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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prön imermwnSrPreis 22z Tiwcrqr. lz T>Ur.) vierußährüch, z Wr. für das gnnze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen Ler Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieser Literatur- Blait in Berlin in der Erpedition der Allg. Pr. Tlaats,Zeitung sZriedrichi- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im AuStandc bei den Wohllödl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. ^1/ 67. Berlin, Dienstag den 6. Juni 1843. Türkei. Die Polygamie bei den Türken. Bon Blanqui.') Die Pest ist nicht die härteste Plage der Völker des Orients. Es giebt ein in seinen Wirkungen noch ärgeres Uebel, das um so mörderischer zu werden scheint, je mehr das andere sich verliert: dieses ist die Polygamie. Im Augenblick, wo Europa'S Hauptmächte in die Angelegenheiten dieser Länder, welche einst die Wiege der Civilisation waren, ernsthaft eingreifen, wird es nicht ohne Interesse scpn, das vornehmste Hindcrniß hervorzuheben, welchem die Civilisation auf ihrer Rückkehr hier begegnen muß. Auf dasselbe Hinderniß ist die Französische Politik in Afrika gestoßen, und sie hat mit ihm kapitulirt: es ist vielleicht die mächtigste Schranke, die das heutige Christcnthum, sonst fast überall auf Erden siegreich, übersteigen muß, um die Barbarei zu be siegen. Die Polygamie hat mehr Unheil in ihrem Gefolge, als die Knecht schaft selbst; sie wirkt auf das physische und moralische Seyn der Generationen; sie lähmt jeden gesellschaftlichen und politischen Fortschritt der Völker: sie muß mit der Sklaverei verschwinden, oder die Civilisation muß vor ihr stehen bleiben. Um aber einen richtigen Begriff von den Uebeln aller Art zu erhalten, womit die Polygamie den Orient überschwemmt, betrachte man sie näher und auf dem Boden selbst, wo sie ihre Herrschaft übt. Kein Gemälde könnte die wilde Energie ihrer Wirkung auf den Mann, das Weib, die Kinder, die ganze Gesellschaft wiedergeben. Sic entwürdigt Alle, von der Wiege bis zur Gruft, ohne ihnen eine Minute Frist oder irgend ein Asyl gegen die Schmach aller Art zu lassen, die täglich unter ihren Füßen sich mehrt. Man möchte sagen, die Polygamie selbst sey in Verfall gcrathcn, wenn das unter den physischen und moralischen Trümmern, die sic von allen Seiten umgeben, noch möglich wäre. Man hat ihr so viele Frauen geopfert, daß endlich Mangel an Frauen war, und so würde sie bald von selbst untcrgegangen seyn, hätte nicht das Prinzip, das sie aufrecht hält, Kraft genug bewahrt, um die steigende und civilisircnde Fluth der christlichen Invasion zu dämmen. Dies ist es, was in Europa zu wissen Noth thut, damit eine heilige Opposition in den Geistern sich organisire, um die Polygamie eben so wie die Sklaverei und den Ncgerhandcl zu vernichten. Der Islam erlaubt jedem seiner männlichen Bekenner, vier Frauen zu nehmen, die alle den Rang rechtmäßiger Gemahlinnen haben: dies ist der Ausgangs-Punkt der Polygamie. Allein der Gebrauch und das Gesetz haben in der Folge noch ein Supplement zu dieser an sich schon bedeutenden Zahl gestattet, und nach und nach sind die Harcm's der Großen und derjenigen Personen, die ein so kostspieliges Personal unterhalten können, bis auf Hun. dert Frauen angcwachsen. Heutzutage, bei der Verarmung des Hofes und der ersten Würdenträger, ist dieser LurnS sehr eingeschränkt, und die über- müthigsten Pascha s haben kaum dreißig Weiber; ja die Meisten überschreiten selten die Zahl von vier Frauen, welche das Gesetz autorisirt. Um aber ein solches Harem vor jeder Verletzung zu bewahren, hat der Muselmann sich genöthigt gcschen, dcn Gesetzen der Ratnr zum Trotze, für den Mann einen Beruf zu erfinden, der niedriger ist als das Sklaventhmn selbst, eine Existenz ohne Namen, wie alle die Verbrechen, welche die Frucht dieses verhaßten Prinzipcs sind. Hiermit beginnt schon das Elend der Polygamie. Von allen Entwürdigungen der Menschheit hat keine traurigere Folgen gehabt, als der Weiber-Handel, für welchen noch in diesem Augenblick ein Markt in Konstantinopel eristirt, der von dcn Hotels aller Gesandten der Europäischen Mächte nur wenige hundert Schritte entfernt ist. Ehrlose Werber durchziehen alle Gegenden, die ob der Schönheit und des lebhaften Temperamentes des anderen Geschlechts in Ruf stehen. In gewissen Landern, wie z. B. Tscherkessien, sind Vie Väter dcn Verkauf ihrer Töchter schon lange gewohnt, und die Letzteren freuen sich sogar, bei reichen Pascha's dcn Rang rechtmäßiger Gemahlinnen zu erhalten. Anderwärts entführt man junge Mädchen mit List oder mit Gewalt; ja an verschiedenen Orten wird der Tribut in Weibern entrichtet, und cS giebt patcntirte Kenner, die an der lebendigen Münze das Gold vom Silber, das Silber vom Kupfer zu unter scheiden wissen. Noch mehr — es giebt Gynäcäen von Frauen, die zur '1 Vorpclcsc» in der Fr,;n;ößßxen Akaömue der Wissenschaften. Man vergl. damit da- Schreiden üdcr die Gefängnisse in der Türkei, da- wir in Nr. L2 des „Magazin-" nüt- getheiU. Sklaverei erzogen werden, die man vor Allem lehrt, was sie nicht wissen sollten, und die sich darin üben müssen, durch Selbstentwürdigung zu be- zaubern, wie die Unsrigen es ohne Anstrengung durch Sittsamkeit thun. Auf den Basar'S, wo man die Frauen verkauft, kann Jeder die Liste ihrer persön. lichen Reize einsehen, und scheußliche alte Weiber schlichten alle Streitigkeiten zwischen Mäkler und Käufer in letzter Instanz. Dies ist's, was die Polygamie aus der Gefährtin des Mannes gemacht hat! Man erräth leicht die Folgen einer solchen Verachtung der heiligsten Gesetze der Menschheit. Schon beim Eintritt in die Familie mit Schande gc- brandmarkt, kann die Frau nichts mitbringen, was ihrem Geschlechte ander wärts eine so gerechte Autorität giebt. Eine Sklavin, oder als Sklavin be handelt, bewahrt oder erwirbt sie wenigstens alle Laster der Sklaverei; sie überträgt diese Laster auf ihre Kinder, denen sic nichts Anderes bcibringen kann; denn sic hat nie sonst etwas empfangen oder gelernt, was sic ihnen wieder zu lehren wagte. Und wer könnte sich eine richtige Vorstellung von dem Elend der Eristenz in dcn Harcm's machen, von allen den physischcn und moralischen Martern, welche das Weib da auSstchen muß? Wie manches edle Her; fühlt das Grausige dieser Lage und trägt sein Joch mit äußerstem Widerwillen! Man frage nur im Orient selbst die meisten der Aerzie, welche in diesen Orten des Jammers Zutritt erhalten haben. Keine Sprache schildert die unendliche Langeweile, die tiefe Verzweiflung, welche auf Unglücklichen lasten, in denen die angestcckte Atmosphäre, die sie einathmen, das heilige Feuer noch nicht erstickt hat, vor Allem, wenn sie schon eine freie Eristenz gewohnt waren! Wie viele junge Griechinnen z. B. sind nicht während des Befreiungskrieges geraubt und an den Meistbietenden verkauft worden, nach dem sic die Süßigkeit des christlichen Familienlebens gekostet hatten! Was diese Unglücklichen in den Harem'S erduldet, wo man sie ihren Glauben und ihr Vaterland abzuschwören zwang, ist nicht in Worte zu fassen. Das Weib ist also im Orient von der ganzen Höhe hcrabgestiegen, auf welche der Schöpfer es an die Seite des Mannes gestellt hatte. ES ist auf dem Markt eine Waare, in dem Harem aber weniger als eine Courtisane geworden; in der gesellschaftlichen Ordnung nimmt die Frau ganz und gar keine Stelle ein. Man sieht nicht einmal ihre Züge, wenn man sic heiratet, eS sey denn, daß sie Sklavin wäre ; man fragt eben so wenig, wenn sie ver heiratet, als wenn sie verkauft werden soll, nach ihrem Willen. Der Schleier, dcn sie trägt, ist nicht bloß Emblem des Grabes, das sie über der Erde einzunchmc» hat; cr ist auch die Livrei, welche despotische Eifersucht ihr anzieht. Der Mann, der sich zwischen vier Frauen und eine Unzahl Kebsweiber theilt, verlangt von allen eine Zuneigung, deren seine Ubiquität ihn unwürdig macht, und er verlangt sie mit um so größerer Empfänglichkeit, je weniger er es verdient, geliebt zu werden. Das Harem ist ein Kerker, zu welchem er der Kerkermeister ist, und wo cr seinen Gefangenen keine andere Beschäftigung als die, ihm zu gefallen, gestattet. Auch reicht nichts an die bcklagcnSwerthe Nullität dieser Frauen, ihr nichtssagendes Geschwätz, die kleinliche Sorgfalt, die sie aus ihre Person verwenden, den Zustand materieller und geistiger Verworfenheit, in welchem sie zu vegetiren gezwungen sind. Die Muselmänner dulden cS nicht einmal, daß man von ihnen redet, und es wäre eine große Indiskretion, wenn ein Fremder, der einem Türken gegen, über säße, ihm hinsichtlich seiner Frauen eine Frage stellte. Auch erfordert es die Höflichkeit, eine Frau niemals anzureden, eS sey denn in Gegenwart und mit Erlaubniß ihres Mannes, und eben so wenig darf man frei nach ihr Hinsehen, damit nicht das Auge dem Auge zufällig begegne. Wenn ein Muselmann nicht umhin kann, von seiner Frau zu reden, sagt cr gewöhnlich: Sie, oder allenfalls: mein Weib, niit Respekt zu melden. Diese Sprache steht auf dem Niveau der Satzungen des Islam; allein die Gebräuche sind noch schlimmer als die Gesetze. Die Polygamie hat nicht bloß das Dasepn der Frauen in dcn Harcm's, wo ihr zahlreiches Zusammen- seyn vielleicht scharfe Aufsicht nothwendig machte, vergiftet; sie hat selbst die Lage derjenigen Ehefrauen, die ohne Rivalinnen sind, hcrabgewürdigt, ja sogar die christlichen Ehefrauen, welche im Orient die größere Majorität bilden, müssen durch dcn Einfluß derselben leiden. Eine der mörderischsten Wirkungen der Vielweiberei besteht darin, daß fast immer sehr junge Frauen an sehr alte Männer kommen, und man könnte manchen 60jährigen Pascha zitircn, der kein über 20 Jahr altes Weib in seinem Harem hatte. Wenn diese kläglichen Ehemänner in physischer Hinsicht schon ganz ohnmächtig geworden sind, so verschenken sie einen Theil ihrer Weiber an Günstlinge oder nöthigen auch wohl ihre Subalternen, sie anzunehmcn. Bei all diesen so disharmonischen Verbindungen gewinnt die Bevölkerung weder an Quantität, noch an Qua-