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»8» LmWeilv M WW ZKMzckq Nl. 124. zu Nr. 28 de- HauptblatteS. 1932. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße dl Dresden. Landtagöverhandlungen. «s. Sitzung. Dienstag, den 2. Februar 1932. Präsident Weckel eröffnet die Sitzung 13 Uhr 7 Minuten. Am Regierungstisch die Minister vr. Hedrich und Richter sowie andere Regierungsvertreter. Bor Eintritt in die Tagesordnung erhält Innen minister Richter das Wort zu folgender Erklärung: LtaatSminister Richler: Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Plenarsitzung des Landtags hat, was der Regierung erst aus der steno graphischen Niederschrift bekannt geworden ist, der Herr Abg. Studemkowski zwei im Arbeits- und Wohl- fahrtsministerium tätige Beamte, und zwar Herrn Ministerialdirektor vr Kittel und Herrn Ministerialrat vr. Maier, als „offensichtlich unsaubere marxistische Elemente" bezeichnet. Diese beleidigende Herabwür digung zweier Beamter weise ich, zugleich im Namen des Herrn Ministerpräsidenten, mit aller Entschieden heit zurück. Bon Ministerialdirektor vr. Kittel ist noch niemals und von keiner Seite behauptet worden, daß er sich irgendeiner Pflichtverletzung schuldig gemacht habe. Jeder, der seine unermüdliche sachliche Arbeit kennt, wird ihm im Gegenteil seine unbedingte Pflicht treue bestätigen müssen. Gegen Ministerialrat vr. Maier hat zwar in seiner Eigenschaft als früherer Geschäfts führer der Sächsischen Wohlfahrtshilse ein Dienststraf verfahren auf Dienstentlassung eingcleitet werden müssen, das in der ersten Instanz vor der Disziplinar kammer zu seiner Verurteilung mit Verweis und Geld strafe geführt hat. In der mündlichen Urteilsbegründung ist aber ausdrücklich hervorgehoben worden — das schriftliche Urteil liegt noch nicht vor —, daß ihm jeder eigennützige Zweck ferngelegen habe. In derselben Sitzung hat der Herr Abg. Hartsch gegen den nunmehr im Ruhestand befindlichen Direktor des Oberversicherungsamtes Dresden, Herrn Geheimen Regierungsrat Hertzsch, den schweren Vorwurf er hoben, er habe seine Stellung dazu benutzt, seinem Bruder, dem Regierungsobermedizinalrat vr. Hertzsch, ein Nebeneinkommen von etwa 14000 RM zuzuschanzen. Richtig ist, daß die einzelnen Spruchkammern des Oberversicherungsamtes Dresden — diese allein sind hierfür zuständig — Herrn vr. meck. Hertzsch, der übrigens nicht mehr aktiver Beamter ist, des öfteren als Gutachter herangezogen haben und daß ihm hier für im Jahre 1930 über 13000 RM Gebühren ge zahlt worden sind (Lebhaftes Hört, hört! b. d. Soz.) Ob und inwieweit auf die Heranziehung vr. Hertzschs zur Gutachtertätigkeit der Direktor vr. Hertzsch hin gewirkt hat, was anzunehmen ich stärkste Bedenken trage, wird noch erörtert werden. Nach Abschluß der Erörterungen werde ich mir erlauben, im Landtag endgültig zur Sache Stellung zu nehmen. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetreten. Punkt 1: Beratung des Antrags des Abg. Arndt n. Gen. wegen Ergreifung von Hilfsmaßnahmen für Siedler. (Drucksache Nr. 978.) Der Antrag Nr. 678 lautet: Die Verschlechterung der Wirtschaftslage hat die jenigen, die in den Jahren nach 1924 Neubauwohnungen und Siedlungen errichtet haben, in eine besondere Notlage und in Zahlungsschwierigkeiten gebracht. Während Inhaber von Altwohnungen von einem Teil der Miete (Mietsteuer) befreit werden können, sind Inhaber von Neubauwohnungen zur vollen Zahlung der ohnehin höheren Mieten verpflichtet. Biele Siedler, die inzwischen erwerbslos wurden, sind außerstande, die erheblichen Kosten für ihre Neu bauten auszubringen. Es besteht die Gefahr, daß sie ihr Eigentum verlieren und daß hierbei auch die als Baudarlehen gewährten Beihilfen aus deu Mitteln der Aufwertungssteuer verlorengehen. In gleicher Lage befinden sich die Besitzer von Neubauwohnungen, die infolge der verschlechterten Einkommensverhältnisse ihre Wohnungen, die im Durchschnitt wesentlich teurer sind als gleichwertige Altwohnungen, nicht mehr vermieten können. Der Landtag wolle deshalb beschließen: die Regierung zu ersuchen, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, den finanziell bedrängten Siedlern Hilfe zu bringen und die Mieten für Neubauwohnungen zu verbilligen. Hierzu liegt folgender Zusatzantrag vr. Wallner und Mack (Volksr.) vor: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, auf die Gemeinden ein zuwirken, daß sie: 1. die Erbpachtpreise für Siedlungsland dem gesunkenen Bodenwert anpassen; 2. in Bedrängnis geratenen Siedlern die Tilgung der Mietzinssteuerhypotheken stunden; 3. ihre Sparkassen zu schnellerer Ablösung von Siedler- Zwischenkrediten und zur Hergabe von Hypotheken zu günstigen Bedingungen an Siedler veranlassen; 4. bei den zu hohen Baukosteninder erstellten Neubau häusern die erforderlichen Abschreibungen vor nehmen und die Mieten dem neuen Wert anpassen; 5. die Rückflüsse aus der MietzinSsteuer zum Klein wohnungsbau zu verwenden. Abg. Güttler (Soz.): Trotzdem die sozialdemokratische Fraktion den Antrag Nr. 678 schon Anfang November ge stellt hat, ist dieser Antrag weder durchdie Notverordnung, noch durch die Verordnung für Mietensenkung vom 15. Dezember 1931 überholt, im Gegenteil, unser Antrag ist im höchsten Maße aktuell (Abg. vr. Wilhelm: Sehr richtig!), und wenn er nicht schon Anfang November gestellt worden wäre, hätte er unbedingt nach dem In krafttreten der Notverordnung gestellt werden müßen. Diese Notverordnungspolitik mildert keinesfalls im Hin blick auf die Wohnuntzspolitik die schwere wirtschaftliche Krise. Uud daran wird auch dadurch nichts geändert, daß der Reichsarbeitsminister Stegerwald im Rundfunk der deutschen Mieterschaft eine Mietsenkung von durch schnittlich 15 Proz. versprach. Heute, nachdem einiger maßen sachlich die Situation zu übersehen ist, stellt sich heraus, daß die Reichsregierung keinesfalls ihr Ver sprechen in dem Umfange gehalten hat, wie sie es vor der Veröffentlichung der Notverordnung ankündigte. Durch solche Reden, wie sie der Herr Reichsarbeitsminister Steger wald gehalten hat, werden nur unnötig Illusionen erzeugt. An Stelle der Hoffnung ist eine grenzenlose Verbitterung in allen Mieterkreisen eingetreten. Bis zur Unerträg lichkeit gesteigert hat sich das bei den Volksgenossen, die als Neubaumieter oder als Siedler sich im eigenen Eigenheim angesiedelt haben. Die Frage der Neubau mieten ist nicht nur volkswirtschaftlich eine Frage ersten Ranges, sondern auch darüber hinaus eine Frage von hoher staatspolitischer Bedeutung. Man schätzt die Zahl der nach der Inflation unter dem Drucke der Woh- nuugsnot errichteten Wohnungen in Deutschland auf rund 2—2)4 Millionen. Nimmt man an, daß in jeder Wohnung 3 Menschen wohnen, beispielsweise ein Ehe paar und 1 Kind, so kann man leicht errechnen, daß rund 7 Millionen Volksgenossen in Neubauwohnungen wohnen. Das sind rund 10 Proz. der ganzen Bevöl kerung. Daraus ersieht man, daß die Fraae, die wir in dem Anträge Nr. 678 zusammen gefaßt haben, eine Frage von eminenter politischer und volkswirtschastlicher Bedeutung ist. Die lebhafte Bautätigkeit nach der Inflation hatte eine starke Uberteuerung der Baukosten zur Folge. Dazu kam, daß die Preispolitik der Kartelle in der Baustoffindustrie leider in höchstem Maße Mietpreis- verteuernd gewirkt hat. Die Folge davon war, daß der Baukostenindex bis zu 190 Proz. gestiegen ist. Nicht minder schlimm lag es bei dem Kapitalzins. Erste Hypotheken konnten nur zu einem Zins beschafft werden, der mindestens 20 Proz. über dem Friedens zinssatz lag. Zweite Hypotheken waren, soweit über haupt welche zu haben waren, weit über dem Friedens satze, und wenn nicht der Staat durch Baudarlehen aus der Mietzinssteuer, die mit 1—2 Proz. getilgt werden mußten, eine Senkung des Kapitalzinses ermöglicht hätte, so wären tragbare Mieten in Neubauten über haupt nicht möglich gewesen. Trotzdem haben die Neu baumieten immer wesentlich höher als die Altmieten ge legen. Nach statistischen Errechnungen liegt der Durch schnitt der Neubaumieten rund 140—170 Proz. über der Friedensmiete, und aus dieser einfachen Tatsache ergibt sich, daß jeder Arbeiter und Angestellte sich in den früheren Jahren reiflich überlegen mußte, ob er bei einem einigermaßen anständigen Einkommen und voller Arbeitszeit überhaupt eine Neubauwohnung beziehen konnte. Mißliche, unhygienische Wohnungsverhältnisse zwangen Arbeiter und Angestellte häufig dazu, einfach das Opfer einer höheren Miete zu bringen. Der Miet anteil der Mieter in den Neubauwohnungen betrug in der Regel 20 bis 25 Proz. ihres gesamten Arbeitsein kommens. Jetzt im Jahre 1932 haben wir eine vollständig ver änderte Situation (Sehr richtig! b. d. Soz.) infolge der Verschlechterung der Wirtschaftslage. Die Neubaumieter waren gegenüber den Inhabern von Altwohnungen auch dadurch stark im Nachteil, daß diese bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit von der gesetzlichen Bestimmung Gebrauch machen konnten, sich von der Mietzinssteuer befreien zu lassen, jene nicht. Ich habe die Statistik einer größeren Baugenossen schaft hier, die diese für ihre Mitglieder ausgelegt hat. Die Statistik weist aus, daß am 1. Januar 1930 85 Proz. der Mitglieder dieser Genossenschaft bis zu 30 Proz ihres gesamten Arbeitsverdienstes an Miete bezahlten. 1)4 Jahr später, am 1. Juni 1931 aber sich dieses Zahlen material schon wesentlich zuungunsten der Reubaumieter verschoben hat; es stellte sich nämlich heraus, daß jetzt nur ob Proz. der Mitglieder bis zu 30 Proz. ihres Ein kommens an Miete anlegen mußten und daß schon über 10 Proz. Mitglieder dieser Genossenschaft vorhanden waren, die 50 Pro», und mehr ihres gesamten Ein kommens jährlich rn Miete anzulegen hatten (Sehr richtig! b. d. Soz.) Heute haben sich diese Zahlen noch wesentlich zuungunsten der Neubaumieler ausgewirkt. Während die Altmieter durch die Notverordnung generell ihre Mieten um 7 bis 8 Proz. gesenkt erhalten, reicht die Mietsenkung bei den Neubauten kaum an diesen Prozentsatz heran, und geht sie wirklich in einzelnen Fällen einmal darüber hinaus, so ist dieses Hinaus gehen so unwichtig, daß ernsthaft nicht davon geredet werden kann. Das hat zur Folge» daß eine Flucht auS den Neubauwohnungen eintritt Neben dieser Mafien- kündigung von Neubauwohnungen muß noch ein anderer Faktor herausgestellt werden, nämlich daß die Mietrück stände in einem geradezu erschreckenden Maße zunehmen. Ich will auS der Fülle des Materials bei dieser Frage nur aus einer Eingabe einige Sätze zitieren, die aus Glösa bei Chemnitz unter dem 25. November 1931 an das Arbeits- und Wohlfahrtsministerium gerichtet wor den ist. Die Genossenschaft schreibt hier: Durch die sich immer mehr verschlechternde wirt schaftliche Lage ist der überaus größte TeU der Mieter infolge Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sowie des all gemeinen Gehalts- und Lohnabbaus nicht mehr in der Lage, diese hohen Mieten, die in den Mehrfamilien häusern bis zu 40 M und in den Einfamilienhäusern bis zu 80 M monatlich betragen, aufzubringen. Hier durch entstehen ungeheure Mietrückstände. Der Spar- und Bauverein, welcher sich selbst in einer schweren wirtschaftlichen Notlage befindet, drängt jedoch »ur Zahlung der vollen Miete. Aus diesen Verhältnissen entwickeln sich Zustände, die in kürzester Zeit zu eiuem Chaos führen müssen. Wie soll ein Erwerbsloser, ein Kurzarbeiter oder gar ein Wohlfahrtsunterstützungsempfänger, der die Woche 10,50 M an Unterstützung erhält, monatlich 30—40 M Miete aufbringen? Mir ist dieser Tage ein Vorgang von Chemnitz be richtet worden, der nach meinem Dafürhalten die Regie rung auch in hohem Maße interessieren dürfte. In Chemnitz haben die Mieter in den stadteigenen Woh nungen zur sogenannten Selbsthilfe gegriffen und haben, eben weil nach Ansicht dieser Mieter die Mietensenkung nicht in dem beschleunigten Tempo, wie es billigerweise nach den Versprechungen der Reichsregierung an genommen werden konnte, erfolgt ist, für die Monate Januar und Februar 1932 aus eigenem Ermessen 15 Proz. der Mieten einbehalten. Tie Gemeinden werden auch unter den schwierigsten finanziellen Opfern kaum in den Stand gesetzt sein, für das notwendige Unterkommen herausgesetzter Mieter zu sorgen. Tas, was ich in den einzelnen Partien meiner Dar legungen eben an Gründen für die Neubaumieten an führte, trifft in gleich großem Maße für die Siedler zu. Biele der Siedler sind inzwischen arbeitslos geworden und sind demzufolge außerstande, die erheblichen Kosten für die Neubauten aufzubringen. Man kann schon heute verzeichnen, daß die Siedler, die ihre Siedlungen nur unter größten persönlichen Opfern und Entbehrungen des Einzelnen errichten konnten, ihr erworbenes Eigen tum verlieren. Gerade um deswillen haben wir in unserem Antrag Nr. 678 verlangt, den finanziell be drängten Siedlern Hilfe zu leisten. Darüber hinaus möchte ich die Aufmerksamkeit der Regierung auf einige ganz bestimmte Forderungen, die ich jetzt für meine Person vorzutragen verpflichtet bin, lenken. Unter dem 1. Dezember 1931 hat der Allgemeine Sied lerverband eine Eingabe an das Arbeits- und Wohlfahrts ministerium gerichtet, in der er die grundsätzliche Be- freiung von der Grundsteuer für alle Wohnungsneu bauten in dem Sinne des Gesetzes über Steuer- und Gebührenfreiheit von Wohnungsbauten in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. März 1929 ver langt. Diese grundsätzliche Befreiung ist um deswillen notwendig, weil nach den jetzigen Bestimmungen die Grundsteuerpflicht am 1. April 1932 für alle Wohnungs neubauten emtreten würde, die in der Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum 2. Februar 1926 bezugsfertig hergestellt worden sind. Wenn das nämlich nicht eintritt, dann tritt zwangsläufig ein, daß für die Grundstücke, die unter diese gesetzlichen Bestimmungen fallen, eine Miet steigerung von mindestens 6 bis 8 Proz. statthätte. Durch diese gesetzliche Maßnahme würde gerade das Gegenteil von dem eintreten, was die Reichsregierung mit ihrer großen Preissenkungsaktion eigentlich beabsichtigt. Weiter wird der Wegfall aller Zinssätze für Mietzinssteuer darlehen gefordert. Ich bin überzeugt, daß die Ent wicklung durchaus nach der Richtung hingehen wird und daß sich auch unsere sächsische Regierung bequemen wird, die von mir jetzt ausgestellte Forderung zu akzeptieren. Endlich ist eine dritte Forderung ebenfalls sehr wichtig. Hier wird die Herabsetzung der Tilgung der Mietzins steuerdarlehen auf höchstens 1 Proz. verlangt. Tann wird die Bildung eines Lastenabbürdungsstockes gefordert, in den sämtliche Tilgungsbeträge der Mietzmssteuer- darlehen fließen. Aus diesem Lastenabbürdungsstock sollen den Besitzern von Neubauwohnungen, die trotz der übrigen Hilfsmaßnahmen in ihrem Besitz gefährdet sind, besondere Beihilfen gewährt werden. Tiefe Beihilfen müssen besonders auch für Siedler in Betracht kommen, denen die Zwangsversteigerung ihrer Heimstätten an gedroht ist und denen eine persönliche Schuld daran nicht beigemessen werden kann. Tie Sozialdemokratische Fraktion macht sich gerade die letzte Forderung des Allgen,einen Siedlerverbands voll ständig zu eigen Wenn ich auch inzwischen erfahren habe, daß angeblich ernste Bedenken im Arbeits- und Wohlfahrtsministerium gegen die Durchführung solch eines Lastenausgleichsstockes bestehen, so bin ich doch der nicht unbegründeten Hoffnung, daß über kurz oder lang einfach die Entwicklung dafür sorgen wird. Das, was der Siedlerverband unter 4 fordert, ist eine alte Forderung der Sozialdemokratischen Fraktion. Hier werden Maßnahmen zur Umschuldung von Neu bauwohnungen verlangt, die mit besonders ungünstigen Hypothekendarlehen belastet sind. Ich sagte, wir fordern nicht nur durchdringende Hilfe für die Neubaumieter, sondern anch im hohen Maße für die Neubaufiedler. Die wichtigsten Forde-