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Zugleich weit verbreitet in den Städten Penig, Lunzenau, Lichtenstein-Callnberg und in dm Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, Bräunsdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursoorf, Langen» leuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain, Niederwiera, Obergräfenhain, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Rußdorf, Schlagwitz, Schwaben, Steinbach, Wechselburg, Wiederau, Wolkenburg und Ziegelheim. 283. Mittwoch, den 7. December 1887. Witterungsausfichtm für den 7. December: Ziemlich trübes Wetter ohne wesentliche Temperaturänderung. Barometerstand am 6. December, nachmittags 3 Uhr: 758 nun. "Waldenburg, 6. December 1887. Der Pariser parlamentarische Staatsstreich, durch welchen Präsident Grevy von seinem Amte beseitigt wurde, hat eine außerordentlich große Bedeutung. Die Deputirtenkammer hat Grevy zum Rücktritt nicht nur aufgefordert, sie hat auch die bestimmte Erwartung ausgesprochen, daß er gehen werde. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine verblümte Absetzung, und ' dazu hatte die Kammer, so begreiflich auch ihr Vor- § gehen gegen den zuletzt eigensinnigen Grevy ist, kein ! Recht. Des Präsidenten Stellung war wegen der j Wilson-Affaire unhaltbar; aber eben dieser Präsi- i dent war verfassungsmäßig auf sieben Jahre zum j Oberhaupte der französischen Republik gewählt, und : während dieser Zeit unabsetzbar. Der Beschluß der ! Deputirtenkammer ist deshalb im Grunde genommen i ein Bruch der Verfassung, ein Staatsstreich, der in dieser Form zum ersten Mal zum Ausdruck gebracht ist: Die Kammer hat sich als höchste Gewalt hinge stellt in Frankreich, als eine Gewalt, vor der sich Alles zu beugen hat, gegen deren Ausspruch es keine Rekla mation giebt. Darin liegt das Bedenkliche des Aus ganges der letzten Präsidentenkrisis. Im Interesse der Würde des Staates war es nothwendig, daß Grevy ' ging, aber die Wahrung dieses Interesses gab doch noch keinen Anlaß zum Bruch der Verfassung. Die Deputirtenkammer hat, wie die Ereignisse der letzten Jahre lehren, mit den Ministerien oft ungemein kur zen Proceß gemacht; geradezu leichtsinnig sind von einzelnen böswilligen Parteiführern Ministerkrisen heraufbeschworen worden, deren Hereinbrechen durch die eigenartige Zusammensetzung der Kammer geför dert wurde. Die gesetzgebenden Körperschaften sollen leidenschaftslos, fern von persönlichem Haß sein, und nur das Ganze ins Auge fassen. Davon ist aber nirgends weniger zu bemerken, als im Pariser Parla ment. Jntriguen schaffen dort oft den Erfolg, und das ist bedenklich. Wie man einen Präsidenten der Republik trotz aller Verfassungsbestimmungen aus dem Elyseepalaste ent fernt, das weiß man nun. Wer garantirt dafür, daß dieser Versuch nicht früher oder später einen Nach folger findet? Die Monarchisten sind mit Allem ein verstanden, was geeignet ist, das Ansehen der republi kanischen Staatsform im Lande zu untergraben, und nichts thäte dies mehr, als wenn zu den häufigen Mi nisterkrisen nun auch noch Präsidentenkrisen hinzutre ten ivürden. Die Radikalen dürsten ihrerseits darnach, an die Gewalt zu kommen, und zur Erreichung die ses Zweckes ist jedes Mittel ihnen recht. Wer weiß, ob sie nicht schließlich einen Präsidenten, der gemäßigte Männer als Minister vorzieht, zum Fall bringen werden, um ein Staatsoberhaupt nach ihrem Sinne durchzusetzen? Der neue Präsident der Republik kennt zur Genüge die Gefahr, welche ihm von dieser Seite her droht und wird ihr zu begegnen wissen müssen. Carnot ist ein ruhiger Mann, dem nichts ferner liegt, als sich in excentrische Abenteuer zu stürzen, in welche gewisse Leute Frankreich gern drängen möchten. Die Partei der Radikalen kann ebenso wenig die seinige sein, wie die der Boulangisten. Der Präsident hat die redliche Absicht, die Parteien zu versöhnen, und er wird zu dem Zwecke mit allen hervorragenden Parteichefs Besprechungen halten. Aber zu seinem Ziele kommen wird er schwerlich. Ja, es mag ihm gelingen, für ein paar Monate die Ruhe in der Kammer herzu stellen, aber dann wird auch der Kampf um die Macht mit vermehrter Heftigkeit beginnen, denn dieser ist der - Kernpunkt aller parlamentarischen Streitereien in Pa- ! ris. Deutschland wird bei alledem als ruhiger Zu- ? schauer stehen; für uns kommt ein directes Interesse j erst dann in Anbetracht, wenn in Paris versucht wer- : den sollte, den inneren Wirrwarr durch den auswär tigen zu beseitigen, und das geht denn doch nicht so schnell. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Kaiser Wilhelm nahm am Montag Vormittag den Vortrag des Grafen Perponcher entgegen, arbeitete mit dem Geheimrath von Wilmowski und hatte am Nachmittag eine Conferenz mit dem Grafen Herbert Bismarck, der Sonnabend in Friedrichsruhe gewesen war. Die Nachrichten, Graf Herbert werde in Ange legenheit der gefälschten Urkunden nach Petersburg reisen, finden bis jetzt keine Bestätigung. Der deutsche Kronprinz macht in San Remo täglich Promenaden, sein Befinden ist un verändert, nur die Stimme ist etwas bedeckt. Am Sonnabend besuchten der Prinz Heinrich und seine Schwestern die Theatervorstellung und wurden mit einer sympathischen Ovation empfangen. Die Kapelle intonirte die Nationalhymne. Or. Krause, der leitende Arzt in San Remo, erklärt öffentlich, er habe keiner Zeitung Mittheilungen über Befinden oder Behandlung des Kronprinzen gemacht. Ein amtliches Bulletin wird demnächst wieder im Reichsanzeiger erscheinen. Neulich wurde mitgetheilt, dem Kronprinzen sei aller Zucker genuß untersagt. Es soll das auf der Erforschung eines Wiener Arztes beruhen, der gefunden hat, daß bei Krebskranken das Blut einen Zuckergehalt besitzt, den das Blut normaler Menschen nicht aufweist. In der deutschen Kirche zu Stockholm sind Fürbitten für den Kronpinzen eingeführt, ebenso in sämmtlichen anglika nischen und Presbyterianer-Kirchen in Melbourne. Der geplante Besuch König Humberts in San Remo ist vertagt. Die Getreidezollcommission des Reichstages tagte am Montag über drei Stunden. Es waren zwei wichtige Abänderungsanträge eingegangen. Frhr. von Ow beantragte, sämmtliche bestehende Getreidezölle um ein Drittel zu erhöhen (den Korn- und Weizenzoll also auf 4,50 pr. 100 Kilo), Abg. Windthorst wollte den Weizen- und Roggenzoll allein auf 4 Mark er höhen. Der Regierungscommissar hielt an der Re- . gierungsvorlage fest. Ein Beschluß wurde noch nicht gefaßt. Die Budgetcommission berieth am Montag den Etat der Reichseisenbahnen und des Reichsamtes des Innern. Beide Etats wurden ohne Abänderung ge nehmigt. Eine Discussion entstand allein über Hoch seefischerei und über die Weltausstellung in Melbourne. Staatssekretär von Bötticher erklärte: Anfangs hätten die Interessenten auf eine Betheiligung stark hingear beitet, jetzt aber verhielten sie sich sehr kühl dazu. Aus Paris wird der „Köln. Ztg." telegraphirt: Wie ich aus zuverlässiger Quelle erfahre, entfaltet die französische Gesandtschaft in Brüssel eine sehr rege Thätigkeit, um die belgische Regierung zu veranlassen, die bevorstehenden Geschützbestellungen nicht mehr, wie bisher, an die Kruppsche Gußstahlfabrik in Essen zu richten. Für den schlimmsten Fall suchte der Gesandte, aber vergebens, dahin zu wirken, daß wenigstens die Geschütze für die Lütticher Werke, weil diese gegen Deutschland gerichtet seien, in Frankreich bestellt würden, während die für die weniger bedeutenden, gegen Frank reich gerichteten Festungswerke Namurs, von Deutsch land bezogen werden könnten. Der französischen Re gierung ist es offenbar darum zu thun, in die belgische Landesvertheidigung Verwirrung zu bringen. Der preußische Bolkswirthschaftsrath begann am Montag Vormittag im Herrenhause zu Berlin seine Berathungen. Bon Seiten der Regierung waren anwesend außer dem Staatssekretär von Bötticher als Leiter der Berathungen Unterstaatssekretär Magdeburg, Ministerialdirector Bosse. Herr von Bötticher begrüßte die Versammlung, deren Berathungsthema nur die Altersversorgung ist. Es wurde beschlossen, die Vor lage an einen Ausschuß zu überweisen, welcher aus je 5 Mitgliedern der 3 Sectionen und 10 von der Re gierung zu ernennenden Mitgliedern besteht. Die Be schlüsse des Ausschusses sollen dann im Plenum zur Berathung gelangen. Man trat sofort in eine Ge- neraldiscussion ein, welche sich im Allgemeinen zu Gunsten der Vorlage aussprach. Dem Professor Theodor Mommsen in Berlin ist zu seinem 70. Geburtstage die große goldene Me daille für Wissenschaft verliehen worden. Dänemark. In Kopenhagen ist am Montag der dänische Reichs tag wieder zusammengetreten. Frankreich. Präsident Carnot empfing am Sonntag im Elysee- Palaste den Besuch seines Vorgängers Grevy und das Ministerium Rouvier, welches seine Entlassung gab. Der Präsident sagte den Herren seinen Dank für ihre patriotische Ergebenheit und bat sie, zur Er ledigung der laufenden Geschäfte einstweilen auf dem Posten noch zu bleiben. Carnot empfing die Partei chefs und die Kammerpräsidenten zur Berathung über die gegenwärtige Lage. Die Kammer soll am 15. d. nach Votirung des provisorischen Budgets im Hin blick auf die bevorstehenden Ersatzwahlen zum Senat vertagt werden. Die republikanischen Blätter fordern einstimmig eine Politik der Beruhigung und des Friedens. Die monarchistischen Journale bezweifeln, daß der Frieden lange dauern wird. Am Sonntag sind in etwa dreißig Departements die Wahlmänner für die Ergänzung eines Drittels des Senates ernannt worden. Die Mehrheit der Gewählten sind Republikaner. Vom Präsidenten Carnot seien noch folgende Per sonalien mitgetheilt: Er ist ein stattlicher Mann mit einem von schwarzem Barte umrahmten Gesicht. Der Gesichtsausdruck ist ernst, fast traurig. Carnot ist verheirathet und hat eine sehr liebenswürdige Gemahlin. Von dem Grafentitel, der seiner Familie rechtmäßig zukommt, habm er und sein Vater niemals Gebrauch gemacht. Die Mutter des Präsidenten ist eineAegyp- terin. Daher rührt der auffallende Vorname Sadi. Die radikale Presse beginnt einen wüthenden Feld zug gegen General Saussier, den Generalgouver neur von Paris, der die Sünde begangen hat, vor treffliche Maßnahmen zur sofortigen Niederschlagung eines etwaigen Aufstandes zu treffen. Wahrscheinlich ist die Bildung eines Coalitions- ministeriums aus den republikanischen Hauptparteien. Ueber die Constituirung desselben kann aber doch noch diese Woche vergehen. Der deutsche Botschafter Graf Münster besuchte den Minister des Auswärtigen Flou-