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Freitag. 92. 24. November 1854. Weißerih-Zeitung Inserate werden mit - 8 Pf. für die Zeile berechnet ch u. in allen Ex peditionen an genommen. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstal ten. Preis pro Quart. lONgr. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Rcdactcur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Die Schlacht vor Sebastopol am 3. Nov. „Himmelhoch jauchzen, zum Tode betrübt" das bezeichnet die Stimmung des lieben Publikums bei der Krimexpedition. Als die Tartaren-Ente durch alle Zei- lungswässer Europa's schwamm, übergab man sich der zügellosesten Hoffnung; die starke Seefeste Sebastopol, das taurische Gibraltar, sollte im Sturmschritt mit fabelhafter Eile genommen sein; jetzt aber, wo die Verbündeten, nach dem sie sich überzeugt haben, daß nur eine langsame, regel rechte Belagerung zum Ziele führt, mit der größten An strengung ihre BelagerungSarbeiten soweit fortgesetzt haben, daß nicht nur die zweite Parallele schußfertig ist, sondern auch die letzte, innere Parallele ihrer Vollendung entgegen geht, überläßt man sich ausschweifender Furcht und sieht Alles schwärzer, als es ist. Schon aus dem Stande der vorgeschrittenen Bela gerungsarbeiten sieht man, daß die Sache der Alliirten nicht so schlecht steht, als dies die ruffenfreundlichen Zei- tungen erzählen, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß die Schwierigkeiten und die Gefahren für die Alliirten groß find. Die Belagerungsarbeiten waren so weit vorgeschritten, daß den S. Nov. die Alliirten einen Sturm auf Sebasto pol wagen wollten. Diesen suchte Fürst Mentschikoff mit Aufwendung aller Macht zu vereiteln und so wurde am 5. Nov., nach einigen Nachrichten irrthümlich am 6., vor den Mauern von Sebastopol eine so blutige Schlacht ge schlagen, gegen welche die Schlacht an der A l m a in den Hintergrund tritt. Die Angriffsarbeiten der Franzosen waren besonders in der Richtung der Artilleriebucht des Hafens von Se bastopol, welche dem Meere zunächst liegt, erfolgt, und es war ihnen gelungen, bis zum Kirchhofe, welcher auf dem Abhange an der Westseite der Festung liegt, zur linken Seite die Aussicht nach dem Quarantainehafen und zur rechten nach der Stadt gestattet, vorzudringen und hier Breschbatterien zu errichten. Diese Breschbatterien liegen bereits 4 — 600 Schritte vor den russischen Werken. Dies geht daraus hervor, daß nach den russischen officiellen Be richten die Belagerten durch Kartätschcnfeuer die Armirung der Batterien zu hindern suchten, was sich nur in der erwähnten Nähe wirksam zeigen kann. Trotz des Kar tätschenfeuers der Ruffen hatten die Franzosen in der dritten Parallele ihre Geschütze aufgestellt. Diese konnten picht nur die russischen Werke wirksam bestreichen, sondern auch über die Stakt weg ihr Wursfeuer richten, denn in der.dritten Parallele werden gewöhnlich nur Mörserbat terien angelegt. Diese Stellung der Franzosen war den Russen eine gefährliche, weil die auf dem westlichen Flügel an der Quarantainebat errichtete Marinebatterie da« Quarantainefort (dem Kirchhof gegenüber) im Rücken bereits beschoß. Mentschikoff beschloß, diese Batterie mit aller Macht anzugresfen und zu nehmen. Um diesen An griff zu unterstützen, griff zu gleicher Zeit am S. Nov. General Liprandi, welcher den Alliirten im Rücken steht, mit einer überlegenen Macht das auf dem äußersten rech ten Flügel der Alliirten detachirte Corps der Engländer, Türken und Franzosen an; er verdrängte dieselben aus zwei Positionen, eroberte nach russischen Berichten eine Batterie, vernagelte darin 8 Geschütze und drang sogar, wie behauptet wird, in das englische Lager ein; er wurde aber nach mehreren Stunden wie der zurückgeworfen. , Zu gleicher Zeit stürzten die russischen Colonnen sich auf die Batterien des Kirchhofs und vernagelten dort 15 Geschütze, sie konnten aber nicht weiter Vordringen , denn es suchte eine französische Division die russische Bastion Nr. 6 n. zu stürmen. Daraus geht hervor, daß die Fran zosen in diese Bastion bereits Bresche geschossen hatten, oder daß dieselbe aus bloßen Erdwerken bestand. Der französische vereinzelte Angriff auf die Bastion blieb aber natürlich erfolglos und er mag nur zum Zweck einer Di version gegen die vordringendcn Russen unternommen wor, den sein. Die Verluste der Russen und Verbündeten waren sehr bedeutend. Die französische Depesche schätzt den Verlust der Russen auf 6—7000. Sind diese Angaben richtig und ist der Verlust der Alliirten entsprechend, so hat der 5. Nov. bei weitem mehr Opfer gekostet, als die Almaschlacht. Diese ward auch in etwa 4 Stunden entschieden, während am 5. Rov. der Kampf den ganzen Tag wüthete. Di« Petersburger Depesche bezeichnet den russischen Angriff als zwei „starke Ausfälle". Nach der Pariser Depesche war er mehr. Die BelagerungSarbeiten waren — das bestätigt das Schweigen der Mentschikoff'schen Depeschen — offen bar so weit vorgerückt, daß man russischerseits gegen den 5. Novbr. sich eines Sturmangriffs gewärtigen konnte. Schon die ältere Depesche aus Paris meldete nach Be richten aus Bukarest, daß am 4. Nov. die französischen Breschbatterien nur noch 150 Metres, d. i. gegen 480 Fuß, vom Angriffspunkt entfernt standen und bereits eine genügende Bresche zum Sturme eröffnet hatten. Die gleiche Nachricht enthält auch der neueste „Lloyd". Welche Vor theile das Liprandi'sche Corps auch in der letzten Woche des vorigen Monats auf dem rechten Ufer der Tschernaja gegen Balaklava hin erlangt haben mag (sie scheinen nur unbedeutend gewesen zu sein), auf den Fortgang der Be- lagerungsarbeiten waren diese Flanken- und Rückenmanöver offenbar ohne Einfluß. Da Fürst Mentschikoff nun den nahen Sturm der Verbündeten fürchtete, so scheint er be schlossen zu haben, demselben durch einen allgemeinen An griff seinerseits zuvor zu kommen, den Sturm zu vereiteln