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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-08-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930804027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893080402
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893080402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-08
- Tag 1893-08-04
-
Monat
1893-08
-
Jahr
1893
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Die Absicht des Regierunzs- organS ist zweiselSohnc, auf de» particularistischen Charakter dcS KlerikaliSmuS hinzuweiseii, und dazu ist der ExeurS des Augsburger Blattes auch sehr geeignet. Cr entstammt der Abneigung gegen eine binreichenv starke RcichSgewalt und richtet sich unter diesem GcsichtSpunct gegen Herrn Vr. Miguel. Man kann den lies gehängten Erguß aber auch von einer an deren Seite belrachicn und muß es unseres Erachtens. Was der UltramontaniSmuS heule anslrebt, strebt er seit 187t an. Gegen früher besteht aber der Unterschieb, daß ihm von den Gewalten, die er grundsätzlich bekämpft, die Argumente ins Haus geliefert werden. Sonst war der ParliculariSmuS darauf angewiesen, seine Sache durch den Appell an Bor- urtheile und Leidenschaften zu führen, heule findet sein Ucbelwollen Tbalsachen, denen er nicht allzu viel Gewalt anzult-un braucht, um sie für seine Zwecke zurecht u machen. Wer sich das verhehlt, wirb nicht in, Stande ein, der beklagenSwertbcn Strömung wirksam cntgcgc»- zutraten. Mit der Verdammung deS Particularismuö ist nichts gcthan, die Aufgabe ist, seine Quellen zu verstopfen. Der beste Weg, diesen Zweck nicht zu erreiche», ist die Vertuschung, die Vogelstraußpolitik. Ist es auch schmerz liche Pflicht, jo ist es dock Pflicht, cinzuräumen, daß das ultramontane Organ mit Fug behauptet, der Sitz der Weis heit, Erfabrung und Autorität sei nicht so sehr in den leitenden Kreisen Berlins, als in anderen Residenzstädten. Man hat dort die WeiSbeit und Erfahrung auögewiesen und ein gut Stück Autorität ist mitgegangen. Zu den „großen und kleinen Fehlern" dcS neuen EurseS ist die Initiative ausnahmslos in Berlin ergriffen worden und die Angelegenheit dcS preußischen Schulgesetzes ist nicht die einzige, wo auf bundesstaatlichen Rath aus einem falschen Wege umgekehrt worden ist. Ohne Frage ist auch die monarchische Repräsentation in den Mittelstaaten ein Nähr mittel der Autorität. Sie entspricht de» deutschen Ueber- liefcrungcn und dem deutsche» Empfinden, das der gleichmäßig brennenden und wärmenden Flamme den Borzug vor meleor- glcichem Aufleuchten giebt. Im ReichStagSwahlkreise AlSscld-Lantcrbach bat gestern die Stichwahl zwischen dem nationallibrralen Eandibaien Professor Backhaus und dem Antisemiten Biudcwald stattgesundcn. Die genauen Zahlen über daö Wahlergebnis liegen noch nicht vor, aber der Telegraph hat bereits in Vcr verflossenen Nacht gemeldet, daß die Antisemiten auch diesmal den Wahlkreis bekauptet haben. Viermal hat der Wahlkreis in sechs Wochen wähle» müssen; in der Stichwahl vom 2t. Juni nach der unentschieden ge bliebenen Hauptwahl war der Wahlkreis dem Antisemiten Zimmermann zugesallcn, der, doppelt gewählt, sich inrcß für den Wahlkreis Dresvcn links der Elbe entschied. Daö Wabl- ergebniß bedeutet also keinen Verlust für die nationalliberale Partei, zumal auch im letzten Reichstag der Wahlkreis antisemitisch vertreten war. Aber unerwartet kommt die Nachricht doch. Den Ausschlag gaben die An hänger des „freisinnigen" Wahlvereins in Alsfeld, und bekanntlich gicbt der „Freisinn" sich für den energischsten Gegner dcS Antisemitismus auS. Allerdings hatte der genannte Wahlverrin mit einer Parole in den Wahlkampf einzegriffen, die rS den „freisinnigen" Wählern ermöglichte, wenigstens durch Stimmenthaltung dem Antise miten über den gemäßigt-liberalen Candidaten zum Sieg zu verhelfen. Aber man konnte sich nickt vorstellen, daß „frei sinnige" Wähler von dieser Erlaubniß Gebrauch mackeu würden. DaS scheint nun doch geschehen zu sein und einen neuen Verve,« für die Thatsache zu liefern, daß der „Freisinn" in voller Zersetzung begriffen ist. Eine Verbrüderung der Ljcchen mit der stebenbür-isch» rumänischen Nationalpartci, das hätte der hab«- burgischen Monarchie, um den Wirrwarr in Oesterreich- Ungarn. wo der Nationalitätenbader ohnedies schon eine große Rolle spielt und die eine Nationalität so gern der anderen den GarauS machen möchte, gerade noch gefehlt. Ufld doch ist so etwas, was einer derartigen Verbrüderung so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern, st» Werke. So theilt als eine Art Nachlese zu ihren umfangreichen Berichten über die in Hermannstadt glücklicherweise ov»e ernste Ruhestörung vorübcrgegangcnen Conferenzen der sicbenbürgisch- rumänischcn Nationalpartri die im Pachte der „Agence HavaS" stehende altconservative „IndSpendanci roumaine" eine Unterredung ihre- Hermannstädler Sonder berichterstatters mit dem Präsidenten der siebenbürgisch-rumä» nischcn Nationalpartei mit, die wegen ihre- Inhalt- Be achtung verdient. Im Laufe der erwähnte» Unterredung wurde nämlich auch die Sprache auf die angeblich iin Zuge befindlichen Verhandlungen der Rumänen mit den Führern der czechischcn Bewegung in Böhmen gebracht. Der Prä sident der rumänischen Nationalpartei Sieben-bürgrn-, Raliu, gestand den Thatbestand solcher Verhandlungen ohne Um schweife mit dem Bemerken zu, daß die Gründung eines in Wien in deutscher Sprache erscheinenden Blattes zur Verfechtung gemeinsamer Interessen beabsichtigt sei, für welches die Czechen 200 000 und die Rumänen 80 000 Gulden bcizusteuern hätten. DaS einzige Hinverniß einer Berständigung bilde nur noch die äußere Politik inso fern, als dieEzechen eine unbedingte Erklärung gegen den Dreibund verlangen, während sich die siebenburaiich- rumänische Nationalpartei 1890 formell für den Dreibund ausgesprochen habe. Doch ließ Ratru in seinen übrigens von Loyalität« - Versicherungen für da- Kaiserhaus übersiießcnden Erklärungen ziemlich unvrr- hüttt durchblickcn, daß eS sich behufs Ermöglichung eines rumänisch-czechischeu Bündnisses wohl der Müde verlohnen würde, der vor drei Jahren zu Gunsten der DreibunvSpolitik abgegebenen Erklärung der rumänisch-siebenbürgischen National- Partei eine lediglich platonische Bedeutung zu unterschieben. Dann würden, wie Ratiu meinte, in Ungarn 22 Millionen babsburgischer Unterlbanen nicht ungarischer Zu n ge bloS 6 Millionen Magyaren gegenüberstehen. Daß aber die von ihm als numerisch so vielversprechend angesehene rumänisch-slovakisch-czechische Allianz, welche nichts mehr und nichts weniger als eine Zer trümmerung der habSburgischen Monarchie in nationale Atome anstrcbt, nicht bloS in Ungarn, sondern auch in Oesterreich auf den lebhaftesten Widerspruch stoßen und außer Len deutschen Liberalen auch alle nur irgendwie aus die Erhaltung deS Einheitsstaates bedachten patriotischen Elemente der Westhätfle der HabSburgischen Monarchie zu gemeinsamer Abwehr der gemeinsamen Gefghr mit den Ungarn verbinden müßte, scheint der Chef der rumänisch-siebenbürgischen Bewegung gar nicht in Rechnung gezogen zu haben. Immerhin ist es aber gut, die merk würdigen Auslastungen Ratiu's etwa« tiefer zu hängen, da nur auf diese Weise die ferner stehenden Kreise eine bessere Ein sicht in die politischen Utopien der radikalen Nation al- bewegung unter den Siebenbürger Rumänen zu ge winnen vermögen. Großes Aussehen in ganz Belgien hat «in Vorgang in der Kammersitzung vom I. August gemacht. DaS Ministerium führte in dieser Sitzung ganz gegen seine bisherige Gewohnheit den König selber direct ins Gefecht, um in der Senatsfrage seinen Kops durchzusetzen, erlitt aber trotzdem eine Niederlage. Regierung und Rechte fordern unbeugsam, wie bereits gemeldet, daß jeder in den Senat wählbare Bürger mindesten« jährlich 1500 Francs dirccte Staatssteuern entrichten muß und daß aus je 5000 Einwohner «in Wählbarer kommen soll. Da- heißt mit anderen Worten: In ganz Belgien giebt es nur 1028 in den Senat wählbare Bürger. Die Linke wollte zwar in Viesen saueren Apfel beißen und „um endlich fertig zu weroen", den hohen Eensu« bewilligen, brachte aber durch den Deputaten Houzcau den Antrag ein, daß auf je 3000 Einwohner ein Wäblbarer kommen und somit 2040 Bürger in den Senat wählbar sein sollen. Der Minister deS Innern erklärte schroff, daß die Regierung diesen Antrag und jedes weitere Zugestänvniß abweise. Das Ministerium habe Ven König bestimmt, die bisherigen Anträge für die Organisirung des Senates anzunehmrn. Dir König sei damit einverstanden, also müsse eS dabei bleiben. Diese Erklärung, welche die Krone bloßstelltr, rief aus der Linken einen Entrüstungs sturm hervor. Von allen Seiten rief man, daß die Regierung zuin ersten Male es wage, den König in die Debatte zu ziehen und dadurch die Kammer zu beeinflussen. „Gegenüber dieser unglaublichen Haltung des Ministeriums ziehe ich", so rief der Deputirle Houzeau, „meinen Antrag zurück! Machen Sie die VersassungSrevision mir oder ohne die Krone!" Der Deputirle Ianson stellt« vor dem Lande fest, daß Regierung und Rechte nur „den Triumph des Geldes" wollten. Ob wohl die ganze Revision nur gemacht worden sei, um den Eensu» zu beseitigen, wolle man eine Oligarchie, die Herr schaft der Reichsten, aus» Neue errichten. Die Leuchte» de« Landes, selbst Richterstanv und Wissenschaft, würde» als unwürdig erachtet, im Senate zu sitze» — eine solche Lösung weise das Land ab. Der Senat werde hoffentlich weiser sei». Ter Minister dcS Innern erwiderte, vaß König und Senat einig seien und von keinen weiteren Zu geständnissen die Rede sein könne. Da die Linke auch ihrerseits jede- Zugeständnis ablehnte, so ging die Kammer rcsultatlos auseinander und es ist nun abzuwarten, was der Senat beschließen wird. DaS seltsame Vorgehen der Regierung wird auch von den gemäßigten Organen scharf getadelt. Lpanicn hat in den letzten Monaten politisch wenig von sich reden gemacht. Die innere Politik hat sich fast aus schließlich in Zettelungen der republikanischen Gruppen unirr einander und gegen die beiden großen monarchischen Parteien, sowie i» der Budgetberathung der EorteS erschöpft; der Führer der konservativen, EanovaS del Eastillo, operine mit seinen Mannen insoweit mit großem Geschick, als er da» Eabinet in Lahmlegung der republikanischen Verschwörer wirksam unterstützte, im Uebrigcn aber sich freie Hand vorbcbiell und dadurch dem Minister präsidenten Tagasta im Lause der parlamentarischen Tagung eine Reihe von Zugeständnissen abnötdlgte, welche augen scheinlich dem Zwecke dienen sollen, zu gelegener Zeit dem EonservatiSmu« den Weg zur NegierungS- grwalt zu ebnen. Nach außea gefällt sich Spanien nach wie vor in der Rolle de» aufmerksamen, zurückhaltenden, wenn auck durchaus nicht uninteressirten Beobachter«. Der Stand der spani schen Finanzen sowohl, wir der militairischrn und maritimen Hilfsmittel untersagen einem spanischen Staatsmann jeden Hang zu Unternehmungen, die ich nicht im engsten Rahmen de« nationalen «tat»» ouo halten, allein da- schließt nicht an«, daß man in Madrid mit argwöhnischer Eifersucht jedes Symptom in der Mittelmeerpolitik der anderen Mächte überwacht, welches möglicherweise den Schluß ge stattete, daß etwas gegen die von Spanien in Anspruch genommene Interessensphäre auf marokkanischem Bodru sich vorbereiten könnte. Die Macht, die auch in Spanien, wie anderswo, dem meisten, wo nicht dem alleinigen Argwohn, systematisch auf den Umsturz des Bestehenden hinzuarbeiten, begegnet, ist Frankreich, wogegen Sagasta vielleicht mehr noch als CanovaS bestrebt ist, die englische Freundschaft zu pflege», namentlich seitdem da- liberale Princip mit Glad- stone auf englischem Boden das Regiment führt. Spanien hat allen Grund zu der Besorgniß, daß cs bei einer Arn- derung der maritimen Machtstellung im Mittclmeere. die den französischen Absichten entspricht, nur verlieren dürfte, und würde sich daher cintretenden Falle» nicht lange besinnen, daS bescheidene Gewicht seiner Politik zu Gunsten der britischen Mitteliuecrbestrebungen in die Waag schale zu lege». Inzwischcn weiß eS die öffentliche Meinung in Spanien dem Führer der conservativcn Partei in den EorteS, Eanovas del Eastillo, aufrichtig Dank, daß er den Ersparnißgelüstcu de» Eabinrtö auf Kosten de- HeereS- und FlottenbudgelS energisch und mit Erfolg entgegrn- aetreten ist. Denn wenn auch unter den obwaltenden Verhältnissen Sparsamkeit geboten erscheint und daher Mehr aufwendungen zur Verstärkung der nationale» Wehrkraft b>S auf Weiteres zurückgesleUt werden müssen, so empfindet doch Jedermann, daß, wenn Spanien in den Augen der Welt nicht eine Einbuße an Prestige erleiden will, cs wenigstens an dem jetzigen Stande seiner äußeren Machtmittel keinen Abstrich vornehmen darf. Wiederholt haben wir in den letzten Wochen darauf hin- gewiesen, wie die russische Regierung mit Hochdruck daran arbeitet, Alles zu unterdrücken, was nicht moSkowilisch ist. Um so erstaunlicher und erfreulicher ist eS, daß wenigsten- in den baltischen Provinzen die Widerstandskraft der Be völkerung trotz aller Einschüchterungsversuche noch nicht er lahmt ist. Auch die soeben in den Ostseeprovinzen vollzogenen GeineindcratbSwahlen haben hierfür den Beweis geliefert. Trotz der gewaltigen Beeinflussung durch die Behörden ist der Sieg des deutschen Ele ments ein vollständiger, und selbst in Riga, das eine zahlreiche russische Bevölkerung hat, wurde bloS ein einziger Russe gewählt. ES ist daher in der nächsten Zeit ein hartnäckiger Kampf zwischen der russischen Regierung und den baltische» Stadtvertretungen zu gewärtigen, ins besondere in der Frage der städtischen Beiträge für protestan tische Kircheiizwcctc, in der die Negierung bereits vor einigen Jahren zu einem so ravicalen Mittel, wie die Absetzung der Bürgermeister von Riga und Reval, gegriffen hat. Die kommende stürmische Zeit kündigt sich bereit- durch Vorzeichen an. Der neugewählt« Gemeinderath von Mitau hat einige Verfügungen getroffen, die eine Art von Kriegserklärung au die administrativen Behörden bilden. So hat er u. A. die Bewilligung eine- GründunaS- beilraaeS von 2000 Rubeln für eine Mädchenschule mit russi scher VortragSsprache verweigert, dagegen einen beveulenden In des Reiches Ostmark. 6j Roman von B. W. Zell. Nachdruck »eibaten. (Fortsetzung.) „Graf PodbiclSki soll seine Gemahlin leidenschaftlich geliebt haben. Sie war dein königlichen Geschlecht der Sobicöki ent sprossen und wunderschön, eine zweite Potocka, sagt man. Aber in ihren Ader» putsirte beitzcS, stürmische- Blut, echtes Pvlen- blut, daS kein Genüge», kein Schranke kennt und im taumelnden Genießen unersättlich ist. DaS junge Paar halte das erste Jahr seiner Ebe in Paris verlebt, dann siedelte eS hier!,er nach PodbielS über, wo bald darauf Wladimir geboren wurvc. Weil aber das ehrwürdige alle Stammschlbß der jungen ver wöhnten Gräfin nickt sonnig und luftig und lauschig genug erschien, ließ der zärlliche Gemahl aus ibren Wunsch diesen Pavillon hier erbauen und ganz im Pariser Geschmack a»S- statten. Dann begann ein lustiges Leben auf PodbielS; eS ward der Sammeipunct deS ganzen polnischen ArclS diesiger Gegend, und die StaalSrcgierung soll manchen Spion heimlich hier unterhalte» haben, um zu erfahren, ob der Zweck der täglichen Ziisaiiimcnküiifie aus dem Schloß wirklich nur der sei, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Die schöne Gräfin war natürlich der Mittelpunkt all Vieser Geselligkeit, sic er sann täglich neue Zauberfcste und zog auch einig« Pariser Freunde hierher in diesen wcllvergessenen Landstrich, um den fröhlichen Kreis vor Eiittvnigkeit zu bewabren. Der eine dieser sranzösischen Freunde — auch er soll königlichen Stamme« und ebenso häßlich wie gcistreicb gewesen sein — ward der schönen Schloßsrau gcsäbriid. Vielleicht huldigte sie meinei» Grundsatz, daß mit dem Hciratheit da« Lieben nicht auszuhören brauche —" „P°l,°!" - . „ „Ich höre Deinen Ordnungsruf, liebste Aniela. Aber wa« ich sagen wollte, ja, dem eigenen Gatten diese Liebe zu be wahren, wäre doch zu altmodisch und ist von cultivirten Menschen wirklich nicht zu v«rl."-ien. Graf kavrr war aber nun leider ein so uncultivirter L? « ich und dachte darüber ander«. Al« er eine« schönen Tag»» sein« Gemahlin ultd den Ehevalier traf — im Pavillon soll t« gewesen sein, Aniela, vielleicht sogar in diesem Nest», da« wir nüchtern» Seelen jetzt bewohnen —, da schoß er den edlen französichen Gaslsreund nieder und verstieß die schöne Gräfin für immer, freilich mit einem fürst lichen Iabre-gehalt. Der Ebcvalier soll nicht todt, sonder» nur schwer verwundet gewesen sein und sich später mit der Geliebten wieder vereinigt haben." „Da« Alle« ist entsetzlich!" stanimelte Aniela mit bleiche» Lippen. „Ich begreife nicht, wie Du den leichten Ton dafür sinkest. Und wo ist die Gräfin jetzt?" „Niemand weiß e« — verschollen! Möglich, daß der Graf ihre» Aufenthalt kennt, aber nie hat er je davon gesprochen. Cr ging sofort nach der Katastrophe mit seinem Söhncken »ach Pari« zurück und ließ Wladimir, der seine Mutter für tovt hält, spater in einem Cavalirr-Pcnsionat erziehen. Der junge Graf soll die ganze Schönbeit, aber auch den ganzen Leichtsinn seiner Mutter geerbt baden, und da« Verbältniß zwischen Vater und Sohn nie ein recht innige» gewesen sein. Die letzten Jahre verbrämte Wladimir auf Reisen, am meisten ziebt ihn Warschau an, wir man sagt und — Polza sprang plötzlich auf und warf dir halbverdaiupfte Cigarette soralo« aus den koffbaren Siittwnateppich — nun kommt da« Beste von meiner Geschichte, Schwesterchen! In de» nächsten Tage», ober vielmehr seit Wochen schon erwartet ihn sein Vater hier aus VodbielS." Polza hielt in ihrer Schilderung der Schicksale de« Grafen PodbiclSli eine» Augenblick inne. Ein leiser Seufzer stahl sich über Aniela'« Lippen. „O — nach Deiner Schilderung de- jungen Grafen er freut mich die Mitthrilung seiner baldigen Zurückkunft nicht — im Gegentheil, sic ängstigt mich." Polza lachte übermütlng auf. „WtSbalb? Weil wir endlich einmal einen interessante» Lebemann leune» lernen werden? Ich sage Dir» ich brenne darauf, Wladimir zu sehen, mit ihm zu verkehren — dann wird die» stille PodbielS nicht mehr langweilig für mich sein. Längst habe ich mir einen solchen Gesellschafter gewünscht und ich denke, wir werden gut zu einander passen. Nnr nickt wieder diese ernsthafte Miene, Aniela — ich weiß, wa« Du sagen willst. Es bat un« ja bei Lebzeiten de« Onkel« nicht an Verkehr gefehlt, und eS waren dir vornebmsten Vertreter deS polnischen Adel-, die sich in unserem Salon zu G zu- sammenfandcn. Aber die meisten waren alt, wie Onkel StaniSlauS selber, und die wenigen jungen darunter sahen in un« nur die Nichten deS Bischof«, da« beißt halbe Heilige, und nicht jungt, lebtnSlusiigr Wesen von Fleisch und Blut. Ich aber möchte leben und genießen und Thorheiten begehen, wir andere junge Mädchen auch — und der junge Graf scheint mir der rechte Genosse zu allerlei Tollheiten zu sein. Deshalb freue ich mich auf seine Ankunft, ja, sehne mich derselben entgegen." Aniela öffnete eben die Lippen, um der heißblütigen Schwester irgend eine weise Mahnung zutheil werte» zu lassen, als die Thür hastig aufgerisscn wurde und aus der Schwelle eine sonderbare Gestalt erschien. Eine sehr kleine, sehr starke, anscheinend sehr erregte Dame zeigte sich in eine»! Aufzuge, der deutlich vcrricth, daß er nur für die verschwiegene Einsamkeit innerster Familicngemächer beregnet sei. Ein nur halb zugencsteltcr Tchlasrock mit langer Schleppe, der rin lo«- gcrisseneS Bcsatzstück nachsckleiste, umschloß die volle Figur. Die Füße, von dem vorn scbr kurzen Gewände völlig freige laffen, steckten in Strümpfen von zweifelhafter Farbe »nd niedcrgetretcncn Schube», während starke«, schwar;eS, hier und da schon mit weißen Fäden durchzogenes Haar wirr über Hals und Schultern berniedersiel. Da» runde, stark markirle Gesicht mit den buschigen Augenbraunen erschien zur Halste dick mit Puder überschüttet, während sich die andere Hälfte in natürlicher, sehr kräftiger Röthe zeigt«. Und eine Puderquaste umschloß auch noch die beringte Hank, die sia, jetzt beschwörend zum Himmel erhob. „Jesus Maria!" jammerte die kleine Dame dabei in einem so schnellen, über hasteten Polnisch, vaß die schöne Sprache einem einzigen rollenden U, untermischt mit Zischlauten, glich und nur Ein geweihte sie verstehen konnten. „Jesu« Maria, seht Ibr denn nicht, daß der Gras mit zwei Herren durch die große Allee gerade aus den Pavillon znkommt, un« also Besuch zujübrk? Und Ihr sitzt und schwatzt da allerlei gevankenlose« Zeug, wahrend Polza wie gewölnilich noch in ibrem Morgcntlride »nd eure arme Tante »och gar nicht empfang-fähig ist. Dazu habe ich die Stascha eben fortgrschicht — wer wird mick nun ankleiden?" Polza hatte bei den ersten Worten der Tante einen schnelle» Blick zum Fenster binan« und dann einen zweiten in den Spiegel geworfen, der ihr di« Beruhigung gab. daß ibr hell- blaue- Moraciigewand mit der Watteausalle und den rosa Schleife» nicht nur außerordentlich aut in die ganze Umgebung b:ineinpaßtr, sondern sie auch entzückend kleidete. Sie lehnt« sich also ganz ruhig in ihren Sessel zurück und sagte: „Um meinen Anzug macke Dir keine Sorge, Tante — er pafsirt schon. Wer aber Dich schnell ankleiden soll — Du liever Gott! Dir Du weißt, habe ich nicht da« geringste Ge schick zur Kammerkatze." Aniela faltete eilig ihre Arbeit zusammen und erhob sich. „Gern, Tante Iakwiga, will ich Dir helfen." Diese aber winkte hastig abwehrcnd. „Wo denkst Du hin? Kan» Polza die Herren allein empfangen? Sir müsse» in wenigen Minuten eilitreten, und bis dabin kann ich selbst mit Deiner Hilfe nicht angekleidet sein. Ich kan» Euch de» Besuch nur melden — haltet die Herren in jedem Falle auf, bis ich erscheine." Damit schlug sie die Tbüre wieder zu, und man hörte ihren eiligen, schlürfenden Tritt auf der Treppe, die zu den oberen Gcuiächern führte. Polza lachte in gutinüthigem Spott laut auf. „Die arme Tante! Daß auch ilire unentbehrliche Stascha gerade sortgeickickt sein niußl Denn unserer vereinten Hilfe felbsi würde es koch nicht gelingen, ihr die engen Stiefeletten anzuzwäiigc», die „den kleinsten Fuß der Welt" umspannen. Seitdem aber die gute Tante so dick geworden und ihr Fuß mit den Jahren etwas i» die Breite gegangen, läßt sich det alte Nus der Familie Wolcawek leider etwa- schwer aufrecht erbalten. Doch da treten die Herren hinter dem BoSket hervor. Sollte der Eine Graf Wladimir — nein, der muß eleganter, großstädtischer auSsebe» meiner Berechnung nach. Und der Ankere — ein Geistlicher — Himmel, c- ist wirtlich und wabrbaftig unser aller Freund. Konstantin Dre«ki!" Sie fuhr bei de» letzten Worten zu Aniela herum. Die stand mit auf der Brust gekreuzten Händen und leuchtenden Blicken da. „Ja, Konstantin BreSki", sagte sie leise. „Welch eine liebens würdige Urbcrraschung vom Grafen." „Es stimmt ja auck Alles", rief Polra fröhlich. „Der Vicar erhielt damals eine Psarre in der Nähr von I., daß eS PodbielS war. wussten wir freilich nichts und rS ist schlecht von ibm, daß er es u»S nie geschrieben Ein so alter Freund, dcS Onkels Liebling —" „Unk ein so fromme«, ekle« Gemüth!" setzte Aniela innig bin;». „Wie schmerzlich Hab ich den geistlichen Brrather entbehrt!" „Darf ich mick mit meinen Gästen von bicr au« selber anmelten, meine Damen?" tönte jetzt de« Grasen titse Slimme durch das offene Fenster herein. Polza flog dorthin UNd beugte sich zwischen den Blumen vor. „Tausendmal willkommen, meine Herren! Für Ein» sirtlerinnen ist jeder Besuch ein frohe« Errigniß — darf ich bitten?" Die Herren traten ein, und der Gras stellte Ge-r-e ». Malkiewicz vor. Die leichte Spannung verschwand au« Palza'«
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