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und Anzeiger für das Erzgebirge ° mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: IlluHriertes Sonntagsblatt. « Fit» di« Inserate verantwortlich: m. b 6. lürltt» lsr«Kl. Sprechstunde der Redaktion mit Aufnahme der Sonntag« nachmittag» von st—» Ahr. — Lelegramm-Adrrff«: Lageblatt Aue. — Lernsprecher »t in Aue i. Lrzged Seid» in Au» i. Lizgeb. Für onverlangt «ingesandte Manuskript« kann Gewähr nicht geleistet «naben. «e,ug»prei»! Durch unsere Boten frei in, hau, nronatlich »o psg. Bet da Geschäftistell« abgeholt monallich st« psg^ und wLchentlich ,o psg. - Bei da Post bestellt und selbst abzeholt vierteljährlich ,.ro Mt. - Durch »a» Briefträger frei in, Sau, vtateliährlich l.yr Mk. — Einzelne Nummer «o psg. — Deutsch« postzeitung». katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Au,nahm» von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bi, spätesten, -Uhr vormittag,. Für Ausnahme von grästeren Anzeigen an bestimmt«» Stellen kann nur bann gebürgt waden, wenn st« am Lag« vorh« bei an» eingehen. Insertion,prei,: Di» skbengespalten« Rorpurzetle ob« denen Raum lv pfg^ Reklamen rr psg. Bei größeren Aufträgen entsprecherrba Rabatt. Diese Nummer umfaßt K Seiten. Das Wichtigste vvm Tage. Der Reichskanzler o. Bethmann-Hollweg wird am heutigen Montag von König Friedrich August m Pillnitz in Audienz empfangen werden. Der Vorstand des nationalen Landesvereius und die sächsische Mit t c lstan d Sv er ei n ig ung treten in öffentlichen Kundgebungen für die Unterstützung der bürgerlichen Kandidaten ohne Ansehen der Partei bei den Landtags-Stich wählen ein. » ' Der Minister, des Innern Graf Vitzthum vonEckstädt empfing am Sonnabend die Vorsitzenden der Arbeits ausschüsse der nationalen Arbeiter- und G e - Hilfen. Organisationen, um deren Wünsche zu vernehmen. * Der Staatssekretär des Neichsjustizamts Dr. Nieberding hat wegen vorgerückten Alters seinen Abschied erbeten unv erhalten. Im ganzen Ruhrgebiet haben gestern Sonntag Pro test Versammlungen des christlichen Berg arbeiter verein» und des Bergarbeiterver ba «des gegen den geplanren Arbeitsnachweis des Zellenverbandcs stattgefnnden. Der Zar und der König von Italien besuchten gestern morgen das Schloß in Polenza. In mehreren italienischen Städten von Sozialisten und Anarchisten einberufcne Protestoersammlungen gegen den Zarenbesuch mußten wegen zu geringer Beteiligung aus sali en. Koburg—Sachsen—Baden. X Wiederum ist eine der Hochburgen de» Liberalismus von den Sozialdemokraten erobert worden. Die Stichwahl in Koburg ist zu ihren Gunsten ausgefallen, nachdem schon im ersten Wahlgange die Zahl der roten Zettel ganz ungemein ge stiegen ivar. Zweifellos hat zu diesem Resultat die Zwietracht der bürgerlichen Parteien bcigetrageu. DK Auf- stcllung zweier Kandidaturen hat zu lebhafter Fehde zwischen ihnen geführt und wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich der dritte. Freilich daif man nicht vergessen, daß die Verstimmung über die Finanzreform auch das ihrige getan haben wird, so daß es den Sozialdemokraten möglich war, noch mehrere hundert Wähler als letzte Reserve heranzuholen, die den Ausschlag gaben. Es hat sich in Koburg bei der Reichstagsersatzwahl also ähnlich verhallen wie bei den Landtagswahlen im Königreich Sachsen und im Groß herzogtum Baden. InSachsen hat man cs mit dem für uns in Deutschland völlig neuen P l u r a lst i m m rech t versucht. 'Bei der Ausar beitung des neuen Systems war man von der Erwägung ausge gangen, daß man es den zahlreichen sozialistischen Wählern ermög lichen müsse, über eine Anzahl von Mandaten in der Kammer zu verfügen. Freilich suchte man dabei Bestimmungen zu treffen, die den bürgerlicken Parteien, namentlich den rechtsstehenden, eine überwiegende Mehrheit sicherten. Auf ein derartiges Resultat, wie das jetzt vorliegende, batte man aber nicht gerechnet und niemand hatte geglaubt, daß sofort 16 Mandate, darunter eine ganze Reihe in ländlichen Wahlkreise», der Sozialdemokratie auf «inen Anhieb im ersten Wahlgange zufallen würden. Bei den Stichwahlen, an denen die Sozialdemokratie mit nicht weniger als 57 Kanditaten beteiligt ist, dürfte allerdings kaum noch ein sonderlicher Erfolg für sie zu erwarten sein, da die bürgerlichen Par teien wohl samt und sonders gemeinsam gegen die Sozialdemokraten Front machen werden. Sicherlich Hütte die Sozialdemokratie einen derartig großen Erfolg nicht erzielt, wenn ihr nicht der Aerger über die Finanzreform zugute gekommen wäre, der zahlreiche Wäh ler, die sonst keineswegs sich zu sozialdemokratischer Weltan schauung bekennen, in das Lager der Genoffen getrieben hat. Eine rühmliche Ausnahme hat nur unser 20. städti scher Wahlkreis gemacht der am besten im ganzen Lande wählte. Ein Leipziger Blatt will Kiesen Ruhm zwar für den 23. ländlichen Wahlkreis in Anspruch nehmen, indessen mit Unrecht Denn dort hatte der (konservative) Kandidat eine Stimmenmehrheit von nur 1548, während Herr Stadtrat Bauer es zu einem Uebergewicht von 3631 Stimmen brachte. InBaden war cs offenbar die Entrüstung über den schwe ren Steuerdruck, die das Anschwellen der radikalen Flut herbei geführt hat. Auch hier find, «Sgesehen von dun Zentrum, dem im> Hinblick auf das Ueberwiegen der katholischen Bevölkerung in! einer ganzen Reihe von Wahlkreisen Mandate von vornherein^ sicher warm, die Sozialdemokraten im erstem Wahlgange über-- aus erfolgreiche gewesen, indem st« 10 Mandate erhielten, fast die Anzahl, über die sie in V:r. badischen Kammer bisher ver fügte. Auch in den Stichwahlen, an denen sie sehr stark be teiligt sind, dürfte ihnen noch eine ganze RKHe- von Mandaten zufallen. Wie sich das definitive Resultat in Laden gestalten wird, läßt sich noch nicht sagen, da man über die Taktik der bür gerlichen Parteien noch nichts Bestimmtes weiß unk» dort ver- fchiedentlich die bürgerliche Linke mit den Sozialdemokraten zu- fammengegangen ist. Alles in allen über sind die Mahlen der jüngsten Tage ein bemerkenwertes Zeichen der Zeit, das zudenken gibt. Gewiß bringt sich nicht zum erstenmale der Unmut der Bevölkerung durch «in Zunehmen der radikalen Stimmen zum Ausdruck. Aber die augenblickliche Verstimmung muß schnell beseitigt werden, sie darf nicht lange anhalten. Bei den Stichwahlen in Sachsen vor allem kommt es jetzt darauf an, daß die bürgerlichen Parteien fest zusämnvenhalten, Schulter an Schulter kämpfen gegen den gemeinsamen Feind. Jetzt heißt etz nicht mehr Partei gegen Partei, sondern Bürger tum gegen Sozialdemokratie. In diesem Sinne möge sich auch die Stichwahl in unserem benachbarten 17. städtischen Landtagwahlkreis abspielen. Jeder bürgerliche Stimm zettel muß, damit der Sieg errungen werde, die Aufschrift tragen: Schuldirektor Borwerk in llutsrsachsenbu» Der Vorstand des Nationalliberalen Landesoerelns faßte in einer Sitzung am gestngui Sann lag in Leipzig folgenden Be schluß: Der Vorstand de» N tionalliberalen LanveSverems we st auf die große Tragweite ins Ergebnisses der bevorftihenden Stichwahlen und fordert die Parteifreunde aus, mit aller Kraft auf den Sieg der Kandidaten de* nationalen Parteien» einerlei ob rechts- oder linksstehend, hinzu« irken. Auch die Mittelstandsvereinigung tritt mit einer Kundgebung im gleichen Sinne an die Oeffentlichkeit. Es heißl darin zum Schluß: Nicht rückwärts seh n und klagen oder zürnen! In dieser schweren Stunde der Entscheidung muß das Vaterland über die Partei gefüllt werden Wir empfehlen deshalb den Wählern Der geheimnisvolle Herr. Humoreske von Reinhold Ortmann. (Nachdruck verboten.) Am Mittwoch waren die Herrschaften — nämlich Herr und Frau Klingenberg mit ihrem achtzehnjährigen Töchterchen Fanny — aus dem Seebade zurückgekehrt, und schon für den Samstag hatten sie in Ausübung der gewohnten Gastlichkeit einige ihrer intimsten Freunde zu einem kleinen Souper ge laden. Die Zahl der Gäste war diesmal wirklich auf das äußerste beschränkt worden, aber die Wahl war dafür auch auf die Elite des ziemlich ausgedehnten Klingcnbergschen Bekanntenkreises gefallen. Da war zunächst der Major a. D. Äon Krusewitz, trotz seiner Schwerhörigkeit und seiner Jung- gesellen-Unarten unschätzbar, weil er in richtiger Würdigung der Sachlage bei bürgerlichen Gastgebern stets in Uniform erschien. Ferner der Professor Heberlein, von dem zwar niemand recht zu sagen wußte, wie, wo und wann er zu seinem akademischen Titel gelangt sein mochte, der aber durch diesen Titel ebenso dekorativ wirkte wie durch seine schöne, immer nach der allerneuesten Mode gekleidete Frau — ihre Freundinnen tuschelten, sie sei mal beim Theater gewesen oder vielleicht sogar beim VariölS —, und durch sein allerliebstes Töchter chen Isa, das zwar schon siebzehn Lenze gesehen hatte, aber immer noch mit bestem Erfolg die kindliche Naivität des ahnungslosen Backfischs markierte. Da war weiter der Assessor Heinz Brunkhorst, ein junger Herr von tadellosen Manieren, den sich Frau Klingeberg während des verflossenen Winters auf einem Balle gekapert hatte und dessen augenfälliges Interesse für Fräulein Fanny bis zu der absolvierten Sommer reise mit dem freundlichsten Wohlwollen genährt und gepflegt worden war. Und endlich als Held des Abends der Baron Emich von der Ecke-R'Mpelstein, der zum ersten Male die Gastfreundschaft des Klingenbergschen Hauses genießen und es darum auch in allem Glanze seiner bevorzugten gesellschaft lichen Stellung sehen sollte. Baron Emich war die aller- iüngste Jagdbeute der immer auf dem Pürschpfade befindlichen Frau Klingenberg — eine Bade-Bekanntschaft, auf die man Mit Recht stolz sein konnte. Ehemaliger Leutnant und von w rschechtcn Adel lebte der elegante Freiherr, w'e schon seine absolute BerufSlosigkeit erwies, ohne allen Zweifel in den besten Vermögensverhältnissen. Daß er für seine Jugend schon etwas stark verbraucht aussah, galt dem Ehepaar Kliugeuberg als untrügliches Merkmal höchster Distinktion, und die U benswürdige Virurteilslosigkeit, mit der er sich alsbald der Familie anaeschlossen hatte, nm dem Fräulein Fanny höchst intensiv die Kur zu machen, hatte ihre zärtlichen Elternhcrzen mit eimr Welt hochfliegender und beseligender Hoffnungen erfüllt. Der einfache, schlichtbürgerliche Assessor Brunkhorst, von dem man eigentlich weiter nichts wußte, als daß er in einem keineswegs vornehmen Stadtviertel das be scheidene Leben eines möblierten Zimmerherrn führte, hatte neben diesem feudalen Kandidaten heute schon nicht die ge ringsten Chancen mehr, wenigstens nicht, soweit die ausschlag gebende Ansicht von Mama und Papa Klingenberg in Frage tarn. — Mit jener etwas verdächtigen Pünktlichkeit, die eine hervorragende Tugend hungriger Freitisch-Studenten zu sein pflegt, hatten sich sämtliche Geladene eingefunden und in dem kleinen Salon neben dem Arbeitszimmer des Hausherrn ver sammelt. Mit Ausnahme des Assessors, den die auf einen merklich kühleren Ton gestimmte Aufnahme verdrossen zu haben schien, und Fräulein Fannys, deren Lächeln etwas recht Gekünsteltes und Gezwungenes hatte, befand man sich in der fröhlichsten Stimmung, und namentlich der Baron erregte durch seine geistvollen Scherze und seine kleinen pikanten Geschichten aus dem High-life das Entzücken seiner andächtig lauschenden Zuhörer. Da geschah es, daß Auguste, das erst vor drei Tagen ange stellte neue Hausmädchen, die Tür des Salon» öffnete, nicht um zu melden, daß angerichtet sei, wie man es allseitig erwartet haben mochte, sondern um ohne vorherige Anmeldung einen an ständig, aber keineswegs festlich gekleideten Herrn einzulassen, der eine dickleibige schwarze Mappe unter dem Arm trug und mit würdevoll gemessenem Ernst sein Haupt gegen die Ver sammelten neigt«. Wahrscheinlich würde er sich im nächsten Augenblick vorgestellt haben, wenn nicht der Hausherr — merL würdig rot im Gesicht — Lei seinem Anblick hastig aufgesprungen, und auf ihn zugetreten wäre. Ah, Sie sind es, lieber Freund k rief er mit einer nicht vollkommen echt klingenden Jovialität: Der heutige Abend war eigentlich nicht Mr geschäftliche Dinge bestimmt: aber da Sie sich nun einmal bemüht haben, werden mich, wie ich hoffe, meine verehrten Gäste auf einig« Minuten, entschuldigen. Wollen Sie, bitte, die Freundlichkeit haben, hier einzutreten. Und der führte den geheimnisvollen Herrn mit der schwarzen Mappe so dienstbeflissen zu der Tür des Arbeitszim mers, Laß es beinahe aussah, als schöbe er ihn gewaltsam hinein. Dann war er verschwunden, unv für die Dauer einer Minute bliäb es in dem kleinen Salon so still wie in einer Kirch«. Frau Klingenberg war die erste, die wieder das Wort ergriff, um mit erheuchelter Unbefangenheit auf das zuletzt berührte Ge sprächsthema zurückzukommen und den Baron zur Beendigung einer eben begonnenen reizenden Geschichte aufzufordern. Aber der liebenswürdige Aristokrat war plötzlich wie umgewandelt. Er stotterte, verhaspelte sich, nahm mehrmals seine Zuflucht zu dein Taschentuch und schlug sich zuletzt aufspringend mit der Hand an di« Stirn. Himmel! Diese unglückselige Vergeßlichkeit! Ich bitte tausendmal um Verzeihung, meine verehrte gnädige Frau! Aber eine dringende Verabredung, die meinem Gedächtnis leider ganz und gar entschwunden war — ein« Angelegenheit von höch ster Wichtigkeit — zwingt mich zu sofortigem Ausbruch. Viel leicht, daß ich ein anderes Mal die hohe Ehre haben darf —> Frau Klingenberg erklärte zwar mit zitternder Stimm«, daß sie ihn unter keinen Umständen fortlaffen würde, und fi« schien nicht übel geneigt, ihn mit Gewalt zurückzuhalten. Aber der Baron drängte mit unaufhaltsamer BeharrliAeit zur Tür und mußt« sich hinauszuschlängeln, während sie noch mit dem ganzen Aufgebot ihrer Beredtsamkeit auf ihn «insprach. Da stürzte sie in Verzweiflung in Las Arbeitszimmer ihr«» Gatten. Mit einigen Worten war Herr Klingenberg über Las drohende Unheil unterrichtet, und wt« er ging und stand, rannte er auf den Korridor hinaus, um den «ben in seinen lleberrock schlüpfen den Baron noch im letzten Moment beim Aermel zu erwischen. Auch er beschwor und bestürmte den Fluchtberetten mit den süßesten Worten, er wollte seine Einwendungen nicht gelten lassen und hielt ihn der größeren Sicherheit halber d<ches hart-