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Wöchentlich erscheinen drei Nummern, Pränumeration».Prei« 22j Dilbergr. (j Thlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin hei Veit u. Co m p., Iägerüraße Nr. 25). so wie von allen «önigl. Pofl-AmUern, angenommen. Literatur des Auslandes. 67. Berlin, Sonnabend den 5. Juni 1847. England. Die protestantischen Refugies in England. Nach den Worten eines Publizisten des vorigen Jahrhunderts geben „ein Franzose, ein Brite, ein Sachse und ein Däne zusammen einen Engländer." Die Wahrheit dieses Ausspruchs wird durch die allgemeine, wie durch die Spezial.Geschichte Englands vollkommen bestätigt. Die Niederlassungen der Sachsen, die vorübergehenden Invasionen der skandinavischen Freibeuter und die normännisch.französische Eroberung fallen zwar in eine zu entlegene Zeit, als daß wir ihre individuelle Einwirkung auf den Stamm der Nation überall verfolgen könnten; aber auch seit dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert hat ein so starker Zufluß ausländischen und namentlich französischen Blutes stattgefundcn, daß man über die Anzahl der Familien erstaunt, die ihren Ur. sprung von dieser Quelle ablciten. Es giebt in der That fast keine englische Familie, die ihre Genealogie um einige Geschlechter weit zurück verfolgen kann, welche nicht etwas von diesen fremdländischen Elementen in sich aus genommen hätte. Da nun auch Preußen eine neue Epoche seiner Wohlfahrt und seiner Nationalgröße von der Ankunft der Refugivs datirt, die ihm die Künste und Gewerbe eines höher civilisirtcn Landes zuführtcn, so werde» einige Notizen über die Schicksale ihrer Landsleute im britischen Reiche, die wir aus dem unten genannten Werke entlehnen, zu interessanten Vergleichun gen Anlaß geben. Die beiden Haupt-Einwanderungen von Fremden in England wurden in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts durch die Religions-Verfol gungen deS Herzogs ,v*on Alba in den Niederlanden und die Metzeleien der Bartholomäusnacht, und gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts durch die Aufhebung des Edikts von Nantes veranlaßt. Auf das Gerücht, daß Alba mit einem spanischen "Heere von 10,0m Mann im Anmarsch sep, verließen die Wallonen (1567) in Masse ihre Heimat und begaben sich großentheils nach England, wo sie ihre Wohnsitze in Canterbury, Norwich, Southampton, Colchester, Maidstone und anderen Städten aufschlugen. Hier führten sie die Wollen- und Leinwand-Manufakturen ein, legten Färbereien, Tuch- und Seiden - Fabriken an und lehrten die Engländer allerhand leichte Stoffe, als Boy, Sarsche u. s. w-, verfertigen. Auf gleiche Weise hatten schon im Jahre 1360 die durch Ueberschwcmmungcn aus ihrem Lande vertriebenen Belgier und Flamänder den Engländern, die sich bisher nur mit dem Acker bau und der Schafzucht beschäftigten, die Kunst beigebracht, wollenes Tuch zu fabriziren. In der Londoner City zählte man im Jahre 1567, ohne die Vorstädte, 3760 Ausländer, worunter 2993 Dmcd, Holländer, zu welchen vcrmuthlich auch die Deutschen und Wallonen gerechnet wurden; die übrigen bestanden aus Franzosen (5l2), Jtaliäner» (138), Spaniern (54), nicht mehr als 36 Schotten °°), 23 Portugiesen, 2 Griechen und 2 Ulackmoors, Negern. Die Stadt-Behörden beschwerten sich auch um diese Zeit darüber, daß sie mit so vielen, zum Theil unbemittelten Fremden geplagt (peztvreü) würden, und die Detailhändler, die Schneider, Schuhmacher und anderen Handwerker klagten, daß sie ihnen durch Herabsetzung des Arbeitslohns Schaden zufügten. Dessenungeachtet nahm die Zahl der Einwanderer immer mehr zu, und in der Stadt Norwich allein lebten im Jahre 1571 nicht weniger als 3993 Holländer und Wallonen, mit Einschluß ihrer dort geborenen Kinder. Die Bartholo mäusnacht und die Einnahme von Antwerpen durch den Herzog von Parma brachten noch größere Massen Flüchtlinge nach England, dem einzigen Lande, wo sich die Protestanten vor ihren Unterdrückern in Sicherheit glaubten und welches aus diesem Grunde von ihnen den Namen: kbrinu ,48>Ium erhielt. Sie hatten zwar auch hier manche Unbill zu erdulden; im Jahre 1586 erreg ten die Lehrlinge (elpprentiees) von London einen Aufstand gegen die fran. zösischcn und holländischen Einwanderer, und mehr als einmal wurden Bitt schriften an das Parlament überreicht, in welchen man sie beschuldigte, daß sie den Handel der Einheimischen zu Grunde richteten; aber die Negierung nahm sie stets in Schutz, und da sie schon in der nächsten Generation sich mit dem Volke zu verschmelzen anfingen, so hatten diese einstweiligen Mißhellig- keitcn keine weitere Folgen. Die von ihnen angelegten Fabriken und Manu *) ok Ilie kreuoli, Wülloou, üutvi«, an«! otlukr koreixu kekuxoe« «etUeü iu LoxlituO, krom t!»s reixu ok llvnrzk VIN. to ttio Hovoeutiou vk t.j»s Lüiet vk blaute«. 8nui6er6eu Luru. I^viitlou, 1816. 284 S. 8. ") Da Cchottlanv bekanntlich erst im I. 1604 durch die Erbfolge Zakob's VI. in Eng« land mit diesem Reich« vereinigt wurde, so rechnete man die Schotten damals noch zu den Ausländern. fakturen blühten aber immer kräftiger empor, und der berühmte Penfionair de Witt schreibt in einem von ihm um das Jahr 1669 herausgegebenen Werke das beispiellose Wachsthum der englischen Macht und des englischen National-Reichthums während des letzten Jahrhunderts hauptsächlich dein Zu flüsse der Fremden und dem von ihnen bewirkten Aufschwung des Haudels zu. Die Aufhebung der von Heinrich IV. den französischen Protestanten ge. währten Religionsfreiheit beraubte Frankreich einer halben Million seiner nützlichsten und fleißigsten Bürger. Sie flohen in Schaaren nach Holland, nach Preußen, nach England, und wurden überall mit offenen Armen empfan gen. Viele von ihnen ließen sich in London nieder, während andere die schon in Canterbury, Norwich und anderen Provinzialstädten cristirendcn Gemeinden vermehren halfen und die Seide-, Sammet-, Atlas-, und Tafft-Fabriken aus eine noch höhere Stufe der Vollkommenheit brachten. Im Jahre 1690 crrich- tetcn sie die erste Kattundruckerei zu Richmond an der Themse. Außerdem verfertigte» sie Uhren, Stein- und GlaSwaarcn, chirurgische und astrono mische Instrumente, Küchengeräth, Spielzeug u. s. w. u. s. w. „Ein Theil der Londoner Vorstädte", sagt Voltaire in seinem Siede üe I^oui8 XIV., „wurde ganz mit französischen Seidenwebern bevölkert. °) Tausende von Arbeitern in anderen Fächern fiedelten sich in der Gegend von Soho und St. Giles an. Von ihnen lernte man in England die herrlichen Krystalle verfertige» — eine Kunst, die um diese Zeit aus demselben Grunde in Frank reich verloren ging." Gegen das Jahr 1748 ward die Anzahl durch neue Einwanderer vermehrt. „Eine heftige Verfolgung", schreibt ihr Prediger Bourdillon, „brach abermals in verschiedenen Provinzen Frankreichs gegen unsere Brüder aus, die in großen Massen nach diesem Königreich (England) flohen, wie nach einem anderen Vaterlande, wo sie Sicherheit vor jeder Ge fahr und bereitwillige Aufnahme in den Kirchen ihrer Glaubensbrüder fanden." In allen Ländern, wohin die französischen Refugies gcriethen, trugen sie nicht weniger zur Verbreitung geistiger Kultur und höherer Gesittung bei, als zur Vervollkommnung der Manufakturen und gewerblichen Anstalten. Ueberall sind ausgezeichnete Männer aus ihrer Mitte hcrvorgcgangcn, wie sie denn ins« besondere dem preußischen Staate eine lange Reihe berühmter Namen geliefert haben, von denen wir nur an Courbiere, Lestocq, Colomb als Krieger, an Ancillon, Formcy, Savigny und so viele Andere als Staatsmänner und Ge lehrte erinnern. Auch in England haben sie eine ehrenvolle Stelle in allen Zweigen der Verwaltung und des bürgerlichen Lebens eingenommen; so waren unter Andere» der Oberbefehlshaber der britischen Truppen im spanischen Erb folgekrieg, Lord Galway (Nuvigny), der Generalissimus Graf Ligonier, der Seeheld Lord Gambier, die Rechtsgelehrten Saurin und Bosanquet, der gelehrte Theologe Majendie und der als Staatsmann und Parlamentsredner von keinem seiner Zeitgenossen übertroffene Sir Samuel Romilly aus fran zösisch-protestantischen Familien entsprossen. °°) Der Capitai» Thomas Sa- very, der im Jahre 1698 die erste Idee zur Erfindung der Dampfmaschine gab, war ein französischer Einwanderer, und cS eristirt überhaupt in England fast kein einziger Industriezweig, den man nicht von einem ausländischen Ur- sprung ablciten kann. Selbst die gewöhnlichsten Äüchengewächse, als^Salat und Kohl, mußten zuerst aus der Fremde — aus Flandern und Artois — ein geführt werden! Es gab in London einst über dreißig französische und wallonische Kirchen oder Gemeinden, die indessen jetzt größtentheils eingcgangcn sind. Unter ihnen galt die alte wallonische Kirche in 'Ilireiulneetlle Street gleichsam als Kathedrale. Sie bestand schon unter Eduard VI. (1550), brannte aber in der großen Feuersbrunst von 1666 nieder, worauf man ein neues Gebäude aus derselben Stelle errichtete, welches am 22. August 1669 eröffnet wurde. Auch dieses ward im Jahre 1840 eingeriffen, da cs den Zugang zur Börse versperrte, und man verlegte die Kirche nunmehr nach 8t. Ulckrtm's I« 6r»nä, in der Nähe des General-Postamts, wo die Predigte» noch immer in fran- zösischer Sprache gehalten werden. In dieser wie in den übrigen Kirchen und Kapellen sind die Register mit großer Sorgfalt aufbewahrt worden, und wir bemerken unter den eingetragenen Namen viele, die sich bei der französischen Kolonie in Berlin wiederfinden ""); auch standen diese Gemeinden, allem An- 0 ES ist hier von 8pit-n ri-IS» die Red«. ") Der bekomm Stifter der pusehitischm Sekte, Professor Edward Pose» in Oxford, ist ein Mitglied der Familie Bvuvcrie (Uv-, Ilouverlo«), die sich gegen Ende des IS. Jahr hunderts in England niederstes! und deren Haupt jetzt den Suel eines Grafen von Radnor führt. —1 Als: Lombard, Bouch«, Fouquet, Billain, La Roche, Sy, L« Eoq, Roux, he la Croix, Larchex, Plamier, Dufour, Colon,b, Dumoulin u. A.