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61. Jahrgang. O 266. Donnerstag, 27. September 1917. L8SS Drahtanschrift: Nachricht«, Dr«»h«». Frrnsprechrr-Sammelnummer: »»»41. Nur für NachtgesprSch«: 20011. /<5 -S7s/ /Vz-E/Ik'/'/ ^Ä7^/ Ls<7^5. Schristleftung und LauptgilchSstsjtclle: «arienstrafte 38^40. Dnul u. Verlag von Liepsch 4 Reichardt in Druden. Bezugs-Gebühr LNW-I Anzeigen-Preise. ««4dr»<t nur ml> »ruMch«i Ou-IIrn-n,-»« l.Dr«,»»« «uchr.'> juUIM- - Unorrlan,« SchrMftacke -xrden n«4> «lwrwaHN. Ser ReichrtagsprWdent Ir. Kamps gegen Wilson. StaatrsekretSr Graf Roedern öder die Neuordnung in den ReichsSmteru. — Srbltterte Kümpfe in Flandern. — Sin Seegefecht au der flandrischen Küste. — Ser König von Bulgarien an den Papst. — Suchomlinow zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Ser deutsche Abendbericht. Berlin, 2«. Sept.. abends. (Amtlich. W.T.B.) Die Schlacht in Flandern zwischen Laugemarck Xd Hollebeke (15 Kilometer) danert noch an. Stellenweise ist der Feind bis zu einem Kilometer tief in unsere Kampf zone eingedrungen, in der erbittert gerungen wird. Amtlicher deutscher Admiralftabsbericht. Berlin. 2». Sept. (Amtlich.) Am 21. Sept. abends hatte» nufere Torpedoboote an der flandrischen Küste ein Fenergcfecht mit feindlichen Zerstörer« und Flugzeugen. Im Verlaufe des Gefechtes wurde ei» feindliches Flugzeug abgcschofseu und die Besatzung, zwei englische Offiziere, gefangcngcnomme». Unsere Torpedo boote hatten keine Verluste. (W. T. B.i Der Chef des Admiralstabs der Mariue. Lefterreichffch-migarischrr «rlegrbericht. Wie». 2«. Sept. Amtlich wird verlautbart: Oestlicher Kriegsschauplatz. Bei Sereth brachte« deutsche Truppen von einer bis zu de« riickwärtigeu feindlichen Linie» durchgesührten Unternehmung über 150 Gefangen«, mehrere Maschinen, gewehre ein. Italienischer Kriegsschauplatz. Ans de« Monte Sau Gabriele und bei Kal wnrdeu feindliche Aufklärungsabteilungen zurückgewicscn. Fm Touale-Abschuitt und westlich von Tolmef,, brachten unsere Stoßtrupps Gefangene ein. Die Flng- tätigkeit war am Fsonzo. dann zwischen dem Etsch- und Sngana-Tale sehr lebhaft. Südöstlicher Kriegsschauplatz. Rur mäßige Artillerictätigkeit. («. T. B.I D - r Ches deS GeueralstabS. Neue Wege nud Ziele in Sefteneich. Am Dienstag ist das österreichische Abgeordnetenhaus wieder zusarmncngctrctcn. Ministerpräsident Dr. v. Scidlcr, der sa nun definitiv die Negierung übernommen hat, er griff sofort die Gelegenheit, um dem Hause sesn Programm vorzutragen. Um es gleich zu sagen: Eine Ueberraschunq hat Dr. v. Seidler den Volksvertretern mit seiner Rede nicht bereitet, sie entsprach vielmehr Punkt für Punkt dem, was schon vor einiger Zeit das Wiener „Fremden blatt" als bas Progran,m des neuen Kabinetts bezeichnet hatte. ES sollen Matznahmen durchgeführt werden zur wirtschaft liche« und sozialen Hebung des Landes und zur tunlichsten Linderung der Kricgsnüte und Kriegs sch öden. Es soll außer dem die Berfassungsreform in Angriff genommen werden. Der Ministerpräsident kündigte einen Gesetzentwurf über Sozialversicherung an. versprach, in enger Zusammen arbeit mit dem Parlament und der Bevölkerung dem Problem der Volksernährung ernsteste Aufmerksamkeit zu widmen, die „unauflösliche Berteidtgungsgemein- schaft mit Ungarn" auch in wirtschaftlicher Hinsicht zur Geltung zu bringen, und umritz endlich ein großzügiges Programm zur Förderung der Produktion, von dem besonders hervorzu-hsben sind der Ausbau der Wasserwirtschaft und di« Neuregelnivg der Elektrizitätsver sorgung. Die starke Betonung der wirtschaftlichen und kulturellen Ausgaben der Regierung, überhaupt die Vor- anftellung der mehr oder weniger unpolitischen Probleme läßt einen Schluß auf die Taktik zu, die Herr Dr. v. Seidler zu befolgen gedenkt. Man weiß, welch gewitterschwüle Stimmung heute im österreichischen Abgcordnetenhause herrscht. Die Begnadi gung der tschechischen Hochverräter hat in deutschen Kreisen vi«>l böses Blut gemacht: von der letzten Sitzungsperiode deS Abgeordnetenhauses her. die unter dem Zeichen -es slawischen Zusammeirschlufses stand und zu dem bekannten Vorstoß in Sachen der Verhandlungssprache führte, ist in den deutschen Kreisen, die sonst die Regierung nach Möglichkeit unterstützten und im Jutereffe des Ganzen immer wieder Opfer brachten und sich immer wieder bereit fanden, ihre eigenen, wohlbcgründeten Rechte zurückzusiellen. ein Rest von Mißtrauen zurückgeblieben, mit den, jede Regierung rechnen mutz. Die Polen aber, die früher lange Zeit die Re- gierungSvolttik gefördert hatten, sind längst in das Lager der Opposition abmarschiert. Sie verlangen die Erfüllung ihrer grotzpolnischen Wünsche und setzen sich damit, wie sich schon anläßlich -er Frage der Autonomie Galiziens gezeigt hat, in schärfsten Gegensatz zu den Ruthcnen. Ueber die Haltung der Tschechen braucht kein Wort verloren zu wer den. Das sanfte Entgegenkommen, das ihnen trotz mancher unerhörten Ereignisse von oben her zuteil geworden ist. hat keineswegs die Wirkung gehabt, sie regi>"'ungsfrvmm zu machen. Im Gegenteil, die Herren wittern Morgenluft und sträuben sich unter dem Hinweis auf die Einheitlichkeit der Länder der Wenzelskrone hartnäckiger und verbissener denn je gegen jegliche klare Scheidung der Nationalitäten in Böhmen. Hinzu kommen die Sonderbestrebungen der Südslawen, die Sehnsucht nach dem TrialiSmus, ein Pro blem, dessen Lösung dadurch nicht erleichtert wird, datz auch Ungarn daran interessiert ist. Unter diesen Umstünden hat eine allseitig befriedigende Lösung der VersassungSfragen in Oesterreich eine gewisse Achnlichkeit mit der Quadratur des Zirkels, Herr Dr. v. Seidler aber mag ihm gegenüber ein Gefühl haben wie einst der edle Dulder Odysseus zwischen Scylla und Charybdis. Es dürfte deshalb das natürlichste sein, diese Zuknnftsfragen vorerst zurückzu- stellen und die Volksvertretung mit Aufgaben zu beschäfti gen, die einerseits sehr dringlicher Natur sind, deren Lösung anderseits allen Völkern der Monarchie gleichmäßig zu gute kommt u,U> zu einer Verschärfung der nationalen Gegensätze keinen Anlaß bietet. Außerdem darf man die Hoffnung hegen, datz durch die sachliche Arbeit, die auf diesem Gebiet geleistet werden soll und geleistet werden muß. die Parteien einander näherkommen und auf diese Weise der Boden bereitet wird für die künftigen hoch politischen Auseinandersetzungen. Es liegt ja nicht nur im eigensten Interesse der Mon archie und ihrer Völker, datz alles getan wird, um die Wunden, die der Krieg der Volkswirtschaft geschlagen hat, nach Möglichkeit zu lindern, die Lebensmittelversorgung in gesunde Bahnen zu lenken und die Vorbedingungen für eine möglichst hemmungslose Ueberleitnng der Kriegs wirtschaft in den Fricdcnsznstan-d zu schaffen. Das ist sozu sagen ein europäisches Interesse, und auch von diesem Ge sichtspunkt aus ist es zu bcgrützen, das; Ministerpräsident v. Seidler diese Frage an die Spitze seiner Ausführungen gestellt hat. Wir in Deutschland könnten cS jedenfalls nur rückhaltlos begrüben, wenn das neue österreichische Kabinett, dessen Zusammensetzung in de» Kreisen der Deutschen Oesterreichs manche Bedenken wachgcrufcn hat. ein Kabinett der sachlichen Arbeit werden sollte. Wenn cs gelingt, die Volkswirtschaft der Monarchie auf gesunde Grundlagen zu stellen und alle Kräfte frei zu machen, die Werte zu schaffen vermögen, so wird das nicht ohne segens reiche Rückwirkung aus die autzervolitische Machtstellung des Landes bleiben. Das kann heute und in Zukunft nur dem Frieden dienen und wird ihm, angesichts der Haltung der Feinde, mehr dienen als alles Versöhnungs- und Ver ständigungsstreben. Auch von spezifisch deutschen Gesichts punkten aus wäre das zu wünschen. Oesterreich wird uns als Bundesgenosse um so wertvoller sein, je fester und sicherer seine Macht in einer gesunden Volkswirtsckmft ver ankert ist. Deutschland und Oesterreich werden desto stär kere Friedcnsfaktorcn in Europa bedeuten, je enger sic auch in wirtschaftlicher Hinsicht verflochten sein werden. Auch Graf Stiirgkh hat, als er vor Jahren die Kabinetts bildung übernahm, die widerstreitenden Parteien auf ein wirtschaftliches Programm zu einigen gesucht. Es ist ihm nicht gelungen. Seiner Weisheit letzter Schluß war der 8 14. Es wäre zu wünschen, daß Herrn Dr. v. Seidler ein besserer Erfolg beschicken wäre. Die Vorbedingungen dafür sind, trotz der erheblich verschärften Gegnerschaft der Par teien, die letzten Endes doch wohl als Folge der frühere» Verschleppungstaktik sich ergeben hat. insofern gegeben, als heute die Ernährungsfrage und die Steigerung der Pro duktion allseitig als dringlich und unumgänglich notwendig anerkannt werde». Könnten sie zu einer günstigen Lösung gebracht werden, dgnn dürste man sich hiervon wohl eine Stärkung der österreichischen Staatsidec überhaupt versprechen. Und das möchten wir als wichtigste Ausgabe betrachten, die dem Kabinett Scidlcr — und jedem Kabinett — gestellt ist. Herr Dr. v. Seidler hat erklärt, die Verfaffungsrcform solle allen Nationalitäten auf Grund nationaler Autonomie und unter Wahrung der Staatöcin- heit Gleichberechtigung gewährleisten. Er hat die von den Deutschen in Böhmen seit langem erstrebte Krciscinteilung angekltndigt, und zwar im Rahmen der Kronländer — wenigstens soll damit eine „Dtskussionsbasis" geraffen werden. Auf die Schmierigkeiten der Durchführung dieser Pläne im einzelnen sei hier nicht eingegangen, wohl aber darf soviel scstgcstellt werden, daß jede Verfaffungsrcform in Oesterreich nur danu. und erst dann, segensreich sein kann. wenn die Stärkung der Staatsidee vorangegangen ist und kein Zweifel mehr darüber bestehen kann, daß alle Nationa litäten erkannt haben, daß ihnen das Heil nicht von außen her, sondern eben nur vom österreichischen Staate kommen kann. Durch Hinweise auf die allgemeine Friedenskonfe renz, d. h. auf die Hilfe des feindlichen Auslandes, wie sie von tschechischer Seite im Frühjahre gehört worden sind, kan» nur Unheil angcrichtet, können die Feinde des Reiches nur in ihrem Glauben bestärkt werden, daß die österreichische Monarchie zum Untergänge, zur Austeilung reif sei. Mit Recht hat denn auch Ministerpräsident v. Seidler derartige „Ideologien, die im Widerspruche mit dem Staate stehen", scharf zurückgewicsen. Wenn er ihnen auch durch die Tat entgcgenzutretcn weiß, dann ist eine Gewähr dafür gegeben. ! daß das alte Wort -1. L. I. O. II., d. h. ^nstrio orit in orbs iicktiina (Oesterreich wird bis ans Ende der Welt bestehen) ! seine Geltung behält und der Bestand der Monarchie für ^llc Zukunft gewährleistet ist. Wiederzusammeutritt des Reichstages. Drahtmeldung unseres Berliner Mitarbeiter». Berlin, 26. Sept. Ter Reichstag hielt heute seine erste Vollsitzung nach der Sommerpause ab. Am Bundesratstische sah man eine Anzahl neuer Gesichter. Neben den Staats sekretären des Reichsschatzamtes und des Kolonialamtes, Graf R o e d c r n und Dr. S o l f, haben daran Platz ge- i nommen: die Herren Rüdlin. v. Krause. Schiffer, v. Walüow und Dr. Müller. Auf dem Platze des verstorbenen Abgeord neten Bassermann (ntl.) hat die nationalllbcrale Neichs- tagsfraktion einen großen Lorbccrkranz niedergelegi. Präsident Dr. Kaempf eröffnet die Sitzung um 3!ck Uhr mit der Mitteilung, daß er dem König von Bulgarien anläßlich des Hinschcidcns der Königin das herzliche Beileid des Reichstages aus gesprochen habe. Er gcdeykt dann des Ablebens des Abge ordneten Bassermann in folgenden Worten: Am 2i. Juli ist unser verehrter Herr Kollege Basscrmann einem längeren Leiden erlegen. Herr Bassermann hat an den Ar beiten des Reichstags stets in hervorragender Weite ieil- gcnommen und auch als Quästor im Vorhände des Reichs tags gewirki. Wir bedauern daher tief sein Hinicheilcn und werden ihm stets ein ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zum Gedächtnis des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhvocn. Ich stelle das fest und danke Ihnen. Als dann führt Präsident Tr. Kacmps fort: Schon einmal, am 2. Mai dieses Jahres, ist es meines Amtes gewesen, A n m a ß u n g e n z n r ü ck z u iv c i s c n, die in seiner Botschaft an den Kongreß der Präsident der Bereinigten Staaten von Amerika sich hcrauS- gcnommcn hat, indem er einerseits eine Verhetzung ver suchte zwischen Kaiser, Volk und Negierung und indem er anderseits versucht hat, sich in die inneren Angelegen heiten des deutschen Volkes e i n z u m i s ch c n. Diesen Versuch Hot Präsident Wilson wiederholt in seiner Antwort aus die Friedcnsnotc Sr. Heiligkeit des Papstes. Ritt gleicher Entschiedcnhcir, wie damals, weise ich dieses Be ginnen zurück. (Beifall.) Mit gleicher Entschiedenheit, wie damals, rnsc ich ihm zu, daß er angesichts des gesunden iinnes des deutschen Bockes mit seiner Verhetzung auf Granit beißt. tAllscitigc Zustimmung.) Präsident Wilson wiederholt das alte Gerede von der ehrsüchtigen und intri ganten Haltung des Kaisers und unserer Regierung, die doch, wie uns allen bekannt ist, trotz aller Herausforderungen 13 Jahre lang der Welt den Frieden erhalten hat. (Sehr wahr!) DerProzcßSii homlinow hat unzweideutig die schlagende Antwort auf die Frage ge geben, wer mitten in den Fricdcnsbcstrcbnngcn des Deut schen Kaisers vcrbrechcrischcrwcisc den Wcltbrand ent fesselt hat. (Sehr richtig!) Wiederum lesen wir in der Note deS Präsidenten Wilson die Worte „Menschheit und Menschlichkeit". Soll man diesen Worten glauben in dem Munde eines Mannes, der es in der Hand gehabt hat, Hunderttausend«: von Menschenleben zu retten und zu er halten, wenn er die ungeheuren MunitionS- lieserungcn Amerikas an unsere Feinde verhin dert hätte? (Sehr richtig!) Kann sich der Mann der Mensch lichkeit rühmen, der, abgesehen von diesen ungeheuerlichen Munitionslieferungcn, durch seine allem Völkerrecht wider sprechende unncutrale Haltung vor der Kriegserklärung Amerikas an Deutschland den Krieg verlängert, der den Hungerkrtcg Englands gegen deutsche Frauen und Kinder begünstigt und sich nicht gescheut hat, englische Eingriffe in amerikanisches Eigentum zu dulden? (Sehr wahr!) — ich erinnere nur an die Durchsuchung amerikanischer Postsäcke durch englische Beamte — oder stehen nicht vielmehr Recht und Menschlichkeit auf der Seite des Deutschen Kaisers und der deutschen N c g i c r u n g, die offen und ehrlich die Hand zum Frieden dem Feinde entgegengcstreckt haben? Wie kann Präsident Wilson fortgesetzt von dem Schutze der kleinen Völker durch die großen Staaten sprechen angesichts der Tatsache, daß er das kleine Griechenland in sei- ner Not im Stiche gelassen und nicht ein einziges Wort zu seiner Hilfe gefunden hat! (Sehr richtig!) Da verbietet ihm angeblich die Monroe-Doktrin, sich in europäische Vrx,