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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.04.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080422027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908042202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908042202
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-04
- Tag 1908-04-22
-
Monat
1908-04
-
Jahr
1908
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Ämtsvkatt des Nates und des Nolizeiaintes der Ltadl Leipzig. Anzeigen-P. ei» für Inserat« au» i.e>p»ia auo Umgebung di« -gespaltene PetUzeil« 25 Pi., finanziell« Anzeige» ilv Pf., Neklamea 1 M.; von aatwLrt« 00 Pl., Reklamen 1.2V St.: »omAu«land5VP,., ftnani Antigen75Pf.. Neklamea 1.5v M Inseratev.Behördenti amillch»nD«iI40Ps. Beilagegebühr 5 M. p. Dauieno exkl. Post gebühr. Leichästtanzeigen an bevorzugter stelle >m Preise erhöht. Nadati nach Tarn Festerteilte Husrräge können nicht zurück gezogen werden Für da« Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen Anzeigen-Annahme: Augustusplatz 8g bei sämtlichen Fiualen u. allen Anno> cew- ltzpeduwnen de« In- und Au«lande1. Hauvt-Stlial« Verliu: Larl Duncker, Herzogs. Bavr. Hosbuckp Handlung, Lützowkrafie 10. (Telephon VI. Nr. 46U3). Haupt-Stliale Lresden: Seeftrahe 4,1 (Telephon 4621). Nr 111 Mittwoch 22. April 1908. 102. ZabMiig. Das wichtigste voin Tage. * Fürst Eulenburg hat sich telegraphisch zur Wider legung der neuen gegen ihn erhobenen eidlichen Anschuldigungen er boten. tS. Gerichtssaal.) * Das Programm für den Besuch der deutschen Für st en in Wien ist jetzt bekanntgegeben. lS. Dtschs. R.) * In Portugal wurde eine neue Verschwörung gegen den König entdeckt. (S. Ausl.) * Der frühere englische Premierminister Eampbell-Banner- mau ist heute in London verstorben. Die -errtsch-fvairzosische Annäherung. Generalmajor z. D. v. Loeb eil, ein Mitglied des deutsch-fran zösischen Annäherungskomitecs und ein Bruder des bekannten Chefs der Reichskanzlei, wurde in dieser Komiteeangelegenheit von Monsieur Morre, dem Korrespondenten des „Gaulois", interviewt, wobei er äußerte: „Das deutsch-französische Komitee ist erst in der Bildung begriffen. Bevor es vollendet ist und erkennbare Formen angenommen hat, wird man begreiflicherweise auf Einzelheiten nicht näher eingehen können, vielmehr mit seinem Urteil warten müssen, bis das Komitee tatsächlich arbeitet. Immerhin glaube ich sagen zu können, daß solche Unter nehmungen ihren Zweck wohl nur dann erfüllen und wirklich Nützliches leisten, wenn ihr Schwerpunkt nicht auf einer der beteiligten Seiten liegt, sondern wenn rückhaltlos ein wechselseitiges Bedürfnis dazu an erkannt wird. Daher muß, nach meiner Meinung, gleichzeitig auch in Frankreich eine gleichwertige Gründung mit genau denselben Be strebungen entstehen. Die nötigen Maßnahmen dazu sind vorbereitet. Wie jeder Wohlgesinnte, gehöre auch ich zu den aufrichtigen Freun den einer auf gegenseitigem Verständnisse beruhenden Annäherung der nachbarlichen Völker, die doch seit nahezu vierzig Jahren der Welt ge- zeigt haben, daß sie bei gutem Willen sehr wohl in Frieden miteinander auskommen können. Ich glaube aber nicht, daß solche Komitees Nütz liches leisten würden, wenn sie ihre Ausgaben auf dem Gebiete der hohe» Politik suchten. Dies ist indes auch nicht beabsichtigt. Das bleibt viel mehr Sache der Regierungen und steht unter dem Einfluß von Im ponderabilien, die sich nicht kommandieren lassen. Eine solche Auffassung der tatsächlichen Verhältnisse bewahrt vor jeder Ueberschätzung des immerhin durchaus begrenzten Wertes derartiger Unternehmungen, die — an sich durchaus edel gedacht — doch nur gedeihen können, wenn sie nicht mit allgemeinen Gefühlsäußerungen, sondern in concreto auf geeigneten Gebieten wirken. Es fehlt nicht an solchen Gebieten, wo ernste Versuche friedlichsten Wettbewerbs nicht nur möglich, sondern auch bestimmt erreichbar und durchaus erstrebenswert sind. So sind z. B. auf den Rennbahnen der Automobile schon sehr achtbare Ergeb nisse gezeitigt worden. Auch die bildenden Künste, die Musik, die Wissen schaft hoben wiederholt erfreulichen Anlaß gegeben, die offen liegenden Berührungspunkte zu einer dauerhaften Verständigung zu verwerten. Auch auf wirtschaftlichem Gebiete wird Fühlung zu nehmen sein. Die Erfahrung lehrt täglich, daß der Kaufmann, der Gewerbetreibende, der Kapitalist sehr leicht den Weg hinüber und herüber findet und auf die Farben trennender Grenzpfähle wenig achtet. In ähnlichem Sinne äußerte sich ja wohl auch Fürst Bülow in einer seiner Reden, wenn ich nicht irre, im November 1906. (Auf wirtschaftlichen Gebieten, und zwar nur auf diesen, wirkt bekanntlich das Frankfurter Annähcrungskomitee.s Sic fragen, wie man im deutschen Heere über Frankreichs Wehrkraft denke? Nun, kurz und bündig die Antwort: Mit größter Achtung. Von dieser Meinung können mich Zeitungsnachrichten nicht abbringcn, die von Vergehen gegen die Manneszucht und von antimilitärischen Be strebungen handeln. Als Militärschriftsteller kenne ich die Geschichte Ihres HeereS zu genau, um nicht zu wissen, daß im Notfall noch nie vergeblich an den point ä'Honneur und den Patriotismus des fran zösischen Soldaten appelliert worden ist. Wie gut verstand der erste Napoleon, aus den zuchtlosen Scharen der Revolution jene Truppen zu schaffen, mit denen er die Welt in Schrecken setzte. Und jetzt wird an Ihren Hcereseinrichtungen mit Ernst und Ausdauer unausgesetzt ge bessert. Können Sie sich da wundern, wenn wir bei unserer Lage zwischen so vielen wehrhaften Nachbarn dauernd bestrebt sein müssen, mit allen mindestens auf gleicher Höhe zu bleiben?" Deutsches Reich. Leipzig, 22 April. * Tas Kaisrrpaar uns Korfu. Der gestrige Besuch Türkan Paschas beim Kaiser wähne 3 Siunven. Der Kaiser empfing ven Abgeiantten des Sultans im Arlrium vno begrüßte ihn in sebr herz licher Weise. Gegen 4 Uhr verabschiedete sich Turtan Pa cha vom Kauer und verließ aal ver Sultansjacht „Ajzevdin" den Haien von Korfu, um nach Saud: Quarante an der aibanuch-cpiriichen Küste zulück- zutehren. Türkan Pascha ist von dem freundlichen Empfang und dem Erfolg seiner Mission sehr befriedigt. * Besuch Ser deutsche» Fürste» in Wie». Gestern wurde das offizielle Programm der Huldigung der deutschen Bandessürsten bei den vor Kaiser Franz Josef veranstalteten Feierlichteiten bekannigegeben. Der Deutsche Kaiser, b,e Kaiserin sowie Prinz Joachim und Pnnze-sin Luise treffen am 7. Mai um 10 Uhr vormittags auf der Station Pen zing mit Gefolge ein. Die Gratulation der deutichen Bundessiirsten unter Führung Kaiser Wilhelms findet um 12 Uhr statt. Vorher wird die Kaiserin Auguste Vicivria allein beim Kaiser Franz Josei cricheioen, um ilnn ihre Glückwünsche darzubringen. Die zebn Bunressürsten treffen am 6. Mai abends in Wien ein und werden von Erzvei zögen mit Evrenkompagnien empfangen. Die Bundcslürsten steigen in der Wiener Hosburz ab. Während der Anwesenheit des deutschen Kaiserpaaies bleibt der Schönbrunner Park für das Publikum geschlossen. * Tas Jnbiläumsgeschenk des Kaisers an Kaiser Fran; Josef ist schon bestimmt und fertiggestellt. Es wurde dazu ein Porträt des Kaisers auS.rsehen, das ihn in österreichncher Uniform darstellt. Der Kaiser ist nämlich nicht nur Gcneralseldmarsckall der österreicbuch- ungariscben Armee, sondern er ist auch Inhaber des Oesterreichischen 34. Infanterieregiments, sowie des 7. Ungarischen Husaren,egiments. Kaiser Fran; Josef ist übrigens schon im Besitzers mehrerer Bilder des Kaisers, die ihn in preußischer und österreichischer Uniform zeigen. * Ncucrung im AuSliefe» unasverkehr mit der Schweiz. Zwi cher dem Deutschen Reich und der Schweiz findet, wie der „Rei^san;." mitteilt, die Auslieferung aus Grund der Gegenseitigkeit nunmehr auch wegen Vornahme unzüchiiger Handlungen mit einer dem Täler zur Obhut oder Erziehung anveitraulen Perlon statt. * Veränderungen in der weimarischen Regierung. Wie amt ich bekannt gegeben wird, ist der Vortragende Rat im großherzoglich Wei- manschen SlaatSministerium, Departement deS Aeußern uno Innern, Geheimer Regierungsrat Dr. Freiherr von B oineburg-Len aSselv, wegen seiner Erkrankung vom 1. April d. I. ab zur Disposition gestelU worden. Es verlautet, daß rem sächsischen Regierungsrat v. Nostitz Wallwitz, der jetzt ren sächsiichen Staatsdienst verläßt, um in den weimarischen Staatsdienst überzulreten, die freigeworcene Stelle zu- gedacht ist. * Zur Auflösung und Einberufung des -reutzischrn Landtages. Bezüglich der Pi>ß rörterungen, ob die Auflösung res Lanrtages auch nach den Wahlen zuläisig ist, erfährt die „Inf." an unterrichteter Stelle, daß »aalsrechilich eine derartige königliche Verfügung wohl als berechtigt anzu-eken wäre. Es ist aber im preußische» Versassunasleben bisher riech niemals eine derartige Maßnahme getroffen wo-den, unv auch in diesem Jahre wuv man nicht von dem bisherigen Brauch ab gehen. Es ist al'o zu erwarten, daß die Auflösung des Landtags kurz vor ter Wahlmännerwabk, also etwa Anfang Juni, erfolgen wird. Bezüglich der ersten Einberufung des neugewählten Landtages, die 9t) Tage nach den Wahlen gesetzmäßig zu erfolgen hat, muß bemerkt werden, daß die Stichwahlen fowie die Prüfung des amtlichen Materials usw. im Ministerium des Innern etwa acht Tage, vom Datum der Abgeorenetenwahlen ab gerechnet, in Aulpruch nehmen. Nach bieier Zeit lönnte die erste Einberufung des Landtags erfolgen, die man möglichst vor die Sommerferien (also etwa E»de Juni) legen will. Gegen einen späteren Termin, der innerhalb der 90 Tage liegt, spracht vie bekannte Tatsache, baß namentlich die Juristen und Beamten sich rann auf Urlaub befinden. Die kurze Tagung des Abgeordneten- Kaufes wird dann voraussichtlich 3 bis 4 Tage dauern. DaS HauS muß sich verfassungSgemäg konstituieren, wenn die Hälsie aller Wahlen durch 7 Prüfungsabteilungen des Parlaments als vorläufig gültig erUärt ist und die Präsirentenwahl vorgenommen worden ist. Die Elnbeiufung deS Landtages zu gesetzgeberischen Arbeiten wird voraussichtlich Milte oder Ende Oktober erfolgen. * Tie preußischen Landtagswahlen. Im 12. Berliner Wahlkreis Kat die nationa libcrale Partei einen eigenen Kandidaten und zwar den RegiernngSrat a. D. Piof. Dr. Leidig ausgestellt. Herr Leidig halte bekannt,- infolge eines scharfen Angriffs auf die Jun ^liberalen einen heftigen Konflikt mit der „Nalwnal-Zeitung* und wurde damals polnisch kaltgeslcllt. Seine jetzige Ausstellung darf Wohl ebenfalls als eia Zeichen dafür gelten, daß die innerparteilichen Berliner Gegenfätze nun mehr ausgeglichen sind. * Trm braunschweigischen Landtag ging, wie un« ein Privattele- gramm aus Braunschweig meldet, eme Vorlage zu, wonach den Ge meinden eas Recht zur Einführung von Fortbildungsschulen für junge Leute unter 18 Jahren verliehen wird. * Hamburg und die Sch sfahrtSabgaben. Der in Hamburg auf Veranlassung der vereinigten Liberalen eingeletzte Bürgerschal lsaus- schuß zur Prüfung der Stellungnahme Hamburgs zur Frage der Er haltung der Abgabenfreiheit auf den deutschen Flüssen hat jetzt seinen Bericht erstattet. Er beantragte sein Mandat als erlofchen zu betrachten, da seitens des Senats Mitteilungen gemacht wurden, die bew ilen, baß der Standpunkt des Senats den Interessen des Handels und der Schifsahrt entspricht. Feuilleton. Fast alles Große in der Welt ist durch dos Genie und die Festigkeit eines einzelnen Mannes bewirkt worden, dec gegen die Vorurteile der Menge ankämpfte, oder ihr welche beibrachte. Voltaire. * Der grofze Traum. Von Norbert Falk (Berlin). Wie nicht anders vorauszusehcn, ist das Zentenarium von Napoleons des Dritten Geburt klanglos vorübergegangen. Man hat sich eben „seiner erinnert". Wäre der Tag nicht gekommen, besten Tragik das bekannte Gemälde CamphausenS so gut ausdrückt, weil es den am Sedantage zermalmten Franzosenkaiser mit wüstem Haar und einge- drückter Brust gegenüber dem pathetisch-kraftvoll aufgerichteten Bismarck zeigt, — dann stund' es am Ende doch anders um den Napoleon-Gedenktag. Natürlich drüben in Frankreich, wo sie dann heute ihren vierten Napoleon Härten, den armen Lulu. Denn hundert Jahre alt wäre Eugeniens Gatte I» doch nicht geworden; lest ZolaS „Debacle" und ihr werdet hören, wie elend krank der Mann war, der bei Sedan den Oberbefehl über die Rot- kosen führte; wie ihm die Schmerzen den Leib zusammenkrampften. Drei Jahre, nachdem im Dampf der preußischen Kanonen sein Kaisertum erloschen war, ist er ja auch dahingegangen. Am 20. April hätte ihm sein Sohn und Erbe Louis, in der Napoleonidenreihc der Vierte, die Feier gerüstet. AVer der liegt selbst, seit ihn die Briten von scharfen Zulu- sperren aus der Welt räumen ließen, ein paar Handvoll Asche, im Sarg, den Eugcnie ihm gezimmert hat. Die alte Dame von Kap Martin trägt seit damals nur schwarzes Gewand. Sie ist fromm geworden, wie die Spanierinnen alle, wenn sich ihre Haare bleichen, und hat ihr ganzes Niesenvermögcn ungezählter Millionen den Herren vom Orden Jesu ver- macht. Und auch das ist ein seltsam Ende des Kaisertraums, den jener kleine knebclbärtige Herr im Gefängnis zu Ham nicht auSgeträumt hat. Und so ward der Tag, an dem sich hundert Jahre zum Säkulum rundeten, seit Europa ein Wesen geboren ward, das der müde Kontinent mehrmals arg verspüren sollte, kein Anlaß zu festlichem Gedenke». Ein leises Erstaunen allenthalben nur, daß schon wieder einmal hundert Jahre uni sind, seitdem irgendwo irgendwas in die Welt kam, das per- sönlichkeitsvoll über Millionen hinauswachsen sollte. Aber auch ein wenig Melancholie mischte sich doch in die Betrachtung, die Stimmung schwang mit, die uns umschleicht, wenn sich in einem Namen Talent, Glück und Zlanz, Verfall, Sturz und schimpfliches Ende auSdcückt. Vor hundert Jahren lag die schöne Hortense BeauharnaiS, HoscphinenS Tochter, im spitzcnübersäten Wochenbett. DaS Kind, daS sie rntcr dem begehrlichen, schnell entflammten Herzen getragen, lag nun in der Wiege neben ihr, und in der Taufe gaben sie dein Kleinen den Namen Louis Napoleon. Hortense hatte ihrem Gatten Ludwig Napoleon, dem Bruder des Donnerers von Jena, vorher schon zwei Söhne geboren; sie find früh versunken. Der dritte Knabe sollte über die Fährnisse der Jugend hinaus erhalten bleiben. Er hatte die Bestimmung, das große „H" wieder aufzurichten, als lange nach dem letzten Scufzerhauch von St. Helena und dem Verlöschen des Reichstädtcrs der Name Napoleon schon zur Legende geworden war. Und gerade Louis, in dessen Blut kein Funke von der korsischen Flamme glomm, dessen Vaterschaft einem holländischen Admiral zugeschrieben wird, sollte das zweite Imperium aufrichten. Alkovenwitz der Weltgeschichte! Der Sohn der Liebe Hortensens und des Admirals Ver Hunll heißt Napoleon Bonaparte und wird durch den Rausch, den dieser gewaltige Name ausglutet, emporgerisscn. Er unter- nimmt in der Selbstsuggestion Abenteuer, wird Präsident und Kaiser. Vom Putsch von Boulogne bis zum Tag von Sedan — welch phan- tastischeS Ringelspiel. Bei allem Ernst, der den klugen Mann kennzeichnet, ist doch in seinem ganzen Lebenslauf etwas ungewollt Parodistisches. Auch er kommt von. unten herauf wie der große Onkel, aber nur aus den Tiefen, in denen die Familien gestürzter Großen liegen; auch er ist als Soldat Artillerist, wie der große Onkel, — aber er schreibt nur Bücher über seine Licblingswaffe, während der Onkel mit ihr ganz Europa iu Trümmer schoß; auch er wird Präsident, ähnlich wie dec Onkel Konsul ward, und auch er macht sich selbst zum Kaiser. Nur setzte er sich eine Krone aus, deren Glanz und Bedeutung vom Licht dec Austcrlitzsonne des Onkels herüberstrahltc. Auch ihm wollen die Souveräne Europas keine ihrer Töchter zum Weibe geben und er muß die rothaarige Spanierin Eugenie di Montijo freien; der Onkel aber hatte den stolzen Habsburger Franz genötigt, ihm eine Erzherzogin zu geben, damit sic einen neuen Bonaparte gebäre. Dem Neffen glückt alles nur zur Not und der Schatten der Lächerlichkeit erscheint schnell auf jeder Wand, an der der Nachahmer mit seinen kurzen Beinen vorüberhuscht. In unfreiwilliger Parodie, in Karlkaturschnörkel geht jeder Pathosansatz beim dritten Napoleon leicht aus; man sehe die große, kühn gebogene Seldennasc und darunter den wuchtigen Unteroffizierschnauzbart auf dem Mchmacherschen Kupferstich. Er hat dadurch auch wie keine zweite Persönlichkeit seines Jahrhunderts die französische Karikaturzeichnung befruchtet. Und die Chöre der urteilslosen Nachsprecher haben ihn, der ja doch ein so eminent kluger Diplomat, ein so überlegener feiner Kopf gewesen, mit Eimern voll Kot übergossen. War er denn wirklich ein so großes Scheusal? Der unbedeutende Bandit, als den man ihn so gerne hingestellt hat? Konnte das ein Mann sein, der jahrzehntelang Europas Herr war, der die Fürsten aller Reiche an Geist, an politischer Reife überragte, ihnen seinen Willen diktierte? Hier liegt ein lächerlicher Irrtum und ein schweres Unrecht. Louis Napoleons Gebein ist heute lange vermodert; weit, weit liegt er dem Blick, und über seine Sünden sind ganze Prärien von Gras gewachsen. Gewiß, er war ein Abenteurer. Wenn man will: ein Hochstapler. Mit allen Listen des politischen Intriganten hat er seine Gegner entwurzelt; den Franzosen hat er die Rattcnfängcrmelodie geflötet; den Diener der Nation gespielt und dabei schon die Hcrrenpcitschc hintcrm Rücken ge halten. Tann schloß er die Regimenter um sich wie eine Mauer; aus dem Komödianten, der e i n e Rolle bis jetzt gespielt hatte, ward ein Verwand- lungskünstlcr. Er streifte die Schminke der Demut ab, warf das Muster- gcwand weg und schnallte sich das Tyrannenschwert nm die Lenden. Und das große Hauptspiel begann. Ist das eine nüchterne Komödie? Uns dünkt, der Verfasser und Spieler hat P h a n t a s i e. Seht euch sein Bild von Hachut Souplet an. Es zeigt ihn als Dreißiger und ist in den Tagen des Exils entstanden. Man kann den schlanken Eleganten für einen Vetter Mustcts halten. Der Kopf mit dem fcingescheitelten Haar, die schmale gebogene Nase, das struppige Schnurrbärtchen über der vollen Lippe und der fein frisierte, noch zarte Kinnbart. Der soll so etwas wie eine Energie im Gesicht posieren und ein Gegenpart der Augen sein. Es sind zwei weiche schwünmende Augen. Voll Melancholie. Es ist leicht zu sehen: dieser Mann spickt den Energischen, aber in der Tat ist er weichmütig und seine Seele ist nicht auf Dinge der nächsten Stunde gerichtet. Es ist ein Träumer. Und wie auch nicht. Ein junger Mann, der den Namen Napoleon trägt, ist Gefangener. Er wird fcstgchalten, damit er mit seinem Namen nicht das Volk berausche, entflamme, ein neues Napolconen- Frankreich errichte. Heiße erst einer Napoleon, sei kein hirnlecrer Tropf und träume dann nicht große Pläne aus von Kronen und Kriegen. Als jungen schüchternen Träumer führt nun den dritten Napoleon ein Schauspiel vor, das eben jetzt, zum Jahrhunderttag, als erste bc- merkenswerte Würdigung in der Dicterichschen Buchhandlung zu Leipzig erscheint. Es nennt sich: „D e r g r o tz e T r a u m", ist ein Dreiakter und Carl Niebuhr ist sein Verfasser. Schon als Versuch nur, den dritten Napoleon, der bis jetzt nur für Farcen gut genug erschien, zum Helden eines neuhislorischcn Dramas zu machen, eine sehr interessante Arbeit. Niebuhr gibt in den drei Akten drei Etappen ans dem Ausstieg des Prätendenten. Der erste Akt spielt 1848 im festen Schloß Ham in Nord frankreich, dem Gefängnis Louis Napoleons, und schließt mit dessen Flucht. Der zweite Akt gibt eine Episode aus dem Jahre 1848 und hat Richmond in England, das Exil deS Prinzen, zum Schauplatz. Er endet mit dem Einschluß Napoleons, in Frankreich aufzutauchcn und ernste Arbeit zu machen. Ter dritte Akt gibt die Vorgänge der berüchtigten Nacht zum 2. Dezember 1851 in Paris. Die Nacht des Staatsstreichs, der Griff nach der Kaiserkrone. Das Stück gibt also eigentlich nur die Ouvertüre zum Kaiserreich, zeigt den Aufstieg zum Thron, und als Louis Napoleon den Fuß auf die erste Stufe setzt, fällt der Vorhang zum letztenmal. Ein Vorspiel also nur. Aber eins, dem das Hauptstück gar nicht zu folgen braucht, weil et das vollständig auSschöpft, was der Titel verspricht. Ten „großen Traum" und ferne Erfüllung. Für die praktische Bühne müßten sich ja die drei Akte manche Kürzung, manche Beschleunigung der Tempi gefallen lasten; ihr Wesentliches besteht aber in dem vorzüglich getroffenen Kolorit der Zeit und der Charakteristik deS jungen Napoleon, der im ganzen Wankelmut, dem Eigensinn, der Entschliehungsschwäche deS wahren, zagen Träumers sehr fein gezeichnet ist. Die Exposition des ersten Aktes, mit der Skizzierung der St-mmnng um den Gefangenen in Ham. die Elnführnng der historischen Personen: des Dr. Conncau, der alle Abcn-
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