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Wenn diese nach Ueberstehung ihrer Strafzeit ihre Freiheit wiedererlangt haben, so läßt eS sich die bürgerliche Gesellschaft sowohl als die Verwaltung, aus bloßer Unruhe über den Gebrauch, den sie von ihrer Freiheit machen werden, wenn auch gewiß ungern, doch so viel an ihnen ist, angelegen sepn, durch ihr Mißtrauen und ihre maßlose Ueberwachung diesen Unglücklichen alle Verbindungen und HülfSmittel unmöglich zu machen, durch welche die Rene über ihr vergangenes Leben, wozu die Bestrafung vielleicht geführt hat, be- fördert und befestigt werden könnte. In Wahrheit ist ihnen aller Zugang zu rechtschaffenen Familien untersagt, deren Beispiel nur gut auf sie cinwirken müßte; jeder Eintritt in eine anständige Thätigkeit ist ihnen verschlossen, und so überall nichts als Verachtung findend, sehen sie sich durch die Noth in das Vagabundenlebcn zurückgestoßen und wieder zur Gesellschaft derjenigen ge zwungen, die schon einmal ihre Verführer waren. Fügt man zu diesen Be. trachtungen noch diejenigen, welche man über den in Frankreich noch jetzt so mangelhaften Zustand der Gefängnisse zu machen genöthigt wird, wo das Zu sammenleben der Gefangenen jedes Alters und manchmal auch beiderlei Ge schlechter dahin führt, die Erziehung zum Laster zu verbreiten und zu vervoll kommnen, so wird man einsehen, daß Alles, was sich auf diese sociale Wunde bezieht, alle Anstrengungen, nm Ausbreitung und WachSthum dieses Uebels zu verhindern, Interesse und Theilnahme des Publikums lebhaft erwecken müssen. So stehen die Bemühungen, welche die Verbesserung der Gefängnisse und die theilnehmcnde Beaufsichtigung der Gefangenen bezwecken, unter denen, die uns am Herzen liegen müssen, oben an. Mit dieser Ueberzeugung haben wir den Bericht in die Hand genommen, welchen Herr Berengcr über die Arbeite» der Gesellschaft für Beaufsichtigung der in Freiheit gesetzten jugendlichen Verbrecher im Seine. Departement (Lociete üe kalronsge), während der erste» zehn Jahre ihres Bestehens ver öffentlicht hat. Wir beginnen unsere Mittheilungen daraus damit, daß wir im Auszuge berichten, was das Gefängniß und die speziell für junge Ver haftete — denn nur mit solchen haben wir es hier zu thun — getroffenen Einrichtungen angeht. Und wir sind der Meinung, daß zu einer Zeit, wo die Geister von Allem, was aus die Gefängnisse und die verschiedenen Haft- Systeme Bezug hat, vorweg eingenommen find, die Einzelheiten, welche wir in dem erwähnten Werke gesammelt haben, für unsere Leser nicht ohne Interesse sepn werden. Im Jahre 1817 gründete eine Gesellschaft von Menschenliebe erfüllter Männer, auf die Gefahr aufmerksam, welche in den zahlreichen Gefängnissen von Paris auS der schmähligen Vermischung der verschiedenen Geschlechter und Alterstufen droht, von der städtischen Behörde unterstützt, die ihnen ein Haus mit seinem Mobiliar überwies, die BessernngS-Anstalt in der Straße fies Kren, und vertraute die Leitung derselben den barmherzigen Brüdern an. In de» darauf folgenden 18 Jahren befanden sich hier 280 junge Verbrecher und ge nossen die Wohlthat einer auf ihre Besserung abzwcckenden Erziehung. Die Zahl der Rückfälligen war, sagt man, nie größer als 10 auf >00. Allein dieses Resultat läßt uns keinen Schluß auf die Besserung der jungen Entlassenen machen, weil diese in den verschiedenen Gefängnissen von Paris unter den jenigen ausgewählt wurden, welche auf dem Pfade des Lasters noch wenig vorgeschritten waren. Indessen faßte, durch diesen Versuch aufmerksam ge macht, die Verwaltung den Beschluß, in einem und demselben Lokale, ohne Unterschied und ohne Auswahl, alle Kinder männlichen Geschlechts, unter welchen Titeln sie auch gefangen säßen, aus den Gefängnissen von Paris zu ver einigen. Man brachte sie zuerst nach 8»»»^ - pelagie, wo die politischen Ge fangenen waren; aber die Berührung mit diesen war keine segensreiche, und die Revolten, an denen sie Theil nahmen, ließen die Nothwendigkeit einer be sonderen Besserungs-Anstalt empfinden. So wurden sie 1831 in der Anzahl von 176 nach les jUaüelomiettes übergesiedelt, einer Anstalt, die man für diese Bestimmung so gut als möglich eingerichtet hatte, und das Haus in der Straße üss Kren hörte damit auf. Die Verwaltung hatte hier viel Mühe, eine strenge Disziplin, Unter- wersung unter die Arbeit und die Hausordnung zu begründen. Das Lokal eignete sich überdies wenig dafür; die Arbeiten und Mahlzeiten geschahen ge meinschaftlich, und die Nacht vereinigte alle Kinder in Schlafsälen, wobei man durch eine wirksame Beaufsichtigung so viel als möglich den Nachtheilcn einer solchen Vereinigung zu entgehen suchte. Einige Versucht wurden ge- macht, den Verstand aufzuklärcn und den Charakter der jungen Gefangenen zu bessern; allein ein betrübender Gedanke warf einen Schatten auf die schwachen, durch so viele Sorgfalt gewonnenen Erfolge: Was sollte nämlich nach der Entlassung aus dem Gefängniß aus diesen armen Kindern von einer oberflächlichen Erziehung und nichts weniger als festen Grundsätzen werden, sobald sie den Versuchungen und dem Elende wieder ausgesetzt sepn würden ? Dieser Ausruf des Schmerzes nun rief die 8ociete cke kstrousxe ins Leben, deren Geschichte wir jetzt kurz anzugeben haben. Das Uebel war dringend, eS war ungeheuer ; man nimmt als fest an, daß in dieser Periode (1830 — 33) von 100 aus den Gefängnissen von Paris entlassenen Kindern in den drei ersten Monaten nach ihrer Befreiung 78 dahin zurückgebracht wurden. In dem Gefängnisse le« Msüslonnette« besserte sich indeß das ErziehungS- System von Jahr zu Jahr. Die Arbeit, der endlich alle Kinder unterworfen waren, wurde einträglicher, die Unterweisung in Religion und Sittenlehre war im Fortschreiten; aber die Anlage der Räumlichkeiten führte eine Menge Uebelstände mit sich, wodurch die Sorgfalt der Verwaltung oft nutzlos und unzureichend erschien. Diese der Behörde längst angezeigten Uebelstände führten die Versetzung der jungen Gefangenen nach dem Hause I-s Uoguetto herbei, das viel geräumiger ist als Iss jVIuüsIoimettes; und diese Versetzung geschah im September 183». Ohne Zweifel war dies ein Schritt weiter zu einem besseren Stande der Dinge, aber die Einrichtung des neuen Gefängnisses war noch weit entfernt, dem Zwecke zu entsprechen, den man sich vorgesetzt batte. Für ein anderes System errichtet, paßte eö schlecht für seine gegen- wärtige Bestimmung, und noch schlechter für die, welche man ihm später geben wollte; man erkannte sogar bald, daß eS nicht einmal die wünschenswerthen Bedingungen der Gesundheit erfüllte. Dessenungeachtet wurden 888 Zellen eingerichtet und das Gebäude in 0 Quartiere abgetheilt, welche durch Kor ridore von einander geschieden waren. Ein Quartier enthielt die zur Vorsicht kingebrachten, eines die auf Verlangen ihrer Aeltern eingezogenen, und die vier anderen die verurtheilten Kinder. Des Nachts hatte jedes seine besondere Zelle, bei Tage aber arbeiteten, aßen und empfingen fie den Unterricht gemein schaftlich. Zwei Geistliche, ein katholischer und ein protestantischer, waren am Hause förmlich angestellt-, und so besserte sich der sittliche Zustand von Tage zu Tage. Währenddem nahm die Zahl der Gefangenen auf eine merkliche Weise zu, was jedoch nicht von einer wachsenden Anzahl der Verbrechen herrührte, sondern weil die Gerichtshöfe, welche die Mittel zur sittlichen Wiedergeburt, die die Straf-Anstalt von 3.» U»g»ecre bot, täglich mehr schätzen lernten, eine größere Menge junger Verurtheilter dorthin schickten, welche sich sonst auf die verschiedenen Gefängnisse von Paris vertheilt hatten. Den bedeutendsten Zuwachs bekam jedoch diejenige Klasse junger Leute, welche auf Gesuch ihrer Aeltern verwahrt wurden; in kurzer Zeit sah man ihre Zahl, welche niemals mehr als 14 gewesen war, auf 40 steigen. Fassen wir endlich alle Kategoriecn der jungen Gefangenen zusammen, so stieg ihre Zahl, welche bis 1838 niemals über 300 gegangen war, im Jahre 1836 auf 390, 1837 auf 468 und 1838 auf 600. In dieser letzten Zeit wurde auch das Taschengeld aufgehoben und erhielt eine bessere Bestimmung; diese Aufhebung hatte die andere der täglichen Wein portion zur Folge, was eine beständige Quelle der Unordnung und des Un gehorsams gewesen war. Bis dahin war das zu l^s Uoguerre angenommene Gefängnißsystem das Auburnsche gewesen, nämlich die Jsolirung bei Nacht und die gemeinschaft liche, aber mit Schweigen verrichtete Arbeit bei Tage. Die Mängel dieses Systems wurden jedoch täglich merklicher; das Stillschweigen wurde in den Werkstätten schlecht beobachtet und war während der Erholungszeit unmöglich zu erhalten. Daher entstanden verderbliche Verbindungen unter den Gefan genen, immer zum Rachtheil der Moralität ; die Züchtigungen wurden zahl reicher; die jungen Verhafteten reizten sich gegenseitig zu schamlosem Muth- willen auf, den keine Aussicht verhindern konnte, und der Gesundheitszustand litt dadurch bedeutend. Diese hinlänglich beobachteten Thatsachen führten allmälig eine Aenderung des Systems und die Umgestaltung des Besserungs- Institutes herbei. Man begann die Anwendung des philadelphischen Systems, nämlich der vollständigen Jsolirung bei Tage und bei Nacht, mit jungen Leuten, welche um der schwersten Vergehen willen verurthcilt waren und überhaupt für die schlimmsten gehalten wurden; und der Versuch, den man