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Voigtländischer Anzeiger. 37. Stück. Plaum, Sonnabends den 15. Septbr. iZio, Veränderungen unserer Zeitgenossen in der Lebens - und Denkart. ehcn die Menschen auch ein, daß sie an ders seyn sollen, als sie sind, so entschliessen sich doch nur Wenige freiwillig zu einer Aende- rung ihrer gewohnte» Lebensweise. Große Ent schlüsse sind selten das Werk der Freiheit; die Noth, die allgewaltig den Menschen drängt, be wirkt das, was die Einsicht schon längst ange- rachen hat. Sonst legte man das Leben mehr ans Genuß als aus Thätigkeit, mehr aus Ruhe als aus Kamps an; jetzt entsagt man manchem Vergnügen, die Sinne behaupten nicht mehr allein die Oberhand; auch die Vernunft findet Gehör; man erwartet »ach Stürmen noch keine Ruhe, sondern man rüstet sich zum Streite mit innern und äusser» Feinden. Der Werth des Lebens besteht nicht in den Güttern, die mau besitzt, nicht in den Genüssen, die man im Taumel hinabschlürst, sondern in der Besonnenheit, mit der man das Leben be- trachtet, in der Energie, mit der man es mit den Uebeln der Welt ausnimmt, in der Resigna tion, mit der man das Unvermeidliche erduldet, und in der muthigen Entschlossenheit, mit der man dem Unrechte entgegen geht und weder Bö ses lhut noch Böses leidet. Viele unserer Zeitgenossen theilen kiese Ee- sinnung; Mehrere sind aus dem Wege dazu; denn das Beispiel muntert auf und das Gute er langt den Sieg. Besonders ist im Mcrelstande seit einigen Jahren eine große Veränderung im Leben und im Denken vorgegangen. Man lebt eingezogener und häuslicher; vergnügt sich an der Lektüre, erquickt sich an stillen Betrachtun gen über das Loos der Menschheit und zu man chem trefflichen Entschlusse kommt manche gute That. Man hat sich im Genuß eingeschränkt und dieThätigkeit vermehrt; man verpraßt oder erschlafft die Kräfte nicht im Sinnenrausche, sondern stählt sie im Kampfe mildem Ungemach« der Zeit; man wiegt sich nicht in täuschende Phantasien ein, sondern sieht der Wirklichkeit kühn ins Auge. Man hat dadurch an Wahr heit, wie an Würde, an Kraft, wie an Ent schlossenheit, gewonnen, und das Leben wird als eine Erziehungsanstalt betrachtet, in welcher Streiten mrd Ringen mit Hindernissen sowohl unvermeidlich als ein Glück für den Menschen sind. Wie der Luxus abg7nommen hat, so hat die Selbst-