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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations-Preis 22^ Sitbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. sür das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen'Theilen der. Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Post- Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 26. Berlin, Donnerstag den 2i>. Februar 1844. Frankreich. Charles Nodier. (Nach der kevu« 1*ari8.) Zum Glück für die Menschheit hat Gott die Geister sparsam über die Erde gesäct, deren Platz nach ihrem Tode leer bleibt, und deren Werth man darum, wenn sie verschwunden find, erst ganz fühlt. Seit einigen Wochen unterhält man sich allgemein von Charles Nodier, den seine Freunde schon, während er noch litt, beweinten, und in dem Frankreich einen edlen Charakter, einen ausge zeichneten Sprachforscher und einen geistvollen Dichter verloren hat. Beson. ders der hohe Werth seiner umfassenden akademischen Arbeiten giebt uns die traurige Gewißheit, daß Charles Nodier für uns unersetzlich ist. Dies haben seine Kollegen selbst durch den Mund ihres Präfivcnten neulich an Nodier's Grabe ausgesprochen ; und der Verfasser der nachstehenden Bemerkungen würde sonst nicht wagen, .eine Ucbcrzeugung zu äußern, von der es scheinen könnte, daß fie nur aus seiner großen Verehrung für den Verstorbenen und aus seinen persönlichen Verhältnissen zu ihm entstanden sep. Der Schutz und die Liebe dieses bewundernswürdigen Mannes war die einzige Erbschaft, welche meine Acltcrn mir hinterließen, und der Schmerz über seinen Tod treibt mich, öffent lich von ihm zu sprechen, als ob er hierdurch, wie durch die Erfüllung einer letzten Dankespflicht, gemildert würde. Ich will nicht Charles Nodier's Ver dienste um die Literatur würdigen; dies überlasse ich einer geübteren Feder, der ich zu ihrem Werke nur dieselbe Liebe geben möchte, von der ich erfüllt bin; ich will nur von Nodier als dem Menschen sprechen und seinen zahl reichen Verehrern einige Züge mittheilen, welche das Bild, das fie nach seinen Schriften sich von ihm entworfen haben, vervollständigen mö-ftn. Charles Nodier's Geist schien im Leben fast noch reicher, als er fich in den Schriften zeigt. Er hatte einen gewissen Hang zu ironischem Scherz und war dabei doch sehr gutmüthig und zartfühlend. Wenn er sprach, so ergänzten fich sein Geist und sein Herz gegenseitig; die scharfen Gedanken, welche der Geist gab, milderte das Herz, und fie schienen im Wettstreit zu liegen, welchem von beiden cs gelingen würde, das Ohr des Hörers mehr zu fesseln. Er hatte die Offenheit eines Kindes, die Erreglichkeit eines Jünglings und eine seltene, ungeheuchelte Bescheidenheit. Was er begann, trieb er mit jugendlicher Be- geisterung; diese Begeisterung ging aus dem tiefsten Kerne seiner Seele her vor, wenn fie auch oft unter einer Form ans Licht trat, welche den Skepti zismus Voltaire'S und die positive Ironie Beaumarchais' zu vcrrathen schien. Nodier selbst unterschied drei Personen an fich und hat bissen Scherz in der Geschichte des Königs von Böhmen und seiner sieben Schlösser sehr glücklich ausgebeutet, da in dieser gelungenen Satire stets das Bild des Verfassers in seiner.drcifachen Gestalt erscheint. Wenn Nodier im Leben oder in den Schriften von fich selbst sprach, so that er es mit einer fast komischen Bescheidenheit. Die schärfsten Pfeile seines Witzes richtete'er gegen fich selbst und verspottete fich oft unter dem Scheine einer so großen Treuherzigkeit, daß man fich verleiten ließ, ihn alles Ernstes gegen seine eigenen Anklagen zu vcrtheidigen. Darum genoß er auch daS Vorrecht, so ost von fich sprechen zu dürfen und damit alle Herzen zu ge winnen. Der tiefe Eindruck, den sein eigenthümlicher Geist machte, wurde noch dadurch erhöht, daß sein ausgezeichnetes Gedächtniß ihm stdts den reich sten Stoff für die Unterhaltung bot,, und daß sein angenehmes Organ seine Worte noch zu verschönern schien. Seine Gesichtsbildung hatte etwas SanfteS, und doch verrieth fie stets seine innere Bewegung und Leidenschaftlichkeit; seine Augen waren hell und durchdringend, seine Stirn weiß und von einigen wenigen Runzeln überzogen; seine Lippen schienen stets ein ironisches Lächeln unterdrücken zu wollen, und auf seiner Nase, die er selbst gefeiert hat, sah man jenes seltsame Muttermaal, „welches der eigenfinnige Finger eines Erz engels ihr aufgedrückt hatte." Von Gestalt war Nodier sehr groß und hager, doch starkknochig, und er ging etwas gebeugt. Sein dichterischer Beruf entschied fich schon früh. Ehe er die Elemente der Grammatik gelernt hatte, entwarf er Komödien; seine Phantasie befähigte ihn wie eine Morgendämmerung der Leidenschaften die tiefsten Gefühle zu schildern, che er selbst sie empfand, und seine große Empfänglichkeit für alle Eindrücke ber Kunst und Wissenschaft bewog seinen Vater, ihn vor dem zwölften Jahr? die klassischen Studien nicht beginnen zu lassen. Zwölf Jahr alt wurde Nodier I79L; er machte Verse und wartete die Zeit ab, in der man ihm die Ortho graphie gründlicher beibringen würde; er fing im Geheimen Latein zu lernen an, und als sein Vater ihm hierzu die Erlaubniß gab, trieb er es schon mit demselben Eifer und derselben Beharrlichkeit, die er als Mann bei seinem lite rarischen Wirken zeigte. Aus jener Zeit ist uns noch folgende Anekdote erhalten, welche für Nodier's Entwickelung ebenfalls bezeichnend ist. Sein Vater war in jener unglücklichen Zeit Präsident des Gerichtshofes zu Besancon; er verfuhr mit pflichtmäßiger Strenge, doch zugleich mit höchster Unparteilichkeit und suchte dadurch den Widerspruch zwischen der Härte des Gesetzbuches und seiner eigenen freundlichen, wohlwollenden Gesinnung zu heben. Wenn der Buchstabe des Gesetzes nicht auf Verurtheilung lautete, so suchte der Präsident Nodier dem Gesetze eine mildere Auslegung zu geben; doch wenn er die Strenge als seine Pflicht erkannte, so war er unbeugsam; seine Vorliebe für das römische Altcr- thum machte ihn stolz auf das Bewußtseyn, daß er die Gerechtigkeit in antikem Sinne übe. In solchen Grundsätzen war Karl auferzogen worden; doch hatte ein Freund der Familie, Herr von Chantrans, das Herbe dieser Gesinnung durch seinen Einfluß gemildert. Chantrans, den Nodier in seinen „Jugenderinnerungen" und in der „Seraphine" unsterblich gemacht hat, war ein frommer, geist- und kenntnißvoller Patriarch des Ancien-Regime. Karl hielt fich oft ganze.Tage bei ihm auf und horchte seinen weisen Lehren. Im Jahre 179» nun. geschah es einst, daß die Nichte des Abbe d'Olivet, eine geachtete Frau von vorgerücktem Alter, verhaftet wurde, weil sie einem Ver wandten, der auSgewandert war und an den Gränzen Frankreichs gegen sein Vaterland, kämpfte, Geld geschickt hatte. Das Verbrechen war erwiesen, daS Gesetz unzweifelhaft; der Präsident Nodier, welchem die Coriolane der Armee von Koblenz selbst nicht sehr gefielen, sah keine Möglichkeit, den Wunsch, Frau von Olivet zu retten, mit seiner Pflicht zu vereinigen. Während die Untersuchung eingeleitet wurde, bewog Chantrans den jungen Nodier, um die Freisprechung der Angeklagten zu bitten, deren vertrauter Freund er war. Der Knabe war von solcher Liebe zu Chantrans erfüllt, daß er für ihn ins Feuer gegangen wäre; er warf sich dem Vater zu Füßen und trug ihm mit Thränen seine Bitte vor. Der Präsident war unerbittlich, und nach einem langen Kampfe erhob sich der Knabe und rief mit entschiedenem Tone: „Brin gen Sie denn dem Vaterlandc dieses Opfer, ich will ein anderes der Freund schaft und Dankbarkeit bringen; wenn man Frau von Olivet verurtheilt, so endet ein Dolch das Leben Ihres Kindes." Der Präsident wollte den Knaben durch Vernunftgründe überzeugen, daß er seine Bitte nicht erfüllen könne, doch anstatt ihn anzuhören, fuhr Karl fort; „Morgen wird Frau von Olivet freigesprochen, oder Sie haben keinen Sohn mehr!" und mit diesen Worten eilte er zur Thür hinaus. Die Nacht kam, doch er kehrte nicht zurück; die Stunde des Gerichts erschien, und noch immer ließ ihn der Vater vergebens suchen. Als die Gerichtssitzung eröffnet wurde, sah er ihn endlich in einem Winkel des Saales ganz bleich stehen ; die Hand hatte er in den halbaufgc- knöpften Rock geschoben und hielt darin vielleicht die verhängnißvolle Waffe, welche seine Drohung wahr machen sollte. — Frau von Olivet verdankte ihre Freisprechung den Bitten des Knaben, und wenn der Präsident später an dieses Ereigniß dachte, so drückte er den Sohn oft mit Entzücken an die Brust. Chantrans war Ingenieur-Offizier gewesen; er war klein von Gestalt, sehr heiteren Geistes, liebte die Natur so wie die Wissenschaften, und unter den letzteren besonders die Botanik und die Entomologie. Als mich Nodier im Jahre I8Z4 zu ihm schickte, war er fast hundert Jahr alt; gleichwohl fand ich ihn noch geistig kräftig und verlebte fünf herrliche Tage bei ihm. Er er zählte mir, wie er zur Schreckenszeit mit Karl, den sein Vater ihm anver traut hatte, aufs Land geflohen war, wie er ihn hier in den AnfangSgründen der Mathematik und Botanik unterrichtete, und wie rasche Fortschritte der Knabe machte. Er legte selbst Sammlungen an, die Chantrans noch aufbe- wahrtc, und sein ganzes Leben blieb cs seine Lust, die Wälder und Wiesen zu durchstreifen. Selbst in seinen Schriften finden sich häufige Spuren hier von; oft werden seltene, köstliche Blumen oder Goldkäser beschrieben, und die Entomologie erzeugte schon früh, ehe er Hoffmann kennen lernte, eine Menge phantastischer Vorstellungen in ihm. Auch sein erster Liebesroman spielte in dieser Einsamkeit. Nodier war früh mit den Romanen der Frau von Montolieu und einiger Deutschen vom sentimentalen Genre bekannt ge worden und verliebte fich zu vierzehn Jahren, als ob die glühendste Leiden schaft ihn erfüllte, und doch war es nur die Phantasie, welche sein unschul- diges Gemüth so heftig aufrcgte. Nichts war ergötzlicher, als wenn Nodier in seinen alten Tagen die platonischen Liebesabenteuer schilderte, welche er be stand, als er noch in die Schule ging. In demselben Jahre schickte man ihn nach Straßburg, damit er dort seine