Volltext Seite (XML)
ÄMaMv zm WsW Amtzcitmß 121. zu Nr. 15 des Hauptblattes. 1924. Beauftragt mit der Herausgabe: RegierungSrat Brauße in Dresden. Landtagsvcrhan-lungen. 81. Sitzung. Donnerdiag, den 17. Januar 1S24. Präsident ' Winkler eröffnet die Sitzung 1 Uhr 18 Minuten nachmittags. Am Negierungstisch Ministerpräsident Heldt und die Minister Bünger, Elsner, vr. Kaiser, Müller, Vr.Neinhold mit Negierungsvertretern. Vor Eintritt in die Tagesordnung erhältKdas Wort za einer Erklärung Herr Adg. Siewert. Abg. Siewert (Kom.): Erklärung. Die „Leipziger Volkszeitung" vom 16 d.M. schreibt in ihrem Landtagsbericht bei der Abstimmung über die Gewerbesteuer: „Die Kommunisten stimmten auch gegen eine Bestimmung, wonach die sogenannte Arbeitgeber abgabe nicht auf die Arbeiter abgewälzt werden darf." (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Unruhe bei den Kom) Diese Behauptung ist unwahr. (Widerspruch bei den Regierungsparteien. — Unruhe bei deiwKom. und Rufe: Schwindel!) Wahr ist lediglich, daß bei der vielfachen und lang andauernden Abstimmung über die einzelnen Para graphen und Absätze des Gewcrbcsteuer-Abänderungs- gesetzes ein Mitglied der Kommunistischen Fraktion versehentlich gegen den angezogenen Paragraphen stimmte. Dieles Versehen, das bei anderen Abstimmungen anderen Fraktionen schon oft passiert ist, wurde selbst vom Präsidenten al- solches betrachtet. Die Behauptung der „Leipziger Volkszeitung" entspricht also nicht den Tatsachen (Zuruf rechts: Doch!), mit anderen Worten: sie ist eine Verleumdung. Hierauf wird in die Tagesordnung cingetreten. Die Punkte 1. Aussprache über die Regierungs erklärung und 2. Beratung über den Antrag des Abg. Bertz (Kom.) u. Gen. auf Herbeiführung eines Be schlusses im Sinne von Art. 27 Abs. 2 der Ver fassung gegen das Kabinett Heldt. (Drucksache Nr. 658.) werden zusammen behandelt. Der Antrag Nr. 658 lautet: Der Landtag wolle beschließen: Tas Kabinett Heldt hat nicht das Vertrauen des Landtags. Abg. vr. Niethammer (Dtsch. Vp ): Ter Herr Mi nisterpräsident Heldt hat am 12. Januar anläßlich der Pressetagung von diesen: Platze aus seine Meinung zu der politischen Situation, in der wir stehen, mit folgenden Worten gekennzeichnet: Tic sächsische Presse hat an den früheren Regie rungen ostma.s kein gutes Haar gelassen. Sie tot es hauptsächlich, wenn ich sie richtig verstehe, deshalb, um auch auf diese Weise den Gedanken zu unter stützen, daß an einer Regierung möglichst breite Schichten aller Bevölkerung aktiv beteiligt sein müssen, und wenn nach mancherlei Irrungen und Wirrungen nunmehr dierer Gedanke in die Tat umgefetzt ist, fo ist damit die Grundlage geschaffen worden, die hoffent lich eine Entwicklung mit der Aussicht auf ruhige und positive Arbeit gewährleistet. (Abg. vr. Schneider: Bravo!) Tas ist der Standpunkt, den auch wir vertreten rmd unter dem wir in die Koalition mit den zwei anderen Parteien eingetreten sind. Ich kann cS wohl begreifen, daß die Deutsch nationalen und auch andere Kreise im Lande es ver wunderlich finden, daß man mit einer Partei, die, seit Jahr und Tag auf wenige Stimmen Mehrheit gegründet, eine einsichtige Politik getrieben Hut, in eine Koalition eintreten könne. Wir sind aber anderer Meinung. Wir jagen uns: Wenn 25 Männer dieser Hauptpartci, die in Frage kommt, sich von ihren Parteigenossen, mit denen sie zusammengearbeitet haben, loslösen und uns die Hand cntgeg» »strecken (Lebhaftes Hört, hört! bei den Kom.) und sagen: wir wollen mit euch eine Ar beitsgemeinschaft bilden (Erneutes Hört, hört! links), dann muß „Freude sein im Himmel über jeden Buß fertigen". (Heiterkeit. — Zuruf bei den Kom.: Die verlorenen Schafe!) Aber wir haben auch sehr lebhaftes Gefühl für den Mut des Gegners, und in dieser Hand lung, in dem Vorgehen dieser 25 Männer besteht ganz gewiß ein sehr großer Mut. (Abg. vr. Seyfert: Sehr richtig!) Wir haben nicht die Stirn, wenn sich Gelegen heit bietet, mit diesen Männern eine Aibeitsgcmcin- schaft einzugehen, zu versagen. Wir wissen ja wohl, daß die Politik jeder Partei darauf hinausläuft, die politische Macht zu erhalten Wir wollen uns auch durchsetzen als Partei und streben ebenso wie jede andere Partei auch nach diesem Ziele, allerdings mit anderen Mitteln und auf anderen Wegen. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei. — Abg. Siewert: Durch Terror und Aussperrung, durch Ausbeutung und Ver längerung der Arbeitszeit!) Wir wollen nicht eine Ver gewaltigung, sondern wir wollen die Überzeugung unseres Gegners und wollen uns mit ihm auf einem Wege, der uns beiden betretbar erscheint, verständigen. Wir wollen auch nicht einen Wahlterror treiben, mit dem Sie Ihre (zu den Kom.) Mitglieder gewinnen (Lebhafte Zurufe und Unruhe bei tu n Kom.), sondern wir »vollen durch unter ganzes politisches Verhalten das Interesse der Bürger an der Politik wecken und fördern (Zuruf bei den Kom : Mit der Reitpeitsche!) und wollen durch Interesse und Freude an der Politik zu gemein samer fruchtbarer Arbeit gelangen. (Abg. Günther: Sehr gut!) Das geht nicht von heute auf morgen, noch dazu, wenn die Zustände so weit gediehen sind, wie bei uns in Sachsen. Tas braucht Zeit. Man darf nicht ver langen, daß die Äpfel schon im Mai reif sind, und sie da pflücken, wenn sie erst im August oder September reifen, und wir werden sehen, ob uns die Apfel im August oder September schmecken, die heute noch nicht reif sind. Manche Kinder reißen allerdings ein Stämm chen, das sie gestern gepflanzt haben, heute schon wieder heraus und sehen nach, ob es Wurzel geschlagen hat. Das wollen wir nicht tun. Wir wollen hier ruhig die Sache sich entwickeln lassen. Wir werden dann ja Zeit haben, zu beobachten, ob die Männer, mit denen wir jetzt in die Koalition hincingehen (Abg. Lieberasch: Noch gebraucht werden!), guten Willens und bereit sind und auch die Macht haben, mit uns zusammen die Politik, die wir jetzt unter Kennzeichnung des Minister- Präsidenten entrieren, zusammen weiter zu führen Wir geben uns keinesfalls auf und verlangen das auch von ihnen vorläufig nicht. (Lachen uno Zuruf bei den Kom.: Vorläufig!) Wir werden aber sehen, ob wir sie nicht für einen Teil von unseren Ansichten gewinnen können. (Abg. Lieberasch: Tausende von Arbeiterleichen werden den Bund besiegeln!) Wir treten an eine sehr schwere Ausgabe heran, die auf Kompromissen beruhen wird und muß. Das ist nicht anders möglich (Abg. Günther: Tas ist selbst verständlich!), aber das ist auch in voller Harmonie mit unserem Parteiprogramm, in dem es heißt: Die Deutsche Volkspartei vertritt daher auf der Grundlage nationaler Staatsgesinnung die Vertiefung und Aussöhnung der liberalen und sozialen Gedanken. Wir hosten, daß wir auf diesem Wege zu gedeihlicheren Verhältnissen vorwärts kommen. Als wir noch Nationalliberale Partei waren, wurde uns immer vorgeworfen, wir wären eine Partei der Reitschule. Heute, wo wir das zum Ziele führen, was wir seit Jahr und Tag verfolgen, ist es unseren poli tischen Widerspielern auch nicht recht. Ta wird uns in den „Dresdner Nachrichten" gestern Entschlußlosigkeit und Halbheit vorgeworsen. Ich verweise bloß darauf, daß andere Zeitungen die Situation besser auffassen. (Sehr richtig! in der Mitte.) Ter „Vorwärts" schreibt z. B, das Schlimmste wäre für eine Parte: das Schwanken hin und her. (Abg Günther (Plauens: Sehr richtig!) Jedenfalls darüber kann man wohl nicht im Zweifel sein, unser Volk hat die Parteiwirtschaft, in die wir in den letzten Jahren hineingeraten sind, gründlich satt. (Sehr richtig! bei der Tt>ch. Vv) Es will statt der vielen Worte endlich einmal Taten: Brot, Arbeit und was dazu gehört. (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Böttcher: Öffnet Eure Geldschränke!) Statt Partciverticter will das Volk Männer, Persön lichkeiten, Leute mit Kenntnissen und Tüchtigkeiten an den betreffenden Stellen sehen. Wir unsererseits rechnen auch nicht bloß auf die Zahl der Stimmen, sondern wir rechnen vor allen Dingen auf die Anhänger, die sich wirklich zu den Grundsätzen unserer Weltanschauung bekennen. (Bravo! bei der Dtsch. Vp.) Wir wollen deshalb nicht bloß eine Abkehr von dem Marxismus, sondern wir wollen auch das Ver trauen zu uns bei den Wählern. Wir wollen auf dieses Vertrauen die Regierung aufbauen, in die wir mir ein- trcten. Wir wollen vor allen Dingen auch die falschen Meinungen, die über uns verbreitet sind, endlich einmal zerstreuen. Wir wollen zeigen, daß wir nicht geringere Feinde von Schiebern und von Leuten sind, die aus Egoismus das Staatswohl vernachlätsigen, als Sic das auch von sich aus sagen (Bravo! bei der Dtsch. Vp. — Zuruf bei den Kom.) Sie dürfen nicht verkennen, welch großer Erfolg in der Koalition an sich schon liegt, denn wir haben jetzt die Richtlinie» die Beamtenpolitil nach sachlichen Gesichts punkten zu klären, wir haben ferner die Richtlinie, uns von dem Klasscnkampf und von der gegenseitigen Ver feindung und dem gegenseitigen Haß endlich einmal frei zu machen. (Lebhaftes Bravo! in der Mitte.) In aktiver Richtung wollen wir vor allen Dingen Ruhe und Ordnung haben, daß unsere Industrie sich wieder aufbauen kann, daß wieder Arbeitslust und Arbeits gelegenheit ins Land kommt, daß alle Kreise wieder leben können (Sehr richtig! in der Mitte.) und sich der Ordnung und der Politik im sächsischen Volke erfreuen können. (Bravo! bei der Dtsch. Vp.) Die Regierungserklärung ist mit unserer Zu- stimmung in der Regierung zustande gekommen. Es wäre sonderbar, wenn wir mit dieser Regierungs- erklärung nicht einverstanden wären. Und je nüch terner und sachlicher ick mich bemüht habe, die ganze Situation hier darzustellen, um so mehr kann ich mich auch enthalten, zu oem Programm im einzelnen etwa- zu lagen. Die Zukunft wird lehren» ob es möglich ist, auf der Basis, die da gegeben ist und mit der wir übereinstimmen, eine sachliche, gedeihliche und für unser Volk wohltätige Regierung zu führen. (Lebhaftes Bravo ! bei der Dtsch. Vp. und den Dem) Abg. Böttcher (Kom.) (zugleich zur Begründung des Antrags Nr. 658f: Tie Kommunistische Partei hat von Anfang an keinen Zweifel darüber gelassen (Abg. I)r. Kastner: Taß sie drei Richtungen hat!), daß sie die Regierung, die sich Regierung der Mitte nennt, auf Leben und Tod bekämpfen wird. (Zuruf: Oho !) Tie Regierungserklärung hat uns in unserer Stellungnahme bestärkt. Tie Regierungserklärung des Kabinetts Heldt ist eine Spezialoffcrte des Verbandes Sächsischer In dustrieller an das ausländische Kapital. (Lachen rechts.) Tie sächsische Regierung macht ihr Angebot in Arbeiter- knochen, in Ruhe und Ordnung und empfiehlt sich im übrigen dem ausländischen Kolonialvogt für Arbeiter ausbeutung in der sächsischen Industrie, und Minister präsident Heldt ist lediglich der Handlungskommis des Verbandes Sächsischer Industrieller. Damit ist gleich zeitig auch die Rolle der Sozialdemokratischen Partei klargestellt. Dem sozialdemokratischen Verrat vom 30. Oktober 1923 folgt ganz zwangsläufig ein Rückzug nach dem anderen und mußte zwangsläufig die Bildung der großen Koalition folgen, und man kann heute bereits hier sagen, daß die Sozialdemokraten auch noch mit den Teutschnationalen in eine Koalition gehen werden. (Zu ruf rechts: Aber die Dcutschnationalen nicht!) Tas wird sich ja zeigen Wenn Sie Kommis und Reisende brauchen, werden Sie sich auch der Sozialdemokratie bedienen. Tie Regierungserklärung ist ferner innervolitisch eine Ergebenheitsadresse an die Schwerindustrie, an die faschistische Reichsregierung und den General Müller. Tie Regierung offeriert sich als Kabinett der .Ritte und sie erklärt in ihrer Regierungserklärung gleichzeitig, daß die aus der Zwangsläufigkeit der Entwicklung ge bildete Regierung das ihrige dazu beitragen werde, daß die so begründete Arbeitsgemeinschaft länger zusammen halten wird, als die Regierungen der letzten Zeit. Tie Regierung empfiehlt sich also als wertbeständige Regie rling. (Heiterkeit.) Ich bin überzeugt, daß die Wert beständigkeit der neuen Regierung wahrscheinlich nicht einmal so groß sein wird wie die Wertbeständigkeit der Rentenmark. Wo ist die Mehrheit der jetzigen Regierung? Tie sozialdemokratischen Arbeiter haben erklärt: Wir haben mit einem Kabinett Heldt nichts zu tun. Sie können also von sich nicht behaupten, daß Sie die sozialdemo kratischen Arbeiter hinter sich haben. Tie Regierung Heldt ist infolgedessen eine tupische bürgerliche Klassen regierung, und zwar eine Minderheitslegierung, die keine Stütze in der Mehrheit der sächsischen Bevölke rung hat, einschließlich der Mittelschichten. (Abg. Elans: Woher wissen Sie das?) Tas beweisen die Gemeinde ratswahlen. Blicken Sie doch den Tatsachen ins Auge. Tie Regierung soll eine amtliche Aufstellung über das gesamte Wahlergebnis in Sachsen n achen (Sehr richtig! rechts), und zwar in möglichst kurzer Zeit und dann soll auf Grund dieses Wahlergebnisses einmal seftgestellt werden, wie sich die Zusammensetzung des neuen Landtages darstellen würde. (Sehr gut! rechts.) Ich kann Ihnen heute schon sagen, daß aus Grund der Gemeindewahlen die sogenannte Mitte sich im neuen Landtage wahrscheinlich in der Minderheit befinden wird. Nach dem Wahlergebnis, wie es heute vorliegt, würde die kommunistische Linke mit 23 oder 24 Ab geordneten in den Landtag cinziehen, und die Teutsch- nationalen und die Teutschvölkischen wahrscheinlich mit 25 oder 26 Abgeordneten, jo daß man bei einer jchncllen Schätzung auf50 Abgeordnete der Flügelpartcien kommen würde, (.'tbg.Blüher: Tiekönnendannzusammengehen!) Denen gegenüber würden nur 46 Abgeordnete stehen. Die Geburtsstunde der großen Koalition in Sachsen ist gleichzeitig ihre Todesstunde. Es wird sich erweisen, daß in Sachsen die Entwicklung bereits so weit vorge- tchritten ist, daß die Flügelpartcien so stark sind, daß die Mittelparteien nicht mehr imstande sind, eine Re gierung zu bilden. Das Ergebnis der Gemcinderatswahlcn ist aber auch in anderer Beziehung interessant. Die Gemcinderats- wählen haben unter der Militärdiktatur stattgefundcn. Sic zeigen die starke Ärästcoerschiebung sowohl zwischen den Klassen wie auch innerhalb der einzelnen Klasse. Ta ist innerhalb des Proletariats die Vcrichiebung auf den kommunistischen Flügel gegangen und inner halb des Bürgertums aus den deutschnationalen und völkischen Flügel. Tas ist eine Tatsache, die auch keine rückläufige Bewegung erfahren wird bei aufsteigender Konjunktur, bei größerer Beschäftigung der Arbeiter, wie das Ihre Spekulation ist, sondern die sich ver stärken w>rd von Monat zu Monat. Wir fordern Sie auf, möglichst bald in die Landtagswahlcn einzutreten, da werden wir ja diese Entwicklung verstärkt und unter strichen finden. Die kleinbürgerlichen Schichten haben sich bei den Gemeinderatswahlen noch einmal als Hilfs- truppcn der Reaktion erwiesen und haben geholfen, in Sachsen eine bürgerliche Mehrheit bei den Gemeinde- ratswablen zu schaffen. Ter wesentlichste Teil der Wählerschaft, dre bei den Wahlen den Faschismus unter stützt hat, ist durch die Enttäuschungen aus dem Lager der Sozialdemokratie abgewandert und infolgedessen zur Hilfstruppc der Reaktion geworden. Tre Mehiheit der sächsischen Arbeiter, die bisher hinter der Sozial- demokratischen Parier gestanden hat, hat mit der Sozial demokratie gebrochen. Tie Monopolstellung der säch sischen Sozialdemokratie als Arbeiterpartei ist zer-