbahn von Kirin nack Mukden auSführe, so würde Rußland von drei Seiten her unmittelbar an Korea, und von Norden her in die Nähe de« Golfe« von Liau-Tung und von Petsckili rücken. Die« umso mehr, als Rußland in Anbetracht der Oedigkeit und Unwegsamkeit der von den Linien zum Tbeil zu durch ziehenden Gegenden in Vertretung China- da- Recht erhalten soll, an wichtigen Stationen Truppen zur Bewachung und zum Schutze der Bahn zu halten; und al- ferner die Bahn in technischer Hinsicht ganz wie die sibirische Eisenbahn auS- geführt werden soll. Es würden mithin in Friedenszeiten Güter, in KriegSzeiten Truppen ohne Wagenwechsel auS Nord china nach Sibirien und Rußland, bezw. von dort nach China ge schafft werden können, und eS liegt wohl auf der Hand, daß dadurch Rußland sowohl in wirthsckaftlicher al- militairischer Hin sicht «inen sehr großen Vorsprung vor seinen Nebenbuhlern erhalten würde. Auch die Frage de« eisfreien HafenS am Stillen Ocean wird in dem Vertrage berührt und e» wird die zeitweilige pachtweise Abtretung deS HafenS von Kiao-Tschau auf Schantung an Rußland (zunächst auf 15 Jahre) in Au-stcht genommen. Die Krone wird aber dem Ganzen aufgesetzt durch Artikel 10, welcher lautet: Da hie Liau-Tung-Häfen Lllschnnkau (Port Arthur) und Talienwan, sowie deren Dependenzen wichtige strategische Punkte sind, so muß China sie mit aller Eil« befestigen, alle Fortificationen au-besseru u. s. w., um einer zukünftigen Gefahr vorzusehen; Ruß- land soll demnach alle nöthig» Hilfe leisten, um diese beiden Häfen zu beschützen, und keiner fremden Macht erlauben, sich dort festzusetzen. China bindet sich auch seiner seits, dieselben nie an eine andere Macht abzutreten; sollte aber Feirilletsir. Das goldene Herz. 71 Novelle von E. Fahrow. Nachdruck verboten. San Pandez stutzte: „Verlebten?" Hatte er e« zu weit getrieben, dachte Schischi ihm mit der Verabschiedung vorzu greifen? DaS durfte nicht sein. Und blitzschnell den scharfen Ton fallen lassend, holte er all die schmeichelnde bestwirkende Liebenswürdigkeit hervor, über die er gebot, wenn er wollte. Schischi brachte ein Kästchen mit einem kleinen goldenen Herzen, welches mit Diamanten besäet war, herbei. „Die- kleine Schmuckstück sollst Du zum Andenken an mick an Deinem Armband tragen", sagte sie. (San Pandez macht; die weibische Mode deS Armbandlrazen« natürlich mit.) Er nestelte unter seinen Manschetten die goldene Kette hervor und Schischi befestigte das Herzchen mit einem feinen Sprengring daran. Dabei fuhr sic fort zu plaudern: „Du mußt nämlich wissen, daß diese- Herz eine Geschichte hat. E« stammt auS Peru, und deshalb gerade schenke ich eS Dir." „AuS Peru? Und wie kommst Du dazu?" „Oh", log Sckischi, „da- ist eben höchst romantisch. Deine schöne Freundin Oliveira hat einst in Lima zwei solche Herzchen machen lassen. Eine- trägt sie selbst am Armband, und daS zweite schenkte sie ihrem Mann. Als nun eine« Tage- Martinez Oliveira starb, da ließ sie fick da- Herzchen von dem Todt«, an ihr Armband schmieden und ihr eigene« schenkte sie ihrem treuen alten Diener Iambo „zum Andenken an seinen Herrn". Dieser Iambo ist, wie Du weißt, Lina'S Freuod, und neulich sah ick bei ihm da- hübsche Herzchen. Er hatte e« in der Hand und war ganz traurig, weil seine Herrin ihn, wie er sagte, schlecht behandle. Da sei ein junger Herr — ich weiß den Namen nicht — dem habe sie ihr Diamantherz versprochen; der todte Herr sei vergeffen, nun wollte sie den anderen beirathen. „Iambo ist alt und arm," sagte er, „Iambo wird Alle- verkaufen und nach der Heimath zurückreisen und dort sterben wie der arm» Herr." „Der Schlingel 1" rief San Pandez. „Ich weiß, daß Iambo für seine Verhältnisse sehr wohlhabend ist. Wenn er das goldene Herz verkaufte, so wird er eS einfach gestohlen haben I" Schischi sprang auf. „DaS wäre ja schändlich. Ich kaufte es ihm nur deshalb ab, weil ich dachte, eS würde Dir Freude machen, dieses romantische Schmuckstück zu besitzen! Weiß ich doch, daß Du sür Madame Oliveira eine kleine Schwäche hast, und daS Her», was einst ihren weißen Arm schmückte, gern tragen würdest." Schischi hatte den rechten Ton getroffen. Mit dieser letzten Bemerkung setzte sie San Pandez' Phantasie in Feuer. Er blickte nachdenklich auf das kleine Schmuckstück nieder und sann eine Weile nach. „Ich will Dir etwa« sagen", sprach er dann. „Was der Neger sagt, kann gelogen, e- kann aber auch wahr sein. Ich werde also ganz einfach Frau Oliveira fragen ." »Um Gotte« Willen I" rief Schischi. „Da- darfst Du nicht! Ich habe dem armen Iambo vrrsprechen müssen, daß Niemand von dem Verkauf des theurea Andenken- er fahren dürfe, besonders nicht seine Herrin. Du kannst Dir doch denken, daß sie da- kränken würde!" „Nun gut", versetzte San Pandez, „ich werd« ja sehen, ob sie ihr Armband mit dem Anhänger trägt; ist der fort, dann hat ibn der Kerl gestohlen, und dann natürlich sage ich'S ihr sofort I" Damit erhob er sich, küßte Schischi auf die Stirn, wie er e- liebte, und nahm Abschied. Schischi hatte glänzend ihren Zweck erreicht und machte sich durchaus nicht- aus dem Lügengewebe, welche- sie des halb hatte spinnen müssen. Iambo batte ihr durchau« nicht andere« al- di« Wahrheit erzählt. Als er von dem Peitschen hieb sprach, den Detlev ihm versetzt hatte, da batte sie mit den Zähnen geknirscht und gemurmelt: „Ja ja, auf Peitschen hiebe versteht sich der Herr." Iambo, der seit dem Augen blick, al- er von Schischi'« Haß gegen Detlev gehört, ein blindes Zutrauen zu ihr gefaßt hatte, erzählte, wie er gehofft habe, mittel- de-zweiten, von ihm bestellten Herren- Detlev einen tödtlichen Streich zu versetzen. Aber Schischi hatte spöttisch gelacht: „Nein, nein, mein guter Iambo, hier in Deutschland stehlen die Edelleute kein« Tchmucksachen, und Niemand würde Ihnen glauben, auch wenn Sie zehnmal da- Herz in Herrn von Geyern'- Tasche zu vrakticiren wüßten. Ick weiß ein andrre« Mittel, ihn zu kränken, verkaufen Sie mir da« Herz, und ich bürge Ihnen dafür, daß der blonde Lord leiden soll, — ja — leiden!" Also hatte sick der Handel vollzogen, und Schischi'- feine Berechnung täuschte sie nicht. War einmal da- Herz am Arm de- Nebenbuhler«, dann würde alles Andere von selbst gehen. Schischi kannte die maßlose Eitelkeit und Prahlsucht von San Pander, und wenn gar nicht« andere-, so würde sie doch durch ibr Danaergeschenk einen Zusammenprall zwischen den beiden Gegnern herbeijühren. Vergnügt rieb sie sich die boshaften Weißen, kleinen Hände. Was galt ihr Detlev und San Pandez jetzt, jetzt, da endlich einmal di« Sonne einrr tiefen, anbeienden, selbstlosen Liebe an ihrem Himmel ausgeaanaen war. Ach Erwin. Ach Du blonder Germanicus! Schischi drückte die Augen zu und sab nun ganz deutlich Erwin Balmer vor sich, wie er mit seinen vertrauenden, blauen Augen zu ihr ausblickte, hin gegossen zu ihren Füßen wie ein Knabe, er, der erfahrene, spottsüchtige Modeschriftsteller. Und Schischi schlug die Arme hoch in die Luft vor Wonne, sie warf den Kopf zurück und lachte mit gescklossenen Augen ein glückseliges, traumhafte« Lachen. Welcke« Glück, «ne reine Liebe zu finden. Ihr Götter, welche« Glück. Heute, ja heute würde sie e« wieder hören, daß er sie liehe — und wie er sie liebe. So ander-, so herrlich, so — so — deutsch. Schiscki saßte plötzlich einen großen Entschluß. Sie faßte alle ihre Entschlüsse plötzlich, und merkwürdiger Weise traf sie gewöhnlich da« Richtige damit. Sie schrieb einige Zeilen an San Pander, worin sie ihm erklärte, daß er so gut wie sie selbst gefühlt haben werde, daß der Rausch, der sie entzückt, verflogen sei und daß er ihr goldenes Herz und sie seinen Zobelpelz fortan al- freund liche Erinnerung an Gewesene« tragen solle. Sie wünsche ihm da« Beste u. s. w. u. s. w. Diesen zierlichen AbschiedSbrief übergab sie Lina mit dem Auftrag, ihn sogleich, aber auch wirklich sofort, in den Brief- kästen zu werfen. Hoch aufathmend wie nach einem erfrischenden Bade, sank sie dann in den hohen Lehnstuhl, welcher ihr LieblingSplatz war; nun mochte er kommen — sie war srei und konnte über sich bestimmen wie jede andere Frau — die nicht ver- hrirathet war. Bald daraus wurde Erwin angemeldet. Schischi blieb in ihrem großen Lehnstuhl sitze» und streckte die kleinen Füße, die in blauseidenen Strümpfen und, der Mode folgend, ganz vergoldeten Schühchen steckten, unter dem aelben Theekleid hervor. Sie wußte, daß sie entzückend auS- sab und wollte e« auch, so daß der innere Wille zur Glück- seligkeit sie ganz durchleuchtete. Balmer trat herein und eilte freudig überrascht auf sie zu: „Allein? Und ich fürchtete schon, eine ganze Heerve Gäste bei Ihnen zu treffen. E« kommen wohl nock welche?" „Nein", lächelte Schischi, „Sie können unbesorgt sein. Ich habe den WeihnachlSabend recht für Sie allein auf gehoben." „Und Herr San Pandez?" Schisch» erröthete. „Er wäre beinahe geblieben, aber ich war so unausstehlich — ich habe ihn richtig — hinaus- gegrault!" Erwin sah sie strahlend an und sagte nicht«. „Ja, sehen Sie", fuhr Schischi fort, „ich bin halt viel zu mitleidig gegen Sie. Da haben Sie mir neulich vorgeklagt, daß Sie nicht Eltern noch Geschwister in der Welt hätten, und solch einsame- Hascherl, das muß man halt a bissel trösten." Wenn Schischi gerührt wurde, pflegte sie in ihren öster reichischen Dialekt zurückzuverfallen. „Jetzt, da kommen S' daher, setzen S' sich zu mir, schauens S' mit mir in'« Feuerl und plauschen S' mir was vor." Erwin war außer sich vor Vergnügen. Dies «»gebetete Wesen so urbebaglick plaudern zn höre», zu wissen, daß sie, die Gefeierte, Verwöhnte, ihm ganz allein diesen Festabend schenkte, das machte ihn ganz übermüthig. Er zog sich ein niedriges Sckemelcken neben Schischi, setzte sich dicht an ihre Seite und schaute zu ihr auf. „Du süßes Gedicht", sagt« er leise. Echischi lachte nervös. „O nein, ich bin kein Gedicht, Herr Balmer! Ich bin eine prosaische, ungezogen« Weltdame ohne Tugenden, mit Au-nahmr der Aufrichtigkeit. Aber weil Sir selbst ein Dichter sind, bringen Sie e- fertig, «ine moderne Schau- spiejerin poetisch zu sinden." „Alle« Moderne ist poetisch", sagte Balmer, „sobald man es au« der Ferne ansieht." „Aber Sie sind doch mitten drin." „Nein, da« ist eben rin Irrthum. Ich lebe wohl im modernen Strom, aber nur, um eiozusammeln. Abend« oder Nachts, wenn ich mich wieder ganz voll Stoff gesogen habe, dann schwingt mein innerste- Ich sich hoch und betrachtet sozusagen die« moderne Leben au« der Vogelperspektive. Und bat man eine gewisse Objektivität erst einmal erreicht, dann gewinnt die Gegenwart denselben Reiz, wie die vergangenen Zeiten, welche dem allgemeine» Unterthanenverstande, al« mit
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