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Wochenblatt Fernsprecher: Amt Siegmar Nr, 144. für Reichenvmnd, Siegmar, Neustadt und Radenstein. ^2 29. Sonnabend, den 20. Juli 1907. Erscheint jeden Sonnabend nachmittags. Anzeigen werden in der Expedition (Reichenbrand, Pelzmühlenstraße 47v), sowie von den Herren I. Oebser in Reichenbrand und Kaufmann Emil Winter in Rabenstein entgegengcnommen und pro Ispaltige Petitzeile mit 10 Psg. berechnet. Für Inserate größeren Umfangs und bei öfteren Wiederholungen wird entsprechender Rabatt, jedoch nur nach vorheriger Vereinbarung, bewilligt. Anzeigen-Annahme bis spätestens Freitags nachmittag 5 Uhr. Bekanntmachung. Am 15. 2«li dss. Js. werden das Wassergeld und der Wasserzins auf den 2. Termin 1907 sSllig und sind unter Vorlegung des Quittungsbuches bez. Steuerzettels spätestens bis zum 3l. Juli 1907 bei Vermeidung des Zwangsvollstreckungsverfahrens an die hiesige Ortssteuereinnahme zu bezahlen. Reichenbrand, am 8. Juli 1907. Der Gemeindevorstand. Vogel. Bekanntmachung. Es wird hiermit bekannt gegeben, daß für dieses Jahr eine Pslichtfeuerwehrübung nicht in Aussicht genommen ist, daß aber alle männlichen Einwohner der Geburts-Jahrgänge 187S bis L88L, soweit sie das 26. Lebensjahr erreicht, das 32. Lebensjahr aber nicht überschritten haben, bei etwa aus- brechenden Bränden verpflichtet sind, sich zur Beteiligung an den Löscharbeiten an den Brandplatz zu begebm. Nichterscheinen ohne gesetzlichen Grund wird bestraft. Rabenstein, am 18. Juli 1907. Der Gemeindevorstand. Wilsdorf. Bekanntmachung. Montag, den 22. Juli 1907, nachmittags 2 Uhr sollen in Rabenstein verschiedene Gegen stände, als: 1 Vertikow, 2 Pfeilerspiegel, 1 Figurenständer, 1 Wandbild und 1 Schrank mit 13 Bänden Brockhaus-Lexikon gegen sofortige Barzahlung öffentlich versteigert werden. Sammelort der Bieter: Rathaus (Hofraum). Rabenstein, am 19. Juli 1907. Der Gemeindevorstand. Wilsdorf. B ekanntmachung. Gefunden wurde: 1 Hammer, 1 Kreuz von einer Halskette, 1 Herren-Uhr, 1 Geldbetrag, 1 Rade- häcke und 1 Schülermütze; zugelaufen ist ein kleiner Hund. Rabenstein, am 19. Juli 1907. Der Gemeindevorstand. — Wilsdorf. Bekanntmachung. Es ist der Wunsch geäußert worden an hiesiger einfachen Volksschule einen Kursus einzurichten, der die Ziele einer mittleren Volksschule erstrebt. Um nun zunächst über die Anzahl der Kinder (Mädchen und Knaben), welche an diesem Kursus teilnehmen würden, einen Überblick zu bekommen, wird gebeten, Anmeldungen hierzu bis 17. August d. I. an Herrn Oberlehrer Schönherr gelangen zu lassen. Die Anmeldungen sind vorläufig unverbindlich. Das Schulgeld würde ungefähr 100—120 Mk. pro Jahr und Kind betragen. Rabenstein, am 6. Juli 1907. Der Schulvorstand. Fr. Schmidt. Bekanntmachung. Der unterzeichnete Schulvorstand hat beschlossen, Montag, den 12. August 1907 die Weihe der neuen Centralschule in folgender Weise stattfinden zu lassen: a) Vs2 nachm. Sammeln der Schulkinder und der Einwohner an der oberen Schule; ab 2 Uhr Umzug Mit Fahnen und Musik durch den Ort; b) Vs4 Ähr nachm. Abschiedsfeier an der Kirchschule, hierauf Einzug in die neue Lentralschule; Weiheakt in der Turnhalle; c) Besichtigung der Schule, Bewirtung re. der Schulkinder; ä) abends Vr7 Uhr Festtafel im Gasthaus „goldner Löwe" (Gedeck 2,50 Mk.). Hierzu wird noch folgendes bekannt gegeben: 1 ., zum Festzug und dem Weiheakt können außer den erwachsenen Personen nur die hier schulpflichtigen Kinder zugelassen werden und zum Weiheakte nur die am Festzug beteiligten Personen. Die geehrte Einwohnerschaft, — Männer und Frauen — wird herzlich gebeten, am Zuge in Festkleidung teilzunehmen. 2 ., zu der Festtafel werden alle Einwohner, — Männer und Frauen — herzlich eingeladen, doch müssen die Teilnehmer möglichst bis zum 7. August 1907 gegen Erlegung von 2,50 M. für das Gedeck sich im Gemeindeamt oder im Gasthof „goldner Löwe" eine Festkarte lösen; 3 ., auch wird die geehrte Einwohnerschaft gebeten, durch Beflaggen und Schmücken der Häuser die Kinderherzen beim Ämzug mit erfreuen zu wollen. Rabenstein, am 16. Juli 1907. Der Schulvorstand. Fr. Schmidt, Vors. Die Sparkasse zu Neustadt unter Garantie der Gemeinde verzinst Einlagen mit 2 Vs "/o Für Einlagen, welche bis zum 3. eines Monats bewirkt werden, erfolgt Verzinsung für den vollen Monat. Die Sparkasse expediert täglich vormittags von 8—12 ühr und nachmittags von 2—6 ühr. Durch die Post eingehende Einlagen werden sofort expediert. Sitzung des Gemeinderats zu Reichendrand vom 17. Juli 1907. Vor Beginn der Sitzung findet eine Besichtigung des Pfann borngrundstücks durch den Gemeinderat statt. 1. Es wird Kenntnis genommen a) von der Erledigung einer ßlagesache; b) von der am 26. Juni d. I. vorgenommenen Revision der Sparkasse; c) von der Ablehnung eines Erstattungsanspruches in Unterstützungssachen. Der Gemeinderat beschließt, behufs Er langung der gehabten Verläge, den Klageweg zu beschreiten. 2. Der Gemeinderat nimmt weiter Kenntnis vom Prüfungs ergebnis der Sparkassenrechnung vom Jahre 1906; auf Vorschlag des Ausschusses wird das Rechnungswerk richtig gesprochen. Ein Darlehnsgesuch wird bewilligt. 3. In Bausachen werden 2 Dispensationsgcsuche gegen die Be stimmungen des baurechtlichen Ortsgesetzes befürwortet. Gegen den Baufluchtlinienplan der Straße 32 in S. werden Bedenken nicht erhoben. Einige Punkte eignen sich nicht zur Veröffentlichung. Benita — die Gesegnete. Originalerzählung von Freifrau G. v. Schlippenbach. Benita faßte die derbe, verarbeitete Rechte der alten, treuen Magd und schüttelte sie herzhaft. „Aber Fräuleinchen,wie kann ich Sie denn beim Vornamen rufen, seit Sie das große Examen gemacht haben und so gelehrt und klug sind! Ich bin doch nur eine einfache, ungebildete Person, für die es unschicklich wäre, sich solche Freiheiten zu erlauben." Nita fliegt ihr um den Hals und küßt das ehrliche, runzelige Gesicht. „Sage gleich Nita zu mir," ruft sie übermütig, „ich laß dich nicht eher los, Lina!" Sie tanzt mit ihr durch die Stube. „Nun, wenn Sie es durchaus befehlen, Nitachen," antwortet die Alte außer Atem, halb weinend, halb lachend, indem sie die schlanke, kleine Hand küßt, die so zutraulich auf ihrer Schulter ruht. „Das wäre also abgemacht, nun komm und sieh, wie allerliebst Baby in dem weißen Kleidchen aussiehl, es paßt ihm so gut." Sie zieht die Wärterin in das Zimmer neben dem Salon, dort kniet sie bei ihrem Brüderlein nieder und betrachtet ihn mit zärtlichen, stolzen Augen. Sie hat die letzten beiden Nächte eifrig an dem reich mit schönen, eng lischen Stickereien besetzten Kleidchen genäht, damit es bis heute fertig werde. Lina hat eins ihrer alten Kinderkleider aufgetrennt, es frisch gewaschen und gebügelt, damit Harald festtäglich geputzt sei; denn es ist heute der Geburtstag der Mutter, der 6. Juni, drei Tage später wird Benita 17 Jahre alt. Sie kniet also vor dem Kleinen und betrachtet ihn voll freudigen Stolzes, voll inniger Liebe. Erst seit dieses in Sorge und Kummer so spät geborene Kind erschienen ist, kennt sie Geschwisterliebe, sie hat ja nie ein Brüderlein oder eine kleine Schwester gekannt und sich immer danach gesehnt. Hier, wo der Altersunterschied so groß ist, mischt sich noch viel von dem mütterlichen Element in die Liebe, die sie auf das Haupt des Baby häuft. Er ist ihr Spielzeug, ihr ganzes Glück, ihr Kleinod, ihr Abgott. Vom ersten Tage seiner Geburt an hat sie sich mit ihm beschäftigt, sie hat ihn wie eine lebende Puppe an- und ausgekleidet, hat Lina bei der Pflege und Wartung abgelöst. Sein erstes Lächeln galt ihr, der erste, bewußte Blick der großen Kinderaugen suchte sie, sie hat ihm die ersten Strümpfchen gestrickt, das erste bunte Spielzeug gekauft. Stundenlang konnte sie still an seiner Wiege sitzen, sie leise schaukelnd oder ihn unermüdlich umhertragend, wenn er beim Zahnen unruhig war, bis ihre Arme wie gelähmt von Müdigkeit waren. Sie geben ein wunderschönes Genrebild ab, wie sie so zusammen sind. Nita hält ihn jetzt auf dem Schoß und zieht ihm die neuen schwarzen Strümpfchen an, die sie ihm gestrickt hat. Eine ihrer herrlichen, langen, dicken Flechten ist über die eine Schulter gefallen und sticht scharf in ihrer goldenen Pracht gegen das einfache, etwas ausgewaschene Kleid ab, das ihre noch schmächtige, feine Gestalt umschließt. Ihr zartes, etwas bleiches Gesicht ist leicht gerötet, und ihre tiefblauen Augen strahlen so hell und sonnig, wie seit langem nicht. Ihr Brüderlein ist ein bildschönes Kind, tiefbrünett, wie seine Mutter; schon jetzt ringeln sich die dunklen Löckchen wie weiche glänzende Seide um den Kopf und fallen tief in die Stirn. Das ganze Gesichtchen ist von reizendem Kolorit und die großen, schwarzen Augen darin gleichen zwei Hellen Sternen, während das purpurrote Mäulchen wie eine reife Kirsche aussieht. Und überall entzückende Grübchen in den rosigen, vollen Aermchen, am Halse, in den frischen Wangen, die weich und flaumig sind, wie ein zarter Pfirsich. Benita lachte vor Wonne, wobei auch in ihrer Wange sich ein neckisches, reizendes Grübchen zeigt, das ihr ein ganz neues, durchtriebenes, schalkhaftes Aussehen verleiht. Sie vollendet ihres Lieblings Toilette, indem sie ihm eine schöne, hellblaue Seidenschürze umbindet, auch ein Ueber- bleibsel ihrer eigenen, ehemaligen Eleganz, er sieht wie ein großer, allerliebster Schmetterling aus. „Was machen wir aber mit deinen Schuhen, mein Herzblatt?" sagte sie und betrachtete nachdenklich die ganz vertragenen Fußbekleidungen des Bübchens, „die passen nicht zu unserem übrigen Anzug." Sie seufzte leise; es war kein Geld übrig für diese Ausgabe, die Krankheit der Mutter verschlang jeden ersparten Groschen, und der Vater hatte in diesem letzten Monat mehr für sich verbraucht. Sie ist eben im Begriff, die schlechten kleinen Schuhe dem ungeduldig zappelnden Kinde anzuziehen; da holte die alte Lina ganz verschämt ein Paar nagelneue, gelbe Schühchen unter ihrer Schürze hervor und reichte sie ihr, ohne ein Wort zu sprechen. „Lina?! — Liebe, alte Lina, woher hast du sie?" „Nun, Nitachen, ich sah doch, daß unser Jungelchen welche brauchte, und — und — da ying ich zum Schuhmacher und kaufte ihm dieses Paar. Sie passen gut, aber sie dürfen mich nicht deswegen schelten, bitte, bitte, tun Sie es nicht!" Nita ergreift die harte Hand und drückt sie an die Lippen. „Lina! Lina!" weiter sagt sie nichts, aber ihre Augen sind plötzlich so dunkel und sie kann fast nichts sehen, wie sie Harald die neuen prächtigen Schuhe auzieht. Sie weiß, daß die alte brave Seele seit den letzten traurigen Jahren um ein Spottlohn dient und daß sie sich große Entbehrungen auferlegt hat, um für Baby zu sorgen. Wie sie zu der Alten hinüberblickt, steht dieselbe glückselig lächelnd vor ihr, und sie schlingt beide Arme um sie und sagte noch einmal: „Lina, liebe, gute Lina!" ' Harald wird unruhig ob der langen Toilette und „Jta! Jta!" rnft er weinerlich und hascht nach der Flechte der Schwester. „Sage Mama, Baby, Ma—ma." Die Kinderlippen sprechen es deutlich nach. „Das ist brav Liebling, und nun zeige was du noch gelernt hast für unser Mütterlein! „Lina, bitte, halte ihn, bis ich ihm rufe!" Sie entfernte sich einige Schritte und kniete, die Arme ausbreitend, nieder und dann lockt sie ihn zärtlich: „Komm, Harald, komm zu Jta, mein Herzchen." Der kleine Kerl zögerte etwas ängstlich, dann trippelt er mit unsicheren, schwankenden Schritten aus den beschützen den Armen Linas in die ihn erwartenden der Schwester, und jubelnd halten sie sich umschlungen. Wie wird sich dje Mutter freuen! Sie haben ganz heimlich die Kunst geübt, seit einigen Tagen, das ist Haralds Geburtstagsgeschenk! Sie hat das Ihrige seit gestern zu Hause. Es ist schwer, sehr schwer gefallen, es nicht gleich der geliebten Mama zu zeigen. Sie hat gestern das große Lehrerinnenexamen glänzend bestanden; das kostbare Zeugnis darüber befindet sich wohl geborgen in der Tasche ihres Kleides, und sie fühlt oft danach, um sich ihres Schatzes zu vergewissern. Nun wird sie etwas erwerben können für die arme Kranke, für das Brüderlein, sie wird für sich selbst sorgen und nicht mehr kosten. Seit Haralds Geburt ist die schon früher oft leidende Mutter krank gewesen. Der Arzt sagt es sei ein Herzleiden, aber er weiß allein, wie krank sie ist,