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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22; Sgr. (j Tblr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er« Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man pränumerirt aus dieses Beiblait der Allg. Pr. Staacs- Zeünng in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllibl. Pog - Acmlcrn. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 12. April 1837. England. Irländische Armnth. Bon Leitch Ritchie. Derselbe Herr Ritchie, Ler im vorigen Jahr seine Reise in Ruß land unter tem bescheidenen Titel eines Taschenbuches, des „pictureühuo ^nnnnl", beschrieb und darin imercssanlc Details über das Land und Lie Russischen Sille» und Gewohnheiten lieserie, bat dieses Aabr seinen Weg nach Arland genommen, und auch bierbi» bat ibn der geschickte Künstler begleitet, der cs übernommen, das äußere Bild des Landes treu wiedcrzugeben, während der Schriftsteller es in seinen inneren moralischen und gesellschaftlichen Verhältnissen beschreibt. ES ist bekannt, daß die grüne Ansel eines der schönsten, an- muthigstcn Länder ist, ein Land voll reizender, berrlichcr Punkte: gleich bei der Landung in Dublin soll der Meerbusen dieser Stadt an die duftige Bai von Neapel erinnern mit ibren grünen, lachenden Ansel», ihren eleganten Villas, und auch unser Verfasser wundert sich bicr, baß er nach Stoff zum Malerischen so oft in der Ferne gesucht habe, wäbrend «r es doch in seiner allernächsten Nähe, so zu sagen vor der Thür baden konnie. Doch der Anblick des blauen, spiegelglatten Meeres und ter An sel«, die sich aus dem Ocean erheben, und des reichen Grüns, dem Arland seinen schönen Beinamen Smaragd-Ansel zu verdanken bat, dies Alles kann auch ihm, wie gew-ß jedem gesüblvollen Menschen, keinen Ersah gewähren für das schreckliche Elend, das sich dem Beobachter dis in Lie Höse ter Paläste ausdriugt, und für die unvermeidlichen Fol, gen dieses Elends, moralische Berdrrbniß und Verzweiflung. In Arland sind es Bettler, welche de» Fremden bewillkommnen: „Gott segne Eure Gnaden! Scven Sie willkommen im Lande! Ge segnet scy der Tag ihrer Ankunft!" mit solchen Begrüßungen wird der Reisende empfangen, sobald er den Fuß ans Land setzt. Dabei muß man wissen, daß die erstaunliche Fahl der Bettler ihrem guten Verneh men unirr einander durchaus keinen Eintrag thut; ja, cs ist sogar cin charakteristischer Zug des Irländische» Volkes, daß jeder Arme mit ge- rechicr Unparteilichkeit die höheren Rechte eines noch Aermeren und Un glücklicheren, als er selbst ist, anzuerkennen weiß. „Gerade als ich im Begriff war, die Stadt Cork zu verlassen", erzählt Herr Ritchie, „sah ich in einem Augenblick meinen Wagen von einer Menge Unglücklicher umringt, die mein Mitleid anflebien Unter diesen lies auch eine Frau herbei, deren Aammer nnd Leiden »och schrecklicher waren, als die ihrer zahlreichen Unglücksgefäh.tinnen. Ahr Mann war so eben gestorben, und sie batte ihre Kinder bei der Leiche ihre« Vaters gelassen, um ihnen ein Stückchen Brod herbtizubolcn. --Ast das auch wahrt" fragte ich cinen von den Umstehenden. „Es ist leider nur zu wahr", antwortete der hungrige Haufe, der ringsherum stand; und auf der Stelle machten Alle Platz, als wollten sie zeigen, daß sic dic Ansprüche eines noch größeren Elends, als das ihrige, achten Bei einer anderen Gelegenheit wacs ich ein Geldstück unter die Menge nnd deutete dabei mit den Augen auf die Unglückliche, für tue ich es bestimm,,. Dz, Stück fiel zu den Füßen einer änderet! Frau, die es auchob, während der eigentliche Gegenstand meines MiileidenS mit anSgestrcckter Hand und flehenden Geberden das ihr Gebührende i» Anspruch nahm. „Schäm, Euch!" rief die andere voll Unwillen; „denkt Ihr, ich hätte das Geld behalten wollen, da ich doch sah, daß ter Herr Euch meintet" Zuweilen geben diese Bettler ihre Hülfsbedürstigkeit auf keine an dere Wcisc zu erkennen, als indem sic ihre Lumpe» vor den Augen der Vorübergehenden zur Schau anslegen. So ging ich eines Tages vor rincm Menschen vorüber, der, mit dem Rucken an eine Maner gelehnt, an der Seite der Straße saß, und dem das Gepräge eines gräßlichen Elends so sichtbar ausgedrückl war, wie ich stipst j»'Arland kein ähnli ches Beispiel geschrn hab». Seine Kleider fielen in lauter Fetzen herab, sein Gcfichi war blaß und abgezehrt, und doch ließ cr auch nickt eine Shlde hören, als ich vorbeiging. Ick setzte meinen Weg ruhig fort, kaum aber hatte ich einige Schritte gemacht, als mich mein Gewissen wegen dieser Gleichgültigkeit strafte: schnell drehte ick wieder um. „Wenn Ihr cs braucht", fuhr ich ibn etwas ärgerlich an, „warum »erlangt Ahr dcnn kein Almosen?" — „Na, was ,h»' ick denn Ande res", antwortete cr, „als betteln?" — „Aber Abr habt kein Wort ge sprochen." — „Was! Wollen Eie mit mir spaßen, mein Herr? Sehen Sic doch", fugte er hinzu, indem er einen Lappen von dem aufhob, evaS vor langen Zeilen einmal cin Rock gewesen war, „das Fleisch und die Knochen an mir, schreien sie denn »och nicht-genug durch die Löcher meiner Lumpen hindurch? Sicht man mir dcnn das Elcnd noch nicht deutlich genug an den auSgedorrtcn Wange» und den hohlen Augen an? Sagen Sie selbst, siud das nicht alles eben so viel Zungen, die nach Almosen schreien?" Dic Grasschast Wicklow ist wegen dcr malerischen Schönheit ihrer Gegenden besonders berühmt, und gerade hier steht das Elend der Bauern mit dcr natürlichen Frirchtbärtcil des Bodens nnd dcr Pracht und Anzahl der Schlösser im traurigsten Kontrast. „Noch nicmalS", erzählt Ritchie, „habe ich so erbärmliche Strohbütten gesehen, als längs der Straße, die in das reizende Thal Avoca sührl. Diese Mcnschcn- wobniingen warm viel weniger bequem und mit viel weniger Kunst erbaut, als die Löcher, wo dic meistcn Thicre ihre Schlupfwinkel suchen. Gewöhnlich sind sie an der inneren Seile dcr licscn Gräbc» angcbrachl, welche am Rande der Slraßc hinlauscu, und diese Lage wird wahrschein lich besonders deshalb gewählt, damit diese ärmlichen Baracken doch wenigstens eine hermetisch verschlossene Seile baden. An Schornsteine ist bicr gar nicht zu denken, osl haben sie auch keine Fenster, und das Einzige, woran der Reisende die Nähe einer menschlichen Wohnnng er kennen kann, ist ein Hansen Strob nnd Mist, dcr sich cin wenig über dem Boden dcr Slraßc erhebt. Wen» wir bedenken, daß die Bauern, welche diese Hüllen bcwobncn, meistens starke, kräftige Menschen sink, die einen großen Tbcil des AahrcS ohne Arbeit nnd Beschäftigung zu- brinqen, so müssen uns freilich die niederen Klassen in Arland noch auf einer scbr liefen Slnsc der Civilisalion erscheinen. An allen ande ren Ländern Europa s, besonders aber im Norden, kann man selbst dic ärmste» Leule noch immer einige Sorgfalt auf ihre Wohnungen ver- wendcn sehen; in England, in Belgiens in Holland z. B. machen sie es sich sogar ziini Vergnügen, sie so viel wie möglich zu verschönern; und selbst in Frankreich, in Schottland nnd in einigen Tbeilcn Deulsch- lands, wo das Volk nicht so viel natürlichen Geschmack hat, ist das Innere dcr Hänscr wenigstens warm und komfortabel. Der Leibeigene in Rußland, den wir sonst so sehr zu verachten pflegen, erbaut sich aus einigen Fichtcuflämmeii cin Obdach, das cbcn so viel Schutz gegcn Kälte und Weller, als einen hübschen Anblick für das Auge bietet. Das HauS ist mil einer Gallerie geschmückt, dic läng» der Vorderseite auf die Straße hinaus sicht, und mil eincr Brüstung von zugebauenem Holz, die untc» am Schirmdache vorspringl. Das Modell von einer dieser Wohnungen, welches ich selbst von Moskau mitgcbrachl, würde gewiß von der großen Mehrhcil des Irländischen Volkes mir Neid und Begierde angesehen werden. Freilich habe ich schon die erbärmlichste Gattung ter Irländischen Hütten beschrieben, aber auch zugleich die, welche am bäufigstcn verkommt, und ich habe im Ganzen fast keine einzige getroffen, welche bedeutend davon abwiche: überall derselbe Man gel aller Bequemlichkeiten de« Lebens, dieselbe barbarische Unkemilniß der gewöhnlichsten und leichtesten Kmistfcrligkcttrm Die Hauplsrage nun, die gelöst werden muß, ist folgende: Wgs fehlt dcm Arische» Bauern, damit es besser mit ihm werde? Antwort: die Hoffnung. Wer da sagt, daß man ihm die Auflagen hcrabsctzen, daß er mehr politische Freiheit haben müsse, dec verliert die Zeit mit leerem Gerede; wären es diese und noch hundert andere Dinge dazu, die ihm fehlten, so brauchte er doch deshalb nicht in einem der srucht- barsten Länder Europa s ein jämmerlich müßiges Leben Hinzuschleppen und in einer Baracke zu wohnen, die weniger schützt, als dic Höhle eines wilden Thieres. Wenn in England ein Bauer erst ansängt/ ohne auch nur cincn Pfennig im Vermögen zu besitzen, strebt cr glcich von vorn bcrcin nach ciner besseren Zukunft. Hat er diese erreicht, so richtet cr sich, bei aller übrige» Bescheidenheit, schnell in Kleidung, Nahrung und Wohnung nach dcr Stellung, in der cr sich jetzt befindet: bald gehen seine Blicke noch weiter vorwärts. Einst hofft cr selbst Pachter zu werden: dann wird er ein schönes, gutes Hau« zur Wohnung und einen besonderen Platz in dcr Kirche baden. Diese Träume und Pläne werde» vielleicht niemals in Er füllung gehen, glcickwchl übc» sie, wie so viele andere Güter, .die nur i,i dcr Hoffuung epstiren, ans den ganzen Charakter den heilsamsten Einfluß; sie reizen ibn zu Energie und Tbäligkcit und geben seinen Gedanken einen gewissen Sckwung und Fortschritt. So wird sich der Englische Bauer un willkürlich selbst achten, »ich, »m dcffcnwillcn, was er ist, sondern was er zu sehn hofft: in Erwartung der höheren Aussichien sür dic Zukunsl schmückt er seinen Garten mit Blumen, und grüne Rcbcii umranke» die Mauer seiner niedrigen Hülle. Der IrlZiidischc Bauer dagegen weiß auch nickt LaS Geringste von einem fortstrebcnden Ehrgeiz dieser Art; aus seine Lage können die Um stände keinen Einfluß ausüben, sein Schicksal ist ein- sür allemal un widerruflich bestimmt. Ast er Landmann, so muß er fick durchaus da-