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ImöMr Anzeiger und ' ' Tageblatt. Amtsblatt deS Kgl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Kgl. Gerichtsämter und der Stadträthe zu Freiberg u. Brand ^-122. Erscheint I. Freiberg jed. Wochen«. Ab. 6 U. für den and. Tag. Jnser. werden bi« V. 1t U. für nächste Nr. angen. Donnerstag, den 30. Mai Preis vierteljährl. 20 Ngr. Inserate werden die gespaltene Zeile oder deren Raum mit 8 Pf. berechnet. 1872 Freiberg, 30. Mai 1872. i. Es ist nicht allein das natürliche Interesse für einen großen und seit so lange tonangebenden Culturstaat, welches wir für Frank reich hegen, sondern das Gewaltsame und Dramatische seiner neuesten Geschichte ruft von selbst eine Aufmerksamkeit wach, deren sich kein anderer Staat — wenn man so sagen darf — erfreut. Vor Jahresfrist war eS, daß nach den furchtbaren Niederlagen im frevelhaft aufgerufenen Kampfe gegen die Deutschen die franzö sischen Truppen unter Mac Mahon einen zwar nicht glorreichen, doch für Frankreich äußerst wichtigen Sieg erfochten. In den letzten Tagen des Mai 1871 wurde im brennenden Paris der wahnwitzigen Herrschaft der Commune ein Ende gemacht. Die Republik des Herrn ThierS hatte die Gesellschaft gerettet; dies konnte sie wohl als ein Verdienst und deshalb auch als einen Rechtstitel für ihre Existenz hervorheben, den sie in dem Gambetta'schen „Krieg bi« auf's Messer" gewiß nicht erworben hatte. Seit jener Zeit hat kein Feind ernstlich die Republik behin dert, zu thun, was ihr gut und nützlich schien. Darf man aber nun nach einem Jahre ihren Werth nicht nach dem Titel, sondern nach ihren Thaten abmessen, so wird es schwerlich Jemanden geben, der sich für Herrn ThierS, für die souveräne Nationalversammlung und für das bisherige Regiment begeisterte. An schönen Reden und Phrasen hat es nicht gefehlt, aber an Thaten ist wenig geleistet und überwiegend waren es keine guten, geschweige denn große Tha ten. Die Gesetzgebung hat eine unendliche Aufgabe gehabt, aber sie ist nicht viel weiter vorgedrungen, als zu Bedürfnissen des Ta ges, und nicht einmal die nsthwendigen Steuer- und militärischen Rcformgesetze sind zu Stande gekommen. Thiers, nicht ohne Ge schick für diplomatische Kniffe, ist doch nur ein kleinlicher Staats mann, dem der Blick aus'S Große abgeht; die Nationalversamm lung bildet wenig Anderes als eine Gesellschaft, in welcher die ver schiedenen Parteien ihren Ehrgeiz verfolgen und keine stark und edel genug ist, sich ohne Selbstsucht nur dem Dienste deS doch so hilfe bedürftigen Vaterlandes zu widmen. Hervorragend ist das Wesen dieser Versammlung ein dünkel hafter Absolutismus, der sich als schlimmer erweiset, als selbst der Napoleonische, und unmöglich geeignet sein kann, der Sache der Re publik in Frankreich, wie auch anderwärts günstig zu stimmen. Statt Strenge mit Weisheit ist Willkür mit Niedrigkeit am Ru der. Freiheit ist ein schaler, verlachter Begriff bei diesen blauen Republikanern, wie er bei ven rothen ein Wahnwitz ist. Eine wilde Reaction hat sich der Herrschaft bemächtigt und beschäftigt sich eifrig nur mit dem traurigen Gewerbe des Nachrichters und Henkers. Denn wenn Sühne für politische Schuld auch dem Gerechtigkeits gefühl der Nation entsprechen mag, so ist das Schauspiel, welches die Rachsucht seit Jahresfrist in Frankreich aufführt, doch noch dem allgemeinen menschlichen Bewußtsein viel widerwärtiger. Sind es nicht die Schuldigen selbst, die sich da zu Richtern aufwerfen, nicht die Hehler, welche über die Diebe urtheilen wollen? Ist es nicht ein Hohn, daß die Partei von heute sich an der Vergangenheit für schuldlos und die damals herrschende Partei für die Verbrecherin am Baterlande erklärt? Welch' eine niedrige, politische BerfolgungS- sucht, auSgeübt von einer Republik, die sich doch in Grundsätzen und im Handeln weit erhoben über Despotenregiment hält! Die Kriegsgerichte sind denn auch der richtigste Ausdruck der jetzigen Wirthschaft. Seit Jahresfrist haben sie über dreißigtausend meist aufgeraffte Menschen geurtheilt und an zehntausend von ihnen sich durch Verbiete gerächt. Noch immer knallen auf der Ebene von Satorh die Chassepots, um Communisten zu erschießen. Der Gerechtigkeit ist mit solchen Blutopfern schon längst Genüge ge schehen, nicht aber der Rachsucht, welcher ungehindert Spielraum gegeben ist und die eine edlere, bessere Einsicht noch nicht zu dämpfe« vermöchte. Diese Rächer von heute säen Drachenzähne und ver erben ihrem Vaterlande damit die blutige Ernte der Zukunft. Tagesgeschichte. Dresden, 28. Mai. Unser Königshaus ist durch die aus. Wien eingegangene Meldung von dem heute Morgen erfolgtem Ableben Ihrer kaiserlichen Hoheit der Frau Erzherzogin Sophie, der Mutter deS Kaisers von Oesterreich, in tiefe Trauer versetzt worden. Die hohe Verewigte, geb. am 27. Januar 1805, deS König« Maximilian I. von Bayern Tochter, Schwester Ihrer Majestät unserer Königin und Zwillingsschwester Ihrer Majestät der Königin-Wittwe Maria (Allerhöchstwelche Sich vor einigen Tagen an das Krankenlager Ihrer durchlauchtigsten Schwester nach Wien begeben hat), war seit dem 4. November 1824 vermählt mit Sr. kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Franz Karl von Oesterreich, welcher Ehe 5 Kinder ent sprossen: Se. Maj. der Kaiser Franz Joseph, die Erzherzöge Fer dinand Maximilian (j- 19. Januar 1867 in Queretaro als Kaiser von Mexico), Karl Ludwig (in erster Ehe vermählt mit unserer Königstochter Prinzessin Margarethe) und Ludwig Victor und die Erzherzogin Maria (f 1840). Die hochselige Erzherzogin pflegte fast regelmäßig, und gewöhnlich gleichzeitig mit Ihrer Schwester, der Königin Elisabeth von Preußen, jeden Sommer Ihre königlichen Schwestern in Sachsen zu besuchen und dann auf der Weinbergs villa Ihrer Maj. der Königin Maria bei Wachwitz Wohnung zu nehmen. Der königl. Hof hat heute bereits aus 6 Wochen Trauer angelegt. Berlin, 28. Mai. Der Reichstag nahm in der Schlußab stimmung das Brausteuergesetz an, genehmigte in erster und zweiter Lesung die Postverträge mit Portugal und Oesterreich, genehmigte ferner sämmtliche Positionen des Marineetats pro 1873 und 1872 nach den Commissionsanträgen und erledigte die zweite Berathung deS Einnahmeetats von Zöllen und Verbrauchssteuern. — Osficiös wird von hier geschrieben: Die europäische 8ou« serenz zur Berathung der socialen Frage taucht in verschiedenen Variationen auf. Das Gerücht, als ob von Seiten der deutschen Regierung neuerdings die Anregung zu einer solchen Conferenz ergangen sei, ist von zuverlässiger Seite widerlegt worden. Nun heißt es wieder, österreichische Anträge in derselben Richtung seien von der deutschen Reichsregierung abgelehnt worden. Dem gegen über ist hervorzuheben, daß die Angelegenheit in neuerer Zeit über haupt nicht in ein weiteres Stadium getreten ist und daß es zu bestimmten Vorschlägen für eine europäische Conferenz noch gar nicht gekommen sein soll. — Anläßlich der neuesten Bersügung an den Bischof von Ermeland dürfte, wie dem „Fr. I." aus Fulda berichtet wird, alsbald eine abermalige Conferenz der preußischen Bischöfe be vorstehen.