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8MMU M WW NMÜW Ar.339. SU Nr. 136 des Hauptblattes. 1926. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße in Dresden. LaudtaMerhandlungen. <Fortfetz»ng der 18». Sitzung von Donuerstag, de» 1» Juni.) Abg Siewert (Komm.) (Fortsetzung): Wir haben unlängst in der Presse gelesen, daß die Pro duktion der Landwirtschaft an Vieh wesentlich hinter der jenigen vor dem Kriege zurückbleibt. Ich weiß nicht, in wel cher Weise die sächsische Landwirtschaft an diesem Rückgang beteiligt ist. Dem Wirtschaftsministerium unterstehen auch die Fragen der Landwirtschaft. Ich glaube deshalb, daß das Wirtschaftsministerium die Frage prüfen muß: was muß geschehen, um die Viehzucht in Sachsen zu heben, um vor allem daS Vieh zu vermehren, das als Nahrungsmittel Verwendung findet? Zugleich möchte ich die Frage aufwerfen, in welcher Weise sich z. B. die sächsische Regierung mit den Fragen der notwendigen Fleischversoryung in Sachsen beschäftigt hat. Es wird jetzt nicht viel Vieh geschlachtet, man verwendet das Vieh in dieser Jahreszeit zur Zucht. Deshalb ist es notwendig, daß man hier dieses hochwertige Nahrungs mittel in genügender Menge einführt. Wir sind der Meinung, daß die Einfuhr genügender Mengen Gefrier fleisch der schlechtbezahlten Arbeiterschaft in weitestem Maße entgegenkommt. Nun möchte ich das Wirtschafts- Ministerium auf die Tatfache aufmerksam machen: als man das Gefrierfleischkontingent für das ganze Deutsche Reich festlegte, als man bestimmte: die und die Menge von Gefrierfleisch darf nach Deutschland eingeführt werden, da wurde gleich hinterher das ganze Kontingent auf die damals vorhandenen Fleischhändler verteilt. Das war, wenn ich nicht irre, im Jahre 1923 oder 1924. Das Wirtschaftsministerium wird es besser wissen als ich. Damals hat man dieses ganze Kontingent verteilt, hat also bestimmten Händlern eine bestimmte Menge des Gefrierfleisches zugeteilt. Nun ist mir von einer ganzen Reihe Fleischernleister und Schlächter mitgeteilt worden, daß die Leute, die damals die Berechtigungsscheine für die Belieferung bekamen, jetzt überhaupt nicht mehr mit Fleisch handeln, daß sie weder Fleischbetriebsbesitzer sind noch sich irgendwie im Fleischergewerbe betätigen, und daß sie ihre Scheine, d'e sie leider jetzt besitzen, zu einem schändlichen Wucher ausnützen. Ich bin der Meinung, daß das Wiltschaftsministerium sich im Reiche erstens einmal dafür einsetzen muß, daß eine größere Menge Gefrierfleisch eingeführt wird, zweitens sich dafür einsetzt, das; dieses Fleischkontingent beseitigt wird und daß den Fleischereien die Mengen zugeteilt werden, die sie notwendig haben. Ich bin der Ansicht, daß das Wirtfchaftsministerium angesichts der Notlage der sächsi schen Bevölkerung sich auch dafür einfetzen müßte, daß der Zoll auf das Gefrierfleisch verschwindet. Ich weiß, daß wir in Sachsen namentlich eine starke Automobilindustrie haben. Nun ist mir bekannt, daß das große Automobilwerk Ford in Deutschland Riesen betriebe aufrichtet. Kann uns das Wirtschaftsministerium mitteileu, ob Ford in Aussicht genommen hat, auch in Sachsen größere Filialen und Betriebe zu errichten, und was gedenkt das Wirtschaftsministerium zu tun, um dieser schweren Krise in der Antomobilindustrie, die vor allen Dingen in: Zwickauer Bezirk ungeheure Arbeiter massen in Mitleidenschaft gezogen hat, zu begegnen? Wirtschaftsminifter Müller: Meine Damen und Herren! Ich glaube, Sie werden von mir nicht er- warten, daß ich auf alle die Fragen, die der Herr Abg. Siewert gestellt hat, antworte. Ich bedauere allerdings, auf eine Reihe von Fragen nicht aus führlich antworten zu können, obwohl ich es gern getan hätte. Ich hätte aber gewünscht, daß der Herr Abg. Siewert, der heute ein so hohes Interesse an wirtschaftlichen Fragen bekundet hat (Zuruf b. d. Komm.: Immer!), die Auskünfte im Ausschuß verlangt hätte; dann hätte das Wirtschaftsministerium vielleicht . auf einige der Fragen antworten können. Auf alle Fragen zu antworten, ist gar nicht möglich. Es gehören dazu nicht nur monatelange Erörterungen, sondern vielleicht jahrelange Feststellungen. Auf vieles kann ich eine erschöpfende Auskunft im Augenblick deswegen nicht geben, weil z. B. die Arbeitslosigkeit, die Stillegung von Betrieben usw. schon innerhalb zweier Monate wechselt und eine Auskunft der Regierung vielleicht deninzwiichen veränderten Tatsachen gar nicht mehr entsprechen würde. Meine Damen und Herren! Daß daS Wirtschaftsleben darniederliegt, der Baumarkt, die Metallindustrie, derLo- komotivbau und die Textilindustrie, das alles ist der Regie rung bekannt.Aber ich möchte, wenn der Herr Abg. Siewert fragt, was die Regierung getan hat, um diesen Mißständen abzuhelfen, sagen, ich bin eigentlich erstaunt darüber, daß er dem Wirtschaftsminister oder dem Wirt schaftsministerium einen so außerordentlichen Einfluß auf die Umgestaltung und den Aufbau des Wirt schaftslebens einräumt. Er als Sozialist sollte doch, nehme ich an, wissen, daß dieser Aufbau weder von einer einzelnen Person, noch von einem Amte durch- aeführt werden kann, sondern daß nur aufgebaut werden kann im Verhältnis und auf der Grundlage der all gemeinen Entwicklung des gesamten Wirtschaftslebens. Meine Damen und Herren! ES ist dann gefragt worden, waS die Reaierung getan habe, um eine Rationalisierung zu schaffen. Die Rationalisierung der Wirtschaft kann nicht kommandiert werden vom Wirtschaftsministerium, sie muß nach den praktischen Bedürfnissen der Produktion vorgenommen werden. Der Herr Abg. Siewert fragte, in welchem Umfange daS geschehen sei. Da kann ich ihm sagen, daß m Sachsen auch nicht einmal wesentliche Ansätze vor handen sind, denn wenn rationalisiert werden soll, muß Arbeitsgelegenheit vorhanden sein, damit man die Rationalisierung überhaupt vornehmen kann. Und leider sind wir nicht in der Lage, vor allen Dingen in der sächsischen Industrie, die zum Teil auf Export begrün det ist, heute derartige Aufträge zu buchen, daß man an eine durchgreifende Rationalisierung gehen könnte. Dann hat der Herr Abg. Siewert eine Frage be rührt, die gar nicht in das Gebiet des Wirtschafts ministeriums gehört, auf die ich aber mit einigen Worten eingehen möchte, um eine irrige Auffassung, die im Lande verbreitet ist und aus gewissen Gründen geflissentlich genährt wird, richtigzustellen. Das ist die Frage der Betriebsstillegungen. Der Herr Abg. Siewert hat gefragt: unter welchen Umständen werden in Sachsen Betriebsstillegungen genehmigt, und in wieviel Fällen hat das Wirtschaftsministerium Betriebsstillegungen verhindert? Ich würde dem Herrn Abg. Siewert empfehlen, sich einmal die grundlegen den Bestimmungen für die Stillegung an^usehen, dann wird er finden, daß zunächst einmal mit der Frage, soweit überhaupt die sächsische Regierung damit zu tun hat, das Arbeitsministerium betraut ist und daß auch das Arbeitsministerium weder eine Betriebs stillegung zu genehmigen noch zu versagen hat. Die Betriebsstillegungen erfolgen auf Grund einer Reichs verordnung, und das Arbeitsministerium kann lediglich durch seine Behörden Verhandlungen einleiten und ver anlassen, daß die Betriebsstillegungen, die nach einer gewissen Frist automatisch eintreten, so gestaltet werden, daß soziale Härten möglichst ausgeglichen und beseitigt werden. Ich möchte ferner darauf aufmerksam machen, daß bei allen diesen Stillegungen die Betriebsvertretungen mitwirken und die Dinge sich in der Regel folgender maßen abspielen: Die Betriebsstillegung wird beim Arbeitsministerium oder den Gewerbeämtern an gemeldet. Dann treten automatisch die Fristen in Kraft, während deren Arbeiter und Betriebsleiter mit den Gewerbeämtern verhandeln. Und fast bei allen Still legungen ist die Sache so gelaufen, daß Unternehmer und Arbeitervertrcter den Plan aufstellen, nach dem der Abban der Betriebe zu erfolgen hat. Amtlich hat weder das WirtschaftSminifterium, noch das Arbeits ministerium die Möglichkeit, in diesen Gang ein zugreifen oder ihn aufzuhalten. Ich kann aber hier versichern, und die Vertreter der Gewerkschaften werden das bestätigen, daß, soweit das Wirtschaftsministerium überhaupt in der Lage war und von den Gewerkschaften angegangen worden ist, wir überall bemüht waren, auf die Betriebsunternehmer einzuwirken, unter allen Umständen ihre Betriebe aufrecht zu erhalten im In- teresse des Wirtschaftslebens, wenn es auch mit außer- ordentlich schweren Opfern verknüpft war. Wir haben vor allen Dingen auch, wenn wir um Kredite ange gangen wurden, immer darauf gesehen, daß die Kre dite so verwendet werden, daß der Arbeitslosigkeit mög- lichst entgegengearbeitet wird. Dann sind die Fragen der Submission und der wirtschaftlichen Sabotageakte angeschnitten worden. Beim Submissionswesen ist, glaube ich, dem Herrn Abg. Siewert nicht unbekannt, daß die Laudes- preisprüfungsstelle seit längerer Zeit sich damit be schäftigt und auch öffentlich auf Mißstände im Sub missionswesen hingewiesen hat, und ich bedauere nur, daß diejenigen, die Arbeiten zu vergeben haben, diese Tätigteit der Preisprüfungsstelle nicht genügend wür digen und wir immer wieder auf Gemeinden und andere Unternehmer stoßen, die diese Arbeit des Wirtschaftsministeriums bzw. der Landespreis prüfungsstelle nicht genügend beachten und immer dadurch ungesunde Submissionsbedingungen fördern. Dann die Sabotageakte! Mir ist der Chemnitzer Fall von dem Herrn Abg. Siewert, ich glaube vor 8 Tagen, mitgeteilt worden. Ich habe bis heute noch kein Material bekommen, bin auch nicht angegangen worden. Ich kann versichern, daß wir wöchentlich einen oder mehrere Fälle haben, wo uns aus der Fertigindustrie derartige Sabotageakte durch Konzerne, Syndikate usw. gemeldet werden. (Hört, hört! links.) Alle diese Fälle haben wir mit den nötigen Bemerkungen an das Reich weiter gegeben und um Abhilfe gebeten, da wir von Sachsen aus nicht in der Lage sind, dagegen vorzugehen. Ich kann ferner darauf Hinweisen, daß wir von uns aus eine Änderung der Kartellverordnung angeregt haben, um diesen Sabotageakten Einhalt zu gebieten, daß wir also alles getan haben, um die für die Volkswirtschaft bestehenden Schädeü zu beseitigen. Meine Damen und Herren! Ich glaube, das wäre das Wesentlichste, was ich zu bemerken hätte. Ich will im allgemeinen darauf Hinweisen, daß auch die zahlen mäßige Auswirkung des Zollgesetzes usw. im einzelnen gar nicht festgelegt werden kann. Ick will nur hin- weisen auf die Stellung, die die sächsische Regierung zu der Zollfrage eingenommen hat; die ist ja bekannt. Ich weise ferner daraufhin, daß eine ganze Reihe von sächsischen Fertigindustrien kommen, fast jede Woche, und wünschen, daß Änderungen in den Zollbestimmungen vorgenommen werden. Es stellt sich dabei heraus, daß von den Arbeiter Vertretungen selbst vielfach eine wesent lich andere Stellung eingenommen wird als hier von den Parteien im Landtage, und zwar mit Rücksicht auf die Beschäftigung der Arbeiter. Ich glaube, das ist alle-, was ich im Augenblick zu bemerken hätte. Ich hätte aber den dringenden Wunsch, daß, wenn derartige Anfragen an die Regierung gestellt werden sollen, sie rechtzeitig gestellt werden, und zwar schon im Ausschuß, damit die Regierung in der Lage ist, für die Verhandlungen das Material rechtzeitig zu beschaffen. Abg. Longhorst (Alte SPD.): Für meine Fraktion habe ich die Erklärung abzugeben, daß wir dem Anträge auf Drucksache Nr. 1813 unsere Zustimmung geben. Die Ausführungen des Herrn Wirtschaftsministers entheben mich der Notwendigkeit, auf die außerordentlich geist reichen Darlegungen des Herrn Kolleyen Siewert noch näher einzugehen, und deshalb kann ich mich auch mit dieser kurzen Erklärung für meine Fraktion begnügen. Gegen die Stimmen der Kommunisten wird hierauf ein Antrag auf Schluß der Aussprache angenommen, DaS Gehalt des Wirtschaftsministers wird in ge trennter Abstimmung mit Mehrheit genehmigt, der An trag Rr. 1813 hierauf mit derselben Mehrheit an genommen. Hierauf werden die weiteren Punkte der Tagesord nung 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12 (13 ist abgcsetzt), 14, 15 und 16 in der Aussprache miteinander verbunden, nachdem Abg. Böttcher (Komm.) dagegen protestiert hat, weil es sich um Punkte handle, die nichts mit einander zu tun haben, wie z. B. die Gewerbe- und Dampfkesselaufsicht, die Landwirtschaft und die Landes pferdezucht usw., damit werde in diesem Hause der Uusinn zum Prinzip erhoben. (Lachen rechts und Zu rufe: Bon Ihnen!) Stellv. Präsident vr. Hübschmann ruft den Abg. Böttcher wegen Beleidigung des Hauses zur Ordnung. Punkt 4: Erste Beratung über den Antrag der Abgg. Mitschke, Schmidt u. Gen. auf Hinausschie bung des Zeitpunktes der Rückzahlung der staatlichen Mitte lstandskredite. (Drucksache Nr. 1847.) Abg. Mitschke (Dtsch. Vp): Wir haben anr 11. Mai d-I. den Antrag gestellt: Der Landtag wolle beschließen: Die Rückzahlung des in diesem Jahre fälligen Teiles der staatlichen Mittelstandskredite wird infolge der ungünstigen Wirtschaftslage um ein Jahr hinaus geschoben. Nachdem das Finanzministerium schon im Sinne dieses Antrages verfügt hat, ziehe ich hiermit unseren Antrag zurück. (Bravo! rechts.) Punkt 5: Zweite Beratung über Kap. 34 (Ge werbe- und Dampfkesselaufsicht) des ordent lichen Staatshaushaltplans für das Rechnungsjahr 1926. (Mündlicher Bericht des Haushaltausschusses Druck sache Nr. 1857.) Der Ausschuß beantragt, die Einstellungen nach der Vorlage zu genehmigen. Dazu liegt folgender Entschließungsantrag Voigt (Dtsch. Vp.) vor: Die Regierung zu ersuche«, sobald es möglich ist, die Zahl der Aussichtsbeamten und des Bureau personals in der Gewerbeaufsicht zu erhöhen und hierbei weitere Aufsichtsbeamtinnen einzustellen, mit dem Ziel, für jeden noch nicht berücksichtigten Auf sichtsbezirk eine entsprechende Stelle zu schaffen. Berichterstatter Abg. Voigt (zur Begründung des Entschließungsantrags): Ich verweise auf die kürzlich ekfolgte Veröffentlichung des Jahresberichtes der sächsi schen Gewerbeaufsichtsbeamten für 1925, wo mehrfach darauf hingewiesen wird, daß das Personal in der Gewerbeaufsicht reichlich überlastet ist und daß die Durchführung der Gewerbeaufsicht darunter zu leiden hat. Es wird auf die zahlreichen Betriebsstillegunyen hinyewiesen, die die Beurteilung der Gewerbeaufstcht nötig machen. Es wird auf das sächsische Wohlfahrts- gesetz hingewiesen, das infolge des Schutzes für Kinder und Jugendliche die Mitarbeit der Gewerbcaufsicht er fordert. Es wird ferner auf die Tatsache hingewiesen, daß neuerdings die Angestellten in den Handelsbetrieben der Gewerbeaussicht unterstellt sind und daß sich auf dem Gebiete des Heimarbeitsschutzes die Mitarbeit der Fachausschüsse in der Heimarbeit nötig macht. Die Überlastung der Gewerbeaussichtsbeamten wird noch durch Zahlen charakterisiert. Wir legen uns in unserem Anträge nicht darauf fest, wo die Zahl der Aufsichtsbeamten erhöht wird und in welchem Umfange, wir wollen da dem Arbeits- und Wohlfahrtsministerium. Spielraum lassen. Wir legen aber Wert darauf, daß die Zahl in der Richtung erweitert wird, daß auch der weibliche Aufsichtsdienst stärker zur Geltung kommt.. In diesem Zusammenhänge verweise ich noch auf eiue, Notiz in diesen amtlichen Jahresberichten, nach der der Übelstand besteht, daß gewisse Doppelverdiener anzutreffen sind, abgebautc Beamte, pensionierte frühere Offiziere usw. Ich möchte die Regierung ersuchen, kein Mittel außer Anwendung zu lassen, das ihr zur