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Nummer 241 - 23. Jahrgang Sinai wöchtl. Bezugspreis: f. Oktober 2 R.-M. ausschl, Bestellgeld. Berechnung der Anzeigen nach Rent.-Mark. Preise: Die eingefallene Petitzeil« Ist f. Familien- «. Vereinsanz., Gesuche 20 H. Die Petit-Reklamezetl« 89 mm breit, 1 Ossertengeblihr für «Älbstabholer 20 bet Uebersendung d. d. Bost außerdem Porto- »uschlag. Preis s. v. Einzelnummer 10 Sienten-Ptenntg. Erschästlicher Teil: Josef Fohmana, Dresden. SückMe Donnerstag. 16. Oktober 1024 Im Falle hötzerer Gewalt erlischt jede Verpflichtung anf Lieferung sowie Erfüllung v. Anz,-Anfträge» u. Leistung v. Schadenersatz, Für undeutlich u d. Fernlpr. übermittelte Anzeigen übernelimen wir keine Ber- antwortung. Unverlangt eingesandte u. mit Rückporto nicht versehene Manuskripte werden nicht ausbewahrt. Sprechstunde der Redaktion ü bis 6 Uhr nachmt/tagS. Hauptschrislletter: Dr.Joses Albert.Dresden« volfs-ettung Tageszeitung für ckristlicke Politik und Kultu vlcscliästssleUe der Läibsischen P>>IkS»«1t»ua und Druck und Veilaa, Laxonin-Buüidriilkerei GmbH.. A Dr-sden-Sl. lü. Holbemlirahe 46. gernriu S27W. Voll- ccbccklonloDreSden 14797 iMkülilim »Iil! Wißt» o Ae Nell kr Ml' M «Lebe« ^ Tres!»>» Medakkton der Lamslschen Woiii-^eliunn s!»»>i A. 16 Ho!bc>!>niai'c V 427!.? Ein letzter Versuch M die «Me Million Die Entscheidung des Zentrums Durch den gestrigen Fraktionsbeschlutz des Zen trums. worin gesagt wurde, daß die bestehende Regierung mit Rücksicht auf die gegenwärtige politische Lage beizu behalten sei, trat die Regierungskrise in ihr letztes Sta dium. Auch die demokratische Partei fatzte dann einen Beschluss, worin der Reichskanzler aufgefordert wird, die bisherige Politik fortzuführen und keine weiteren ver geblichen Versuche zwecks Regierungserweiterung nach rechts vorzunehmen. Wir haben von Anfang an ein Zweifaches betont: Erstens, datz die Deutschnationalen ihrerseits nichts ver langen können, d. h. datz sie kein absolutesNecht haben in die Regierung einzutreten, datz es aber zweitens wünschenswert erscheinen könnte, die Deutschna- tionalen auf Grund des guten Willens der Mittelparteien heranzuziehen, um überhaupt unsere ganze Politik auf eine breitere Basis zu stellen. Für eine grundsätz liche Ausschlietzung der Deutschnationalen kann aus dem Grunde kein vernünftiger Mensch sein, weil letzten Endes auch die unvernünftigsten Elemente in vernünf tige Bahnen hineingelenkt werden müssen. Um den ersten Beschlutz des Zentrums vom gestrigen Bormittag sowohl, als auch den zweiten von gestern Abend zu verstehen, worin erklärt wird, datz das Zen trum. nachdem die Deutsche Volkspartei die gegenwärtige Negierung abgelehnt hätte, einer Regierungserweiternng nach rechts nun noch beistimmen würde, falls auch die De mokraten in der Regierung verblieben, müssen wir uns folgende Zahlen vergegenwärtigen: Eine etwaige Rechts regierung ohne Demokraten würde sich zusammen setzen ans 104 Deutschnationalen, wovon noch zwei wegen der völkischen Tendenzen sekr unsicher sind, 65 Zentrum, 44 Deutsche Volkspartei. 16 Bayrische Volkspartei und 15 Wirtschaftliche Vereinigung. Von der letzteren aber wutzte man nicht einmal genau, ob sie geschlossen mitmachen würde. Daraus ergeben sich 244 Abgeordnete. Rechnet man aber die Wirtschaftliche Vereinigung ab, nur 229. Bei einer Gesamtzahl von 472 Reichstaasabgeordneten beträgt aber die absolute Mehrheit 237. Man könnte al so aus dem jetzigen Reichstag nur eine sehr Knappe Rccktsmehrheit und auch nur unter der Bedingung, daß die Wirtschaftliche Vereinigung mitmacht, zustandebringen. Dieser Rechtsregiernng gegenüber ständen dann 100 So zialdemokraten, 62 Kommunisten und 28 Demokraten, also zusammen 190 Abgeordnete. Die Völkischen brauchte man nicht mitzurechnen, weil sie bei den Abstimmungen im allgemeinen als unsicher anzusehen sind. Es käme also eine knavpe Rechtsmehrheit zustande, wobei dann die Wirtschaftspartei, die zudem noch ganz und gar unpolitisch eingestellt ist, den Ausschlag bildete. Man versteht unter diesem Gesichtspunkt, warum das Zentrum in seiner zweiten Entschließung ausdrücklich auf die Demokraten Rücksicht nimmt. Weil eben ohne Demokraten rein praktisch keine vernünftige Regierungs mehrheit gebildet werden kann. Ob dieser letzte Versuch des Zentrums allerdings Erfolg hat, ist eine andere Sache. Man sieht aber, wie die Zentrumspartei eine klare Linie verfolgt. Nur eines müßte man im Interesse der öffent lichen Meinung verlangen, nämlich, datz das Zentrum auch seine Beschlüsse ausführlicher begründet, damit das Volk den wahren Zusammenhang verstehen lernt. Das muß in der breitesten öffentlichen Form geschoben. Ohne weiteres wird nämlich noch längst nicht jeder Wähler bei spielsweise den letzten Beschluß des Zentrums verstehen können. Wir glauben aber, in Vorstehendem eine Erläu terung gegeben zu haben, die jedem Leser die Klarheit der Linienführung von seiten der Partei der Mitte vor Augen führt. Es ist schade, datz die Deutscke Volkspartei diese klare Linie zu sehr vermissen lätzt. Wenn man ein mal betontz datz die Politik der Mittelparteien Kern und Cschziel jeder deutschen Politik überhaupt bilden müsse, zum anderen Mal aber ohne viel Bedenken die Mittel parteien dann im Stiche lätzt, wenn man von schönen Sirenengesängen auf der reckten Seite betört wurde, dann ist das doch sehr bedenklich für den Gesamtcharakter der Partei. Die Deutsche Volkspartei hat noch nicht erkannt, daß die Deutschnationalen bestimmt nicht gewillt sind, die Politik der Mittelparteien konsequent durchzu führen, wenn sie in die Regierung eintreten (trotz der Annahme der Richtlinien des Kanzlers), und sie hat noch nicht erkannt, wie gerade deshalb, um eben allen abwegi gen Versuchen vorzubeugen, die Zentrumspartei so sehr darauf drängt, datz die gegenwärtige Führung bleibt und die seitherigen Mittelparteien sich unter allen Um ständen zusammenschlietzen müssen, um diese Führung bei einer etwaigen Mitregierung der Deutschnationalen auch stark zu erhalten. Das Zentrum nun hätte zunächst bei genügenden Garantien eine Koalition mit Rechts bilden können, aber diese Koalition wäre bald arbeitsunfähig gewesen und Berlin, 15. Oktober. Die demokratische Fraktion nahm gestern nach längerer Debatte einstimmig folgende Entschließung an: „Die Deutsche Demokratische Neichstagsfraklion ersucht den Reichskanzler, weitere aussichtslose Verhandlungen über die Aen- devung der Negierung nicht mehr zu führen und vom Reichstag zu verlangen, das; er der Regierung ermöglich', die Außenpolitik sortzusetzen und zum Ziele zu führen, die sie zur Befreiung deutschen Landes und zur Aufrichtung der deutschen Wirtschaft in die Wege geleitet hat." Die Neichstagssraktion der Deutschen Volkspartei veröffentlicht eine Erklärung, in der es heißt: Die Reichstags- sraktion der Deutschen Volkspartei hat in ihrer Sitzung vom 14. dieses Monats von den Beschlüssen des Zentrums und der Deut schen demokratischen Partei Kenntnis genommen und kann diese nur als Ablehnung der Zustimmung zu einer Rechtserwei terung der Reichsregierung ausfassen. Die Deutsche Volkspartei gelangte nach Prüfung der hierdurch entstandenen Lage einstim mig zu dem Entschluß, an der bisherigen Stellungnahme seslzu- halten. Die Deutsch« Volkspartei hält die Fortführung der bis herigen Koalitionsregierung praktisch für unmöglich. Wenn sich aus der derzeitigen parlamentarischen Lage eine neue Krisis er gibt, die zur Auslösung des Reichstages führt, so trifft nicht die Deutsche Bolkspartei die Schuld. MI De MMlen Berlin, 15. Oktober. Das Zentrum trat gestern Abend zu einer neuen Sitzung zusammen, um über die Beschlüsse der Demokraten und oer Deut schen Volkspartei zu beraten. — Um 9,15 Uhr wurde folgende Entschließung bekanntMgeben: Nachdem die Beibehaltung der gegenwärtigen Negierung, dle das Zentrum einmütig gewünscht hat, abgclchnt wurde, er klärt die Zentrumssraktion ihre Bereitschaft, einer Ncgicrungs- erwe'terung nach rechts aus dem Boden der vom Reichskanzler au> 'en Richtlinien zuzustimmen, falls die Demokra ten in der Regierung verbleiben. Ar Her eiiWim Willi (Drahtbericht unserer Berliner Vertretung.) Berlin, 15. Oktober Der Vorstand der Zentrumsfraktion des Reichstages trat heute vormittag 11 Uhr zu einer Sitzung zusammen, an der auch der Reichskanzler Marx teilnahm. Nach dem gestrigen Beschluß des Zentrums hatten sich die Vertreter der Partei mit den demo kratischen Parteiführern in Verbindung gesetzt und bei den mit ihnen gepflogenen Beratungen feststellen müssen, daß der Abendbeschlutz des Zentrums keine Aenderung der Haltung der deutsch-demokratischen Fraktion herbeisühren wird. Die Demo kraten sind nach wie vor der Ansicht, datz dle Bildung eines Bürgerblockes schwere inner- und außenpolitische Gefahren In sich berge und datz eine Beteiligung an ihm sür die Demokraten ein« Unmöglichkeit sei. Die Zentrumssraktion wird sich also in ihrer heutigen Nachmittagssitzung vor eine neue Situation ge stellt sehen. Die endgültige Lösung der Regierungskrise und die Klärung der parlamentarischen Lage dürste nunmehr nicht mehr lange aus sich warten lassen. Berlin, 15. Oktober sDrahtbericht.s Reichskanzler Marx hat gegen 12 Uhr mittags die Vertreter der Regierungs parteien empfangen und zwar zuerst von der Deutschen Bolks partei die Abgeordneten Dr. Scholz und Dr. Curtius und dann vom Zentrum Fehrenbach, v. Guerard. Becker-Arnsberg und schließlich die Demokraten Koch, Erkelenz und Heß. Die Be ratungen waren nur von kurzer Dauer und trugen einen rein informatorischen Charakter. Aus Grund dieser Beratungen fand anschließend eine Kabinettssitzung statt. Die Demokraten haben noch eine Sitzung für 3 Uhr nachmittags einberufcn. Austritte aus der demokralischen Partei Berlin, 15 Oktober. Wie die demokratische Ncichslatzs- fraktion mitteilt, ist der Geschäftsführer des deutschen Bauern bundes, Reichstagsabgeordneter Dr. B öhine ans der demokra tischen Partei und damit auch aus der demokralischen Neichs- tagsfraktion aiisgeschieden. Er hat sich der Deutschen Volks partei angeschlossen. Wie wir aus parlamentarischen Kreisen hören, haben die Bauernfuhrer: dee preußische Landtagsabgeordnete West er mann, das Mitglied des Neichswirtschastsrates Schmidlhals sowie Hartkort aus Ostpreußen, die bisher Mitglieder der Deut schen demokratischen Partei waren, ihren Austritt aus dieser Partei erklärt und sich der Deutschen Polkspartci angeschlossen. Fiik i>-e »Ile WM Neustadt a. d. Haardt. 15. Oktober. Am Sonntag ivuroc hier eine kommunalpolitische Vereinigung der Zentrumspartei gegründet. Zum ersten Vorsitzenden wurde einstimmig Landtags- abgeordncter und Stadtoberamtmann Dissenger aus Lnd- wigshafen gewühlt. An der Tagung nahm auch der zufällig in seiner pfälzischen Heimat weilende R e i ch sp o st m i n i sie r Dr. Hösle teil. Der Minister nahm auch das Wort und sprach sich für die gradlinige Fortsetzung der bisherigen Politik der Mitte aus, wo bei er betonte, daß alle diejenigen, die die bisherige Politik fort setzen wollten, zur Mitarbeit willkommen seien Der Minister fand warme Worte für den Eintritt Deutschlands in den Völ kerbund. Die Versammlung sandte solaendes Telegramm an den Reichskanzler: Gutbesuchte Versammlung der kommunal politischen Vereinigung der Zentrumspartei der Pfalz spricht Ih- nen, Herr Reichskanzler, vollstes Vertrauen und herzlichen Dank aus und bittet Sie. die Führung der deutschen Politik nach den. bisherigen Grundsätzen in der Hand ,zu behalten. Die Zentrums anhänger der Pfalz unterstützen die Politik des Kanz lers, die als Politik der Miito Versöhnung nach außen und Erfüllung im Innern erstrebt. Abbau -er Regie Paris, 15. Oktober. Der „Intransigeant" berichtet, daß die französisch-belgische Eisenbahnregie, wie nunmehr seslsteht. am 1K. November dieses Jahres um 12 Uhr mittags ihr Ende erreicht. Das französische und belgische Personal wird im Lause dieses Tages seine Arbeit einstellen. Gestern haben die französischen Truppe» den Eisendahn- knotcnpunkt Westhofen, über den die Linien Frankfurt — Hamburg, Hamburg—Köln und Köln—Leipzig gehen, bereits ge räumt, nachdem dce französischen Zollbeamten schon vor einige» Tagen zurückgezogen waren. Der Erzbergermörder Tillessen verhaflel Preßburg, 15. Oktober. Der hier verhaftete Reichs deutsche, der sich den Namen Wischofskn beigelegt hatte, gestand, daß er als Mitglied der Geheimorganisation C von dem Atten tatsplan gegen Erzbcrger gewußt hatte. Nach langem Zögern gab er schließlich zu, mit dem Erzbergermörder Tillcscn identisch zu sein. der Reichstag mutzte doch aufgelöst werden. D a n n aber wäre die Stellung des Zentruins im Wahlkampf tun ein nicht geringes schlechter gewesen. Die Wählermassen se hen es nämlich von heute auf morgen nicht ein. warum inan ernstlich versucht, die Deutschnationalen mit in die Regierung hineinzubekommen, und ein Teil ist gesonnen, dieses Bemühen als eine Rechtsschwenkung im übelsten Sinne zu deuten. Man hängt bekanntlich stets an Wör tern und bedenkt nicht den Sinn des Ganzen und die Not wendigkeiten der Zeit. Wir können nicht stark genug betonen, datz das Zentrum nicht ein Gramm seiner Politik der Mitte abzugeben bereit ist, wenn die Deutschnatio nalen in die Regierung kämen. Mit der Aufnahme der Deutschnationalen hätte es sich nur einer Notwendigkeit gebeugt, die daraus entspringt, daß das jetzige Kabinett auf die Dauer nicht regierungsfähig ist, zumal die Deutsche Volkspartei noch mit ihrem Austritt aus der Regierung droht. Es wäre allerdings leicht, sich völlig zurückzuziehen und den übrigen das Regieren zu über lassen. Aber wer einmal die Zügel aus der Hand gibt, hat sie noch lange nicht wieder zurück. Und wenn die größte Mehrheit des deutschen Volkes die Zügelführung der gegenwärtigen Regierung, deren Politik eben im Sinne des Zentrums liegt, billigt, so hat das Zentrum auch die Pflicht, in der Perantwortung zu bleiben. Sie hätte sogar die Pflicht, falls durch irgendwelche Umstände die eigentliche äußere Führerschaft ihr entrissen würde, dann wenigstens das Aeutzerste zu retten. Es ist immer hin besser, wenigstens an der Zügelsühruug m i t beteiligt zu sein, als machtlos auf den, Wagen zu sitzen und auf Gedeih und Verderb anderen überlassen zu sein. Man mutz sich also mit Notwendigkeiten abfinden. Und für diese Notwendigkeiten muß das Volk das richtige Ver ständnis aufbringeii. Es kann bei einer Hinzuziehung der Deutschnationalen gar keine Rede von einer Rechts schwenkung der Negierungspolitik als solcher sein, solange das Zentrum in dieser Regierung die Führung behält, und es könnte selbst in dem Falle, datz die Deutsche Volkspartei oder die Deutschnationalen irgendeinmal die Kanzlerschaft übernähmen, und das Zentrum doch in der Regierung bliebe, keine Rede von einer Rechtsschwen kung derZei; tr u m s Politik sein, weil das Zentrum aus allen Realitäten im Geiste der Verantwortung die Konse quenzen ziehen mutz. Darin liegt die Bedeutung der Zeit. Und von diesem Standpunkt aus müssen wir alle zukünftigen Dinge und alle Maßnahmen des Zentrums beurteilen. Wenn erst Wahlen stattgefunden hätten, wäre natürlich die Stellung des Zentrums bezüglich der Regierungserweiternng bedeutend leichter. Dann würde eine etwaige Erweiterung durch die Wähler selbst be dingt. Die Verantwortung füllt dann auf eben diese Wähler. Die Linie des Zentrums ist also völlig klar. Es erkennt, datz eine Reichstagsmahl, so wenig diese auch eine gänzlich anders geartete Konstellation zu bringen imstande ist, dennoch über kurz oder lang kommen muh und daß ein Kabinett mit Einschluß der Deutschnationalen aber ohne die Demokraten diese Krisis nicht für die Dau er überwinden kann. Für die Zentrumswähler aber kommt cs darauf an. alle Maßnahmen des Zentrums un ter dem richtigen Gesichtspunkt zu verstehen. Das zu ermöglichen, sind diese Zeilen geschrieben. I. A.