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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.09.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980906021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090602
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-09
- Tag 1898-09-06
-
Monat
1898-09
-
Jahr
1898
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452 Die Morgen-AnSgabe erscheint um '/,7 Uhr, di« Lbeud-AuSgabr Wochentags um b Uhr. Ledaclion und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen -eöffuet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm'- Sortim. (Alfred Hahn), UniversitatSstraße 3 (Paulinuin), Louis Lösche, Kathorinenstr. 14, part. und König-Platz 7. Dezugs-PreiS K der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und den Bororten errichteten AuS- aabestrven abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.S0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ädrlich «6 S.--. Directe tägliche Kreuzbandiendung iu» Ausland: monatlich 7.L0. Mbend -Ausgabe. MMer TagMaü Anzeiger. ÄMtsvtatt des Königlichen Land- und ÄmtsgenchLes Leipzig, -es Aalljes und Nolizei-Nmles der Stadl Leipzig. AuzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamea unter dem Redactionsstrich (4«e- spalten) vor den Fanuliennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zifservsatz nach höherem Laris. Sxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- lü Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je etn« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Sxpediti-N zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Dienstag den 6. Septembers898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. September. Die Erklärung KiautschauS zum Freihafen bedeutet einen wichtigen Fortschritt auf der Bahn der politischen Action Deutschlands in Ostasicn. „Daß den deutschen Be strebungen, die s. Z. in der Besitznahme deS genannten chinesischen Küstenpunctes zum Ausdruck kamen, ehrgeizige Absichten durchaus fern lagen, daß es sich bei der Festsetzung in der Kiautschaubucht um nichts Anderes handelte, als um Gewinnung einer soliden Unterlage für die Handels- und verkehrspolitischen Bedürfnisse Deutschlands in Ostasien, das bat", so führen die officiösen „Berl. Pol. Nachr." aus, „die inzwischen eingetretene Entwickelung der deutschen Chinapolitik zur vollenGenüge erwiesen. Mit der Erklärung KiautschauS zum Freihafen ist das Unterpfand dafür gegeben, daß es der deutschen Politik fern liegt, in Ostasien ihre Interessen auf einer anderen Grundlage als der der internationalen Gerech tigkeit und Billigkeit zu betreiben. Der Sinn Deutschlands ist eben nur auf friedlichen Wettkampf gerichtet, und es bat denn auch nicht gezögert, bezüglich KiautschauS durch die Thal zu beweisen, daß es sich bei der Entwickelung deS Platzes von keinen anderen Gesichtspunkten leiten läßt, als von solchen, welche mit der Ausfassung von der Aufgabe Deutsch lands im fernen Osten als einer culturfördernden im Ein klänge stehen." Mit dieser Auffassung würde es keineswegs contrastiren, wenn Deutschland sich in Kiautschau zugleich einen festen Stützpunkt für seine ostasiatische Kriegsflotte schaffen würde. Die KrönnngSfeierlichkeiten in Holland veranlassen die „Sächsische Arbeiterztg." zu abfälligen Aeußerungen über den „großen Rummel"; sie schreibt u. A.: „Erinnert man sich dabei der Tausende, die darben und hungern müssen? Wie viele Tausend Arme könnten auf Jahre hinaus mit diesen verpulverten Millionen gesättigt und getröstet werden!" Wir wollen die Berechtigung dieser Frage an sich nicht prüfen, erwähnen auch nur beiläufig, daß Jemand leicht die Gegen frage stellen könnte, wie viele Tausend Arme nut den für die socialdemokratische Agitation und auf den „großartigen" socialdemokratischen Parteifesten verpulverten Millionen ge sättigt und getröstet werden können; worauf eS uns heute ankommt, das ist die Erinnerung an Herrn 8 iebkneckt' S vom Haß gegen Deutschland eingegebenes Urtheil über die Lebens haltung der holländischen Arbeiter. Die gleiche Selbstüberhebung, die dem Chefredactenr des „Vorwärts" gestattet, im Reichstage über alle Dinge und noch einige mehr zu sprechen, befähigte ihn, im vorigen Jahre das „wissen schaftliche" Organ der deutschen Socialdemokratie, die „Neue Zeit", durch den Aufsatz „Acht Tage in Holland" zu be reichern (vzl. Heft 28 des Jahrg. 1896/97 der „Neuen Zeit"). Darin offenbarte er, was er in Holland „gefunden". Er fand den Wohlstand in Holland allgemeiner verbreitet, als bei uns, und die Kluft zwischen Arm und Reich dort weniger breit und tief; er fand in den bescheidensten Häusern Teppiche, massive Mahagoni-Möbel und Stücke asiatischen Porzellans; er fand endlich zwar nicht immer die Wohnung, allein durchgehends die Nahrung über das für die Mebrzahl der deutschen Arbeiter geltende Niveau „ent schieden" hinausgehend. Ob dieser „Funde" ist damals Herr Liebknecht von zwei „Genossen", nämlich von Dr. Schoen- lank und von dem Holländer Bliegen, in der „Leipz. Volks-Ztg." >arg heruntergeriffen worden, wahrend die „Sachs. Arbeiterztg." ihm die Stange hielt. Wenn letztere jetzt, unbekümmert um Liebknecht'S holländische Ein drücke, die Arbeiterlage in Holland im Anschluß an Schoen- lank und Vliegen beurtheilt, so ist das ein neues Zeichen für das Schwinden deS Einflusses, dessen Herr Liebknecht bei den „Genossen" sich erfreut. Ucber die publicistische Thätigkeit deS katholischen Klerus hat jüngst der elsässische AbbS Sipp eine umfangreiche Studie veröffentlicht. Der betreffende Artikel erklärt eine solche möglichst umfangreiche Wirksamkeit für die erste Pflicht eines katholischen Priesters und citirt auS den Reden „einer Katholikenversammlung" beifällig einen Satz, nach welchem „das Pfarrhaus das naturgemäße Correspondenzbureau ist, aus welchem die katholische Presse gespeist werden soll". Da befinden sich der Herr Abbö Sipp und auch die betreffende Katholikenversammlung in einem bemerkenSwerthen Gegensatz zu einem amtirenden deutschen Bischof, der neulich seinem Diöcesanklerus in einem Rundschreiben die Beschäftigung mit der Politik außer in besonders angegebenen Nothfällen auf das Dringendste „widerrathen" hat; jener Bischof soll in Augsburg residiren und unter den bäuerischen AmtSbrüvern mehrere Gesinnungsgenossen zählen. Und auch im Neuen Testament wollen einige Leute das Wort gelesen haben: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Der TrcyfuS-Tossier bat nach den „Droits äo I'üommo" drei Theile: 1) den Dossier des Bordereaus, 2) den Dossier der geheimen Stücke, wozu die Fälschung Henry's gehört und 3) den Dossier der besonders geheimen Schriftstücke. Auf diese letzteren, berichtet das Blatt, stütze sich der General stab, um, nachdem Theil 1 und 2 versagt, die Schuld deS Dreyfus weiter zu behaupten und zu versichern, daß die Wiederaufnahme des Processes den Krieg her beiführen würde, lleber diese Schriftstücke hätte seiner Zeit der Adjutant des Generals de BoiSdeffre, Major Paufsin de St. Morel, Rochefort unterrichtet und der Major T. sich mit Edouard Drumont unterhalten. Dieses Actcnbündel soll enthalten: l) einen vom Grafen Münster unterzeichneten und von ihm dem deutschen Kaiser nach Berlin erstatteten Bericht, in welchem der Botschafter den Namen DreysuS ganz ausschreibt und die Dienste anführt, die er Deutschland geleistet bat; 2)dreiBriefe oder vielmehr die Photographie von drei Briesen des deutschen Kaisers, deren einer an den Grafen Münster, die beiden anderen an den Hauptmann Dreyfus gerichtet sind. Von diesen Schrift stücken glaubt und behauptet der Generalstab, daß das erste von dem Arbeitstisch Wilhelm's II. in Berlin gestohlen worden sei; die anderen sollen vor ihrer Absendung durch einen Agenten des auswärtigen Amtes entwendet und pholo- graphirt worden sein, der sie alsdann dem Minister Hanotaux zukommen ließ, welcher sie seinerseits dem Kriegsminister übergab. Der Bericht des Grafen Münster und diese Briefe sollen in Berlin nach der Verhaftung des Dreyfus gestohlen worden sein." Die „Droits cko I'tiommo" erklärten nun, diese Schriftstücke seien in Brüssel angefertigt und von Berlin an das französische auswärtige Amt gesandt worden und zwar durch einen Agenten, der es versteht, in den Fonds für geheime Zwecke für sich und andere zu schöpfen. Offenbar mit Bezug auf diese Sache schreibt der „Jour": „Glauben Sie, daß, wenn der deutsche Spionagedienst bei uns geheime Aktenstücke stehlen oder kaufen, unsere Eisen schränke erbrechen könnte, er einen Augenblick nur zaudern würde? Gewiß nicht. Wenn nun unser Spionendienst z. B. eines Tages 27 000 Franken gezahlt hätte, damit ein Agent, der einen diplomatischen Koffer befördert, ihn öffne und ge heime Acten photographiren lasse, um die Schuld des Dreyfus zu bekräftigen, wer würde da nicht einsehen, daß er damit Recht hätte? Wenn er eS nicht thäte, könnte man ihn ebenso gut abschaffen. AuS diesen Gründen also kann man unter den gegenwärtigen Umständen die Beweise nicht veröffentlichen." Der „Jour" sagt, auf diese Akten stücke hin habe General Mercier sich seine Ueberzeugung ge bildet. Das Blatt erklärt, im Falle einer Wiederaufnahme des Verfahrens wäre die Verhandlung unweigerlich geheim. Es möge daher Jeder seine Verantwortung auf sich nehmen. Zum Schluß führt das Blatt das Gespenst der deutschen Horden vor, die mit der Brandfackel in der Hand nach Frankreich ziehen werden. Daß eS sich bei dem „ganz besonders geheimen" Dossier um noch plumpere Fälschungen handelt als die Henry'sche, kann man nach den Versicherungen von maßgebender deutscher Seite positiv von vornherein behaupten, und unsere Nachbarn können daher versichert sein, daß eS wegen der Kaiserbriefe nicht zum Kriege kommt. Ex-Kriegsminister Cavaignac sagt zwar, er habe auf Grund peinlichster Untersuchung die Authenticität jener Schriftstücke festgestellt, aber er irrt sich eben und Niemand läßt sich durch seine Warnung mehr beirren. Ueber den sogenannten dcutsch-euglischc» Gchcimvertrag liegen heute keine weiteren Aufschlüsse vor. Auf den Scherz der „Pall-Mall-Gazette" von einem „Schutz- und Trutz« bündniß" sind die maßgebenden Londoner Blätter nicht hereingefallen. Sie sehen gleich uns in der Rede und dem Telegramm deS deutschen Kaisers nur Zeichen menschlicher Theilnahme und militairischer Achtung. Weiß man doch, daß der Kaiser die Erinnerung an Waterloo mit Vorliebe pflegt, wie er denn seinem englischen Regiment zu jedem Jahrestag der Schlacht ein Zeichen huldvollen Gedenkens schickt. Man weiß auch, daß er das Fortschreiten de« SudanfeldzugS mit lebendigstem Interesse verfolgt; hat er doch auch zu dem Sieg am Atbara am 8. April d. I. England seine herzlichen Glückwünsche ausgesprochen. UebrigenS erklärt der Lissaboner „Correio Noute" ofsiciös das Gerücht, den Verkauf der südafrikanischen Colonie be treffend, für unbegründet, erwähnt aber nichts über das im Ausland verbreitete Gerücht von einer finanziellen Trans action in Betreff der Delagoabai. Wie wir gestern schon annabmen, handelt es sich wohl nickt um Verkauf, sondern um Verpachtung der Delagoabai, was aber im Grunde auf dasselbe herauskommt. Eine Correspondenz will wissen, Eng land leiste in dem Vertrag auf seine angeblichen Oberhoheits rechte in Transvaal Verzicht, waS wir erst glauben werden, wenn wir es schwarz auf weiß gesehen haben. Sonst wird in der Presse noch angedeutet, die deutsch englischen Abmachungen dürften fick auch auf das Togo- binterland erstrecken, wo die Abgrenzungen noch reckt zweifelhaft gewesen seien und nun zu Gunsten Deutschlands ihre Regelung gefunden hätten. Das wird indessen von anderer Seite bestritten und daran erinnert, daß vor Kurzem ver lautete, England sei geneigt, Zanzibar an Deutschland abzutreten. In direktem Gegensatz zu der durch die leichten Siege der Vereinigte» Staaten über Spanien Lbermüthig ge wordenen Masse des amerikanischen Volkes hat man in maß gebenden und sackverständigen Kreisen der Union gerade durch den Verlauf und die Erfahrungen des jüngsten Krieges die Ueberzeugung gewonnen, daß die Vereinigten Staaten nicht einmal einer Halbwegs respektablen Landmacht gewachsen sind und daß das ganze Wehrsystem besonders dann einer gründlichen Umbildung bedarf, wenn man sich auf eine sogenannte imperialistische Politik ein lassen will. Es hat dem Lande an Freiwilligen nicht gefehlt und die Miliz hat sich ohne Murren dem schärfsten Drill unterworfen, der nothwendig war, um aus den Organisationen dienstwilliger patriotischer junger Männer auch nur Halbwegs kriegstüchtige Regimenter zu machen. Trotzdem und obwohl der Krieg bereits sechs Wochen alt war, sand man doch nur drei Freiwilligenorganisationen in der erwähnten Umwandlung zu felbtüchtigen Regimentern in Drill und Ausrüstung weit genug vorgeschritten, um das Wagniß, sie nach Cuba zu schicken, nicht allzu groß erscheinen zu lassen. Alle übrigen Regimenter deS Santiago-HeereS gehörten der regulären Armee an, und auf sie fiel die Haupt« arbeit, ihnen haben die Vereinigten Staaten die Siege zu Lande — soweit überhaupt von solchen geredet werden kann — zu danken. Ohne ihre kleine reguläre Armee hätten die Amerikaner den Einfall auf Cuba nicht wagen können, sie hätten durch dieEntsendungeinesHeeresvon Freiwilligennureinefurcht- bare Niederlage herausbeschworen. Cuba und Puerto Rico werden auf lange Zeit hinaus eine starke Besatzung haben müssen. Dazu wird man auf die Dauer Freiwillige nicht verwenden können, und so wird eine bedeutende Erhöhung des Standes der regulären Armee nothwendig werden. Man wird ihre Stärke jedenfalls vorerst auf 61 000 Mann bringen, wie vom Bundescongreß beschlossen wurde. Aber auch diese Streitmacht wird durchaus ungenügend sein, wenn die Ver einigten Staaten die Philippinen-Inseln halten wollen. In diesem Falle würde die doppelte Truppenzahl und mehr nöthig sein, und zwar nicht nur für sechs Monate oder ein Jahr, sondern für immer. An eine Verminderung würde nicht mehr zu denken sein, sondern Gewicht würde sich an Gewicht hängen, bis auch die Vereinigten Staaten ein Militairstaat sein würden, wie die Staaten Europas, über dessen Militarismus man noch bis vor Kurzem halb mitleidig, halb verächtlich jenseits des großen Wassers die Achseln zuckte — und vielleicht bis sich für die „imperialistische Politik" auch einmal ein Imperator finden würdet Deutsches Reich. * Leipzig, 5. September. Unter dem Vorsitze deS Fabrik besitzers Herrn Menck, Altona-Ottensen, fand, wie gemeldet, heute hier in den Räumen des Hotel de Prusse die auf An regung deS Arbeitgeber-Verbandes Hamburg-Altona zu sammengetretene ArbeitsnachweiS-Conferenz statt, zu der von Wien bis Metz, von Kiel bis zu den Alpen fast alle größeren wirthschaftlichen Vereine, mehrere Handelskammern, sowie eine Anzahl von Innungen und Innungs-Verbänden Vertreter gesandt hatten. Wir erhalten über sie von dem Verbände folgenden Bericht: „Nach einigen Worten der Begrüßung Les Vorsitzenden und nach, dem Dr. Martens, der Generaljecretair des Arbeitgeber-Verbandes Feuilleton. Henny Hurrah! bj Roman von Ernst Clausen. Nachdruck verboten. „Sehen Sie, Sternfeld", meint« Uexhus, „so machen wir Deutsche es! Wir schreien immer, werzn cs zu spät ist, und wenn etwas Besonderes passirt, müssen wir erst sechs Glas Bier trinken, um Courage zum Hurrahrufen zu bekommen! — Aber hier ist Tosti, und im Hinterzimmer scheint Niemand zu sein." Der Restaurationssaal des Cafes war noch ziemlich gefüllt; die Meisten, die dort saßen, hatten müde, verkaterte Augen und schlürften halb im Dusel ihren schwarzen Kaffee. — Der Kellner drehte im Separatzimmer den Gashahn auf und die beiden Herren saßen eine We'ile nachdenklich vor ihren Kaffee tassen. „Ja", fing der lange Graf schließlich an, und beschrieb mit dem Löffel kleine Kreis« in dem braunen Getränk so nachdenklich und so gewandt, wie dies nur ein Junggeselle lernt, der immer ungestört seinen Kaffee trinken kann. „Ja, Sie junges Huhn, wissen gar nicht, wie Unsereinem zu Muthe ist! Seit dreizehn Jahren sitze ich nun hier in unserer Stadt und habe jedes Jahr einmal Sylvester gefeiert. Meine Eltern verlor ich, als ich noch Cadet war, Geschwister habe ich nicht, und die Verwandten, welche ich besitze, leben überall zerstreut und freuen sich, wenn sie von derselben Hunger leidenden Sorte Niemanden zu sehen bekommen. In den ersten Jahren als junger Lieutenant habe ich mit Gleichalterigen zusammen mich ins neue Jahr hinüber gezecht, und seit Tressings hierher kamen, verleb« ich jeden Syl vester in deren Eßzimmer. Diese» ist übrigens in der Zeit einmal neu tapeziert worden." Axel hörte nur mit halbem Ohre zu, weil er sich vergeblich den Kopf darüber zerbrach, ob er die kleine Scene heute Abend geträumt oder wirklich erlebt hätte. Es war ja leider nicht gerade da» erste Mal, daß ihm ein weibliches Wesen «inen Kuß gab, man kann das wenigstens nicht voraussetzen bei einem jungen Maler, der in München die Aka demie besucht, aber, — Uexhus hätte ihm sicher psychologisch ent wickeln können, welch' großer Unterschied es ist, ob man einen von den vielen Küssen abbekommt, die eine Biernymphe oder ein fidele» Modell sich auSzutheilen bewogen fühlen, oder aber — e» schoß ihm siedend heiß nach dem Kopf: „Hier ist doch eine Bombenhitze! Finden Sie nicht, Herr Graf?" „Hm", meinte dieser, „Sie sind eben noch ein junges Blut! Mir ist es gerade recht so! Was ich sagen wollte — es ist doch recht schön, daß ich hier die Verwandten habe. Früher jedoch hat es mir besser gefallen, als die ganze Gesellschaft noch jung war und ich mit ihnen, na, wir kennen uns ja seit der Zeit, aber es ist ein verdammter Unterschied, ob man wie sie so mit heranwächst oder ob man, wie ich, zusieht, wie Andere älter werden! Da ist zunächst die Louise! Nun, sie sah schon als Fünfzehnjährige so aus, als ob die ganze Weltlast auf ihren Schultern läge, dann kam Trüxen dazwischen und wurde verrückt. ' Er hat nie über mäßig viel Kopf gehabt, sondern das Herz überwog, weil es ihm zu gut gegangen war. Abweiscn konnten ihn die Eltern nicht gut, und um einen Bankier anzulocken, hatte Louise nicht genug Temperament. Ja, das ist nun einmal so, trockene Leute wollen saftige Frauen, und Männer mit Herz und einem gut ent wickelten Knochenbau schwärmen am intensivsten für irgend ein blasses, blcichsüchtiges Mädel, das vor lauter Temperament losigkeit sich als Epheuranke besser idealisiren läßt — ja — hören Sie mal, mein Verehrtest», Sie hören ja gar nicht mehr zu!" „Oh doch!" Axel fuhr aus seinem Grübeln auf. „Sie sprachen von Henny, nicht wahr?" Uexhus zog die Mundwinkel herab und bestellte «inen Cognac. „Nun, eigentlich sollte Henny erst jetzt an die Reihe kommen, denn Karl kann ich ganz gut überschlagen, rr war ein alberner Cadet, und jetzt, na, sonderlich beeilt er sich nicht, eine interessante Entwickelung zu nehmen. Also Henny! Ja, nun ist die auch herangewachsen. — Sehen Sie, die hat das Temperament für die ganze Familie bekommen; ich glaube, sie ist gleich mit einem Hurrah auf der Welt angelangt. Das war gerade zu der Zeit, wo der Alte froh war, ein Bataillon zu bekommen, und Ihre Tante sich entschließen mußte, ob sie sich einen neuen Hut in Wien oder in Paris bestellen sollte! Das hat dem Mädel gewiß den Schwung gegeben. Axel nickte mit dem Kopfe und zeichnete mittels eines ange brannten Streichholzes allerhand Arabesken auf die Serviette. „Ja, sie ist ein nettes Frauenzimmer", sagte er dann. „Stimmt! — Der Cognac wird auch immer miserabler — also, wir sind nun auch so weit mit ihr, daß sie standesamtlich berücksichtigt werden muß, und meine Cousine wird ihren Rassen stolz auf Martingal und ihren gesunden Menschenverstand an die Longe nehmen müssen." „Bah", machte Axel, „ich lasse mich hängen, daß Henny nie mals diesen trockenen Menschen nimmt!" „Hören Sie mal, mein Lieber, dann nehmen Sie besser einen Strick mit patentirtcr Selbsthilfevorrichtung. Sehr ernst ist unsere Henny nicht! Man kann das von ihren achtzehn Jahren auch nicht erwarten, aber gerade, weil sie Temperament hat, sind diese Barriören, die sie rings umher sieht, dies« endlos lang weiligen Stackete von Einschränkung, Standesrücksichten und vornehmer Hungerkost ihr sehr unangenehm. Die will Luft haben, mein Bester!" Axel stützte den Kopf in die Hand. „Ich glaube es nicht; sie mag vielleicht einmal über die Barriöre gehen; aber nicht aus Berechnung!" „Mein lieber Sternfeld, Sie sind Künstler und noch sehr jung, und dann haben wir heute Bowle getrunken, die Karl angesetzt hatte! Was wollte ich denn eigentlich sagen? Ja, diese Sylvesterabende werden immer öder! Dreizehn Jahre! Ja — was den Dienst anbelangt, so habe ich ihn immer gern gethan, aber sonst — dies verdammte Aufschreiben jeden Abend vor dem Zubetteg-Hen! Dieses Rechnen! Es macht den ganzen Menschen zu Nichte, aber was soll man dabei thun? Mein kleines Erb- theil wird nach meiner Rechnung gerade alle, wenn ich eine Com pagnie bekomme! Die Equipirung für den Rettesel muß ich vielleicht noch auf Abzahlung kaufen, und dann, nun, glänzend ist die Geschichte dann noch immer nicht, und das Ausgabebuch werde ich wohl weiter führen müssen, bis ich endlich als Major den Abschied bekomme und als solcher jedes Jahr zu Kaisers Geburtstag meine Uniform auS der Mottenkiste nehme und als lebende Kamphersäule zum Diner trolle! Es ist rin Elend, wenn man gar keinen Leichtsinn mit auf die Welt bekommt, sondern nur den gemeinen Wunsch, ehrlich und anständig sein Leben zu verbringen. So einer, wie Sie, hat es gut! Sie haben doch vielleicht die Aussicht, dem Schicksal einen Fußtritt zu geben! Unsereiner sitzt mit dem Bleistift über der Rangliste und baut kleine Treppen, bis man schließlich an den eigenen Namen ein kleines » macht, das heißt nämlich: avancirt! Aber man hat so lange daran gedacht, daß ^s einem keinen Spaß mehr macht! — So, und nun wollen wir zu Bette gehen! — Kellner! Zahlen!" Diese laut gesprochenen Selbstbetrachtungen des pessimistischen Premierlieutenants waren gerade nicht hinreißend lustig, und Axel war froh, als sie auf der Straße standen. Uexhus ging langsam davon. Er war gar nicht müde und ihm graute vor seiner kalten Wohnstube. „Wie gemüthsarm lebt unserem» doch!" Er bog am Markt platz links ab in die Sandthorstraße, um dort vor einem Par- tervesenster stehen zu bleiben und leise an die Scheiben zu pochen. — Die weißen Gardinen bewegten sich bald darauf und ein weiblicher, blonder Kopf erschien hinter denselben. Ein freundliches Lächeln zog bei des Grafen Anblick über die Züge der Hinausspähenden, während sie leise das Fenster öffnete. „Ich habe den Schlüssel zu Hause liegen lassen, Dora!" „Warte!" Er stand da und starrte die Hausthüre an. Es that doch gut, solch ein freudig überraschtes Lächeln zu sehen, Jemanden zu haben, der einen willkommen hieß. — Die Thür öffnete sich geräuschlos und der lange Premier lieutenant verschwand darin. Axel konnte trotz der vorgerückten Nachtstunde nicht ein schlafen. Er hörte ganz deutlich in der herrschenden Stille seinen Vater einige Male husten und wußte, daß der alte Mann wieder die ganze Nacht kein Auge zuthat. Trotz Axel's noch recht jugendlichem Wesen war er innerlich reifer als die meisten jungen Leute seines Alters; rr hatte immer «ine ernste Vor stellung davon gehabt, daß er einstmals für seine Schwestern, besonders für die jüngste würde zu sorgen haben, und dann sind häufig die Kinder solcher Familien, die durch die Ver hältnisse auf die ernste, sorgenvolle Seite des Lebens gedrängt werden, früher reif und früher gewöhnt, sich ihre eigene Zukunft nicht zu egoistisch gestalten zu wollen. Er hatte sich bis jetzt noch durchgeschunden, während der Studienjahre mit oft ver zweifelt knappen Geldmitteln. Thatsächlich hatte er in letzter Zeit hier und da etwas verdient, allerdings weniger mit seiner Kunst, als dadurch, daß er dieselbe in den Dienst des Hand werks stellte. Er warf sich unruhig im Bette hin und her. Seit fünf Jahren studirte er mit eisernem Fleiße, glaubte auch sicher zu seim, daß ein Künstler in ihm steckte; aber rr war sich auch klar geworden, daß ihm das feine, fast kaufmännische Gefühl für den Geschmack der Massen und des Tages, welchem so viele College» rasche Erfolge verdankten, vollständig abging. Das Bewußtsein der kalten Einsamkeit, welches jeden echten Künster, der klaren Menschenverstand hat, überkommt, war ihm nicht erspart geblieben. Was sollte werden, wenn die Krankheit des Vaters eine ernste Wendung nahm! Draußen rieselte der Schnee wispernd an den Fensterscheiben herunter. Es klang monoton, fast un heimlich, wie eine frostzitternde Stimme, die um Einlaß bat. In dem Zustand zwischen Schlaf und Wachen schien es ihm plötzlich, als hörte er deutlich seinen Namen rufen, „Axel!", ge«
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