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MsdrufferTageblatt für Bürgertum/ Beamte/ Angestellte u. Arbeiter. Anzergeupreis: die8gcfpaite»eA«»«zeUe20Gslr>pfennig, die 4 gespaltene ZeUe der aMtlicheuBekonnlmacljuntzrn 40Gold- pfennig, die 3 gespaltene Siedlinnereile im textlichen Teile 100 Goldpfennig. Aachweifungsgednhr 20 Goldpfennig. Dov- ;efchriebeneErscheinung». läge und Plapvorschrifte» werden nach Möglichtcei» Fernsprecher: Amt :^VllSdruff Nr. b berücksichtigt. Anzeigen. Tnnahme bi» oorm. 10Uhr - — >.'..--.7 .... - — —. ' ^ür die Richtigkeit d« durch Fernruf übermittelten üdrrnehmelt wtr keine Garantie. Jever Radanan,pruch erlischt, wenn der Betrag durch Klage einge-oge« werben sneß oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Anzeigen nehmen alle Vermittlungsstellen entgepe«. bo« Zeitung oder Kür-nns DMA gotl»vr«ffrr Tageblatt enthält die a«1lichen Bekaautmachaage» der Bmtshauptma««s<hatz Weihen, des Amtsgericht« a«d Stadtrat« c» Wilsdruff, ^orftreutamts Tharandt, Finanzamts Noffen Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, lL Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend v»ftd-)-°un"dün^ tzStz-rn »Ur, -d-r i»nft»,ri «clrted.ftLnlll,c» drfteh, kö» s^-kruu, d» - »ü<tsn>«>», echrtMS». «tot,» >»r, »r»» Port» »nlik.t. Nr 289 —85.Iahrgang Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Wilsdruff-Dresden Postscheck Dresden 2640 Sonnabend, den 11 Dezember 1926 Unrudesliller - srirüenzpreise Mensch kann behaupten, daß die Welt in beson ders behaglicher Stimmung dem Weihnachtsfest entgegen gehe. Nicht nur, daß die unliebsamsten Verbrechen und Unglücksfälle, die widerwärtigsten Prozesse und Streitig keiten der verschiedensten Art sich allerwärts häufen; diese Beunruhigungen ließen sich schließlich abschütteln, wenn man nur den Willen dazu hat. Aber der Zufall fügt es, daß gerade wieder im Zeit- r/"." Pölkerbundratstagung am Genfer See Herr Iru isolini im Süden und Herr Pilsudski im Nor- oen es für ihre Aufgabe zu halten scheinen, sich möglichst "^m^rkbar zu machen, auf daß dis Briand und ol "erlai" und Stresemann nur nicht etwa glauben, außer ihnen und ihren Friedensbemühungen gäbe es gar nichts anderes auf dieser Erde. In Polen bereiten sich, langsam, aber anscheinend unaufhaltsam, Dinge Vor, die im Versailler Friedensvertrag bestimmt nicht vorgesehen waren. Und der italienische Diktator schickt, aus welchem Grunde, ist eigentlich schwer ersichtlich, unentwegt Truppen an die französische Grenze, natürlich, wie er verbreiten läßt, nur, um in Anbetracht der heiß blütigen Temperamente, die um Nizza und Cannes herum ihr Wesen trieben, größeres Unglück zu verhüten. Ganz zufällig sammelt sich nun aber auch auf französischer Seite ein immer erheblicheres Truppenaufgebot in diesen interessanten Gegenden an, und der Kriegsminister in Paris, in der Kammer über die beständigen Soldaten beförderungen in Südfrankreich befragt, hatte den an sich gewiß nicht unwitzigen Einfall, dem Lande zu versichern, daß die Regierung nicht daran denke, in — China mili tärisch einzugreifen. Ob die daraufhin von ihm dringend befürwortete Beruhigung auch bei Herrn Mussolini cin- getreten ist, darf bezweifelt werden, zumal ja des Mor- Ans und des Blutvergießens an der Grenze kein Ende w- kud selbst wenn es gelingen sollte, den Tatendrang des Faschismus hier gegenüber dem großen lateinischen Bruder einigermaßen zu dämpfen, so bliebe wiederum auf der anderen Seite der italienischen Halbinsel der neu entbrannte Zwiespalt über den L-chutzvertrag, den Herr Mussolini mit dem sozusagen selbständigen Albanien geschlossen und der in Belgrad Helle Empörung ausgelöst hat. Es wirbelt wieder einmal alles durcheinander auf dem Balkan, der heute noch immer so „interessant" ist wie zu den Zeiten, da es noch keinen Völkerbund auf der Welt gab. Aber während früher wahrscheinlich schon allerhand Säbelgerassel zu vernehmen gewesen wäre, nach einem ebenso kühnen wie eigenmächtigen Staatsakt, wie dieser Vertrag ihn darstellt, erinnert man sich heute in erster Reihe des Genfer Friedenspalastes, der ja eigens dazu geschaffen worden ist, um Streitigkeiten unter den Völkern nicht erst bis zu ernsten Waffengängen sich auswachsen zu wenigstens ein sichtbarer Erfolg des Völkerbundes. -I- Freilich, stünden wir jetzt nicht am Anfang des Winters, läge nicht tiefer Schnee auf den Bergen zwischen per Adria und der Donau, die Macht des Völkerbund- zedankens würde vielleicht doch nicht ausreichen, um die Geister zur Ruhe zu zwingen. Auch Genf stand in diesen Lagen nicht unter der Herrschaft des ewigen Frühlings, ruf den seine nun schon regelmäßig wiederkehrenden inter nationalen Gäste nachgerade ein wohlerworbenes Recht i» besitzen glaubten. Diesmal hatten sie gegen eisige Wind stöße anzukämpfen. Auch in Rats- und Konferenzstuben, in denen man zu vertraulichen Besprechungen zusammen kam, wollte sich keine rechte Wärmetemperatur einstellen. Herr Stresemann mußte mehrere Tage lang das Zimmer hüten, Herrn Briand ging es auch nicht viel besser, und nur die wetterfesten Juristen, die als in allen satteln gerechte Fachmänner auch diesmal wieder den Diplomaten zur Seite standen, ließen sich keine Muhe verdrießen, um auch in den jetzt zur Losung gestellten Fragen ein Kompromiß zu suchen, Gewiß, nur wenige Menschen werden an dieser Art von Verhandlungen Gefallen finden, an diesem ewigen Herumfeilschen um Dmgc, über die es eigentlich gar kein Markten mehr geben durfte, weil sie mit dem tiefsten Wesen jedes Staates, mit der Staatshoheit, seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit unmittelbar Zusammenhängen. Aber wir sind nun einmal auf diese Bahn gegangen und müssen nun sehen wie sich am besten darauf fahren läßt. Die Wagenführer, die darauf zu achten haben daß unterwegs -ein größerer Zusammenstoß passiert, sind um Ihre Aust gäbe auch nickt sebr zu beneiden. Dafür haben sie auch wenigstens vom Norden her ein schönes Pflaster auf die ^und Schrammen erhalten, die sie sich bet ihrer Kutschierarbeit zugezogen haben: den Nobelpreis für F r i e d e n s a r b e, t haben er- halten Stresemann, Briand, Chamberlain und Dawes. Die Welt wird also wieder einmal eme Zeitlang sich über einen neuen Gesprächsgegenstand unter- halten können, sie knnn die Männer nach Gebühr feiern, die als Friedensstifter ausgezeichnet werden. Ihnen gegen über werden die großen und die kleinen Unruhestifter, die anderen Leuten die Weihnachtsstimmung verderben, für em paar Tage und Wochen wenigstens in den Hinter grund zu treten haben. Dr. Sy. kine lehr kritilche Lage in 8enl Besprechungen -er AheLnpakimächie. Die Tagung der Botfchafterkonferenz. Die Vertreter der fünf Nheinpaktmächte, bei denen ein Bericht der Botschafterkonferenz eingegangen ist, sind am Sitz der englischen Delegation zu einer gemeinsamen Be sprechung zusammengetreten. Die Besprechung galt der durch den Bericht der Botfchafterkonferenz geschaffenen Lage und dein von den Juristen ausgearbeiteteu Bericht über die Abänderung des Juvestigationsproiokolls, de, zunächst von den Vertretern der Nheinpaktmächte ge uehmigt werden muß. Ein offizielles Kommuniguö teilt über die Beratungen mit, daß ein befriedigender Fort schritt erzielt worden sei. Briand gab Pressevertretern gegenüber der Meinung Ausdruck, daß die gegenwärtig, Ratstagung am Sonnabend abgeschlossen werden könnte Uber die Tagung der Botschafterkonferenz, deren Be schlüsse für den weiteren Verlauf der Verhandlungen zwischen Deutschland und den Alliierten von großer Wich tigkeit sind, weiß der sonst gut informierte „Malin" folgendes zu berichten: In der Entwaffnungssrage be- steht noch eine Schwierigkeit, nämlich hinsichtlich der Befestigungen an der d e u t s ch e n O st g r e n z e. In dem Bericht, der von der Botfchafterkonferenz ausge- arbcitet und nach Genf telephoniert worden ist, kommt klai zum Ausdruck, daß in diesem wichtigen Punkte die deutsch, und die französische These noch immer in formellem Widerspruch zueinander stehen. Die kritische Lage Paris, 10. Dezember. Zu der heute nachmittag abgehalte nen Sitzung der Boischasterkonserenz und zu den heute früh statt- gehabten Verhandlungen zwischen dein interalliierten militärischen Komitee und General v. Pawelsz berichtet Havas heute abend: Die Besprechungen, welch« die Mitglieder des interalliierten mili tärischen Komitees heute vormittag mit General v. Pawelsz ge habt hatten, hätten nicht das erwartete Ergebnis gezeitigt. Wäh rend General v. Pawelsz sich bisher darauf beschränkt habe, unter Heranziehung juristischer Erwägungen die Zulässigkeit der alli ierten Forderungen betreffend die Festungen im Osten Deutsch lands zu bestreiten, habe er heute vormittag sich lediglich auf den militärischen Standpunkt gestellt und die These vertreten, daß die an den Befestigungen ausgeführten Arbeiten unerläßlich gewesen seien und dost sie trotz ihrer Bedeutung nur einen rein defensiven Charakter trügen, der zwar den Fortschritten der modernen Tech nik entspreche, der aber keineswegs mit Art. 196 des Versailler Vertrages in Widerspruch stehe. Sämtliche alliierten militärischen Sachverständigen seien sich jedoch darüber einig gewesen, daß diese Erklärungen nicht genüg ten. Der gleichen Ansicht sei auch einstimmig die Botschafterkon- fcrenz in ihrer heute nachmittag abgehaltenen Sitzung gewesen. Sie habe daher bezüglich der Erfüllung der militärischen Klauseln des Versailler Vertrages Deutschland nicht Entlastung erteilen können, nicht einmal unter dem Vorbehalt der späteren Behebung der letzten festgestellten Verfehlungen. Die Botfchafterkonferenz habe mithin heute abend nur den Delegierten der in Genf vertretenen Mächte diese Tatsache zur Kenntnis bringen können. Sie habe keinen Zeitpunkt für eine neue Sitzung anberaumt. Tie Genfer „Vife". (Von einem besonderen Mitarbeiter.) Genf, 9. Dezember. Dieser Tage mußte sich Dr. Stresemann, dessen Ge sundheit schon bei seiner Abreise von Berlin nicht ganz fest war, in sein geheiztes Hotelzimmer einschließen und sich durch Herrn von Schubert bei den Verhandlungen vertreten lassen, und ein wenig später hatte der unverwüstliche Briand seine Grippe weg und muß das Bett hüten. Kein Wunder, daß da in den Telegrammen sämtlicher Weltberichterstatter dieses Mal die berüchtigte Genfer „Bise" eine so große Rolle spielt. Genf hat nämlich, so wundermild es sich dem Fremden ln Frühsommertagen darbietet, ein ganz abscheuliches, tückisches Klima, wenn der Winter mit dem Herbst und später mit dem Frühling ringt, aber auch mitten in der herrlichsten Jahreszeit ist das Wetter sehr launisch. Das macht die so genannte „Bise", der mit weitem Anlauf von den Gletscher- gipseln Hochsavoyens her über den langgestreckten See von Norden und Nordosten brausende scharfe, schneidende, die Temperatur in kürzester Zeit stürzende Wind. Die Bise, an die sich der Fremde nie gewöhnt und die schon manchen Genfer mit schwacher Lunge zur Auswanderung gezwungen hat, hat schon in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt. Sie ist der Grund, warum die Segelschiffe aus dem Genfer See eine so seltsame Bauart haben, wie man sie sonst in der ganzen Welt nicht wieder antrifft. Sie ist auch der^ Grund, warum in ganz Genf die Schornsteine so kuriose,! abenteuerliche Formen aufweisen, daß es bei Nacht aussieht/ als ob aus den Giebeln der alten Stadt gespensterhaftc Un-i ASemiligc BeiMkmg der SmrSmiW. Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdrufser Tageblattes". Genf, 10. Dezember. Zur Frage der Zurückziehung der französischen Truppen aus dem Saargebiet war bekanntlich Mitte dieser Woche unter Mitwirkung der Rechtssachvcrsländigen Deutschlands und Frankreichs eine Formel gefunden worden, die erlaubt hätte, dem von Frankreich geforderten Bahnfchutz im Saargebiet jeden militärischen Charakter zu nehmen. Die An nahme dieses Vorschlags scheint jedoch auf Schwierigkeiten zu floßen, so daß mit der abermaligen Verzögerung der Angelegen heit gerechnet werden muß, obwohl sich der Rat bekanntlich mehrmals deutlich für die Zurückziehung der französischen Truppen aus dem Saargebiet ausgesprochen hat. Cm MLßirauensanirag -er Gozial-ernokraten? Die innenpolitische Krise. Die Sozialdemokraten haben in ihrer Fraktionssitznng beschlossen, daß die sogenannte stille Koalition zwischen der Sozialdemokratie und den Regierungspar teien nach den Reden des Abgeordneten Scholz hin fällig geworden sei und daß sic dadurch freie Hand für alle politischen Entscheidungen haben. Die Fraktion hält eine Entscheidung über die künftige Gestaltung der Neichs- regierung für notwendig und wird' sie bei der dritten Lesung des Nachtragsctats herbeiführen. Dieser Beschluß ist dahin zu verstehen, daß die Sozialdemokraten einen Miß trauens« «trag bei der dritten Beratung des Nachtragsetats einzubringen beabsichtigen. Die Demokraten wollen ihre Beschlüsse von den weiteren Schritten des Reichskanzlers abhängig machen. Aufsehenerregende Aeutzerungen des polnischen Außenministers. Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdrufser Tageblattes". Paris, 10. Dezember. Der polnische Außenminister Zaleski machte in Genf dem Vertreter des wegen seiner Deutschland- scindlichkeit bekannten Journal be Debats Ausführungen über die deutsch-polnischen Beziehungen. Der polnische Außenminister soll, wie das Blatt meldet, erklärt haben, daß er nicht eine gewiße Unruhe über gewiße Reden verbergen könne, die kürzlich be deutende deutsche Staatsmänner gehalten hätten. Besonders be tonte Zaleski, daß Dr. Stresemann in seiner Neichstagsrede eine Unterscheidung zwischen der Garantierung der West- und Ost- grenzen Deutschlands gemacht habe. Die Haltung der deutschen Staatsmänner, so schloß der polnische Außenminister, schade sehr der Wiederherstellung normaler Beziehungen zwischen Polen und Deutschland. Die Schwierigkeiten bei den Handelsvertragsver handlungen seien zu einem guten Teil auf die Reden der deut schen Staatsmänner zurückzusühren, die zwischen beiden Nati onen ein gcgenstitiges Mißtrauen schufen und die Lösung gewißer Fragen äußerst schwierig machten, wie beispielsweise die der Nie- derlaßung Deutscher in Polen. holde eine Massenversammlung abhielten. Es ist eine bc-i sondere Kunst, Schornsteinbauer in Genf zu sein. Jahr-! Hunderte haben an dem Rätsel studiert, wie man hier die Kamine einrichtcn muß, damit der Rauch nicht, statt zum Himmel zu steigen, in das ganze Haus geblasen wird. Bis heute ist, die Frage noch nicht gelöst; das macht die „Bise". Diese „Bise" hat eine besondere Bedeutung bekommen, als der Völkerbund gegründet wurde. Wilson schlug Genf als Sitz vor, aber er drang nicht leicht durch, denn man machte damals schon aus das Klima der sonst so schönen und gastlichen Stadt ausmerksam, das für die Vertreter der Völker aus heißen Zonen nicht zuträglich sein werde. Später hat man dann, mit Rücksicht aus die Delegierten aus Afrika, Asten, Mittelamerika usw., die schwer unter den Launen der Bise gelitten haben, den Termin der Vollversammlungen aus dem Oktober in den September vorvcrlcgen müssen, wo er fahrungsgemäß die „Bise" selten austritt, dafür freilich meist eine brütende Backofenhitze herrscht, welche es den Vertretern der Staaten aus dem Norden und den gemäßigten Breiten oft nahezu unmöglich macht, tagsüber zu arbeiten und nachts zu schlafen. Man steht, auch das Wetter ist eine Macht, die be! der Zusammenfindung aller Nationen des Erdballes berücksichtigt sein will. Mögen die großen Staatsmänner noch so viel Willenskraft mitbringcn, die Bise redet ihr Wort mit in der Weltgeschichte, und sie ist so tyrannisch, daß es immer noch nicht ausgeschloßen erscheint, daß man sich eines Tages zu einer Verlegung des Sitzes des Völkerbundes entschließen wird. Auf jeder Tagung treten solche Vorschläge oder minde stens Absichten auf; die Schwierigkeit ist nur, daß man sich aus Gründen der Politik — nicht des Klimas — auf keine andere Stadl bisher hat einigen können.