Volltext Seite (XML)
Mittwoch. —Nr. 215.— 15. September 1858. Leipsig. Di« Zeiwxg «r- sch«t»t mit Auinahme »«« L,»Ptag« ttglich nachmittag« für den folgend«» Tag Prn« für da« Vierteljahr l'/, Thlr.; jede einzelne Stumm«r 4 Ngr DMslht Mmem Zkitmg. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch all« Post ämter de« In- und Au«lande«, sowie durch die Erpedliion in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Änscrtion-gebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Die Neugestaltung des deutschen Gewerblebens. Eine Zeitfrage. II. Leipzig, 14. Sept. Es gehören nicht Reihen von glänzenden Orden und Bändern, nicht Titel noch Rang dazu, um von der Gegenwart ge kannt und, auch wenn »in verdienstvolles Wirken nur stil? und geräuschlos sein edles Siel verfolgt, von der Mitwelt anerkannt zu sein. Thaer, der Begründer der neuen rationellen Landwirthschaft, wirkte still für sein gro ßes Werk, und es ist der schönste Nachruf eines Menschen, wenn es, wie von ihm, heißt: er hat für Tauscnhe Brot geschaffen. Ein solches Wirken ohne außercS Gepränge, beseelt durch das hohe Ziel, belohnt durch schon errungene segensreiche Erfolge, ist das von Schulze-Delitzsch für das Klein gewerbe. Die Entstehung und Blüte von weit über fünfzig deutschen Hand- werkervorschußvereinen oder Volksbanken, die Abhülfe tausendfacher Bedräng niß, die Verjüngung und Hebung des innern gewerblichen Lebens gebührt ihm. Wir haben aber später noch andere Punkte hervdrzuhcben, deren Tragweite für die Zukunft sich jetzt nur entfernt bemessen läßt. Die Noth unsers -Handwerkerstandes und die Gefahr, von der Con- cudrenz deS Großbetriebes erdrückt zu werden, ist fast durchweg von dem Handwerkerstand» selbst verschuldet, denn er wollte halsstarrig in seiner al ten Anschauungsweise und dem hergebrachten Betrieb verharren, mochte keine Umbildung derselben nach den rationellen Principien der modernen Wirth- schaftslehre, und seine bedrängte Lage ist ein trauriges Zeugniß, daß er von dem' unttt seinen'Augen wachsenden Großbetriebe rind dessen Grund sätzen noch wenig oder gar nichts gelernt hat. Von Theilung der Arbeit, vvn der modernen Geldwirthschaft, vom Wesen des Kapitals, von einer richtigen Verwerthung der Kräfte und Zeit haben unsere Gcwerbsleute, welche meist ihre Fabrikate unter Verlust kostbarer Zeit und dem Aufwande eines bedeutenden Pachtschillings für kostspielige Läden selbst verkaufen, we nig Keüntntß. Heben wir nur die Arbeitsteilung etwa beim Schuhmacher handwerk beispielsweise heraus, so machen wir nicht die erfreulichsten Er fahrungen. Das deutsche Schuhwcrk ist gegen englisches und französisches daS mindest gut» und zugleich daS plumpeste. Während in Paris an einem Stück fünf bis sieben Prrsonen arbeiten, von denen jeder seine bestimmte Arbeit irgendeines TheilS hat und darin besondere speeielle Geschicklichkeit besitzt, macht bei uns der »ine Arbeiter, natürlich weniger behend und nicht in allem geschickt, in längerer Zeit und folglich gegen beziehungsweise höhern Lohn da- ganze Stück fertig. Wenn dagegen in Leipzig bei der Jnstrumenten- (Pianoforte-) Fabrikation die Arbeitsteilung in ziemlich hohem Grade durch? geführt ist, so hat dieses Verdienst nicht das Kleingewerbe der alten Schule, sondern der schon längst hier herrschende fabrikativc Großbetrieb. Unserm Gewerbe sind in der Fabrikindustrie genügende Fingerzeige ge geben. Es soll und darf nicht klagen, denn das Beklagenswerte wendet sich als eigene Schuld zurück gegen den, der da klagt. Hilf dir selbst, so wird dir Gott helfen. Gerade und nur das Bewußtsein der Nothwendig- keik, -daß- sich unser Gewerbstand selbst helfen muß, die ihm von Schulze- Delitzsch gelehrte und durch tatsächliche Erfolge unterstützte Zuversicht, daß er sich selbst helfen kann, wird ihm neue Lebensfähigkeit verleihen, nach dm neuen Gesetzen der Volkswirtschaft seinen Gewerbebetrieb umzugestal ten, die Intervention oder gar das Almosen des Staats zurückzuweisen und durch genossenschaftlich zusammenwirkmde Thätigkeit einen Gcsammtcredit zu erlangen, mittels eines alle Zeit bereiten größern Kapitals größere Erfolge zu erringen, durch Förderung der Einsicht und des Selbstvertrauens der Arbeiter dir wirtschaftliche Kraft zu erhöhen und sein künftiges LoS besser zu gestalt,». Die genossenschaftlichen Bestrebungen, wie sie Schulze-Delitzsch fcstge- stellt hat, stehen völlig auf der Basis der neuen Volkswirtschaft, wie sie sich schon von vornherein auf das allgemeine Naturgesetz gründen, daß das Zusammenwirken verschiedener menschlicher Kräfte zu einem wirtschaftlichen Zweck dje Wirksamkeit jeder einzelnen Kraft steigert. Sowie die Jsolirung und das Monopol die alte zunftmäßige Zeit kennzeichnet, so steht die Asso ciation und Concurrenz mitten auf dem Boden der neuen Zeit. In der Genossenschaft lernt der Handwerker die Factoren der allgemeinen Wirt schaft kennen, wie sie im Verkehr und der bürgerlichen Gesellschaft über haupt Wirken; er erhält ein kleines!, aber wirkliches Bild, wie Kapital und Arbeit wirken, wie die Kapitalrente, der Zins, nichts Anderes ist als die wohlverdiente Entschädigung für den Kapitalisten, der sein Geld nicht selbst verwendet. Die Genossenschaft sals Ganzes wird Kapitalist, die einzelnen Mitglieder werden zum großen Theil Darlehnsempfänger. Der Handwerker sieht am Jahresabschlusse, wie das Kapital arbeitet, wie er selbst, Kapitalist und Schuldner zugleich, ein großes Interesse daran hat, daß daS Gesammt- kapital wachse und deshalb die Zinsen richtig erlegt werden. Oder die Ge nossenschaft ist auf gemeinsame Arbeit oder gemeinsamen Vertrieb der Fa brikate gerichtet; alsdann ist er Kapitalist und Arbeiter zugleich, und die zweifachen Interessen vereinigen sich in ihm; er sicht daS Kapital unter sei nen Augen sich mehren, er gewinnt als Arbeiter einen Einblick in die wohl- thätige Wirksamkeit eines wirthschaftlich verwalteten Kapitals. Wie die al ten zünftigen Handwerker gegen die Neuzeit, so steht der Arbeiter überhaupt in feindlicher Stellung gegen die Kapitalistenwclt und ist noch weit davon entfernt, die Zinsfordcrung als eine berechtigte, die Kapitalisten als seine Wohlthäter anzusehen; denn nach gewöhnlicher Anschauung Pflegt er ein Darleh» mehr von feiten der Noth, die ihn zu dessen Aufnahme treibt, zu betrachten als wie eine Wohlthat oder ein Opfer seitens des Darleihendens; die Zinsen scheinen ihm eine ungerechte Verkümmerung seines Verdienstes und ein schnöder Gewinn des Kapitalisten, oder er mag, wenn der Kapi talist zugleich Arbeitgeber ist, nicht glauben, daß sein Arbeitslohn eigentlich ein voransbezahlter Antheil am erhofften Gewinn im weitern Sinne ist, sondern grollt in der Meinung, der Arbeitgeber behalte den ganzen Gewinn für flch allein. In der Genossenschaft muß dieser feindliche Kampf gegen das Kapital und eine ganze Klasse der bürgerlichen Gesellschaft sehr bald aufhören. Die verstimmten Gemüther werden durch unmittelbare Anschauung der Kapital- wirthschaft versöhnt, und die Harmonie der sonst sich entgegenstehenden In teressen weckt zu neuem Leben, neuer Thätigkeit, zur Sparsamkeit auf; mit der Einsicht wächst seine Kraft, durch sich selbst fortzubestehen und empor zukommen ohne Staatshülfe und Almosen^, wächst der Eifer, die gewynne- nen Grundsätze über Kapitalwirthschaft, Arbeitstheilung, Zeit- und ArbeitS- ersparniß aus der Genossenschaft in seine Privatwirthschaft überzutragen. In dem Vorigen liegt die große Bedeutung der Genossenschaften für unsere socialen Zustände, tvelche keiner Negierung entgehen sollte, die große Bedeutung, welche die Ablenkung des Handwerkers von zünftig-monopoli stischen Vorstellungen und Träumen, deS Arbeiters von communistischen Ideen, kurz die Aussöhnung des erstern mit der Neugestaltung unsers Ge werblebens, des letztem mit der ganzen heutigen bürgerlichen Gesellschaft hat. Es wird sich niemand verschweigen, daß unser mehr und mehr herab kommendes Kleingewerbe, unser um sich greifendes Proletariat einer Lösung zudrängt, daß diese unsere socialen Zustände wie ein von fern drohendes Gewitter über der bürgerlichen Gesellschaft Heraufziehen, gegen welches keine Soldatenmacht helfen würde. Die Zustände haben ihren Grund in der nach unabänderlichen- Gesetzen vorwärtsschreitenden Entwickelung der äußern und innern Verhältnisse des Völkerlebens. In jedem Uebel aber liegt zugleich der Fingerzeig seiner Heilung, und diese kann und darf nur eine friedliche sein. Nicht durch Staatsbcvormundung, nicht durch Almosen ist zu heilen, wenn wir nicht in den bejammernswerthen Zustand Belgiens kommen wol len, wo bereits beinahe ein Drittheil der Gesammtbevölkerung Almosen be zieht, wo der Arbeiter in jette GeisteSversnmpfung gerathen ist, die, ohne die Kraft oder den Willen, sich selbst zu helfen, sich allein auf die Wohl- thaten des Staats, der Stiftungen und Privaten verläßt. Wollen wir wirk lich helfen, so muß der Arbeiter auf seine eigene Kraft, seinen Fleiß und seine Geschicklichkeit verwiesen werden als die einzig mögliche Quelle, aus der ihm die wahre Hülfe kommt, und von hier aus betrachtet erhält das Bestreben Schulze's erst seine ganze Würdigung für Gegenwart und Zu kunft. Er hat die Kleingewerbe erst gelehrt, durch Zusammenbringung der kleinen Mittel, durch den Credit, den sie durch solidarische Bürgschaft er werben, Kapitalisten in der Gesammtheit der Genossenschaft zu werden, die Wohlthatcn des Kapitals wie den Segen der Arbeit ganz zu erfassen, das ganze Gewerbe mit neuem Leben zu erfüllen und zu verjüngen, die feind liche Stellung gegen die bürgerliche Gesellschaft aufzugeben und in der Einsicht, daß die Interessen der Arbeit und des Kapitals dieselben sind, sich ihr wiederum versöhnt zu nähern! Deutschland. Preußen. ^Äerlin, 12. Sept. Welche eminente Wichtigkeit ein von der Zollvereinsconferenz zum Beschluß erhobener Antrag Preußens auf Aufhebung sämmtlicher Durch gang szölle für den vereinsländischen Verkehr haben müßte, liegt auf der Hand. Preußen bringt hierdurch dem gemein samen vereinsländischen Interesse ein neues Opfer von gut 300000 Thlr. jährlich. Wir dürfen erwarten, daß insbesondere derjenige Theil der Presse, welcher einer immer freiem Bewegung des Handels huldigt, diesen Antrag freudig begrüßen werde; erwarten dürfen wir aber auch, daß, weil die Folgen des wichtigen Antrags im gleichmäßigen Interesse aller liegen, die sämmtlichen Zollvercinsregierungen von gleicher Opferwilligkeit für das ge meinsame Interesse beseelt sein und darum nicht anstehen werden, den An trag schon recht bald zum Beschluß zu erheben. Was nun die in Bezug auf die Durchfuhrzölle von Oesterreich ausgestellten Desidericn betrifft, so bedarf cs wol noch kaum der besonder» Bemerkung, daß in dem erwähnten Anträge vvn Preußen weit mehr geboten wird, als von österreichischer Seite begehrt worden ist. Es ist dies freilich nicht so engherzig, wie cs von eini-