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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration- Preis 22j Sgr. sj ThlrU vierteljährlich, 3 Thaler sür das ganze Jahr, ohne Er Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der AUz.Pr. StaaiS- Aeüunz in Berlin in der Expedition Mohren-Straß« Nr. 34); in der Provinz so ivic im Auslande bei de« Wohllöl'l. Post - Aemlern. Literatur des Auslandes. 61. Berlin, Mittwoch den 22. Mai 183A- F r a n k r e ich. Der Geist Moliere's. (AuS einem Englischen Skizzen-Buche! Der Genius des Lustspiels wechselt nicht bloß mit der Zeit, sondern erscheint bei jedem Volte anders. Sitten.und Gebräuche wiederum sind nicht bloß bei den Europäischen Nationen verschieden, sondern wechseln in dem nämlichen Volke von einer Zeit zur anderen. Diese Wandelbarkeit ist ost der schlimmste Feind dec komische» Schrift steller. Unser alles Lustspiel ist ganz von der Buhne verschwunden, und die jetzige Gleichförmigkeit der Sillen bat unseren neuen Schrift stellern eine Quelle der Erfindung verstopft, die so rcickchch floß, als die Menschen noch abgesonderter lebten und die Gesellschaft nicht so eintönig war. Jonson und Shadwell schilderte» uns das, was sie den „Humor" nannten, d. h. die individuelle Charakteristik des ein- jclncn Menschen. Doch mögen Geschmack und Denkweise nsch so unbeständig sev», mögen Sitten und Manieren noch so sehr wechseln, die Grund lage jeder Production des komischen Dichters ist stets die Natur. Ein schöpferischer Geist, durch einen sicheren Instinkt geleitet, wird, obgleich die Gesellschaft seiner Zeit ihm die Modelle zu seinen Zeichnungen liefert, dennoch über sei» Jahrhundert und feine Nation hinauSreichcn. Sein Werk mag mit der Zeit veralten, doch hier kann man sagen, daß die Arbeit das Werk überlebe. Der Geist überdauert die Materie. Was Zeit und Oertlichkcit geliehen hatten, verschwindet; was aber der ewigen Natur angchörle, bleibt. Darum weilt ter Gelehrte noch jetzt so gern bei Aristophancs' scharfem Spott, wiewobl Albens Sillen und seine fremdartige» Persönlich keiten längst dahin find. Moliöre war Schöpfer in der Kunst des Lustspiels, und obgleich seine Personen Zeitgenossen Ludwig's XIV. waren und seine Sit- tenschilderungen," kritisch genommen, nur auf Einen Ort und Eine Zeit anwendbar stnd, so entdeckte doch sein bewundernswürdiger Geist jenen geheimen Pfad der Natur, den selbst bei den berühmtesten Nationen so Wenige sanden. EcrvanleS bleibt einzig in Spanien; Shakespeare ist ein geheiligter Name in England, und Jahrhunderte mögen vergehen, ehe Frankreich wieder einen Moliöre hervorbringt. Die Geschichte dieses komischen Dichters zeigt uns da» mächtige Genie, wie es, im Kampfe mit den widerstrebenbsteu Elementen, sein eigener Schöpfer ist. Wir sehen seine fortschreitende Sclbstbil- dnng, welche sich ihren eigenen noch nie betretenen Weg bahnt, von der Zeit an, wo er noch ein Neuling in seiner Knust war, bis zu jenen glorreichen Tagen, als er Franlreich in seinen Farren einen Plautus, in seiner Compositioii einen Tercnz und in der moralischen Wahrheit seiner Schilderungen einen Menauder schenkte. Moliöre» Schicksal wollte, daß er lange jenen rastlosen Drang des Genius fühlen sollte, der an sich selbst zehrt, bis er dir Nah rung gefunden Hal, die er sucht. Doch er hatte nicht allein dieses qualvolle Treiben zu dulden, sondern er war auch noch so unglück lich, eine falsche Balm zu hetrcten. Und so ging es Vielen^ die dadurch Jahre lang sür sich selbst und sür da« Publikum verloren waren. In niederem Stande geboren, ein Genosse wandernder Schau- spieler, denn Frankreich hatte noch kein Theater, dann bi» an sein Ende Direktor seiner Truppt, die von ihm geschaffenen originellen Charaktere selbst darstellend, mit keinen besseren Mustern vor sich, als Jtaliänischen Farcen all' improvirUa, wird er der Günstling der xrachtliebendsten Monarchen und in die feinsten Zirkel eingeweihl. Ein tiesdenkender Beobachter dieser neuen Scenen und Personen, treibt er bald seinen Spott mir den nröcieuse» ristionlou, den flatter haften Marquis, mit der naiven Lächerlichkeit der Bourgeois und dem übermülhigen Stolz und Egoismus des Parvenü'», und ent larvt mit tieferer Absicht lyid kühnerer Hand das Lügenhafte falscher Anmaßung in jedem Stanke. Seine Scenen haben so viel Wahr heit, daß sie nur lebendige Eriunerungcn scheinen. Seine fruchtbare Leichtigkeit im Zeichnen vorübergehender Thorheilcn, seine große Auffassungsgabe und seine reich auSgestreute Moral bekunden diesen Maler der Menschheit als Dichter und Philosophen und vor Allem als großen moralischen Satiriker. Moliöre hat bewiesen, daß Nie mand mit größerem Erfolge die Sitten seiner Zeil umwandeln kann, als der große komische Dichter. Der junge Pocquelin — dies war sein Familien-Name — war von seinem Vater, einem Tapezier, bestimmt, das Gewerbe, welches die Pocquelin » schon seit vier oder siins Generationen mit Ehren betrieben hatten, sorlzusetzen. Sein Großvater war ein fleißiger Besucher der damaligen kleinen Theater und ließ seinen Enkel ost an seinem Lieblings-Vergnügen Theil nehmen. Die Schauspieler waren gewöhnlich besser als ihre Stücke. Einige hallen die mimische Kunst wirklich zu der Vollkommenheit gebracht, daß ihre Geberden die Sprache ersetzten. Diese lockeren Scenen kunstloser und burlcs ker Stücke waren e», die Moliöre » Genie seine erste Nahrung und Pflege gaben, und nimmer wichen sie aus seiner Phanlaste. Sein Widerwille gegen da» Tapezier-Gewerbe wurde mit jedem Tage ent schietener. Zu vierzehn Jahren endlich wurcc er, als ein „Tangc- nichls" (wie ihn sein Baler nannte), nach Clermont in das Jesuiter- Kollcgium gebracht, wo er süns Jahre lang — die Rechte studirtc. Hier trank er mit langen Zügen au» dem Brunnen der Philosophie und Logik, und manche Tropfen seiner Schulfiudien ergossen sich in die Satire seiner besseren Stücke. Um falsche Gelehrsamkeit und falschen Geschmack lächerlich zu machen, muß man mit den wahre» vertraut sehn Bei seiner Rückkehr nach der Hauptstadt brach die alte Neigung wieder hervor, als er den unnachahmlichen Scaramutz auf dein Jta liänischen Theater barstellen sah. Von der unwiderstehlichen Leiden schaft fottgcrisscn, verließ er seine juristischen Studien und schlo sich einem Liebhaber-Theater an, dessen Mitglieder sich bald in, Stande sahen, Vorstellungen für Geld zu geben. Pocquelin war ihr Direktor und Bildner, denn cr lehne sie, die Natur, die unver- künstelle Natur, in ihrem Spiel nachabmcn, wie cr cs in scinen Schriften ihal. Di« bürgerlichen und religiösen Vorurthcilc der Zeit halten diese klefnen Theater, denn eine National Bühne gab cs Hock, nick», zum Zufluchtsort der Müßiggänger, der Verschwender und selbst der Aus würflinge der Gesellschaft gemacht. Unser junger Abenteurer bot den Pocquelin'» gttlmüthig freien Eintritt an. Da» Anerbieten wurde mit Abschcu verworscn, und man sandte ihm den Familien-Stamm baum zu, um den Abtrünnigen zu beschämen, der sich liedcrlicher- weisc dem Genie ergeben hatte. Um die tapezicrliche Würde seiner Verwandten zu schonen, verbarg steh Pocquelin unter dem unsterb lichen Namen Moliöre. Der künftige Schöpfer de» Französischen Lustspiels war nun 30 Jahr alt, und noch erstreckte sich sein Riis nicht über seine Truppe hinaus, noch war er ein Pilger in der Karavanc eine» wandernden Theaters. Er halte mehrere Farcen und GelegcnheitSstücke geschrie ben, wovon einige, ihrem Titel nach, die Vorläuscr seiner späteren Dichtungrn gewesen zu sev» sbeinen. Nübt allein hatte Mollörc die wahre Richtung seines Genius noch nicht ertanni, sondern cr hätte ihn nicht ärger mißverstehen können, wenn cr wicdcr Advokat geworden wäre; er glaubte sich nämlich vorzüglich sür da» Tragische geschaffen- Er schrieb ein Trauerspiel und trat in Trauerspielen auf. Seine Tragödie wurde zu Bordeaux auSgepfiffen. Der gekränkte Dichter floh nach Grenoblc, aber noch lange ging ihm die unglück liche Tragödie im Kopse herum. Viele Jahre später, als Racine, damals noch cin Jüngling, ihm ein Trauerspiel anbot, da» durch aus nicht zur Aufführung taugte, überreichte ihm Moliöre sein eige ne». „Nehmen Sic dieses", sagte cr, „ich bin überzeugt, daß der Gegenstand höchst tragisch ist, trotz dem, daß cr mir so mißlang." Der große Tragiker eröffnete seilte dramatische Lausbahn mit dieser umgcarbeitctcn Tragödie dcs Komikers; es war die Thebaide. Ein höchst merkwürdiger Zug in dem Gemälde dieses großen komischen Lichter ist es, daß er einer der ernsteste,i Menschen und sogar melancholischen Temperamentes war. Ein Pasquillant schenk eine satirische Komödie aus ihn, worin er als Hhvochonder dargestcllt ist. Boileau, der ihn gewiß genau kanme, bezeichnet ihn al» ,.Oon- tc»,z>Iuiour." Auch aus seinen GestchlSzügen blickt dieser Tiefsinn hervor. Moliöre» Genie, so lange ibm selbst verborgen, vertraute bei seinen ersten Versuchen in einer höheren Region seiner eigenen Kraft noch nickt. Er gebrauchte die Krücke der Nachahmung und pflügte nicht selten mit dem sremdcu Kalbe. Er kopirte ganze Sccncn ans Spanischen Komödien und Jnlrigucn ans Jtaliänischen Novcl- lcnschreibern. Sein einzige» Verdienst war, daß er stc vervollkommnete. Seine zwei ersten Lustspiele, „s/ölourili" und .,l-o clözüt amuuroux," tzie cr nur aus ein ProvinzialThcatei zu bringen wagte, waren Pfropf reiser Spanischer und Jtaliänischcr Lustspiele. Noch sand seine Phan tasie nicht» Originelleres als da» Römische, Jtaliänifchc und Spani sche Drama, den verschlagenen Sklave» de» Terc-nz, de» schadenfrohe»