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^5 80. 13. Vctoöer 1854. /reitag Erscheint Dienstag» und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstal- ten. Preis pro Quart. lONzr. i, .1! Meißerih-Ieitnng Inserat» werden mit '8 Pf. für dl« Zeil, VerechM . ch u. in allen Cr- pebittonen an genommen. ' Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Sandmann. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Der Triumph der Civilisation. Wir sagen: Rußlands Fall ist ein Triumph der Ei« vilisation. Wir meinen hiermit nicht, daß es «in Triumph für die Menschheit ist, wenn das Blut von 50,000 Russen die Erde tränkt, oder wenn der Gewerbfleiß der russischen Nation in Flammen aufgcht, oder wenn der Handel und Wandel dort zerstört ist im Innern und vernichtet nach Außen hin. Wir meinen vielmehr, daß die Millionen und Millionen Russen einen eben so großen Anspruch auf die Bruderliebe des Menschengeschlechtes haben, als über haupt der Mensch an den Menschen machen kann. Wenn wir uns des Falles Rußlands freuen, so freuen wir uns LeS Falles der russischen Prinzipien, die nur Menschen zu Sklaven machen, und wir erblicken in dem Sturz der russischen Prinzipien den Triumph für di« Menschheit, weil dieser Sturz viele Millionen Sklaven in Menschen um wandeln wird. Mit Rußland wird auch im übrigen Europa ein Rus- senthum fallen, das ein Reich deS Scheines als Ideal seiner Lüge hinstellte. Als der Metropolit von Moskau im Jahre 1849 den Kaiser von Rußland wie eine Art Gottheit begrüßte und die ganze Menschheit ihm zu Fü ßen liegend erklärte, warfen sich auch die Kreuzzeitungen platt auf die Erd- und lallten den erhabenen Lobpsalm nach, den jener Diener der Kirche dem Herrn seiner Kirch» dargebracht hatte. Unüberwindliches Rußland, erhabene» Rußland! Unerschütterliche Weltmacht! Hort der Gläu bigkeit ! Schutzmacht der Christenheit! Retter aller Throne! Richter aller Weltsünden! Vertreter der göttlichen Vor sehung! FelS Gottes, an dem die Ohnmacht der Bösrn zerschellt! Solche und ähnl'che Ausrufe wird man fortan nicht mehr hören; im Gegentheil, die Hohlheit all' dieser Rede», die Unwahrheit der ganzen russischen Zustände, di« Lügenhaftigkeit des ganzen Schrines, die Bestechlich keit der Verwaltung wird mehr noch al- je an- Tages licht treten und man wird in diesen traurigsten Zuständen den Grund erkennen, daß «in anerkannt sehr begabter Herr scher durch dieses Schein-System so in Täuschungen erhal ten, durch seine Diener und Schmeichler so in Vornrtheile verstrickt werden konnte, daß seine Regierung gerade die schlimmsten Zeiten Rußlands sehen mußte. Aber auch nicht diese Genugthuung ist der wirkliche Triumph der Civilisation. Wir können das Hohnlachen Europa'-, das den Fall Rußland s begleitet, freilich nicht schwächen. - Wir wissen das Gefühl des Volkes zu wür digen, dem sogar der jetzige Sturz lange noch nicht ge nügt und da- schon mit Bangen an die Möglichkeit denkt, daß Rußland durch Nachgiebigkeit jetzt noch werde so weit den Frieden erkaufen, daß ihm drr Schein noch iverbtei« den wird. Allein mit all' dem hat der wahre Triumph. der Civilisation nichts zu thun. Nicht Genugthuung, nicht Hohnlachen, sondern Sieg ihrer Grundsätze ist ihr Ziel, — und der wahre Triumph liegt darfst,- daß der Beginn derselben jetzt angebrochen. Wir gehören nicht zu den Ruffenfressern, wir »ei nen nicht, Rußland müsse von der Karte Europa'- schwin den , und wir glauben auch nicht, daß man ,s daraus wird schwinden machen können. Aber die große Lüge deS Scheines wird schwinden, dieses übertünchte Ruffenthum, dieses Barbarenthum mit dem schlimmsten Firniß der Ci- vilisation, mit dem LuxuS überstrichen. Diese- durch und durch morsche Nussenthum, dessen vornehme Welt russisch wirthschaftet und sranzösisch parlirt, das fristen Reichthum nach „Seelen" zählt und seelenlos im Hazardspiel Skla ven gewinnt und verliert. Diese- durch und durch lie derliche Beamtenthum, das einen Luxus treiben muß, drr seinen Gehalt zehnfach übersteigt und genöthtgt ist, durch Mittel aller Art seine Bedürfnisse zu decken, um sein An sehen zu behaupten; dieses Nussenthum, wo ein fteie- Wort nach Sibirien schafft, wo ein freier Hauch wie «in gefährliches Gift nur heimlich herumschleicht, wo Wahr heit verpönt ist, wo man die Kinder nach dem Grund- - satze erzieht: „Wirf Dich vor den Großen auf die Erde und tritt den Kleinen auf den Nacken", — wo man auf der einen Seite den Fuß küßt und rückwärt- mit ge krümmtem Rücken und gesenktem Kopfe au- dem Zimmer des Großen eilt, und wo man, kaum daß dl« Thür ge schloffen, sich aufrichtet, um sich den Fuß von Geringeren küssen und deren Rückzug mit noch gekrümmteren Rücken vollziehen zu lassen. — Dieses Reich de- Ruffenthum- ist eS, dessen Sturz jetzt beginnt. Nicht der Sturz Rußland'-, sondern der Sturz die se- Nussenthum- ist der Triumph, der wahre Triumph der Civilisation! , Rußland ist ein Reich, ein nationale- Reich, da- zu existiren nicht minder ein Recht hat, wie alle Nationali- täten. Der Charakter des russischen Volkes ist kein so tief verdorbener, daß man sein etwanigeS Schwinden an der Geschichte der Menschen für gut, und ist kein so un natürlicher, um diese- Schwinden quch nur für möglich und natürlich zu halten. E- muß im Gegentheil eine sehr gute Grundnatur im russischen Volke liegen, wenn die entsittlichende Art, durch dir r- verwaltet wird, noch nicht nationale Tugenden in ihm verföschij und verwischt hat. — Wir meinen deshalb auch nicht, daß ein Unter gang Rußland- bevorstehe. sondern die Geschichte unserer Tage wird eine Umwandlung Rußland- anbahye», eine Umwandlung, die da- Ruffenthum in seiner jetzigen Ver zerrung stürzt und ihm den Weg zu einer Civipsiltion ebnet, die auch diesen Staat qpf Wahrheit, auf Recht und auf Redlichkeit.aufbaust — - .or, ? Wer nicht mit PieMenhaß die Geschichte der Gei