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Tonnabend. Nr. 255. 31. October 1857. Leipzig. Die Zeitung crscheint mss Ausnahme des Sonntags täglich Nachmit tags für den folgenden Tag. Pret- für das Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Deutsche Allgemeine Zeitung. -Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- uns Auslandes, sowie durch eie Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr für den Naum einer Zeile 2 Ngr. D e«tschkirnv. Von der Donau, 28. Oct. Das durch die projcclirte Rhein brücke bei Strasburg mit Recht aufs höchste beunruhigte Süddeutsch land blickte bisher auf Oesterreich als diejenige deutsche Großmacht, welche in dieser Angelegenheit ebenso interesstrt ist als die beiden vorliegenden Staaten Württemberg und Baiern, wie es denn auch hier ebenso für die Schutzmacht SüddcmschlandS gehalten wird als Preußen für die Nord deutschlands. Was Oesterreich indessen nach der Jndependance belge in dieser Rücksicht angeblich als Schutzmittel vorschlägt (Nr. 250), kann diesen Zwck nur sehr unvollkommen erreichen. Oesterreich will das durch eine stehende Brücke bei Kehl nun ganz erleichterte Dcbouchiren einer französischen Ar- mee nach Süddcutschland durch Anlegung von Befestigungen dieser Brücke gegenüber verhindern, wenigstens erschweren. Dieses Mittel hat sich jedoch schon einmal als unzureichend bewiesen. Im Feldzuge von 1796 hatten die Deutschen in derselben Gegend Schanzen angelegt, um das rechte Nhcinufer gegen eine Invasion der Franzosen von Strasburg aus zu sichern. Allein obwol damals Moreau den Uebergang über den Rhein durch viel fache Demonstrationen vorberciten mußte, obwol die Strasburg gegenüber liegenden Inseln des Rhein von den Deutschen besetzt waren und diese also erst weggenommcn werden mußten, ehe die Franzosen ans rechte Nhein- ufer gelangen und die dort errichteten Schanzen angreifen konnten, so führten diese doch den Uebergang aus und eroberten die bcrcgtcn Vcrschan- zungem Oesterreich scheint diese Erfahrung ins Auge gefaßt zu haben. Darum will es bei Kehl als dem Debouchc der projcctirtcn Nhcinbrücke starke Werke mit einem Kostenaufwandc von 10 Mill, errichtet wissen. Allein dadurch wird die Partie zwischen Frankreich und Deutschland noch nicht gleich. Will eine deutsche Armee über die beregte Brücke in Frank reich eindringen, so stößt sie gleich hinter derselben auf die starke Festung Strasburg, beziehungsweise auf die Citadelle derselben. Für 10 Mill, baut man aber keine Festung auf der deutschen Seite, nicht einmal eine bedeu tende Citadelle. Was wird man aber für 2 Mill., die Baden vorschlägt, in dieser Hinsicht bauen? Doch nur Ncdouten, welche wie 1796 wcgge- nommen werden können. Und wie kommt denn der Deutsche Bund dazu, 2 Mill, zu zahlen, um ein Project Napoleon's Ui., welches offenbar Deutschland mit großen Gefahren bedroht, zu unterstützen? Wenn wir dies thäten, so verdienten wir wahrlich den Spitznamen der „guten Deutschen". Aber die kosmopolitischen Krämerseelen weisen uns auf den kommerziellen Nutzen der projectirien Rheinbrückexhin. Wir antworten ihnen: Bewegt erst Frankreich, durch Aufhebung der den russischen ähnlichen Zollschranken uns einen Beweis zu geben, daß es den Handel mit Deutschland erleich tern und begünstigen wolle, ehe wir eure Ansicht theilen. Habt ihr nicht auch in dem diesfallsigen Tractat zwischen Frankreich und Baden gelesen, wie ersteres euch durch seine Mauthschranke» unmittelbar nach dem Ucber- gange eurer Waaren über die neue Brücke aufhalten wird? Frankfurt a. M., 29. Oct. Das Frankfurter Journal meldet, daß heute die Beschwerde der Laucnburger Stände in Betreff der Ver- fassungs- und vertragsmäßigen Rechte des Herzogthums durch den hiesigen Advocaten Goldschmidt der Bundesversammlung mitgetheilt worden sei. Preußen. ^Berlin, 29. Oct. Da cs nun bestimmt ist, daß die holsteinische Frage von dem Bunde in Behandlung genommen wird, so wird es von Interesse sein, sich mit dem Boden zu beschäftigen, auf wel chen die Bundesversammlung sich zu stellen haben wird. Der Friede vom 2. Juli 1850 war ein sogenannter einfacher Friede, durch welchen beide Theile, der Deutsche Bund und Dänemark, ihre resp. Rechte und deren Geltendmachung sich gegenseitig vorbchiclten. Die deutschen Rechte finden aber ihren prägnanten Ausdruck in dem Bundcsbeschluß vom 17. Sept. 1846. Infolge des Offenen Briefs vom 8. Juli 1846 und des Verhal tens der dänischen Regierung gegenüber den holsteinischen Ständen hatten die letztem sich beschwcrdcführcnd an den Bund gewandt, aus welchem An- laß Dänemark in Frankfurt erklären ließ: „daß es Sr. Maj. nie in den Sinn gekommen, das Herzogthum Holstein in ein anderes Vcrhältniß zum Königreich Dänemark zu setzen, cs näher mit demselben verbinden zu wol len, als dies gegenwärtig stattfindct"; daß mit den Bestrebungen des Kö nigs auf die Anerkennung des dänischen Gesammtstaats „selbstverständlich nichts Anderes gemeint" sein könne „als das Zusammenbleibcn der unter dem königlichen Sccpter vereinten Länder", daß schon die Ausdrücke „Ge- sammtstaat" oder „Gesammtmonarchic" bewiesen, „daß hier von keinem Staat die Rede sein sollte, in welchem ein Theil dem andern untergeordnet oder ein Land als Provinz dem andern als Hauptland einvcrleibt würde", daß der König von einer andern Seite ebenso wenig daran gedacht hätte, „irgendeine Veränderung in den Verhältnissen hcrbeizuführcn", welche das Herzogthum Holstein mit dem Herzogthum Schleswig verbinden rc. Die jenigen Punkte, welche auf die Negulirung der Erbfolge Bezug haben, übergehen wir absichtlich, Bei diesen Versicherungen glaubte der Reclama- tionsausschuß sich beruhigen zu können, erklärte aber: „Sollte, was nicht zu erwarten steht, die königlich dänische Regierung im Verlauf der Zeit von ihren soeben gegebenen feierlichen Versicherungen abwcichen, sollten, mit oder ohne ihr Verschulden, aus den dermaligen Verhältnissen Verwickelun gen erwachsen, durch welche Rechte oder Interessen, die unter dem Schutz des Bundes stehen oder zu seinem Wesen gehören, gefährdet oder verletzt erscheinen, so würde je nach der Lage der Sache die Competcnz des Bun des zu begründen sein." Das von deutscher Seite in dem Frieden vom 2. Juli 1852 Vorbehaltene ist also das in dem entsprechenden Bundesbc- schluß vom 17. Sept. 1846 Gewahrte. Auch wurde von dem preußischen Unterhändler, Hm. v. Usedom, dem Friedensvertrage noch eine besondere Declaration beigcgeben, in welcher hinsichtlich des Vorbehaltenen auf den Bundcsbeschluß vom 17. Sept. 1846 ausdrücklich Bezug genommen wurde. In gleicher Weise blieb cs auch in einer gleich nach dem Friedensschluß von der preußischen Regierung ausgegangencn erläuternden Denkschrift dem Bunde als selbstverständlich Vorbehalten, jeden Augenblick seine volle Competcnz gel tend machen zu können. Als später, auf Grund des Art. 4 des Friedens- Vertrags, preußische und österreichische Commissare sich nach den Herzoglhü- mern begaben, um dem Kampfe der letztem mit Dänemark ein Ziel zu setzen, erklärten dieselben, daß es sich um nichts Anderes als um die ein- fache Wiederherstellung des Ltutus quo gute; bellum handle, wie endlich auch die damals in Frankfurt vertretenen Regierungen ihre Vollmacht an Oesterreich zur Regelung der holsteinischen Angelegenheit nur „nach Maß gabe der in diesen Angelegenheiten bereits vorliegenden Bundesbcschlüsse" crcheilten. Man ist also überall und bei jeder Gelegenheit auf den Bundes- bcschluß vom 17. Sept. 1846 zurückgekommen, und cs wird derselbe also auch jetzt der Ausgangspunkt für die Bundesversammlung nolhwcndig sein müssen. Daß das von den Großmächten unterschriebene (vom Deutschen Bunde übrigens nicht ralificirtc) Londoner Protokoll, in welchem der Gesammtstaal ga- ranlirt wurde, keinen andern Sinn hat noch haben kann, als das von Dänemark selbst nach seiner vorhin angeführten Erklärung von 1846 unter dem Wort „Gesammtstaat" Verstandene, ist bekannt und ebenso bekannt ist cs auch, daß von Seilen der deutschen Großmächte die Ratification außerdem auch, nur unter dem noch besondern Vorbehalt der Rechte Deutschlands erfolgt ist. Dänemark hat aber später in der schreiendsten Weise gegen Beides gehandelt, sowol gegen den Sinn, welchen das Londoner Protokoll haben sollte und auch heute noch hat, als auch gegen seine im Jahre 1846 dem Bunde gegebenen Erklärungen, indem es eine Gesammtvcrfassung schuf, welche die Stellung Holsteins zu Deutschland ganz und gar verrückt und sogar die Jncorporirung dieses Herzogthums anbahnt. Hal der Bund nun aber lediglich auf den Bundcsbeschluß vom 17. Sept. 1846 zurückzugehcn, so liegt es auch auf der Hand, daß der Bund nicht blos die bundesrcchl- liche Stellung Holsteins zu Deutschland und Dänemark, sondern auch die althergebrachte Verbindung Holsteins mit Schleswig in seine Erwägung wird nehmen müssen. Man hat sich in der letztem Zeit zwar daran ge wöhnt, von Holstein allein zu sprechen und Schleswig, als eine Art von verpöntem Wort, ja nicht zu nennen; cs ist aber nur die Folge einer Be griffsverwirrung, wie sie eben nur als eine weitere Folge der Verwirrung möglich war, in welche die an und für sich doch so klare Angelegenheit der Herzogthümer durch dänische Kunstgriffe rc. in den letztem Jahren sich ge stürzt befunden. Die althergebrachte, in der dänischen Erklärung von 1846 anerkannte und ausführlich erörterte Verbindung Holsteins mit Schleswig ist ein Recht, so alt, gut und begründet, wie es nur eins geben kann; dasselbe ist in dem Beschluß des Bundes vom 17. Scpt. 1846 ausdrück lich gewahrt, und darum wird der Bund auch von diesem Rechte jetzt zu sprechen haben. Daß Schleswig nicht zum Deutschen Bunde gehöre, ist die leerste Ausfluchtsphrase, deren die Feinde Deutschlands sich nur bedie nen können. Daß Schleswig nicht zum Bunde gehört, das wissen wir sehr wohl; es handelt sich darum aber ja auch gar nicht, sondern lediglich darum, daß das Recht eines deutschen Bundeslandes geschützt werde. Und weil es sich hier um ein gutes Recht handelt, welches einem deutschen Bun deslande gehört, so sind auch hier Rechte und Interessen vorhanden, die, nach der richtigen Aeußcrung des Neclamalionsausschusscs von 1846, „unter dem Schutze des Bundes stehen, oder zu seinem Wesen gehören". Es olle zum Bewußtsein gebracht werden, hieß cs in dem Bundcsbeschluß von 1846 ferner, „daß im Deutschen Bunde das Bundesrecht und nicht po litische Convenienz entscheide". Ist es nicht nöthig geworden, dieses Be wußtsein zu erneuern und es endlich einmal durch die Thal vor den Au gen des deutschen Volks zu besiegeln? Und wenn dies zu allen Zeilen und unter allen Umständen bei gefährdeten Bundcsintcrcsscn zweckmäßig und nöthig ist, ist cs jetzt, einem übelwollenden Auslande und insbesondere der kopcnhagencr Demokratie gegenüber im conservativen Interesse nicht dop pelt nöthig und doppelt Pflicht? Möge der Bund darum kräftigst vor-