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Dienstag, Nr. 31. 20. Mril 1869. ZIichW DmsMmK. vierteljährlich L2'>Stgr. Zu beziehen dmch alle kgl. Poft- Anstalten« Ein unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Erscheint jeden Dienstag und Freitag früh. Redigirt unter Verantwortlichkeit des Verlegers C. Heinrich. Politische Weltschau. Eine der interessantesten Reichstags»»' Handlungen gegenwärtiger Session hat am vergangenen Freitage stattqefunden. Jedermann weiß, wie bei Feststellung der Bundes verfassung jeder innere Ausbau für spatere Zeit bei Seite ge lassen wurde, um nur über Hals und Kopf das neue Staats gebäude unter Dach und Fach zu bringen. Zwei Jadre sind seu jener Zeit verflossen und angesichts der neuen Steuervorlagen wagte der Reichstag am 16. d. M. den Versuch, die Ansicht deS Bundesrathes über die konstitutionelle Basts des Bundesstaates zu erfahren. Zu diesem Zwecke war von den Abgg. Twesten und Graf Münster folgender Antrag eingebracht worden: „Der Reichstag wolle beschließen, den Bundeskanzler aufzufordern: für die zur Kompetenz deS Bundes gehörigen Angelegenheiten eine geordnete Aufsicht und Verwaltung durch verantwortliche Bundes ministerien, namentlich für auswärtige Angelegenheiten, Finanzen, Krieg, Marine, Handel und Verkehrswesen im Wege der Gesetzgebung herbeizuführen." Abg. Twesten begründete diesen Antrag in längerer Rede, der folgender Gedankengang zu Grunde lag: AlS die Bundes verfassung ins Leben getreten, glaubte Niemand, es sei damit ein Werk für die Ewigkeit geschaffen. In unserem Zeitalter der Revolutionen werden sich auch keine Formen für lange Dauer Herstellen lassen. Den Charakter des Unfertigen und Provisorischen tragen insbesondere die Verfassungsbestimmungen über die Re- gierungsgewalt. Die erste Grundlage einer dauernden, geordneten Verwaltung sei aber die gesetzlich geordnete Bundesgewalt. Die Stellung des BundeSrathes werde durch verantwortliche Minister in keiner Weise berührt und auch die Fundamentalbestimmungen der Verfassung nicht geändert — nur Ordnung und Stetigkeit soll in die Verwaltung kommen. Die moderne Staatsform be dinge einmal die Errichtung eines verantwortlichen Ministeriums, durch welches auch die Sicherheit der einzelnen Staaten vermehrt werde, die in demselben ein Gegengewicht gegen die Bundes gewalt erhalte. Der Bundeskanzler könne nicht Alles selbst überwachen und deshalb verlange man für die einzelnen Ressorts verantwortliche Minister. — Graf Münster gebt noch weiter. Er habe Anfangs einen Antrag auf Revision der Verfassung stellen wollen, die nur als eine provisorische gelten könne. Aber die Zeit sei dazu noch nicht gekommen. Der Reichstag habe schon den Anfang eines festen Gebäudes der Einheit ^durch die Bestimmung der Militärverhältnisse gegeben, man dürfe deshalb die fernere Ausbildung nicht verzögern. Die großen Opfer, die man dadurch der Nation auferlegt, könnten nur damit ausge wogen werden, daß man die gewonnene Sicherheit benutze, um auf nationaler Basis den Bundesstaat hinzustellen. Der Antiag fasse dies Ziel ins Auge. — Abg. v. Blankenburg erklärt sich gegen den Antrag, da der deutsche Aar auch ohne den Wind parlamentarischer Anträge an sein Ziel gelangen werde. — Staatsminister Freiherr v. Friesen erkennt es dankbar an, daß der zweite Redner sich so klar und unumwunden über das Ziel deS Antrags ausgesprochen, daß kein Zweifel darüber mög lich sei. Er wolle mit derselben Offenheit antworten. „Wer mich kennt", fährt der Herr Minister fort, „wird wissen, daß Eitumddrei-i-stcr Jahrgang. II. Quartal. ich kein Feind des Bundes bin, daß ich im Gegentheil dasjenige thue und getkan habe, was in meinen Verhältnissen möglich ist, um dem Bunde seine Aufgaben zu erleichtern. Dessen ungeachtet muß ich mich diesem Anträge ganz entschieden entgegenstellen. Ich halte den Antrag für höchst gefährlich, weil er in eine Grund bedingung unserer Verfassung eingreift und einen Paragraphen in Zweifel stellen, abandern und dadurch wiederum Ungewißheiten verbreiten will. Wohin daö führen soll, darüber ist wohl, wenn ich es ganz ehrlich sagen soll, keine Ungewißheit mehr vorhanden. Es ist höchst wünschcnswenh, daß in Deutschland einmal eine Zeit lang ein Gefühl der Sicherheit eintritt, nicht blos nach Außen, sondern auch nach Innen. Wir haben innerhalb des Bundes noch sehr viel zu thun. Durch ein ewiges Rütteln an den Fun damenten der Verfassung befördern Sie diese Entwickelung Nlcht; dadurch werden Sie im Gegentheil immer mehr Unruhe, Miß verständnisse und Mißtrauen erregen. — Aber die Einigung des nördlichen Deutschlands im Bunde hat auch prinzipielle Gegner. Ich glaube nicht, daß wir sic zu unseren Freunden machen, wenn wir auch Bundesminister ernennen. Außerdem haben wir noch eine große Masse gebildeter, intelligenter Männer, die sich mit einem gewissen Mißtrauen, mit einer gewissen Unbehaglichkeit innerhalb des neugeschaffenen Bundes erhalten. Gehen Sie, m. H., über diese Verhältnisse nicht leicht hinweg. Wir haben in der jetzigen Zeit viele Männer, die es sich zur mühevollen Auf gabe ihres Lebens machen, der Idee des Bundes in den ver schiedenen Kreisen mehr Eingang zu verschaffen Rufen Sie nicht, ich bitte Sie, m. H., in den Gewissen dieser Männer Be denken hervor, die sie dahin führen müßten, zu sagen: „Nein, bis hierher und nicht weiter! Jetzt hört es auf!" Der Bund soll freilich nicht stlllstehen, er soll immer weiter fortschreiten. Bedenken Sie, der Bund besteht seit 2 Jahren, und was ist in 2 Jahren nicht schon geschehen, welche wichtigen und zum Tdeil sehr heilsamen, nützlichen Gesetze sind in dieser Zeit geschafft n worden! Und wenn der erste Herr Redner vom Ausbau der Ver fassung gesprochen hat, nun, so baut man doch ein Haus nicht dadurch aus, daß man fortwährend an seinem Fundament rüttelt. Man sagt uns ferner, in Bezug auf das Materielle habe der Bund vielleicht das Seinige gethan, aber für die politischen Ideen, für den allgemeinen Fortschritt sei gar nichts geschehen und da müssen eben auch die einzelnen Staaten etwas von ihren Rechten abgeben, es muß die Verfassung des Bundes in dieser Beziehung abgeändert werden. Nun, ich halte es doch für einen bedeutenden Fortschritt, der seit dem Anfänge des Bundes schon gemacht worden ist. Blick.n Sie doch um sich in diesem Saale, wo Sie die Vertreter der verschiedensten Parteien des Lande- haben, sehen Sie hier so viele Männer vereinigt, die noch vor wenigen Jahren zum Theil stündlich und mit Mißtrauen ein ander gegenüber standen, heut friedlich ihre Meinungen aus- tauschen selbst über so schwierige und tief in die Verhältnisse einschneidende Anträge, wie der vorliegende ist! Halten Sie daS nicht für einen Fortschritt? Ist da das Nationalgefühl nicht bereits sehr weit, und zwar in einer Weise fortgeschritten, wie wir es nur wünschen können? Und nun möchte tch zum Schluß den Herren nur noch eins sagen: ein weit größerer Fortschritt würde bevorstehend wenn Sie es, meine Herren, über sich ge- ri