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WöckenM» erschtinen drei Nummern. VrSnumer>ision»-Prei« 22j SUdergr. <! Tdtr.) vicricijädrsick,. Z Tdlr. «Ur Pa« ganze Iayr. odne Erhebung, in allen Ldeüen der PreußMen Monarckuc. Maßazi n für die Pränumerationen '»erden von ieder Buchhandlung (in Berlin bei Bei« n. Com»., Iagergraße Nr. 28). so ivie von allen König!. Post-AenUern, angenommen. Lilcratur des Auslandes. 1/ »29 < Berlin, Dienstag den 28- Oktober 1848. Italien. Der Süden, nach nordischer Darstellung. Venedtg, von Uwarow') Wenn man Rom verläßt, so nimmt man den Eindruck mit sich, daß das große Buch „Italien" für uns nunmehr geschlossen seh. Alles, was uns beim ersten Anblick ungezogen, schwindet spurlos dem Auge vorüber bei der Wiederkehr. Selbst Florenz, die reizende Stadt, vermag den Reisenden nicht mehr zu fesseln, für den jetzt Alles des Zaubers entkleidet ist; kaum machen die Herrlichkeiten des Ualarro Pini und der Tribun« seine Neugier rege, der Niobe selbst wird nur die frostige Huldigung des Kenners zu Theil, noch dazu versetzt -sie die Einbildungskraft in den Vatikan, die Heimat aller Meisterwerke der Plastik, denn die anverSwo befindlichen scheinen nur dem heimischen Boden entrissen zu seyn. Nach Rom und Florenz erscheint Alles bleich und kalt. Jenseits des Apennins kein Italien mehr! Vergeblich erschließt uns Bologna sein herrliches Museum, bietet Ferrara die Erimiernngen an Ariost und Taffo — man ver meint des Landes äußerste Gränze zu berühren, man trauert, einen minder blauen Himmel über sich zu schauen, eine minder balsamische Luft zu athmen. Die Phantasie, erschöpft und aufgeregt, senkt allmälig ihre Schwingen und crgiebt sich in den Schmerz eines letzten Lebewohls von dem Lande Italia. Und eines Tages, wo man sich unter den Einflüssen dieses WchmuthS- gefühls befindet, das von allen Seiten unseren Geist bestürmt, an einem jener grauen Nebcltage, in einer Stunde dumpfen Brütens und unbehaglichen SepnS, sicht man plötzlich eine Erscheinung aus dem Meere auftauchen, die einer Stadt gleicht: cs wächst an Größe, wie man sich nähert, es überrascht zuerst und bald reißt es hin, Venedig mit einem Worte, Venedig, die schöne, prächtige, mächtige, tyrannische Venetia, heutzutage die leidende, ihres Schmucks beraubte, die Spuren der Verwüstung der Zeit im Antlitz, welche schwerer auf ihr lasten, als das Joch der Sieger. Nichts vollendet Traurigeres als der erste Anblick dieses modernen Pom peji, Venedig genannt. Man denke sich eine Stadt, über die jüngst ein Un glück hereingebrochen, VaS die Mauern verschonte und die Bewohner ver nichtete, und man wird sich einen Begriff von <vem Eindruck machen können, der hier das Herz erfaßt, nicht jenes erhebende Gefühl, welches Romans Ruinen in uns wecken, sondern jener vage Schmerz, »ene tieft Bekümmcrniß, die sich unserer bemächtigt beim Anblick einer prächtigen, aber verödeten Wohnstätte, deren Bewohner noch vor kurzem hier verweilt zu haben schienen, oder eincs spärlich erleuchteten und menschenleeren Theaters, oder eines Ball- saalS am Morgen nach der Festlichkeit. Venedig trägt in der That alle diese verschiedenen Charaktere an sich; seine Macht war eine ungeheure, aber künstliche, gleich dem Pfahlwerk, auf dessen Grundlage es sich erhebt. Es war argwöhnisch und grausam, aber es war auch heiter und prächtig. Die Scufzcrbrückc befindet sich in der Nähe der Meisterwerke Paul Beronesc's, zwischen dcn Brunnen dcs Dogen- PalastcS und den Bleikammern lpiomkl), wo die Staatsgefangenen seufzten, entfalteten sich alle Herrlichkeiten der Kunst und aller Reiz dcs Lebens. Hier starb man geräuschlos, aber man lebte auch in Hellem Gebraus. Halb Europa war dieser Stadt zinspflichtig, die aus dem Schoße der Lagunen emporstieg-, nichts vermochte den kolossalen Ehrgeiz einer Handvoll Menschen aufzuhalten, welche selbst vor dem Ucbermaße ihrer Macht erzitterten. Wenn aber von fern die große levantische Flotte erschien, belastet mit allen Schätzen der Welt, dann vergaß man die Schlachtopfer der geheimen und unbeugsamen Tyrannei, ganz Venedig schmückte sich festlich unter dem Jauchzen seiner freudetrunkenen Bevölkerung und verfügte nach Willkür über alle Genüsse wie über alle Rcich- thümer der Erde. Die Ufer des „großen Kanals" find mit einer Reihe von Palästen ge schmückt, die einen schöner als die anderen, aber schweigend und zur Hälfte verödet. Einige spärliche Gondeln, schwatz wie Särge, gleiten rasch über die Fluth; von Zeit zu Zeit öffnen sich die Jalousicen eines Palastes, und ein verstohlener Blick fällt auf den fremden, Gast, ein Blick der Neugier ohne Interesse und Leben; zuweilen erhebt ein reizendes Füßchen, bekleidet mit ') Dieser Aussatz aus der Feder des bedeutende» Staatsmannes, dcs geschmackvollen Kenners des Merthums und ausgejeschneten Swluten erschien als besondere Broschüre anonym unter dem Titel: Venire ibsz. 8«. keterrbonrg 18-15 und vermag sich an Ele ganz der Diction und elegischem Schmelz de» Eteiübl« kübn den besten Aufsätzen eines Chateaubriand a» die Seite zu stellen, 0r. Robert Lippert, venctianischcr Sandale, den Vorhang des Balkons, welcher auf den Kanal hinausgeht, aber nichts unterbricht dies Schweigen, als der eintönige Zuruf der Gondolieres. Diese geräumigen Wohnsitze, diese herrlichen Gebäude in halb italiänischeM, halb maurischem Stil erflehen sich ein Almosen der Erin nerung. Das heutige Venedig findet seine Deutung in der österreichischen Schildwache, die langsamen Schrittes vor dem Palaste der Pisani oder der FoScari auf und abgeht und, das Gewehr im Arme, den letzten Seufzer der dahinschwindcnden Stadt zu erwarten scheint. Der Art ist der erste Eindruck, den Venedig macht, aber man möge nicht dabei verweilen. In Eil besteige man die Gondcl, die nach dem Sklavenkai rudert; in dem Maße, wie man vorwärts dringt, nimmt Alles eine neue Färbung an. Wenn ein Strahl der milden Sonne Italiens die Fayade von 8rm Kiorgw sslaMore beleuchtet oder die Insel stell» 6iustecc» mit ihrer prächtigen Kirche, Palladio'S Meisterwerk, so entrollt sich das entzückendste Bild vor den erstaunten Augen, und setzt man auf dcr kiarrekta den Fuß an'S Land, so schwindet allmälig die Trauer, welche unser Herz krampfhaft zu- sammenpreßte, und man bleibt betroffen stehen in bewundernder Bestürzung: im rechten Winkel der Dogen-Palast, ein ungeheures Bauwerk deS Mittel- alters, merkwürdiges Ueberbleibsel lener vcnetianischen Architektur, die keiner anderen gleicht: zur Linken verlängern sich die Arkaden der pracurarie; im Hintergründe cin Seitenflügel der Basilika, deren Wirkung nur vollständig ist, wenn man sie von der Mitte des MarkuSplatzcs aus betrachtet. Man darf kühn bchaupten, daß nach Allem, was man in Italien gesehen hat, nach dem Mailänder Dom und dcr Karthause von Pavia, nach St. Peter zu Rom und allen den Kirchen, welche sein Gefolge bilden, Sankt Markus zur Br- wundcrung hinrrißt als selbständige Schöpfung, als phantastisches Werk, ent worfen unter den zweifachen Einflüssen des byzantinischen und arabischen Styls, die sich hier wunderbar dem italiänischen Geschmack vermählt finden, gleich einer Dichtung dcs Orients von dem kunstgeübten Meister in die Sprache dcs Westens übertragen. Wenn es noch »erstattet wäre, auf den alten Wortstreit des klassischen und romantischen Styls zurückzugehen, diesen abgenutzten und inhaltlosen Gegensatz, so würde ich sagen, daß St. Marku« sich zu St. Peter verhält, wie ein Gesang des Persers Firdusi zu dem Ge dichte Tassv's: aber dieser verbrauchte Vergleich würde nicht das Verdienst jedes einzelnen dieser verschiedenartigen Werke auszudrücken vermögen, beide gleich groß, gleich bcwunvernSwerth. Die Basilika stammt aus dem it>. Jahrhundert. Sic gehört, wir ich anderswo bemerkt, keinem Styl an; nie wurde eine kühnere und bizarrere Mischung aller Stylgattungen neben einander gewagt. St. Marku« ist zu gleicher Zeit in griechischem, römischem, gothischem, vorzugsweise aber in maurischem und byzantinischem Geschmack gebaut; der arabische Styl waltet im Aeußercn vor, während der byzantinische sichtbar die Anordnungen deS Inneren beherrscht. ES läßt sich nichts Malerischeres denken, als dieses Amal- gam von Rom, Kahira, Konstantinopel und Aachen. Der Neichthum de« Materials ist unschätzbar; Alles ist Porphyr, Jaspis, Mosaik, Bronze und kostbarer Marmor von allen Farben, das Ganze von einer Wärme, einer Wirkung, die ihresgleichen nicht mehr hat. Man hat bis zum Ueberdruß wiederholt, daß St. Markus im Inneren niedrig, dunkel und gedrückt scy; nichts ist irriger. Die Verhältnisse find vollkommen; die Kirche scheint selbst größer und dcr Platz umfangreicher, al« man gewöhnlich glaubt. Caualelto, dcr Maler Venedigs insbesondere, ist weit entfernt, einen vollständigen Begriff von dem erhabenen Ganzen zu geben; gewiß ist, daß der Markusplatz, von den Strahlen der lebhaften italiänischen Sonne beleuchtet, ein prachtvolles Gemälde darbietet, welches alle Erwartung übertrifft und das selbst nach den Denkmälern Roms noch zur Bewunderung hinreißt, weil gerade St. Markus dcr andere Pol dcr Kunst ist und jeder Vergleich hier in hohem Grade abgeschmackt seyn würde. Alles Leben, was sich noch in Venedig vorfindct, hat sich nach dem St. Markusplatz und dessen Umgebungen geflüchtet. Hier scheint das Herz noch zu pulfircn, während außerhalb desselben Alles todt oder im Verscheiden ist. Wenn man den kleinen Raum überschritten hat, innerhalb dessen sich : so viele köstliche Monumente zusammengedrängt befinden, so wird man über rascht von der traurigen Oede, die über die anderen Theile der Stadt gelagert ist; man wird versucht zu glauben, daß die Sonne mit besonderer Vorliebe ihre Strahlen auf diese belebten Räume sendet, und im Mangel der Sonne setzt ein Gaslicht, wahrhaft » xinrno, die Täuschung fort. Wenn einst di» verhängnißvolle Stunde für Venedig schlägt, dann wird St. Markus zuletzt verscheiden; mit ihm gehen die letzten Trophäen geschwundener Größt unter,