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Wö»enNiK «Meinen drei Nummern. VrSniimeration»-Prei« 22j Tilbrrgr. (j Thir.) vierteljährlich, 3 Thlr. für dv« ftanzc Jahr, ohne Erhöhung, m allen LheHkn der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen ,kerben von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit ». Comp.. Iäaenlralle Nr. 25), so wie von allen König!. Poü Äemlern. angenommen. Literatur des Auslandes. V' 104. Berlin, Sonnabend den 30- August 184S. Skandinavien. Nebersicht der altnordischen Literatur. Die Völker des germanischen Nordens haben von ihren Vätern eine reiche Literatur ererbt, an der uns, als ihnen durch Sprache und Sitte verwandt, Theil zu nehmen gebührt. Wir haben seit Jahren das Unsrige gelhan, um diele Schätze gemeinschaftlich mit Dänen, Schweden und Isländern zu er schließen, und es steht zu erwarten, daß Deutschland auch in dem Berständniß des alten Nordens seine Befähigung, die ganze Welt geistig zu erfassen, be währen wird. Leuchtet «ns doch in den Denkmälern der Gottcsvorstellungen, des Rechtes und der Sitte der nordischen Stämme ein Bild entgegen, das uns zeigt, wie sich das deutsche Wesen in Abgezogenheit von fremden Ein- flössen entwickelte. ES ist die altnordische Literatur in der Sprache aufbc- wahrt, die wir die altnordische oder auch die isländische nennen. Sie ist ein Zweig des germanischen Sprachstammes, eigenthümlich eulfaltet, voll Fülle und Kraft, ein Zeuge jener rauhen und kräftigen Schaarcn, die im 8., 9. und 1t>. Jahrhundert Deutschland, Frankreich und England vor sich zittern machten, die in gewaltigen Fahrten auf den Meeren herumtrieden und nach Kämpfen um Leben und Gut wieder heimkehrten zu einem innigen häuslichen Leben, das wie eine schöne friedliche Insel aus stürmischem Meere hervorschaut. In der Ruhe nach jenen Zügen und den Kämpfen in der Heimat selbst wurden die Keime zu der Literatur gelegt, die wir heutc noch pflegen. Zu vollem Ausschießen bedurfte sie aber längerer und behaglicherer Stille, die erst durch große Aenderungen im Leben LcS ganzen nordischen Volkes errungen wurde. In Skandinavien hatte sich die germanische Stammverfaffung dis in das neunte Jahrhundert erhalten. Die Länder zerfielen in Fylküs oder Gefolg schaften ohne ein festes gemeinsames Band. In Dänemark zerstörte diese Ver- faffung im Beginn dcS nennten Jahrhunderts Gorm der Alte, in Schweden Eirik Eimundarson und tn Norwegen um 870 Harald Haarfagur. Mit den alten Formen des öffentlichen Lebens fielen auch die alten Götter; das Lehens wesen und das Christenthum drangen in Skandinavien rin, das Leben des alten Nordens war gebrochen. Da zogen seine treuen Söhne von der Heimat fort; sie siedelten sich auf den Färöern, den Orkneys, den Hebriden und den Shetlandsinseln an, zogen weiter als je auf Raubzüge und verschonten jetzt selbst die alte Heimat nicht. Nirgends hatten sie sich aber in größere Gemein, schäften vereint, bis Vie Kunde kam, daß hoch im Norden eine Insel gesunden sey, welche allen Flüchtigen ein neues Vaterland bieten werde. Dies war Island. Schon sechzig Jahre nachdem die ersten Ansiedler hingezogcn waren, bildete sich dort ein geordnetes Staatswesen aus, auf die Verehrung der alten Götter und Volks-Versammlungen gegründet. Die Insel wurde volk reich und blühend. Dem Untergange, den die Geschichte gebot, konnte aber der Geist, der seine letzte Zuflucht hier gefunden hatte, nicht entgehen. Um WOV n. Chr. wurde auch auf Island das Christenthum gesetzlich eingeführt; mit den Göttern des Volkes fielen auch seine Stützen; innere Kämpfe erhoben sich und schwächten die Kraft der Insel, so daß sie 1261 unter norwegische Herrschaft kam. Später entvölkerte die Pest Island, und als im 17. Jahr hundert eine neue Regsamkeit erwachte, konnte diese nur eine Tovtenfcier für das erstorbene alte Leben sepn. Die Isländer begannen danials nämlich, angeregt durch den Geist, der im 16. Jahrhundert in Italien und Deutschland erstanden war, die Denkmäler ihrer Väter aufzusuchen und ihnen Fleiß und Kräfte zuzuwcnden. Wir müssen festhalten, daß die Ansiedler Islands gerade die treuesten Verehrer des volksthümlichen Geistes waren, und baß sie Alles, was dieser geschaffen hatte, als ein heiliges Erbgut mit sich in die neue Heimat führte». So brachten sie den Liederschatz von ihren Göttern und Helden, die Spruch weisheit ihres Volkes und die Geschichten ihrer Geschlechter unverkürzt nach Island. Hier, fern von dem Vaterlands, auf kleinen Raum beschränkt, durch Krieg so wenig wie durch große Arbeiten dcS Friedens abgezogen, mußte die Erinnerung an das verlassene Vaterland ihre Beschäftigung werden. Sie pflegten die alten Lieder und dichteten neue mit einer allmälig übertriebenen Kunstfertigkeit; sie zeichneten die Geschichten ihrer Väter auf und schrieben ihre Gesetze nieder. Dazu kam, daß das Ehristenthum auch seine Gelehr samkeit auf Island einzubürgern suchte. Jslcif, der erste Bischof der Insel, gründete die Schule von Skalholt, der sich später die Schulen von Haukadal, Oddi und Holar anschloffen. Sie brachten eine gelehrte Literatur, welche Chronologie, Naturgeschichte, Rhetorik und Metrik enthält und als deren spätere Pfleger die Männer erscheinen, welche zuerst eine gelehrte Beschäftigung mit der altnordischen Literatur ins Leben riefen. Im Jahre 1643 fand der Bischof von Skalholt, Brynjttls Svendson, die Sammlung der mythologischen, gnomischen und Heldenlieder aus, welche durch ihn den Namen „Edda" erhielt. Dieser Fund war ein Hauptantrieb für die Isländer, nach den Denkmälern ihrer Vergangenheit zu forschen, und so schlossen sich an Brpnjulf Svendson und Arngrim Johnsen, der besonders thätig war, bald eine Reihe Männer an, die den Stoff zu sammeln suchten, aus dem die Nachwelt die Formen des gewaltigen nordisch-germanischen Lebens herausarbeitcn sollte. Magnus und Stephan Olavsen, Thorlak Skula- son und Runolf Johnsen sind hier zu nennen. Schon Arngrim Johnsen hattd sich mit dänischen Gelehrten, besonders mit Stephanins und OlauS WormiuS, in Verbindung gesetzt und den wissenschaftlichen Sinn der Dänen auf ihre alte Literatur gelenkt. Ihre Könige, besonders Christian IV., unterstützten ihre Bestrebungen auf jede Weise und gaben den Dänen den Ruhm, am groß artigsten von allen Völkern für ihre nationalen Alterthümcr gesorgt zu haben. Olaus WormiuS (1588— 1651), Professor der Medizin zu Kopenhagen, legte vurch seine Arbeiten über nordische Alterthümer der neuen Wissenschaft einen festen Grund und gab ihr Ansehen und Verbreitung, unterstützt von Stepha- niuS, dem Herausgeber veS Saro GrammalikuS, von Rcsen, der die prosaische Edda bekannt machte, von Bartholinus u. A. In Schweden zeigte sich eine gleiche Theilnahinc, die besonders unter Karl XI. durch den Reichskanzler de la Gardic angeregt wurde. Auch hier förderte die Regierung diese Studien möglichst; in dem Kriege zwischen Friedrich III. von Dänemark und Karl Gnstaf wurde von den Schweden die Kenntniß der isländischen Sprache, die sie bis dahin nur sehr mangelhaft besessen hatten, in dem Isländer Rugmann förmlich erobert und 1683 Helge Olsen auf Staatskosten, um Handschriften zu sammeln, nach Island geschickt. ES wurde dadurch die Herausgabe der Quellen möglich gemacht und durch VereliuS, Gudmund Olavsen, Pering- skiöld, Havorph u. A. besorgt. Den gefundenen Stoff legten Scheffer in seiner Upsalia (1666) und OlauS Rudbcck in seiner Atlantika (1675—79) dar. Diese Xtlsnrii:« 1. ver« .Inpkeci ponternrum neste.' «c patem ist berüch ¬ tigt genug; sic stellt sich nichts Geringeres zur Aufgabe, als zu beweisen, daß Skandinavien das Paradies war, daß hier außerdem der Olymp, die Elisäischen Felber und alle sonstigen Plätze griechischer Götter und Helden lagen, sie macht Herkules zu einem Schiveden und die hellenischen Philosophen zu Schülern der nordischen Skalden. Diese unsinnigen Phantasieen, welche nicht bloS in Ruddeck, sondern in allen Pflegern der isländischen Literatur da- malS spukten, sind indessen der ersten Begeisterung und der Vaterlandsliebe jener Männer zu gute zu rechnen und darum eher zu verzeihen, als die euhe- meristische Plattheit und Nüchternheit, die sich im 18. Jahrh. in Dänemark breit machte und hier und da, wie Wheaton's Uis-torx ok rke Xorttmwn kund- thut, noch nicht gewichen ist. Diese angedcutete Richtung war aus den Ansichten, welche Snorri Stur- luson in seiner Heimökringla niedergelegt hatte, hervorgegangen. Snorri löste die gesammte Mythologie dcS Nordens in Geschichte auf, als Leitfäden Wortanklänge benutzend. Die Äsen waren aus Asien gekommen, der TanaiS wurde zum Tanaquisl, dieser zum Vanaquisl (Vanenfluß), also zum Stamm, sitze der Vanen; Odhin war als Ase aus Asien nach Skandinavien eingewan dert , und da die verschiedenen Zeugnisse über ihn nicht zu vereinigen waren, wurde er in mehrere Odbins gespalten. So ging dies durch die ganze Mytho logie durch. Der Nüchternheit dcS 18. Jahrhunderts, die nicht zu begreifen vermochte, wie ein Volk aus der Natur und dem eigenen Herzen heraus sich einen gestaltcnreichen Glauben schaffen kann, war dies eine willkommene Grundlage zu dem nun nothwendig gewordenen systematischen Aufbau dcS zusammengetragcncn Stoffes. Ihn führte Thormod Torfäus (1636—1719) in seinen Xntiguitatex septentrioimle« aus. Die Grundsätze, die er hier auf stellte, haben durch das ganze Jahrhundert die gesammten wissenschaftlichen Leistungen der Dänen und Schweden geleitet. Der bedeutendste seiner Nach folger ist der dänische Historiograph und Äammerherr Peter Friedrich von Suhm (1728 — 99). Sein Hauptwerk ist om Oüin og üen Iieüen^ke guüelaere iXiüdenti. >775, von Gräter 1803 ins Deutsche übersetzt!. Dies Buch ist für die euhemcristische Richtung das, was für die entgegensetzte Nudbeck's Atlantika war. Das Ergebniß aller bisherigen Forschungen ist mit Fleiß und Kenntniß hier niedergelegt, und darum galt dies Werk als ein unübertreffliches Lehrbuch der nordischen Mythologie. Wer cs beute noch als solches empfehlen wollte, würbe sich dadurch selbst das Zcugniß ausstellen, daß er das Wesen dcS Mythos eben so wenig wie die einfachsten Grundsätze der Kritik begriffen hat. Willkür und Nüchternheit herrschen gleichmächtig in diesem „Odhin". Suhm hat indessen als Fortsctzcr der Thätigkcit von ArnaS MagnäuS sich bc-