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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prönumcrlnionö-Preis 22j Silöergr. lj Air.) vierieliölirlich, Z Tdlr. für dis MijeZaör, ol> ne Erl> öt>» ng, ui allen Aeilcn der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von ieder Buchhandlung (in Bertin bei Deit u. Comp., Iagerffraße Rr. 25), so wie von allen König!. Post - Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 1/ 153. Berlin, Mittwoch den 27- Dezember 1843. Italien. Neapel in seiner heutigen Gestalt. Zweiter Artikel. Das Lottospiel ist eine wahre Wuth in Italien, und besonders in Neapel; denn die italiänischcn Leidenschaften erreichen bei dem Neapolitaner ihre Mit tagshöhe. Man findet die Spielhäuser hier so häufig wie bei uns die Schen ken. Ein Volk ohne Brod und ohne Hemde, das von einem Tage zum anderen lebt, wirft alle Jahr vier oder fünf Millionen Franken ins Faß der Danaidcn. Am Abend vor dem Ziehungstage sind sechs auf jedem Comtoir angestellte Personen zur Verthcilung der Billets kaum ausreichend. Man lockt die Spieler auf allerlei Weise: Blumengewinde von jeder Farbe schmücken den Eingang zum Lottohausc und bieten den Vorübergehenden Ternen an, die so bunt scheckig sind wie Harlekins. Liebst Du das Rothe? setze Dein Geld auf die rothen Nummern. Ziehst Du das Gelbe vor? wohlan, Dein Glück ist ge macht; hier hast Du eine Lerne so gelb wie Gold. Oft bemerkt man im Hintergründe des Saals drei Nummern mit durchscheinender Beleuchtung, welche die Inschrift führen: kocu I» vorn «orte! (Hier ist das rechte LooS). Die Direction selbst lehrt Dich aus Uneigennützigkeit das Ergebniß der Ziehung schon im voraus kenne»; wie könntest Du also an dem guten Er folge zweifeln! Mit Hülfe des l^ibro stell» 8inorsiil kann man jedes Ereigniß zu einem Einsätze in die Lotterie benutzen. Dieses Buch ist ein Vcrzeichniß von Haupt wörtern, denen je eine Nummer gegcnüberstcht. MM ein Gegenstand, der Dich lebhaft berührt hat, Dir im Traume oder im Wachen, in der Einsam keit oder in Gesellschaft vorgekommen seyn: Du kannst getrost die Lotto- Nummer wählen, die ihm in der Smorfia entspricht. Die glücklichsten und gesuchtesten Nummern sind diejenigen, welche sich auf unglückliche oder unan genehme Vorfälle beziehen. Ist irgendwo eine Feuersbrunst ausgebrochen, so wird das Lotto förmlich belagert; Jedermann verlangt eine und dieselbe Nummer. Man sieht sich gcnöthigt, die Zahl der Einsätze zu beschränken, und hat eine stark verlangte Nummer der Kaffe schon ein gutes Sümmchen eingebracht, so werden keine BilletS mehr verabfolgt. Selbst im Kirchen staate stehen die Lotterie-Büreaus noch an Sonntagen offen, wenn alle übrige Läden geschlossen sind. Ein Langschläfer, der Sonntags erst um Mittag auf steht, hat in keiner Restauration mehr Zutritt; allein er kann das Geld für sein Frühstück noch auf eine Terne setzen. Auch die Leute von der großen Welt befassen sich, theils aus Kurzweil, theils aus ernsthafter Absicht, mit dem Lotto. Man hat ein Eremplar des Zauberbuchs im Hause und fragt es nach jedem Traume um Rath. Ich habe selbst gesehen, wie eine feine und geistreiche Dame in der Smorfia emsig blätterte und bald nachher einen Piaster und ein Stück Papier, auf welches sie drei Nummern geschrieben, durch ihren Diener ins Lottohaus schickte. Die Ziehung geht jeden Sonnabend mit großem Gepränge von Statten. Magistrat und Geistlichkeit haben dabei ihre chrenwerthcn Vertreter; ein Priester segnet den Glückstopf, und ein Kind zieht die Loose. Der versammelte Haufe kann vor Erwartung nicht ruhig athmcn; diejenigen, welche ihrer Sache ganz gewiß zu seyn glaubten und nun sich getäuscht sehen, verlassen den Saal heulend und wehklagend; unendlich viel seltener hört man Freuden geschrei. Facchino's erwarten das Herauskommen der letzten Nummer, um die Neuigkeiten in den Straßen herumzutragen. Sie laufen aus Leibes kräften und stellen die Liste einem anderen Facchino zu, der an irgend einem Ablöseort steht und nun von seiner Seite rennt, was er rennen kann. In wenigen Augenblicken ist die Ziehung durch ganz Neapel bekannt. Um die Schnelligkeit dieser lebendigen Telegraphen zu ermessen, nahm einer meiner Freunde gleich nach der Ziehung einen Wagen und ließ sich im Galopp bis auf den Alten Markt fahren: er fand hier die Nummern vor einer Lottobude schon angeschlagen! Auf Geld ist man in dem schönen, aber armen Italien überhaupt schreck- lich eracht und hat nur zu viele, theils erlaubte, theils unerlaubte Mittel ersonnen, o» ,u seinem Besitze verhelfen sollen. Doch urtheilcn die Reisen den in dieser wie r» anderer Beziehung oft einseitig, egoistisch oder nach mit gebrachten Vorurthcilen. Le. machen persönliche Erfahrungen angenehmer oder unangenehmer Art und entscheiden nom Dreifüße, wie viel oder wie wenig daS Land werth sey. Einer, dem sein Koster gen^r.» ig. glaubt sich von lauter Mördern und Spitzbuben umgeben; wogegen sein Nach bar, dessen Gepäck unversehrt geblieben, kaum an das Vorhandenseyn solcher Leute glaubt. In der ersten Zeit meines Aufenthalts zu Neapel hatte ich keinen Menschen ob schlimmer Streiche in Verdacht- An einem schönen Tage wurden mir in der Straße Toledo, und zwar in weniger als einer Stunde, zwei Taschentücher gestohlen. Ich steckte nichts mehr in meine Hinteren Rock taschen und verzieh den Dieben um ihrer Geschicklichkeit willen. Am 18. Mai erhielten drei Straßenräuber, welche in vergangener Nacht Jemand über fallen und gemordet hatten, öffentlich hundert Stockprügcl als Vorschuß auf das Endergebniß ihres Prozesses. Mein Unglaube ward etwas erschüttert. Einige Wochen später erhielt ein chrenwerther Mann, der einen Fremden auf merksam machte, daß man ihm sein Taschentuch stahl, von einem zweiten Diebe einen Messerstich und außerdem die Mahnung, sich hinführo nicht mehr in die Angelegenheiten Anderer zu mengen. Jetzt wurde ich nachgerade miß trauisch. Vor meiner Abfahrt nach Sicilien erfuhr ich, daß man bei Taormina einen Franzosen angehaltcn und rein auSgeplündcrt hätte. Wäre ich damals mit meinem Stockdegcn einem frisch von Marseille angekommenen Landsmann begegnet, so würde er sich vielleicht über mich lustig gemacht haben, und nach einiger Zeit hätte ich ihn, mit Sackpistolcn bewaffnet, wiedergcfunden. Bet dem Allen sind die Straßcnräubcr selbst in Italien noch ziemlich selten, und wer ihnen begegnen will, der verfehlt sic gewiß. Ich gestehe, daß ich keinen Erzpriestcr so eifrig ausgesucht hätte, wie den wcitberufcnen „Banditen der Abruzzen", dessen Geheimnisse mir zu viel werth sind, als daß ich sic verrathen möchte. Man erzählte mir, unter dem vorigen Könige von Neapel sey, nach mehreren strengen Bestrafungen, eine Amnestie bekannt gemacht worden, in deren Folge Offiziere die Häuptlinge der Räuber zu einem Schmause einluden. Die Eingeladcncn erschienen und setzten sich vertrauens voll zu Tische. Beim Nachtisch aber brachen, auf ein gegebenes Zeichen, königliche Truppen herein und metzelten die Gäste unbarmherzig nieder. Dies war ein furchtbarer Schlag für das Räuberwesen, von dem es sich mit Mühe wieder erholen wird. Während aber die Maßregeln des Generals Manes und jenes hinterlistige Gastmahl die Wurzel der Banditen auSgcrottct haben, ist die Bettelei durch dieselben nicht im Geringsten gesteuert worden. Ganze Schaaren Unglücklicher, die um Almosen sichen, versperren Dir den Weg, Einige mit Klagegeschrei, Andere heiterer, mit Fratzen und Luftsprüngen. Auf Ischia hört man, von einem Ende der Insel bis ans andere, nur den unzählige Mal wiederholten Ruf: 8ißiior, bsjoceo! Der Bauer, der sein Gemüse zu Markte bringt, hält seinen Esel an, um Dir bettelnd seine Hand entgegen zu halten. Ein junges Mädchen, das aus einem von Reben umzogenen Fenster sein niedliches Köpfchen streckt, lächelt Dir anmuthig zu und bittet um einen Bajocco. In den Straßen von Neapel murmeln die Schildwachcn bei nächtlicher Weile zaghaft: UN pioeolo regslo (ein kleines Geschenk)! Der Arme ist hier nie verschämt; Du findest in Neapel nicht so leicht wie in Frankreich jene stolzen und ver zweifelten Unglücklichen, die ihr Unglück stumm in sich hineinwürgen: ein Neapolitaner trägt sein Elend unbedenklich zur Schau und zieht so viel Nutzen davon, als ihm möglich ist. Unter den Bettlern von Gewerbe haben Manche ein bewundernswürdiges Talent: die Mannigfaltigkeit der Redewendungen, die Schönheit des Vortrags, die Gewalt ihrer Mimik erheben sie zu wahren Künstlern. In ganz Italien, mit Ausnahme des lombardisch-Venetianischen König reichs, steigert die Paß-Polizei ihren Geschmack an Abgaben bis zum Enthu siasmus. Dcr Reisende muß zahlen, um in eine Stadt zu kommen, um Hin» durchzufahrcn, um mehr als drei Tage zu verweilen, um eine Sicherheitskarte zu erhalten, seinen Paß vifiren zu lassen, für Empfangscheine, für die Erlaub- niß, den Paß auf einem Bureau wieder in Empfang zu nehmen und auf einem anderen Bureau ihn vorzuzeigen, wo von neuem bezahlt wird. Junge Künstler, die nicht sehr bemittelt sind, haben am Schluß einer Reisc nach Italien gewiß mehr als eine monatliche Rate ihrer Einkünfte für Paß-Gebühren hingc- opfert, der Trinkgelder zu geschweige», welche die herkulische» Lastträger, die Alles, was sie für Dich zu schleppen haben, immer todeSmüdc macht, noch außer ihren bedungenen Lohn verlangen. In jeder Stadt, jedem Dorfe, jedem Weiler muß der Durchreisende seine Papiere vorzeigen und den Soldaten be schenken, dcr sic zurückbringt. Mein Paß war am Ende zu einem gehefteten Bande angcschwollen, noch illustrirter als das „nicht kleine Register" des Leporello. Werfen wir jetzt auf den Zustand cneratur-und Kunst einige Blicke. Neavel bat i» »>-- a-istPru Bewegung Europa's immer eine wichtige Rolle gespielt. ES wird einen noch ehrenvolleren Rang einnehmen, wenn man einst der Fülle von Ideen, die jetzt ohne Zweck und ohne Ergebniß sich verzettelt,