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Freitag. 81 1 Mai 18S7. Erscheint LTienstag- und Freitag«. Zu beziehen durch alle Postanstal- ien. Preis pro Quart. lO Ngr. . > ? Inserat« . Weißeritz-ZeitungM angenommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Rcdacteur: Carl Zehn e. in DippoldiSwal d^e. Die Kirchenzucht. Bekanntlich Haden seit dem Jahre l85l sich die Kultusministerien einiger deutscher Staaten, di« jetzt die Kirche vertreten, dahin geeinigt, jährlich Abgeordnete zur gemeinsamen Berathung über Fragen der Landeskirchen zusammentreten zu lassen. Bis jetzt haben diese Abgeord neten zum größten Theile den ..Rechtgläubigen" angehört. Diese wenigen von Regierungen gesendeten Abgeordneten haben sich den Titel: „deutsch-evangelische Kirchenconferenz" beigelegt und wiederholt getagt. Ihre Sitzungen find ge heim gewesen, obgleich die Religion ein Gemeingut der Menschheit ist. Was später über die Beschlüsse dieser geistlichen Herren, z. B. über Beichte rc., bekannt wurde, wie namentlich in Baiern Früchte jener Konferenzen her vortraten, hatte das Schicksal, wenig Vertrauen bei der deutschen Nation zu gewinnen. So eben veröffentlichen die Zeitungen die Einladung des Vorstandes zu der im nächsten Juni in Eisenach abzuhaltenden Sitzung dieser „Kirchen- conferenz" Md lenken von Neuem die Aufmerksamkeit auf jenes gar eigenthümliche protestantische Quast-Concil. Oeffentlichkcit der Berathungen wird auch in diesem Jahre nicht stattfinden, obgleich unser Heiland sagte: „Ich habe nie im Verborgenen gelehrt." Wenn es sich bei den Berathungen desselben nur um Erörterung theologischer oder liturgischer Fragen handelte, so würden wir es nicht für unsers Amts halten, ihnen eine specielle Beachtung zu widmen, da wir für heser sehr verschiedener religiöser Ueberzeugung schreiben und da wir wohl die Interessen dieser Welt nach unsern Anfichten besprechen, dagegen aber die Anschauung eines höhern Lebens der eignen Forschung und dem eignen Gewissen eines Jeden überlassen. Allein die protestantische Quast-Synode, die „Kirchenconferenz" zieht in den Kreis ihrer Berathungen Gegenstände, welche der Erde viel mehr angehen, als den Himmel, und von welchen möglicher Weise die Laien stark belästigt werden können. Aus diesem Grunde, weil sich's um irdische Angelegenheiten stark handelt, wollen wir uns erlauben, ein Wort mit hineiy zu reden. In dem Einladungsschreiben dcS Vorstandes werden die von den verschiedenen Konsistorien und andern geistlichen Behörden ausgegangenen Anträge aufgezählt, welche dies- mal die Tagesordnung dieses Quafi-Concils bilden wcrden. Und da ist denn sehr bemerkenswerth, daß unter diesen Anträgen die wichtigsten sich um die Kirchenzucht drehen. Was ist Kirchenzucht? Die Anwendung äußerlicher, menschlicher Mittel zu kirchlichen Zwecken, sei cS zur För derung des Glaubens, sei es zur Erhaltung oder Hebung der Sittlichkeit. Gegen die Anwendung derartiger Mittel an sich ist nichts zu erinnern. Jedermann wird es billigen, wenn die Kirche, um die Seelen für eine religiös« Stimmung empfänglich zu machen, ihre gottesdienstlichen Handlungen mit dem Schmuck eines würdigen Gotteshauses, mit den harmonischen Tönen einer guten Orgel, mit den feierlichen Klängen einer weihevollen Musik umgiebt. Man wird e- loben, wenn der Geistliche seine Vorträge anziehend und anregend zu machen beflissen ist, um nicht den erhabenen Inhalt, welchen er verkündigen soll, durch hie Ärmlich keit der Form, durch taktlose Darstellung deS Heiligen, — der Gleichgültigkeit, Geringschätzung oder wohl gar der Mißachtung auszusetzen. Endlich wird man eS in der Ordnung finden, daß die Kirchenobrigkeit auch das. änßre Leben der Prediger überwacht, von ihnen einen ehrbaren strengen Wandel, die Vermeidung deS AergernisseS auch in minder wichtigen Dingen fordert und sie straft, wenn sie gegen diese Forderung verstoßen. Bis hierher läßt sich gegen „Kirchenzucht" nichts einwenden. Allein die protestantische Kirche ist früher über dies« Grenzen weit hinauSgegangen, und in der Gegenwart giebt es einzelne Geistliche der bekannten Richtung, welche wieder in die fortgeschrittene Gegenwart -ine ganz andere „Kirchenzucht" einführen möchten, der unsre Zeit längst entwachsen ist. Da unsre evangelische Kirche aus der katholischen hervorgegangen ist, so erklärt es sich, daß man in den ersten Jahrzehnten der Reformation, ja selbst im ersten und zweiten Jahrhundert derselben, das Verhält-» niß der Laien zu den Geistlichen nach römischer Art ausfaßte, daß man es betrachtete als ein VerhäAniß der Unterthanen zu einer politischen Obrigkeit. Die Geistlichen hatten vergessen den Spruch deS Apostels: „Wir find nicht Herren eure- Glaubens." Die evan gelische Geistlichkeit betrachtete sich als Obrigkeit der Ktr- chengenossen und die Laten als Unterthanen, von denen man Gehorsam zu fordern berechtigt war, deren Unge horsam man strafen mußte. Die Geistlichkeit begnügte sich nicht zu lehren, zu ermahnen, zu warnen, zu trösten, die Sacramente zu spenden: sie wollte auch regieren, richten, strafen; das gab Ansehen. Im Schatten solcher äußeren Mittel ruhte fich'S gut. Sie sqh nicht allein diejenigen als ihre Unterthanen an, welche sich frei willig zu ihrer Kirche bekannten, sondern sie glaubte apch die Andersdenkenden, die Gleichgültigen seien ihnen von Rechtswegen unterworfen. Sie betrachtete demnach die Entfremdung dieser Leute als «in ihr zugesügtes Unrecht, welches nicht nur ewige, sondern zumeist Strafe auf Erden verdiene. Richter und Voll strecker der Strafe war selbstverständlich die Geistlichkeit. Im Laufe der Zeit hat diese Auffassung einen großen Umschwung erfahren. Die religiösen Ideen läuterten ych immer mehr und man erkannte, daß die Heiligung der Seele nicht durch äußre Zucht- und Strafmittel, sondern nur durch innere Freiwilligkeit möglich werde, daß sich die Religiosität nicht durch äußere Mittel erzwingen lasse. In demselben Verhältnisse, in welchem diese Ideen sich Bahn brachen und allgemeiner wurden, wurde der Zwang in geistlichen Dingen verhaßter und immer