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Wöchentlich erscheint» drei Nummern. PränttmcraUonS-Prei« 22 z Silbergk. ( r Thlr.) viertelsahrlich, Z Tblr. für das gan;c Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von seder Buchhandlung (in Berlin bei Veit in Comp., Iagerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post - Lemtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 12. Berlin, Sonnabend den 27. Januar 1844. England. Ein Weihnachtsgeschenk von Voz. Dieses jüngste Produkt des fleißigen Verfassers der Pickwickier ist ein recht zeitgemäßes; denn es hat diejenigen Interessen zum Gegenstände, welche in der allerletzten Zeit den größten Theil der civilifirten Welt, und zwar gerade den nicht Zeitungen lesenden am meisten, beschäftigt haben, nämlich das Weihnachtsfest und die damit verbundenen Freuden — daher führt eS auch den Titel: „Ein Weihnachtslicd in Prosa oder eine Geistcrgeschichte zur Weih nachtszeit" °). Auch ist eS ein echtes Weihnachtsgeschenk, nicht bloß wegen dieses äußeren Inhalts, sondern auch, weil cs von einer eben so edeln, ge- müthlichen und philanthropischen Tendenz, wie das Wcichnachtsfest selbst, erfüllt ist. Der Verfasser hat damit der Armuth und der Jugend einen großen Dienst geleistet; der Armuth einen materiellen, insofern Niemand das Buch mit wahrer Freude durchlesen kann, ohne von den Gaben, womit ihn Gott gesegnet, auch den Armen etwas hinzutragcn, der Jugend dagegen einen geistigen, insofern es die edleren Neigungen des Herzens, besonders den Wohllhätigkeitssinn, weckt. Doch zeichnet eS sich wieder vor anderen für die Jugend bestimmten Geschenken dieser Art dadurch aus, daß es nicht bloß für die Jugend gemacht ist; es läßt sich von dem bekannten Humor und Talent des Verfassers erwarten, daß er seinen Lesern nur Solches geben kann, was nicht bloß die Jugend, sondern auch ein gebildeteres Alter intcresfiren muß. Jedenfalls wird er sich damit in beiden Hemisphären mehr Freunde und einen nngetheilterrn Beifall erwerben, als mit den Emeric«« ^'vtes und dem Martin Chuzzlewit. Doch wir eilen, eine kurze Skizze von dem Inhalt des Buchs zu geben. Dasselbe ist in fünf Kapitel oder „Staffeln" (stave«) gctheilt. Die erste Staffel macht uns mit einem hartherzigen, habsüchtigen, alten Geizhals, Namens Scrooge, bekannt, der kein Gefühl für Anderer Kummer hat, weil er auch keine Ahnung davon hat, was Glück ist, oder höchstens einen Haufen von Gcldsäcken darunter versteht. Es ist um Weihnachten; die Scene ist das Comtoir des alten Scrooge in einem finsteren Hof. Sein Neffe kommt, um ihm eine „vergnügte Weihnacht" zu wünschen und ihn auf morgen zum Essen einzuladen. Der alte Geizhals ist zornig, nennt Weihnachten eine Schnurre und schlägt die Einladung aus. Nicht ohne einiges Brummen erhält der arme alte Schreiber, Master Cratchit, der den ganzen Tag für fünfzehn Shillings wöchentlich auf einem hohen Stuhl in einem kalten kleinen Ver schlage schreibt, Urlaub für den folgenden Tag. Ein Nachbar, der Scrooge um sein Scherflcin zu einer Subscription für die hungernden Armen bitten kommt, wird mit Flüchen fortgeschickt, und der elende alte Mann geht auü seinem finsteren Comtoir in seine finstere einsame Wohnung, sehr verdrießlich darüber, daß Jeder sich und die Anderen wenigstens an diesem einen Tage im Jahre zu erfreuen sucht. Zu Hause angelangt und sich zum Schlafengehen an- schickend, wird er von dem Geist seines früheren Genossen, Jakob Marley jver ihm sein ganzes Vermögen hinterlassen hat), besucht; dieser warnt ihn vor den bösen Wegen, die er geht, und vor der schweren Kette, die er für seinen ruhelosen Geist nach dem Tode schmiedet, durch sein unaufhörliches Jagen nach Geld während des Lebens. Die Lehre des Geistes ist folgende: „ES wird von jedem Menschen verlangt, daß der Geist in ihm unter seinen Mitmenschen wandeln und weit und breit herumgehen soll; wessen Geist dies nicht im Leben thut, der ist nach dem Tode dazu veruriheilt. Er muß durch die Welt wandern und das mit seinen Augen sehen, woran er nicht Theil nehmen kann, was er aber auf Erden hätte mitgenicßcn können und wonach er glücklich geworden wäre. Ich trage die Kette, die ich im Leben schmiedete. Ich machte sic Glied für Glied und Zoll für Zoll; ich gürtete sie mir mit meinem eigenen Willen nm, und mit meinem eigenen Willen trug ich sie. Ist das Modell derselben dir neu?" Der Geist beschwört nun andere verirrte Geister herauf, die eben so un. glücklich sind als er. „Die Luft war mit Phantomen gefüllt, die hin und her wanderten in rastloser Eile und dabei fortwährend winselten. Jeder von ihnen trug Ketten wie Marley S Geist; einige wenige twahrscheinlich strafbare Regierungen) waren zusammengekeitet; Keiner war frei. Viele hatte Scrooge ') ä Esrol iu , Kviox » t-bo»! 8torx „f ,»:««. Dos ma« Liirol spielt aus die Lieder an, welche in England arme Kinder zur Weidnachtszeit vor den Hausern abßngen, und deren auch in Goldsmith'» Vier »f rVuK«t>el<! le,,. Sj Erwähnung geschieh». persönlich während ihres Lebens gekannt. Ihre Qual bestand darin, daß sie alle in menschliche Angelegenheiten hülfreich rinzugrcifen suchten, aber die Macht dazu für immer verloren hatten. Der Geist verspricht nun, dem Geizhals drei Geister zu schicken, welche vielleicht ihn zu bessern vermöchten, so lange eS noch Zeit sey. Der erste der selben ist der Geist der vergangenen Weihnachten, der, den Scrooge in die Zeit seiner frühesten Kindheit zurückführend und von da durch die Jugend zum Mannesalter, die sanfteren häuslichen Gefühle und Genüsse wieder hervorruft, deren er einst empfänglich war, die aber durch die Sorgen des Gelderwerbs unterdrückt zu seyn scheinen. Nichts ist rührender als feine ängstliche Sorge iu der Schule, als alle Knaben außer ihm in ihre glückliche» Wohnungen gegangen waren, nichts heiterer als die Scenen am heiligen Abend bei seinem ersten Herrn, dem alten Fezziwig. „Der alte Fezziwig legte die Feder nieder und sah auf die Uhr, welche auf die siebente Stunde wies. Er rieb die Hände, knöpfte seinen umfang reichen Rock zu, lachte in sich hinein von den Zähen bis zum Organ des Wohlwollens und rief in einer komfortablen, fetten, jovialen Stimme: „Heda, ihr Jungens, Ebenezer, Dick!" Scrooge's früheres Ich, jetzt in einen jungen Mann verwandelt, kam munter hereingesprungcn, begleitet von seinem Mit lehrling. „Dick Wilkins, wahrhaftig!" sagte Scrooge zu dem Geist. „Das ist er. Er war mir sehr zugethan, der Dick." „Heda, ihr Jungens", sagte Fezziwig. „Heute Abend wird nichts mehr gemacht. 'S ist ja heiliger Abend, Dick, heiliger Abend, Ebenezer! Nun ge schwind die Fensterladen zu", rief der alte Fezziwig, indem er in die Hände klatschte, „ehe einer sagen kann Jack Robinson." Man glaubt cs nicht, wie schnell die beiden Burschen sich daran machten. Eins, zwei, drei — stürzten sie mit den Fensterladen auf die Straße — vier, fünf, sechs — hatten sie sie eingesetzt — sieben, acht, neun — hatten sie sie eingeschraubt und zugericgelt, und ehe man bis zwölf kommen konnte, waren sie zurück, keuchend wie Rennpferde. „Holla ho", rief der alte Fezziwig, von seinem hohen Pult mit wunder, barer Beweglichkeit herabspringend. „Räumt auf, Jungens, damit wir Platz hier haben." Es ist nichts, was sie nicht hätten wegräumen können, während der alte Fezziwig zusah. In einer Minute war cs geschehen. Der Boden war rein gefegt und besprengt, die Lampen zurecht gemacht, Holz zum Feuer gelegt, und das Büreau war in einen so bequemen, warmen, trockenen und Hellen Ballsaal verwandelt, wie man nur einen in einer Winternacht zu sehen wünschen kann. Herein kam nun ein Fiedler mit einem Notenbuch und trat zu dem hohen Pult hin und machte ein Orchester daraus und stimmte, daß es anzuhören war wie fünfzig Bauchkoliken. Herein kam Mistreß Fezziwig, über und über nur ein großes umfangreiches Lächeln. Herein kamen die drei Miß FczziwigS, strahlend und lieblich. Herein kamen die sechs jungen Begleiter, deren Herzen in ihren Fesseln lagen. Herein kamen alle die jungen Männer und Frauen, die in dem Geschäft arbeiteten. Herein kam die Hauömagd mit ihrem Vetter, dem Bäcker. Herein kam die Köchin, mit ihres Bruders intimem Freunde, dem Milchmann. Herein kam der Knabe von der anderen Seite der Straße, von dem man glaubte, sein Herr gebe ihm nicht genug zu essen. Herein kamen sie alle, einer nach dem anderen, einige schüchtern, andere keck, einige mit Grazie, andere ohne Grazie, einige drängend, andere zerrend." Doch wir verlassen die weitere Schilderung der Tänze und Festlichkeiten in Fezziwig's Wohnung und wenden uns zu den Gestalten, die der zweite Geist dem alten Geizhals vorführt. Dieser zweite Geist ist der Geist der gegenwärtigen Weihnachten, der ihm Frieden und Uebcrfluß, Glück und Wohl, wollen überall zeigt, im Ladenzimmer, in der Hütte, im Bergwerk, im Leucht thurm und auf dem Schiff zur See. Selbst Cratchit, dcr in Scrooge's Com toir für fünfzehn Shilling wöchentlich sich abarbeitct, ist heute so glücklich, ja glücklicher als ein König. Wir theilen aus dieser Scene Einiges mit: „Auf stand nun MrS. Cratchit, Cratchit'S Weib, in einem zweimal gewen. dctcn Staatsklcid nur ärmlich aufgeputzt, aber stark in Bändern, welche billig find und viel Gepränge machen für sechs Pence; und sie breitete die Tischdecke aus, unterstützt von Belinda Cratchit, ihrer zweiten Tochter, die auch stark in Bändern war; während Master Peter Cratchit eine Gabel in eine Kartoffcl- pfannc steckte und, indem er die Ecken seines ungeheuren HcmdekragenS in den Mund nahm, sich freute, sich so stattlich geputzt zu sehen, und sich sehnte, sein frisches Leinen in den fashionabcln Parks zu zeigen. Und nun kamen die zwei kleinen CratchitS, Knabe und Mädchen, hereingetobt, schreiend, daß sie