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ZSchMe Vorszeitung Bezugsbedingungen: v«, „vorfzewu^-«rjch«iM je»«, Woche«»«, «achmtNag, L Uhr mtl dem Votum de» folgenden log«» vt« vezugogebühr betragt 1^0 Mart «terteljLhrlich ober b0 pfg. für jeden Monat Vie ^>>rfzrimng" ist »n beziehen durch die kaiserlichen poftanjlaiten, di« Landdrieftrüger und durch unser« Voten, vei freier Lieferung in» Hau» erhebt di« Poft »och die Lujtellungngebühr von 4ü pfg. lelegramm-ttdr.: vorszeitung vrerden. Anzeiger für Stadt und Land mit der Vellage: „Illustriertes Sonntags-Vlatt" Amtsblatt für die Ugl. Rmtshauptmannschaften Dresden-RItstadt und Dresden-Neustadt, für das Ugl. Amtsgericht Dresden, die Rgl. Forstrentämter Dresden, Moritzburg, Tharandt und die Gemeinden Gberlößnitz und Radebeul. Zenrich in Lofchmttz. Telephon: Dresden, Nr. 3916. «tlohiin broda. Dtto Leubnitz. Neuoftra, Anzeigen-Preise: vt« etnfpalrige L«tl« I» unter ^«ngefandt- «0 12 Nr. 185. Dresden, Freitag, den N. August 1905. 67. Jahrgang. Da- -Neueste. Der Kaiser hielt gestern bei seinem Einzüge in Gnesen eine Ansprache, in der er die Bewohner der Ostmark an ihre nationalen Pflichten ge mahnte. Im Färbereistreik steht der Friedensschluß anscheinend unmittelbar bevor. An Bord des Dampfers „Eleonore Wörmann" sind gestern neun deutsche Reichstagsabgeord nete von Hamburg nach unseren afrikanischen Kolonien abgereist. Stabsarzt vr. Schäfer vom 2. Bataillon des Infanterie-Regiments 172 ist von dem Kommando auf dem russischen Kriegsschauplatz enthoben worden. Das britische Unterhaus hat in dritter Lesung die Vorlage über die Marinebauten mit 130 gegen 119 Stimmen angenommen. Die Friedenskonferenz hat gestern in Ports mouth ihre erste Sitzung abgehalten, in der man sich auf Französisch als offizielle Verhandlungssprache einigte. In der Mandschurei umgingen die Japaner eine russische Armeeabteilung und zwangen sie zum Rückzug nach Norden. Das Lelbftverwaltungsrecirt in der deutschen Arbeiterversieherung. In den letzten Tagen fand hier in Dresden die 12. Jahresversammlung des Zentralverbandes deutscher Ortskrankenkassen — die Heerschau der sozialdemokratischen Kassenverwaltungen — statt. Auf der Tagesordnung stand u. a.: Die Vereinheitlichung der Arbeiterversicherung. Bekanntlich wollen die sozialdemokratischen Krankenkassen ihre für das Parteiinteresse so wertvolle Verwaltungs organisation nicht nur verteidigen und erhalten, sondern — der Angriff dünkt ihnen die beste Verteidigung — diese Organisation auch auf alle übrigen Zweige der Arbeiterversicherung, ohne Rücksicht auf das Beitrags verhältnis, übertragen. Tönende Worte wurden in Dresden gesprochen und phrasenreiche Beschlüsse gefaßt „zur Rettung des bedrohten Selbstverwaltungsrechts der Krankenkassen". Selbstverwaltung! Das Wort hat einen guten Klang auch in nationalgesinnten Kreisen. Es ist ein Vorrecht, der schönste Ehrentitel einer kulturell hoch stehenden menschlichen Gemeinschaft. Eitel Heuchelei aber ist es, wenn die Sozialdemokratie sich als Be schützerin der Selbstverwaltung aufspielt; eine wohl berechnete Täuschung des Bürgertums ist es, wenn die Sozialdemokratie dem, was sie anstrebt, den wohlklingen den Namen Selbstverwaltung gibt. In Wahrheit ist die Sozialdemokratie der ärgste Feind der Selbst verwaltung. Mit ihrem Entwurf zur Vereinheitlichung der Arbeiterversicherung hat sie ihre wahren Pläne ver raten. Nicht die Selbstverwaltung, nicht die Verwaltung durch die Interessenten nach Maßgabe ihres Beitrags verhältnisses streben die sozialdemokratischen Kassen verwaltungen an, sondern die Alleinherrschaft der Ar beitnehmer. Die Verwaltungsorganisation der einzelnen Zweige unserer Arbciterversicherung ist durchgeführt nach dem Grundsatz: wer zahlt, der verwaltet. Wir haben in den Berufsgenossenschaften der Unfallversicherung, deren Lasten ausschließlich den Besitzern der versicherten Be triebe auferlegt sind, die reine Selbstverwaltung der Arbeitgeber, abgesehen von einer gewissen Einschränkung zu Gunsten der Arbeitnehmer, die durch die paritätische Besetzung der Berufungsinstanzen (Schiedsgericht, ReichS- verficherung-amt) mit den Vertretern beider Interessenten gruppen gegeben ist. Natürlich wird diese Selbst verwaltung von den Sozialdemokraten nicht verteidigt: eine Organisation, in der Arbeitgeber verwalten, nennt man ja nicht „Selbstverwaltung", sondern „Ring der Ausbeuter" u. a. Bei der Invalidität-- und Alters- versicheruna ist die Zahl der Beisitzer gleichmäßig unter Arbeitgebern und Versicherten geteilt, der unter Umständen den Stichentscheid gebende Vorsitz da gegen einem vom Staate angestellten Beamten über tragen — entsprechend der auf Arbeitgeber und Ver Politische Weltschau. Deutsche- Reich. Der Kaiser nahm gestern früh eine Gefechtsübung auf dem Truppenübungsplatz Gnesen in Augenschein und zog dann in die Stadt Gnesen ein, wo ihm stürmische Huldigungen dargebracht wurden. Auf die Begrüßungsansprache deS Bürger meister» antwortete der Monarch in längeren Aus führungen. Abends fuhr der Kaiser nach WilhelmS- höhe ab. Der Kaiser in Gnesen. Auf die Ansprache des Bürgermeisters dankte der Kaiser für den Empfang und sprach seine Freude aus, daß sich die Arbeit deut scher Kultur so mutig, wenn auch schwer Bahn bricht Anscheinend seien aber manche polnische Untertanen noch immer nicht im klaren, ob sie Schutz und Recht unter dem Hobenzollernbanner finden. Die angeregte Phantasie mit Pflege geschichtlicher Erinnerungen könne manches begeisterte Gemüt zu falschen Schlüssen führen. Jeder katholische Pole müsse wissen, daß er bei Aus übung seiner Religion in keiner Weise gestört wird. Man sieht also: nicht eine gerechte Selbstverwaltung ist eS, was die sozialdemokratischen Kassenverwaltungen in der deutschen Arbeiterversicherung anstreben, sondern eine in der Beitrag-Pflicht nicht begründete und darum ungerechte Vorherrschaft der sozialdemokratisch gesinnten Arbeitnehmer. Und nicht um einen Ausbau der Kranken fürsorge, um daS wahre Interesse der Versicherten ist e- ihnen zu tun, sondern um die politische Macht. Das Jnteresse der Versicherten wird durch da» Hineintragen politischer Gesichtspunkte in die Verwaltung der Arbeiter versicherung, durch die Wahl sozialpolitischer Nullen, deren Verdienste nur in einer prompten Folgsamkeit gegenüber den Leit- und Schlagworten ihrer Partei führer bestehen, mittelbar und durch die Vergeudung der Kassengelder zu parteipolitischen Unterstützungs zwecken unmittelbar und bedeutend geschädigt. Das SelbstverwaltungSrecht im Sinne des Zentralverbandes deutscher Ortskrankenkassen, d. h. die Vorherrschaft der sozialdemokratischen Arbeitnehmer in der Verwaltung müßte, um gerechtfertigt zu sein, nicht nur gerecht sein, nicht nur dem Beitrag-Verhältnis entsprechen, eS müßte, da eS nicht etwas an sich Erstrebenswertes, sondern nur eine Frage der Zweckmäßigkeit ist, der Arbeiter versicherung nützlich und dabei dem Interesse der Ge samtnation nicht schädlich sein. Tatsächlich aber ist eS als Werkzeug zur Verhetzung der Massen gegen die Interessen der Nation dem Staate verderblich und als zu eigensichtigen parteipolitischen Nebenzwecken mißbraucht den Versicherten nicht nützlich. Welch' nobler Ton übrigens auf der eingangs er wähnten Generalversammlung herrschte, mag aus folgendem zu ersehen sein. Herr Reichstagsabgeord neter Fräßdorf polemisierte gegen die Preßbehandlung der Angelegenheit in den Wcndtlandschen „Volkstüm lichen Blättern für Arbeiterversicherung". Wenn ihm jemand ähnliches auf der Straße sage, so würde er den betreffenden Menschen hinter die Ohren schlagen. Die Kassen seien nicht für die Beamten, sondern für die Versicherten da. Wenn die Sache so weiter gehe, dann komme man zu Konsumvereinszuständen. Herr Kaffen rendant Bergmann-Breslau führte aus, Fräßdorf habe den Herrenstandpunkt herausgekehrt und er müsse fagen: Julius, mir graut vor Dir! Es gebe eben zwei Sorten Ratten, nämlich die hungrigen und die satten. Es seien Krankenkassen vorhanden, wo die Beamten für ein Hungergeld 12 bis 15 Stunden täglich arbeiten müssen. Ein anderer Redner teilte mit, daß er nur das „Pantinengymnasium" — wahrscheinlich meinte er die Volksschule — besucht habe und für den Antrag Pollender usw. eintreten werde. Herr Gräf-Frankfurt bemerkte Herrn Pollender gegenüber, daß er in der Holzarbeiterorganisation ganz ander- rede und handle, wie als Vorstand einer Ortskrankenkasse. Dann sei er ganz Arbeitgeber, Fräßdorf, Julius l, hätte in der pari tätischen Kommission nichts Besseres geschaffen, als was diese erreicht hat. Wenn man die Beamten der Kranken kassen nicht mit abstimmen lasten wolle in der Frage der Besoldung usw., so frage er: „Ist das demokratisch gedacht?" Wer in München nicht über seine Abstim mung klar war, sei ein blamierter Esel. Man kann sich hiernach ein ungefähres Bild davon entwerfen, wie „segensreich" solche Generalversamm lungen sind und welchen ungeheuren Nutzen sie yaben. sicherte gleichmäßig verteilten Beitragsleistung einer seits und dem vom Reiche gezahlten Rentenbeitrag andererseits. Auch bei den Krankenkassen ist die Ver waltung eingerichtet nach Maßgabe der BeittagSleistung. Die Gemeindekrankenversicherung wird geleitet von der Gemeindebehörde — einem Selbstverwaltungsorgan — oder von einer ihr untergeordneten eigenen Verwaltung; an den Beiträgen sind zu einem Drittel die Arbeit geber, also die Gemeindebürger, beteiligt, und die durch die Beiträge nicht gedeckten Kosten der Versicherung sind aus dem Gemeindevermögen zu bestreiten Die gleiche Zuschußpflicht ist jenen Unternehmern auferlegt, die eigene Betriebs- (Fabrik-) oder Baukrankenkasten besitzen, ebenso den Innungen für ihre Kasseneinrichtungen. Bei allen diesen Krankenkassen nehmen die Versicherten nach ihrer Beitragsquote an der Verwaltung teil, aber der Vorsitz ist in den Händen des Betriebsunternehmers, der als Arbeitgeber in der Regel einen über das Maß seiner einen Stimme hinausgehenden, in seiner Zuschuß pflicht wohlbegründeten Einfluß besitzen wird. Eine Vorherrschaft der Versicherten, eine Verwaltung, in der die Arbeitnehmer von vornherein Mehrheit und Vorsitz haben, findet sich nur bei den freien Hilfskassen, die nur aus den Beiträgen der Versicherten unterhalten und daher auch allein von diesen verwaltet werden, und bei den Ortskrankenkassen, deren Verwaltung entsprechend dem Beittagsverhältnis zu zwei Dritteilen den Arbeit nehmern zusteht. Den freien Hilfskassen kommt nach Mitgliederzahl und nach der Art ihrer Krankenfürsorge in sozialpolitischer Beziehung eine wesentliche Bedeutung nicht zu. Nur die Ortskrankenkassen verbleiben daher als diejenige Kasseneinrichtung, die die uneingeschränkte Selbstverwaltung im Sinne einer zwar nicht gesetzlich, aber tatsächlich gegebenen Alleinherrschaft der Arbeit nehmer besitzt. Von den Ende 1903 in Deutschland insgesamt vorhandenen 23 271 Krankenkassen sind nun Ortskranken kassen nur rund 20 Prozent, die 48,64 Prozent aller Versicherten umfassen. Mit welchem Rechte, fragen wir, beansprucht dieses eine Fünftel aller Kranken kassen, daS noch nicht die Hälfte aller Versicherten vertritt, die Uebertragung seiner Verwaltungsorgani sation nicht nur auf die übrigen vier Fünftel anders organisierter Krankenkassen, sondern auch auf die beiden anderen Zweige der Arbeiterversicherung? Tatsächlich ist es nicht einmal dieses Fünftel, sondern nur ein Bruchteil desselben, nämlich die im Zentralverband vereinigten (sozialdemokratischen) Ortskrankenkassen, etwa 150 von insgesamt 4715, die mit der sprichwörtlichen sozialdemokratischen Bescheidenheit sich anmaßen, im Namen der deutschen Ortskrankenkassen Forderungen zu stellen. Gewiß waren die Ortskrankenkassen als die eigentlichen Träger der Krankenversicherung gedacht; aber sind sie — vom Standpunkte des Versicherten — das Ideal einer Krankenkasse? Die Verteidiger der Ortskrankenkassen bejahen natürlich diese Frage. Zum Beweise führen sie einzelne musterhaft verwaltete Kassen an, die Großes in der Krankenfürsorac geleistet haben. Aber — daß man mit diesen Kassen als „Muster instituten" paradiert, beweist schon, daß es Ausnahmen sind, einzelne von fast 5000. Und verdanken diese Kassen ihre vorzüglichen Leistungen etwa der Selbst verwaltung, richtiger der Vorherrschaft der Arbeitnehmer in der Verwaltung, oder nicht vielmehr der durch eine Verschmelzung von Einzelkosten ermöglichten Ansamm lung großer Mittel und vor allem der Energie einzelner hervorragend tüchtiger Männer, die am gleichen Platze auch bei jeder anderSgestalteten Organisation das gleiche geleistet haben würden? Haben nicht unsere „bureau- kratisch" geleiteten Landesversicherungsanstalten in einer weitblickenden Krankenfürsorge ganz andere- geleistet als einige wenige große Ortskrankenkassen? Ls sind Musterkasten nicht wegen, sondern trotz der Selbstver waltung! Die Abhängigkeit von einer General- versammluna, von einer Instanz, der wegen der all jährlichen Neuwahl die erforderliche Stabilität mangelt, wird der Gewinnung und Erhaltung tüchtiger Ver waltungskräfte an sich nur hinderlich sein können. Die überwiegende Mehrzahl der Ortskrankenkassen aber bietet den Versicherten nur die gesetzlichen Mindest leistungen, also in der Deutlichen Krankenfürsorge nicht mehr al- die Gemeindekrankenversicherung, und nach dem Maße der Fürsorge würden unsere Betriebskranken kasten viel eher vaS Ideal der Versicherten sein müssen als die Ortskrankenkassen.