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WiMMMNgM Wochen- und Uachrichtsblntt zugleich EMts-Anzeizer fiir SohnSttf, Wdlih, Btrisdorf, UMf, St. kgiSieii, HeiNiPort, Maricnlin mS Miilsc«. Amtsblatt für be« Stadtrat zu Lichtenstein. — —— 40. Jahrgang. —— Nr. 78. Freitag, den 4. April 1890. Dieses Blatt erscheint täglich (außer Sonn- und Festtags) abends für den folgenden Tag. Vierteljährlicher Bezugspreis 1 Mark 25 Pf. — Einzelne Nummer 10 Pfennige. — Bestellungen nehmen außer der Expedition in Lichtenstein, Markt 179, alle Kaiser!. Postanstalten, Postboten, sowie die Austräger entgegen. — Inserate werden die viergespaltene Korpuszeile oder deren Raum mit 10 Pfennigen berechnet. — Annahme der Inserate täglich bis spätestens vormittag 10 Uhr. Die nächste Nummer dieses Blattes erscheint des Charfreitages wegen Sonnabend Abend. Die Resultate der Berliner Arbeiterschutz- I Konferenz werden vielfach in der deutschen und ausländischen Presse besprochen. Die Ansichten über den Wert der gefaßten Beschlüsse gehen auseinander; auf der einen Seite verspricht man sich gute Folgen aus denselben, auf der anderen glaubt man, daß noch viel Wasser den Berg hinunterfließen wird, bis sich praktische Re sultate ergeben werden. Demgegenüber ist hervorzu heben, daß, wenn man ein Haus bauen will, man nicht gleich mit dem Dache anfängt, sondern zu aller erst einen geeigneten Platz aussucht, die Schwierigkeiten des Neubaues reiflich abwägt und dann mit dem Fundament beginnt. So auch hier! Die internationale Arbciterschutzkonferenz hat nur Empfehlungen in der Richtung ausgesprochen, was wohl zum mindesten fiir die Arbeiter geschehen könnte. Diese Empfehlungen sind, das wollen wir nicht übersehen, mitunter aller dings gar zu vorsichtig und gar zu wenig inhaltreich; man hat hier und da schöne Phrasen gedrechselt, während in Wahrheit die Verhältnisse schon viel weiter gediehen sind. Aber der Konferenz ist daraus kein Vorwurf zu machen. Denken wir daran, daß die Versammlung zwar schnell, aber nicht leicht, zu Stande gekommen ist, daß die französischen Revanchepolitiker und die belgischen und englischen Groß-Unternehmer heute noch von dem ganzen Werke nichts wissen wol len, daß viele Abgesandte nach ihrem eigenen offenen Wort mit der Ansicht nach Berlin gekommen sind, aus der ganzen Arbeiterschutzkonferenz werde nichts herauskommen! An offenen und versteckten Gegnern, an Gleichgiltigen hat es also nicht gefehlt, und sollte die Konferenz wirklichen Erfolg haben, so mußte alles vermieden werden, was diese Elemente vor den Kopf stoßen konnte. Darum die vorsichtige Fassung der Beschlüsse, über die sich nun die Regierungen zu äußern haben werden; sie bilden die Grundlage, auf welcher später weiter gebaut werden kann. Den Haupterfolg der internationalen Arbeiter schutz-Konferenz wird man nicht so sehr in ihren Beschlüssen, denn vielfach sagen sie wirklich nichts Neues, sondern darin erblicken können und müssen, daß für die sehr heikle und dornige soziale Frage ein rechtliches internationales Forum geschaffen ist, auf welchem diese Angelegenheiten in Zukunft weiter behandelt werden können. Der Anfang ist gemacht, das war die Hauptsache, und im klebrigen wissen praktische Leute ja am besten, daß kein Baum auf den ersten Hieb fällt. Aber da, wo sich der Wider stand gegen die internationale Arbeiterschutzgesetz gebung breit macht, wird es auch an Bekämpfern dieses Widerstandes nicht fehlen. Die Zeit treibt vorwärts, darüber besteht kein Zweifel, und in Loudon, wie in Brüssel und Paris werden die Ge danken schon von selbst andere werden. Der schwie rigste Punkt bei einer internationalen Arbeiterschutz gesetzgebung ist unstreitig die Regelung der Arbeit in den Bergwerken. Was die Konferenz darüber hat sagen können, ist entweder nicht neu, oder sonst so allgemein gehalten, daß es ohne Wert ist. Aber gerade diese Angelegenheit ist die brennendste, denn die Ausstände der Bergleute in den Kohlenrevieren gehen, den Ländern nach, die Reihe herum. Zur Erörterung dieser Angelegenheiten wird eine be sondere Konferenz notwendig werden, und wenn auch in London, wie Paris herzlich wenig Neigung be steht, einer internationalen Regelung dieser Sache näher zu treten, man wird müssen, was man frei willig verweigert, wenn nicht gleich, so später. Wie sich diese Regelung gestalten wird, läßt sich im Augenblick nicht absehen. Daß die Arbeiter sie durch ruhiges und gesetzmäßiges Verhalten sehr fördern können, ist aber außer Zweifel. Der deutsche Kaiser hat die Arbeiterschutzkonferenz nach Berlin berufen, für Deutschland wird sich also auch die Ehrenpflicht ergeben, zuerst an die praktische Ausführung heranzutreten, soweit dies auf Grund der Konferenz-Beschlüsse möglich ist. Der Reichstag hat wiederholt schon über den Schutz der Frauen- und Kinder-Arbeit, sowie über die Frage der Sonntags ruhe beraten, und auch im neuen Parlament wird es nicht schwer sein, hierüber bindende Gesetzesparagraphen festzustellen, welche berechtigten Wünschen entsprechen, ohne doch die Industrie zu schädigen. Mit der Auf stellung eines Arbeiterschutzgesetzes werden freilich die Wünsche der gesamten Arbeiterschaft noch lange nicht befriedigt sein, aber ein großer Teil davon wird doch einseheu, daß mehr und mehr für sie gethan wird. Deutschland ist heute bereits anderen Staaten in der sozialen Gesetzgebung weit voraus. Auf Befehl Kaiser Wilhelm's II. sind in den staatlichen Betrieben Arbeiterausschüsse eingerichtet worden; aus französischen Staatsbetrieben ist kürzlich an die Pariser Regierung dasselbe Ansinnen gestellt, aber einfach abgeschlagen worden trotz der vielgerühmten „Gleichheit!" Es ist zu bedauern, daß es leider un möglich ist, die Arbeiter außer Landes zu schicken und sich in fremden Staaten ihr Brot verdienen zu lassen; man würde mit merkwürdigen Erfahrungen heimkehren. Die deutsche Gutmütigkeit findet sich im Auslande nur herzlich selten, und erst recht nicht das prompte Zahlungssystem. Wenn man die Straßen der deutschen Großstädte durchschreitet, so begegnet man selten oder fast nie zerlumpten Gestalten, welche der Hunger und die Verdienstlosigkeit zum Betteln antreiben. Man gehe nur aus Deutschland heraus, suche die Arbeiterviertel in Loudon, Paris, Rom, Brüssel auf, und mit Schrecken wird man auf die Gestalten blicken, die sich dort zeigen. Es sind dort Verhältnisse, die wir in Deutschland hoffentlich nie erleben werden. Mag darum die Glocke des Präsi denten der Berliner Konferenz das erste leise Zeichen eines sozialen Friedens gewesen sein. TagesgefchichLe. *— Lichtenstein. Nach den Bestimmungen des Gesetzes, die Sonn-, Fest- und Bußtagsfeier betr., ist der Charfreitag als ganzer Feiertag in höchster Stille zu feiern, und ist an diesem Tage nur der Verkauf von Eß- und Materialwaren, sowie der Kleinhandel mit Heizungs- und Beleuchtun gs-Material außer der Zeit des Bvrmittagsgottesdienstesnachgelassen. Früher war der Charfreitag nur ein halber Feiertag; erst seit 59 Jahren infolge des Reskripts vom 13. Januar 1831 wird er als ganzer Feiertag begangen. — Der Geburtstag des Fürsten Bismarck ist nach vorliegenden Nachrichten im ganzen deutschen Reiche festlich begangen worden. — Am Dienstag früh ist in besonders hoch gelegenen Distrikten des Erzgebirges etwas Schnee gefallen, und in der Nacht haben die Thermometer stellenweise bis über 2 Grad Kälte gemeldet. — Mit dem 1. April ist die neue Armee- Einteilung eingetreten. Seit Anfang der siebziger Jahre sind in diesem Umfange Truppenverlegungen nicht mehr vorgenommen worden. Während bisher für die Truppenverteilung verwaltungstechnische Rück sichten nnd die Ausbildung der Truppen mehr maß gebend waren, ist nach dem neuen Plan mehr der strategische Aufmarsch der Grundgedanke. Nach der neuen Einteilung wird die militärische Front nach Frankreich zu durch drei deutsche Armeekorps (XIV. XV. XVI.), die Front gegen Rußland durch vier Armeekorps (I. II. V. XVII.) geschützt sein. — Zur Arbeiterschutzkonferenz für Handlungs gehilfen, besonders zur kaufmännischen Sonntags ruhe, und der gegenwärtigen Reformbewegung schreibt die „Kaufm. Reform", das Organ des „Verbandes deutscher Handlungsgehilfen" : Wenn es noch einige schwachmütige Seelen in unseren Kreisen giebt, die da glauben, daß einzig und allein die Handlungs gehilfen von der Wohlthat der Sonntagsruhe aus geschlossen werden würden, so können wir diesen nur Vorhalten, daß, falls diese Beschlüsse in den einzelnen Ländern Gesetz werden, woran doch eigent lich nicht zu zweifeln ist, es einen zu grellen Gegen satz geben würde, wenn vom Kap Finistere bis zu den Karpathen, vom Kap Passaro bis zum Noro- Kap die industriellen Arbeiter Sonntags feiern wollten und nur die Handlungsgehilfen hinter den Pulten sitzen oder hinter den Ladentischen stehen und mit sehnsüchtigem Verlangen den Spazierengehendeu nach blicken sollten. Tritt einmal eine Reform in diesem Sinne ein, so tritt sie für alle Arbeiter ein, und weder die Handlungsgehilfen noch die Beamten, so weit dies bei denen ermöglicht wird, werden davon ausgeschlossen. Daß wir aber geeigneten Ortes wegen dieser Angelegenheit vorstellig werden und diese Frage mit Nachdruck betreiben, das ist wohl selbst verständlich. — Zu den bekanntesten und beliebtesten Arbeiten der christlichen Liebe gehört die Verbreitung des Bibel buches in unserem Volke. Jeder wahre Volksfreund kann auch nur dringend wünschen, daß das Buch aller Bücher in alle Häuser und in alle Hände gelange; es enthält ja die rechten Heilmittel auch für die Schäden, an denen die Gegenwart leidet; es predigt unparteiisch und gerecht, nach oben wie nach unten, bald strafend, bald lockend die Wahrheit, die einzig und allein im Stande ist, dem Menschenherzen für Zeit und Ewigkeit, für Leben und Sterben den Frieden zu bringen. Es ist am bevorstehenden Osterfeste Gelegenheit gegeben, für die Verbreitung dieses unseres Bibelbuches etwas zu thun, denn es wird zu diesem Zwecke in den Kirchen eine Kollekte eingesammelt. Vor einem Jahre feierte unsere sächsische Bibelgesellschaft ihr 75stähriges Jubiläum, denn es war am 10. August 1814, als sie von 27 christlich gesinnten Männern begründet wurde. Es ist eine große Arbeit, die in diesen 75 Jahren gethan worden ist; es wurden allein im letzten Jahre über 30,000 Stück Bibeln, neue Testamente und Psalmbüchlein verbreitet. Im Ganzen aber kamen über 790,000 Exemplare zur Ausgabe. Besonders schön und würdig sind die Konfirmanden- uud Traubibeln ausgestattet, und gewiß sind gerade sie berufen, einen gesegneten Dienst an den Seelen zu thun. Ein in diesen Tagen ausgegebenes Bibelblatt, das bei den Gottesdiensten des Osterfestes verteilt werden soll, giebt über das alles nähere Auskunft. Möge die Sache auch diesmal recht viele offene Herzen und Hände finden! — Zur Statistik der im Königreich Sachsen bestraften Bettler und Vagabunden liegen die Er gebnisse von 1880 bis 1888 vor. Ein Vergleich des Anfangs- und Endjahres ergiebt, daß die Bestrafungs fälle um 9 469, d. s. etwa 72 Proz., die bestraften Personen um 5608, d. s. 40 Proz., abgenommen haben. Die Anstrengungen, welche Staat, Kirche, Schule, Gemeinde und das freie Vereiuswesen im Bunde mit der Presse gerade im letzten Jahrzehnt im erhöhten Maße für die Verbesserung der Armen pflege und der sozialen und sittlichen Zustände ge macht haben, scheinen mithin doch nach und nach hier Früchte zu bringen. — Auf dem Leipziger Bahnhofe zu Dresden entnahm vorigen Donnerstag ein 11 jähriger Knabe an der Billetkasse einen Fahrschein 1. Klasse nach Leipzig. Da der Knabe auch sonst auffällig war, unterzog man ihn einer Prüfung und ergab sich, daß