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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000922024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900092202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900092202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-09
- Tag 1900-09-22
-
Monat
1900-09
-
Jahr
1900
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um V,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: Rlsrev Hahn vorm. L. Klemm'» Lorti». Uniyeriitälsstrabe 8 (Paulinum», Louis Lösche, kothoriuoür. peat. not, -önig-platz A. Redaktion und Expedition; Lodauniseasje 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Bezirqö-PrekS der Hauptexpedition oder den im Ktodd» dezirk und den Vororten errichteten Aus» ^bestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, Sei zweimaliger täglicher Zustellung ins ( aus 5.50. Durch die Post bezogen sür Driitschland und Lesterrcich: Vierteljährlich X 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.50. Mbend-Mrsgabe. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aatljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Sonnabettd den 22. September 1900. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Peützeile SO Psg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (»ge spalten) 50^, vor Len Familiennachrichten (6gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem PreiS- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Sptra-Vcilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgab«, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. .Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgr»-Ausgabe: Nachmittags »Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen j» ei» halbe Stunde früher. Anzeiger« sind stets an die Krpkditto» «i richten. Druck und vertag von E. Polz tu Leipzig 84. Jahrgang. Die Wirren in China. —k Die am Westufer des Golfes von Petschili, zehn Kilometer nördlich von Taku gelegenen Pritang-AortS wurden, wie gemeldet, am Donnerstag von den Verbündeten erstürmt und genommen. Diese Befestigungen wurden nach Beendigung des Krieges vom Jahre 1860 von den Chinesen zu dem Zwecke errichtet, um eine Landung feindlicher Truppen bei Peitang an der Mündung des Tsckaoflusses in den Golf von Petschili — wie sie General Montauban- Palikao in so überraschender Weise bewerkstelligte — fürder unmöglich zu machen. Sie bestehen aus einer Reihe zu beiden Seiten des Flusses angelegter Schanzen feldmäßigen Stils, denen die hoben gemauerten Brustwehren eine bedeutende Widerstandskraft verleihen. In der letzten Zeit wurden sie gleich den Taku-Forts stark vernachlässigt und erst kurz vor Beginn des Krieges mit Japan wieder flüchtig in Stand gesetzt. Sie bestreichen die Hafenanlagen bei Peitang und ii» Vereine mit den Taku-Forts auch die Küste bis zur Mündung des Peiho. Eine starke Besatzung und Armirung vorausgesetzt — worüber keine näheren Meldungen vor liegen — hätte diese Position für die internationalen Truppen eine dauernde Gefährdung ihrer Verbindungen mit der Küste bedeutet. Nun sie im Besitze der Verbündeten sind, erscheint das Küstengebiet bei Taku, die unmittelbare Basis aller Operationen zu Lande, wo alle Nachschübe gelandet, alle Truppen ein- und ausgeschisst werden müssen, auch im weiteren Umkreise vor feindlichen Unternehmungen gesichert. Uebcr die Einnahme, bei welcher unsere deutschen Truppen wieder stark betbeiligt waren und Hervorragendes leisteten, wird noch berichtet: * Wien, 21. September. Tas Geschtvader-Comniando für Osiasien telegraphier: Linienschiffs-Leutnant Schusterschitz mit dem Etappen-Detachement von Tientsin und der Flaggenwache von Taku, zusammen ein Osficier, drei Seecadettsn und 45 Mann, nahmen mit Len deutschen und russischen Truppen am 20. Scp- tcmber das Süd-Fort von Peitang ein. Gleich zeitig mit der deutschen Flagge wurde auf dem eroberten Fort über dem Hauptthor unsere Flagge gehißt. Später eroberten die Russen zwei Geschütze und die Mincnzünder-Station. Tas zur Verstärkung nachrückende Detachement stieß nach Ueberholung des ersten deutschen Oüasiatijchen Regiments aus vier Fußminen. Auf Seiten der Oesterreicher wurden ein Seccadet getödlet, rin Linicnschisf-Fähnrich und ein Seecadet leicht verwundet und 12 Mann verwundet, die meisten davon schwer. Weitere Kämpfe, welche in den letzten Tagen stattfanden, hatten den Zweck, die Umgegend Tientsins und Pekings von Boxerbanden zu säubern. Etwa 600 Kilometer südlich von Tientsin wurde, wie unsere Depeschen im heutigen Mvrgcnblatt besagen, der Ort Tuliu niedergebrannt, der in der Nachbarschaft der großen Stadt Tsing Hai liegt. Diese letztere sollte unter der Bedingung geschont werden, daß ein Missionar und vier Frauen und Kinder, die sich in Hainanhsien verborgen hielten, unverletzt nach Tientsin gebracht würden. Der Mandarin nahm diese Bedingung an und scheint sie erfüllt zu haben, denn von einer Zerstörung Tsinghais wird nichts gemeldet. In der Umgebung von Peking dürfte nicht mehr allzu viel zu thun sein. Nach, verschiedenen glücklichen, nach allen Richtungen vorgenommenen Streifzügen der Verbündeten, bei denen zahlreiche Boxer fielen oder vertrieben wurden, wird jetzt berichtet: * Washington, 21. September. („Reuter's Bureau".) General Chaffee teleqraphirt aus Peking unter dem 19. ds.: Die Expedition des Generals Wilson ist hierher zurück gekehrt, nachdem sie ohne alle Verluste ihren Zweck vollkommen erreicht hat. Tie Schwadron Forsythe's, die 40 Meilen weit nach Nordosten vorgestoßen war, um chinesische Christen zu be freien, ist mit 14 derselben hierher zurückgekehrt. Das Land in der Umgegend von Peking wird täglich friedlicher, soweit unsere Expeditionen das beurtheilen können. Ter Com- missar Rockhill ist hier eingetroffeu. (Wiederholt.) Die Expedition Wilson'S, an welcher auch Deutsche bc- theiligt waren, galt bekanntlich der Einnahme Hai-Tiens und dessen Arsenals. Ter Platz liegt nordwestlich von Peking, von diesem nur 5 km entfernt. Eine wenig rühmliche Nolle spielen die Engländer. Wie die „Times" uuterm 15. d. MtS. aus Peking berichten, sind dort die britischen Streitkräfte so herabgemindert worden, daß für die Strafexpedition, die die Boxerschaarcn aus den Tempeln vertreiben sollte, nur 400 Infanteristen und 50 Cavalleristen verfügbar sind. Die Expedition wird daher verschoben. Mrtzclcien bei Kanton. Es wäre ein großer Jrrtbum, anzunehmen, daß die Süd provinzen Chinas ruhig geblieben sind. Schon wieder holt wurde gemeldet, daß dort neue Truppcncoiiccntrationen stattfanden, daß ganze Schaaren regulären Militärs, Boxer und Sckwarzflaggen von dort nach dein Norden zum Schutz des Hofes entsandt wurden. Auck Niedermetzelnngen von Christen und Missionaren sind mehrfach vorgekommen. Jetzt wird wieder berichtet: * Hongkong, 21. September. (Meldung des Neuter'schen Bureaus.) Meldungen aus Kanton zufolge sind im Samschui- Gebiet Ausschreitungen gegen die Christen vor gekommen. Tie katholischen Capellen wurden niedergebrannt, die chinesischen Christen niedergemetzelt, auch einige Priester sollen verwundet worden sein. Das französische Kanonenboot „Avalanche" ging nach dein Schauplatz der Ruhestörungen ab. Es wird weiter gemeldet, daß acht Piraten-Dschunken dazu be stimmt wurden, im Delta von Kanton die christlichen Törscr zu zerstören und die Christen niedcrzumetzeln. Die Stadt Kanton bleibt ruhig. Peking. Dem „Bureau Lassan" wird aus Peking vom 6. September gemeldet: Prinz Tsching besuchte die Gesandtschaften, nm den Gesandte» seine Aufmerksamkeit zu erweisen. Er war von einer ausfallenden Anzahl chinesischer Diener und von einer EScorte japanischer Cavallerie begleitet. Tie deutschen Beamten lehnten eS ab, ihn zu em pfangen; sie sagten, sie würden ihn empfangen, wenn er einen ossiciellen Besuch mache, in ihrer persönlichen Eigen schaft brauchten chinesische Beamte aber nicht vorznsprechcn. Der amerikanische Gesandte Conger empfing den Prinzen Tsching herzlich als alten Frennd. In der Unterredung, die 15 Minuten währte, drückte Prinz Tsching sein Bedauern über die Lage der Tinge in China aus. — Die Russen haben den Sommerpalast aller werth vollen Möbel beraubt. Ein Kammerherr des Zaren leitete die ConfiScation. Die Shanghaier sind, wie dem „Berl. Loc.-Anz." von dort depeschirt wird, von den bisherigen Erfolgen der Europäer in der Verbotenen Stadt von Peking sehr enttäuscht. Diese würden dort als Besucher und nicht als Eroberer an gesehen. Die Chinesen laden die europäische» Ofsiciere förmlich zu Picknicks ein. Der Zutritt zur kleinen Pforte des Kaiserpalastes ist bisher unmöglich. In Shanghai herrscht allgemein die Ueberzengung, daß mit dem Eintreffen WalVcvscr S der Eindruck ein anderer werden wird. Walrersee werde im Kaiserpalast das Hauptquartier errichten und die Drachen flagge durch seine Standarte ersetzen. Dadurch würden die Chinesen von der Meinung abkommen, daß die Fremden in Peking blos geduldet seien. * Shanghai, 21. September. GrafWaldersee ist heute Nachmittag 5 Uhr bei schönstem Wetter bier eingetroffen und unter großer enthusiastischer Betheiligung der hiesigen Bevölkerung eingezogen. Eine Ehrenwache war ausgestellt, und die Comman- Lanten sämmtlicher Detachements anwesend. Vor dem deutschen Gcneralconsulat stand eine Ehrenwache der bei Taku betheiligt gewesenen Matrosen vom „Gefion" und „Illis". Morgen findet Parade über die vollzähligen hiesige» Landtruppendetachemcnts und Freiwilligen statt. (Wiederholt). Tie neue kaiserliche Residenz. Tie Ankündigung, daß der kaiserliche Hof gedenkt, seine Hauptstadt nach Hsiansu (Sianfu) in der Provinz Schansi zu verlegen, da diese Siatt der Machtsphäre der auswärtigen Mächte entrückt fei, klingt — ihre Nichtigkeit allerdings vorausgesetzt — trotzig genug und bedeutet sür diejenigen, die es verstehen wollen, daß die eigentlichen Macht haber mit den Vertretern der Mächte nicht in Berührung kommen wollen. Tie Aussicht der höchstgcstellteii Personen in Pelnig, über ihr Thun und Treiben Rechenschaft ablegen zu müssen, mag dabei mitspiclcn, aber sür die gesitteten Mächte läge in diesem Entschluß auch das Bekenntniß der Schuld aii den Treibereien der Boxer, denen von eingeborenen Christen allein bereits 40 000 bis 50 000 zum Opfer gefalle» sei» sollen. Tic Antwort der Bcrcinigtcn Ttaatcu. Aus Washington, 21. September, wird uns berichtet: „Nach der heutigen Cabinetssitzung verlautete an amtlicher Stelle, die Regierung fei in der chinesischen Frage zu einer Entscheidung gelangt, welche veröffentlicht werden würde, sobald sie den Mächten mitgctheilt sei. Es ist bekannt, daß drei Noten entworfen worden sind, welche sich mit dem deutschen und mit dem russischen Vorschlag befassen und die Forderung der Chinesen betreffen, daß dem amerikanischen Gesandten Conger die Vollmacht gegeben werde, mit dem Prinzen Tsching zu verhandeln." Obwohl der Wortlaut der amerikanischen Note noch nicht publicirt werde» kann, ist ihr Inhalt doch bekannt ge worden. Wenigstens versichert der Londoner „Glvbe" nach einem New Aorker Telegramm vour 20. September: „Der deutsche Vorschlag wird verworfen, weil er ter Voraussetzung zuwiderläuft, unter welcher die amerikanische Regierung in Cooperation mit den Mächten eintrat und eine Ver letzung der Grundsätze bedeutet, welche in Hah's Note vom 3. Juli dargelcgt sind. Es wird erklärt, daß die an den Thaten der Boxer mitschuldigen chinesischen Beamten von der chinesischen Regierung bestraft werde» müsse» und die amerikanische Negierung will an ke i n c m V o r g e he n tbeilnehmen, welches wie Racke aussicht. Sie wird unabhängig über den Frieden und die Entschädigung untcrhandcln, sobald klar wirr, daß die Mächte sich zu keinem harmonischen Vorgehen entscheiden können. Instructionen dieses Inhalt.s wurden gestern an Conger und Ncckhill uack Peking telegraphirt." Man wird den Grund der Ablehnung der Vereinigten Staaten zunächst darin suchen müssen, daß sie re» Vorschlag sür praktisch nicht durchführbar halten; das beißt, daß sie zweifeln, ob die chinesische Regierung sich dazu versieben würde, die von den Gesandten der Mächte als verantwortliche Urheber der blutigen Greuel bezeichneten Persönlichkeiten auszuliefern. Eine abschlägige Antwort Nordamerikas würde, wenn alle anderen Mächte dem deutschen Vorschläge zustimmten, nicht sehr schwer ins Gewicht fallen. DaS amerikanische Contingent in China ist nicht groß, und selbst seine völlige Zurückziehung könnte keinen einscheidenden Einfluß auf den Gang ter Ereignisse ausüben. DaS Concert der europäischen Mächte könnte deshalb doch sortbeslehen. Viel wichtiger ist die Zustimmung oder Ablehnung Rußlands. Urber die Auf nahme, welche Bülow'S Rundschreiben in den ossiciellen Kreisen Petersburgs findet, liegt keine verläßliche Nachricht vor, doch wird eS von zwei russischen Blättern beifällig besprochen. Der Krieg in Südafrika. Zur Abreise Krüger's. Tie ungewöhnlich heftige Sprache der russischen Presse bezüglich der TranSvaalangelegenheit bat in den englischen NegierungSkreiscn sebr unangenehm berührt und man siebt einer etwaigen Rundreise Krüger's mit großem Mißbehagen entgegen. Es wird deshalb in Erwägung gezogen, in welcher Form den Mächten die Einverleibung Transvaals mit- zutbeilcn sei. Wahrscheinlich wird in der Note ter Stantpunct vertreten werden, daß England auf Grund der Convention von 1884 der Souzerän der Südafrikanischen Republik war und deshalb eine formelle staatsreckt- licde Jncorporirunz gar nicht zu vollziehen sei. Infolge der inzwischen ciugetretenen kriegerischen Ereignisse erachte die englische Regierung die der Transvaalrepublik durch besagte Convention gemachten Zugeständnisse als wieder aufgehoben, weshalb sie „dieses Territorium Ihrer Majestät" bis aus Weiteres vollständig unter englische Verwaltung gestellt habe. — Eine solche amtliche Mittheiluug wird Len Mächten jedenfalls vor der Ankunft Krüger's in Europa zugehen und vor Allem wird die britische Regierung in Brüssel darauf dringen, daß die dortige TranSvaalzesandt- scbaft als nickt mehr bestehend erklärt wird. Ebenso würde sich die britische Regierung widersetzen, daß Krüger in Brüssel oder in einer anderen Hauptstadt eine Art Regierungs bureau für Transvaal einrichten würde. Obm Paful sieht mittlerweile der Ankunft des ihm in Aussicht gestellte» holländischen Kriegsschiffes entgegen. Ter Vertreter des „Daily Telegraph" sah ihn am Mittwoch früh in seiner LieblingSecke auf der Veranda des Gouvernements gebäudes sitzen. Er hatte seinen hohen Cylinderhut aus dem Kopfe und sein Gesicht in die mächtige Bibel vergraben, die er 8s Oer neue Log. Roman von Klara Zahn. Nachdruck verboten. „Weißt Du", sagte Hans wieder, „es muß doch im Leben schwer sein, so mit allen Menschen auszukommen. Sieh mal, schon in der Schule bei den Lehrern weiß man nicht, wie man es eigentlich recht macht. Der eine Lehrer hat von derselben Sache genau die entgegengesetzte Ansicht, wie der andere. Man hilft sich ja natürlich und merkt sich's, wie's Jeder will — aber das positive Recht?" — „Könntest Du mir das an einem Beispiel erklären?" fragte Anny. „Gewiß. Es ist also bei uns Gesetz, wer ein Buch oder einen zur Schularbeit nöthigen Gegenstand vergißt, muß sich selber melden und bekommt dafür unwiderruflich einen Tadel. Nun haben wir in der Geographie Doctor Pohl. Ein famoser Mensch, sag' ich Dir. So dick und gemüthlich. Der straft nicht gern. Mal bat Einer beim Extemporale das Buch unterm Tisch offen. Pohl sieht's und sagt: „Was hast De denn da unten? Haft wohl 's Buch auf?" »Ja." „Na, klapp's zu!" sagt er. So ist Der. Urgemüthlich. — Also ich hab' mein' Atlas vergessen, seh's am Anfang der Stunde und melde mich. „Na, wozu meldst De Dich denn?" sagt Pohl in seiner ge lungenen Sprechweise: „Waot's doch ab, ob's gebraucht wird. — 's kann doch Jeder mal Glück haben." In der Stunde brauch ten wir den Atlas wirklich nicht und da sagt Pohl nach der Stunde zu mir: „Na, siehste, Folgers, war's nu nöthig, daß De Dich gemeld't hast?" Nn andermal haben wir Mathematik. Ich habe den Spiker vergessen, wilr brauchen ihn selten mal in der Schule. Diesmal »litten in der Stunde wird er gebraucht. Ich steh' auf und meld' mich. Da sagt Doctor Schmid — na, Du solltest ihn sehen, so klein und dürr und stottert: „S so, also jetzt f — fällt Dir das ein? W — willst wohl mal Sonn abend Nachmittag in die Extrastundc kommen, he? Sieh mal an, j jetzt fällt Dir das ein! W — woll — test mich also hintergehen, w — was?" „Und was sagtest Du?" forschte Anny. „Na, ich werde mich hüten, was zu sagen. Man merkt sich's halt für ein ander Mal. Aber komisch ist's doch." „Weißt Du", fiel Ernst ein, „der Doctor Schmid, wenn de^ auf Einen was hat, der kann aushalten! Vor langer Zeit ein mal hat er in der Stunde vom Typhus gesprochen und gesagt: „Wer den T — Typhus hat, der stirbt entweder oder er wird verrückt. Ich hab'» auch gehabt!" Wir mußten natürlich Al:: lachen, aber wir verkniffen's uns, der Leonberg ist aber gerad rausgeplaht. Na, sitzen geblieben ist er auch." „Deshalb doch nicht", sagte Anny. „Nein, deshalb allein nicht. Er ist mittelmäßig in den Fächern, kann sich aber mit manchem Lehrer nicht auf guten Fuß stellen und da wird auch keine Rücksicht genommen, wie bei Anderen." „So so", sagte Anny. Ihre Gedanken verdüsterten sich. Ein Bild des Lebens im Kleinen schon. Und die reinen, weichen Kinderseelen bekamen unbarmherzig das Weltgepräge, sie dachten und fühlten nicht mehr schlicht und einfach, „was ist recht oder unrecht?" Sie überlegten, „was nützt und was schadet Dir?" Kaum, daß sie sich ein Recht zuerkannte, dagegen etwas einzu wenden. Hieße cs nicht den für das Leben Bestimmten die Waffen stumpf machen, mit denen sie doch einmal kämpfen mußten? Sie seufzte leise auf. Hans, der dem Gedankengang der Schwester schon einiger maßen zu folgen vermochte, ervieth, worüber Anny sann, und sagte treuherzig: „So schlimm ist das nicht, Anny. Manche Lehrer sind ja parteiisch, aber im Ganzen hat man ja doch das Gefühl, daß sie uns Alle gern haben. Und unsere Schule ist doch die beste. Ich möchte um keinen Preis in eine andere. So denken Alle. Man macht ja mal Ulk über die Lehrer, aber die meisten sind so vernünftig, daß sie selber darüber lachen. Neulich, das heißt im Herbst, beim letzten Schulspaziergange, hat ein Schüler, der den Doctor Pohl so fein nachahmen kann, vor Pohl und der ganzen Elaste zum Besten geben müssen, wie Pohl Stunde hält. Wir haben uns gewälzt vor Lachen, uno der Dicke erst! — Ich sag' Dir, es war großartig." „Glaub's schon", meinte Anny. So waren die drei Geschwister der Stadt nahe gekommen, die Anny gern bei größeren Spaziergängen verließ, um draußen vor den Thoren den weiten Blick über freie Ebenen vor sich zu haben, gleichviel, ob die Felder im Blütchenschmuck standen oder eine weiße Schneedecke das künftige Leben umhüllte. Die Knaben erklärten nun einmüthig, „kolossalen" Hunger zu haben. „Weiß schon", lachte Anny, „Apfelkuchen mit Schlagsahne schmeckt nirgends so prächtig, wie bei Häberlein, gelt?" Sie standen eben vor der beliebten Eonditorei Nürnbergs. „Wollen wir?" fragte das Mädchen. „Aber na.iirlich, — Du hast einfach geniale Einfälle", lobte Hans mit strahlenden Augen. Sie traten ein. Der vordere Saal war stark beseht, die kalte Wintcrluft hatte viele Erquickungsbedürftige hierhergetrieben. Viele kleine Nebenräume schlossen sich, wie Eabinen an den Schiffssalon, an den Hauptsaal der Conditorei. In einer der selben fanden die Drei Platz. Hans lief zuerst zu den Journalen und kam triumphirend mit den „Fliegenden" zurück. Dem et was bequemeren Ernst schob er die „Jugend" zu. „Erlaub' einmal, Kind", rief Anny, „ich will doch erst sehen, ob das auch für Eure Jugend ist." — Während dessen hatte eine hübsche junge Frau den Raum betreten, die mit lebhaften Augen um sich schaute. Sie eilte auf Anny zu: „Kommst Du nicht mit?" fragte Eva Reitzig. „Warum spielst Du hier „Einsiedel", während wir doch ein berufen sind zu einer großartigen „geheimen" Sitzung? Ich glaub' fast, es ist eine Art Vehmgericht, mein Alter hat sich nämlich »erschnappt. Na, nun werden wir's ja doch erfahren, komm nur, wir „tagen" im hintersten der Säle." „Aber ich begreife nicht", sagte Anny erstaunt, „ich bin ganz zufällig hier, wer „tagt" denn eigentlich und wen hat man ein berufen?" „Na aber, die „Nürnberger Gesellschaft" natürlich. Hast Du denn keine Nachricht erhalten?" „Nein!" „Komisch! Natürlich verbummelt! Ja, unser Präsidente, weißt Du —" „Herrn Doctor Schulz sprach ich ja noch heut Vormittag, er sagte kein Wort zu mir", bemerkte Anny. „Nanu!" platzte Eva los. Dann biß sie sich auf die Lippen Was tonnte das denn bedeuten? Hatte ihr rasches Mundwerk wieder etwas «»gerichtet? Ein wenig betreten und zögernd meinte sie: „Willst Du nicht doch mitkommen?" „Danke, nein. Wir haben es eilig nach Hause- — Kinder, seid Ihr mit Eurem Kuchen fertig, so kommt. Ich zahle an der Caste. — Laß Dich nicht stören, Eva, und viel Vergnügen." Während sich Anny dem Ausgang zuwandte, eilte Eva dem Versammlung-Zimmer zu. Sie war nicht ganz einig mit sich, ob sie gleich frischweg von ihrer Begegnung mit Anny reden solle oder nicht. Na schließlich, dachte sie, wart' ich erst ab, was denn eigentlich los ist. Um eine lange Tischreihe saßen und standen in offenbarer Unordnung etwa 20 Personen verschiedenen Alters. Alles sprach, lachte und gesticulirte. Mit einer Miene, als ob er das Neueste auf dem Gebiete des Witzes vorbrächte, sagte der Lehrer Hahn, ein kleiner, ziegenbärtiger Herr: „Wir müssen doch erst die Tische rücken, das versteht sich." Allgemeines Gelächter lohnte ihm. Er sah sich befriedigt um, und man „rückte". Es gehörte dies zu den stehenden Gewohn heiten der „Nürnberger Gesellschaft". Nachdem man es, wie schon unzählige Male früher, mit der „viereckigen" und der „Hufeisenform" der Tische versucht, sich gesetzt und wieder erhoben hatte, wobei schon einige mißliebige Bemerkungen fielen. — ganz leise natürlich, das gehörte auch zur „Tagesordnung" — kehrte man einmüthig zur langen Tafel zurück, ließ sich höchst befriedigt daran nieder, und Keinem fiel es ein, dies wunder liche Gebühren lächerlich zu finden. — Eva Reitzig, deren Gatte bereits pflichtbewußt auf seinem Platze saß — er war direct vom Geschäfte in die Versammlung gekommen —, gesellte sich einigen jüngeren Frauen zu und ergriff mit Feuereifer die ge betene Gelegenheit, ihre eben heute erst gemachten Erfahrungen auf dem Gebiete der Dienstbotenfrage der allgemeinen Debatte über dies Thema hinzuzufügen. Gerade störend wirkte auf die Eifrigen die Glocke des Präsidenten, die mit Hellem Klang die Versammlung für eröffnet erklärte. Nichtsdestoweniger schwieg nia» sofort. Man mußte doch auch hören, wie Doctor Schulz mit dem an ihm stets bewunderten gemüthstiefen Stimmklange dem Beispiele der Glocke folgte und die Versammlung für er öffnet erklärte. Dieser doppelt erhärteten Thatsache folgte, wie stets, ein hörbar vergnügtes Stimmengewirr, die „Nürnberger" waren mit ihrem Präsidenten wieder einmal sehr zufrieden. Aber die Glocke rief zum zweiten Make. Man lauschte. Der Präsident verkündete — und ein ganzer Himmel von Güte lag in seinem Tone —, daß das verehrte Mitglied Herr Lehrer Hahn einen Antrag zu stellen habe. Dann setzte er sich, begleitet von den wohlwollenden Blicken seiner derzeitigen Unterthanen. Herr Lehrer Hahn erhob sich, er maßte sich das Recht an, seinem Auftreten auch ein Klingelfignal vorangchen zu kaffen. Eva Reitzig hatte schon einmal den Vorschlag gemacht, den Verein umzutaufcn und ihn die „Klingelbudc" zu nennen. Natürlich nur ihrem Gatten gegenüber, der diese Idee entrüstet abwies. Herr Lehrer Hahn bat nun in sehr fein stilifirten Worten um die Erlaubniß, den schon seit mehreren Monaten fälligen Dereinsbeitrag einsainnielii zu dürfen. — Natürlich, das war nothwendig. Und der Nothwcndigkeit muß man sich schon fügen — wenn auch ungern. — Nun nahm Herr Lehrer Hahn sein Notizbuch vor und rechnete. Es war noch immer ein Manco von dem vorjährigen Ball vorhanden, das mußte endlich gedeckt werden, es betrug nur etwa 6 Mark 50 Pfennig sür die Person, dazu die letzten MonatLbeitröge, so hatte mancher sparsame
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