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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020403020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902040302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902040302
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-04
- Tag 1902-04-03
-
Monat
1902-04
-
Jahr
1902
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Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes und Nolizei-Airttes der Ltadt Leipzig. Anzeigen «Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesördernng ./L 60.—, mit Postbesürderung ./L 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpeditivn zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 167. Donnerstag den 3. April 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Eine Depesche Lord Kitchcner's aus Pretoria besagt: Oberst Lawlcy meldet aus Boschmanskop von einem lebhaften Gefecht, das am 31. März stattgcfundcn hat. Lawlen hatte die zweiten Garde-Dragoner entsandt, welche 10 Meilen öst lich vorgehen sollten, da er die Absicht hatte, am Morgen des folgenden Tages zu ihneu zu stoßen. Den Drago nern gelang es gestern bei Tagesanbruch, den Feind zu überraschen, der aber Unterstützung erhielt, so daß die Dragoner sich nach einem heftigen Zusammenstoß käm pfend auf das Hauptcorps zurückziehen mußten. Dieses war inzwischen in der Richtung, aus welcher das Gewehr feuer vcrnommeu wurde, vorgerückt und warf den Feind iu nordöstlicher Richtung zurück. Auf englischer Leite wurden 4 Ofsicierc verwundet) die Verluste des Feindes sind bedeutend) cs wurden sechs Gefangene gemacht. Jetzt erst erfährt man aus einem vom 13. Februar datirten Berichte des „Bureau Reuter" aus Ceres in der Capcolonic, daß die Bocren unter Thoron am 5. und 8. Februar einen g r o ß en Train, der dazu bestimmt war, die englischen Depots im Westen neu zu vcrproviantiren, abgefasn und vernichtet haben. Daß diese Nachricht heute erst bekannt wird, erklärt sich aus der lakonischen aber inhaltsreichen Ueberschrift: „Angehaltcn durch den Ccnsor". Die englische Colonne bestand aus einer Abtheilung Cappvlizei, 3 Schwadronen Pevmanry und 2 Geschützen unter dem Obersten Dvran. Die Boeren plünderten den Train aus und zündeten dann die Wagen an. Die Engländer, welche die Geschütze retten konnten, verloren 11 Todtc und 30 Verwundete. Bemerkt wird auch, daß Kitchcncr über den Kampf bei Lnthcrland lCapcolonie), wo die Engländer 15 Todtc oder Verwun dete und 29 Gefangene verloren, nichts Näheres meldet. Der „Standard" findet cs beunruhigend, daß im gegen wärtigen Stadium des Krieges in verhältnißmäßigcr Nähe von Capstadt so etwas Vorkommen kann. Das englische Kriegsministerium verweigerte dem französischen Deputirten Villeboi - Mareuil, einem Bruder des im Transvaalkriege gefallenen Ville- boi-Marcuil, die Erlaubniß, eine Rothe Kreuz-Ambulanz nach Südafrika zu entsenden. Die Weigerung wurde da mit begründet, daß cs im Hinblick auf früher gemachte Erfahrungen unmöglich sei, von dem Personal derartiger Ambulanzen Bürgschaft dafür zu verlangen, daß sich das selbe bei gegebener Gelegenheit keinen Mißbrauch zu schulden kommen lasse. Das französische Rothe Kreuz bat dem Unternehmen Villeboi-Marenil's seine Unter stützung zugesagt. politische Tagesschau. * Leipzig, 3. April. Wie die „Germania" meldet, bat der Papst beim Empfange des Centrumsabzeordneten Schwarze (Lippstadt) und deS Verlegers der „Tremonia" in Dortmund, Lambert Le »sing, daS Hinscheiden deS Abg. vr Lieber tief beklagt, aber auch der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die ruhm reiche Institution des Centruins sich unter der jetzigen Leitung fortdauernd weiter entwickeln werde. Ob diese Hoffnung sich erfüllt, wird nicht unwesentlich davon abhängen, wie die „jetzige" Leitung, die doch wobt nur eine provisorische ist, sich in Zukunft gestaltet. Die „Köln. Ztg." nimmt an, die jetzige Leitung werde noch eine Weile die Zügel in der Hand be- behalten, und entwirft von ihr folgendes Bild: „Infolge der langwierigen Krankheit Lieber's hat ein gewisses Interregnum geherrscht, währenddessen die eigentliche politische Zügelsiihrung vorwiegend in den Händen der Abgg. Or. Bachem und Gröber und, soweit wirthschaftliche Fragen in Betracht kamen, wohl auch noch des Abg. Müller-Fulda geruht hat. Dieses Triumvirat dürste wohl auch noch für übersehbare Zeit die politischen Geschäfte des Ecntruins vorwiegend leiten, vr. Bachem und Grobe sind beide tüchtige Juristen, die allerdings beide Len Fehler haben, daß sie auch die staatsrechtlichen Fragen fast ausschließlich vom Standpuncte des einseitigen Civilrechtlers beurtheilen. Beide sind ungefähr gleichalterig, noch nicht fünfzig Jahre alt und in hohem Grade redegewandt und mit den parlamentarischen Verhältnissen Vertraut. Beide sind aber auch in hohem Grade Fanatiker und es wird für die übrigen Parteien vielfach nicht leicht sein, mit ihnen eine gemeinsame Verständigung zu erzielen. Or. Bachem, der vor zwei Jahren sehr leidend war und sich in Folge Ueberanstrengung längere Zeit vom parlamentarischen Leben ganz hatte zurückziehen müssen, hat im letzten Winter von Er müdung keine Spur gezeigt und wiederholt Anlaß genommen, mit seinen politischen Gegnern die Waffen zu kreuze». Er ist im Centrum neben dem Abgeordneten Roeren wohl der leidenschaft lichste Verfechter des Polenthnms, und die Bestrebungen, die zunehmende Polonisirung deS preußischen Ostens zu vereiteln, haben an ihm stets den schärfsten Widerstand gefunden. Bei längeren Reden verfällt er leicht dem singenden Tialect seiner rheinischen Heimath; doch tritt dabei ein großer Unterschied mit seinem säst gleichalterigen Freunde Triinborn zu Tage. Auch der Abgeordnete Trimborn kann vom rheinischen Dialect nicht lasse». Aber seine Sprechweise hat etwas ungemein Geinüthliches und Humorvolles, so daß nicht selten auch die von ihm angegriffenen Gegner ihm mit lachendem Behage» zuhöre». Tie Sprechweise des vr. Bachem dagegen entbehrt vollständig dieses Gcniüthliche»; sie ist hart und scharfkantig, schlägt bittere Wunde» und neigt nicht selten zur galligen Sprechweise Eugen Richter's bin. Auch der Abg. Gröber kann sich nicht der Sprechweise seiner schwäbischen Heimath entwöhnen, -und es ist ein bekannter Ausspruch im Reichstage, daß seine Reden ost noch gröber aussallen, als es schon ohnedies der Name des Redners besagt . . . Der Ab geordnete Miiller-Fnlda, der bei den entscheidenden Verhandlungen über die Zolltarisvorlage für das Centruin wohl die maßgebende Stimme führen dürfte, hat erst im vorigen October sein 50. Lebens- jahr vollendet. Er ist Fabrikbesitzer in Fulda, ist viel im Auslande gereist und hat sich gründliche wirthschaftliche und technische Kenntnisse angeeignet . . . Man kann gespannt darauf sein, wie weit es diesem Treiblatte gelingen wird, die Geschicke des Centrums in der nächsten Zeit einheitlich zu leiten." Die Münchener „Allg. Ztg." glaubt nicht reckt daran, daß die genannten Herren sich längere Zeil in die Herrschaft theilen werden, denn: „Eine wesentliche Voraussetzung der Führerschaft des Abg. Or. Lieber war seine Wohlhabenheit und die darin begründete Unabhängigkeit, die ihm gestattete, nicht nur in der Parla mentszeit, sondern bei jeder kritischen Gelegenheit in der Reichs hauptstadt in der Nähe der Reichsküche zu sein. Die fortgesetzte Fühlung war eine wesentliche Voraussetzung für seine parlamentarische Führerthätigkeit. Jene Momente treffen auf keinen der Vor genannten mehr zu, als auf den Abg. vr. Bachem vom Hause der „Kölnischen Volkszeitung". Fällt aber diesem Manne die Führung zu, dann wird man sich im Reiche und noch mehr in Preußen aus wunderbare Dinge gesüßt machen können." Bei dem fanatischen Eifer, mit dem vr. Bachem sich der Polen anzunehmen pflegt, ist allerdings auzunehmen, daß er als alleiniger Führer daS Centrum zu Wunderthaten für seine Schützlinge anzuleiten versuchen würde. Und ehrgeizig genug, um nach der alleinigen Führung zu streben, ist er sicherlich. Andererseits ist das Ceutrum diejenige Partei, die am leichtesten von allen zu lenken ist. weil ihre Mitglieder an den Verzicht auf eine eigene Meinung Rom gegenüber gewohnt sind. Hat der Nachfolger Lieber's in Nom den rechten Rückhalt, so wird er auch mit dem Centrum fertig werden. Und da der römischen Curie an einer einheitlichen Führung des CentrumS gelegen sein muß, so wird sie sich vermuthlich die „jetzige Leitung" genau ansehen und ihre be sondere Unterstützung dem Candidaten angedeihen lassen, der am besten geeignet erscheint, ihre eigenen Hoffnungen zu ver wirklichen. Auf die Wünsche und Anschauungen Leo'S XIII. fällt gerade jetzt ein Helles Licht durch sein „Testament"; als solches bezeichnet er nämlich selbst sein dem wesentlichen In halte nach bereits mikgetheiltes Schreiben an die Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe der katholischen Kirche. Ohne Zweifel ist diese päpstliche Kundgebung deshalb mit besonderer Sorg falt abgefaßt, und unleugbar darf man ihr eine hervorragend charakteristische Bedeutung beimessen. Je klarer dieser Sach verhalt ist, um so schwerer fällt der Umstand ins Gewicht, daß Leo's XIII. Testament mit der Legende vom „liberalen" Papste Leo gründlich aufräumt. In der Form verbindlich, zeigt sich Leo XIII. doch der Sache nach in allen Puncten von Belang als der geistige Erbe Pius' IX. Wie dieser, so ist auch Leo XIII. der starre Vertreter fämmtlicker Herr- schastsansprüche der römischen Wellkirche. Ausdrücklich er neuert Leo die Kriegserklärung gegen die Reformation, indem er sagt: „Wir wollen nicht behaupten, daß man von Anfang an beab sichtigt habe, die übernatürlichen Wahrheiten zu leugnen, aber nach dem inan einerseits Len Vorrang Les römischen Stuhles, der die Einheit bewirkt und erhält, zurückgcwiesen und andererseits das Princip der freien Forschung aufgestellt hatte, ward das göttliche Gebäude bis in sein tiefstes Fundament erschüttert und unbegrenztem Zweifeln und Leugnen Thür und Thor geöffnet, auch in Dingen von größter Wichtigkeit." Ausdrücklich erneuert ferner Leo die Kriegserklärung gegen die alte und die moderne Philosophie, deren Jrrlhümer schon von den Vätern der ältesten christlichen Zeiten wider legt sein sollen. Endlich erneuert Leo die Kriegserklärung gegen den modernen Staat, weil er die Ehe in daS Bereich seiner Gesetzgebung zog und die Ehescheidung gestattete, sowie die Herrschaft in der Schule behauptete. Auch die alte Praxis, auf die Abkehr der Geister von der römischen Hierarchie einen angeblich allgemeinen sittlichen und politischen Niedergang zurück- zufübren, wird von Leo wiederum angewandt. Als ob ein stichhaltiger Beweis dafür geliefert werden könnte, daß die Tugend des Einzelnen und die Rechtschaffenheit von Völkern und Staaten größer als heute in den Zeiten gewesen wären, da die römische Kirche die alleinherrschende und an erkannte war! Das Gegenstück zu solchen Anklagen bildet die Behauptung, es sei nur eine alte Ver leumdung, wenn man der Kirche „ehrgeizige Ab sichten" zuschreibe. Wie wenig die Auffassung, daß die Kirche ehrgeizige Absichten hege, eine Verleumdung ist, dafür bietet Leo's Testament selbst einen klassischen Beweis. Denn nachdem Leo erklärt hat, das Christenlbuin werde die modernen Staaten auf den rechten Weg zuriicksühren, fährt er fort: „Aber es ist damit nicht Alles gesagt: die Rückkehr zum Christen thum ist kein wahres und vollkommenes Heilmittel, wenn sie nicht die Rückkehr zur einen, heiligen, katholischen, apostolischen Kirche bedeutet, da Las Christenthum sich in der katholischen Kirche bethätigt und verkörpert, Lieser souverän geistipen und vollkommenen Gesellschaft, die der mystische Körper Jesu Christi ist und zum sichtbaren Ober haupte Len Papst hat, den Nachfolger Les Apostelsürsten." Als Hauptverleumder der Kirche, die ehrgeizige Absichten nicht haben soll, nennt Leo die Freimaurerei: von ihr sieht er in neuerer Zeit die heftigen Angriffe gegen die Kirche auSgchen. Durch diese Meinungsäußerung des Papstes muß freilich die klerikale „Kölnische Volkszeitung" deS Herrn vr. Bachem in die größte Be stürzung geratben. Denn gerade vor einem Jahre, als am Ostermontage zu Köln die erste „Prvtestversammlung" von Katholiken wider die „Kirchenfeinde" stattgefunden hatte und dort von Herrn Racks die Freimaurer für die Kirchen feindschaft der Gegenwart in erster Linie verantwortlich gemacht waren, begann das rheinische Centrumsblatt, vor derartigen Beschuldigungen der Freimaurer zu warnen, weil sic durch die Thatsachen nicht gerecht fertigt wären. Wenn im Valican die wohlgemeinten Warnungen von deutscher katholischer Seile überhört wurden, so geschah das sicherlich unter dem Einflüsse dcS in Rom so mächtigen Jesuitismus. Ganz jesuitisch ist auch die Forderung, in die Leo's Testament ausklingt, nämlich die Forderung von „Regelmäßigkeit in der Disc iplin". „Diese muß sich", sagt Leo, „vor Allem zeigen in der vertrauens vollen und vollkommenen Unterwerfung unter die Weisungen deS hl. Stuhles; das ist das Hauptmittel, um den Nachtheil des spaltenden Parleigcistes zu beseitigen oder zu mildern und um alle Anstrengungen im Dienste eines höheren Zweckes zu vereinigen, des Triumphes Christi in seiner Kirche. Das ist die Pflicht der Katholiken ..." — In dem Jesuilenorgan „Stimmen aus Maria Laach" ist mit ähnlichen Worten wiederholt dieselbe Forderung erhoben worden; sie ist in der vom JesuitiSmuö beherrschten römischen Kirche ebenso der Weisheit letzter Schluß, wie der Schluß im Testament Leo's XIII. Herr vr. Bachem und die übrigen Candidaten um die Leitung des Centrums werden sich hier nach zu richten haben, wenn sie das Placet der römischen Curie erhalten wollen. Zu den Fällen von Insubordination, die gleichzeitig in mehreren Garnisonslädten Norditalicns vvrgekommen sind, wird der „Münch. A. Z." aus Rom ge schrieben: Wie erinnerlich, berief die Regierung durch kgl. Dccrct vom 23. Februar wegen des drohenden Eisen- bahnerstrciks außer den militärischen Eisenbahnangcstcll- ten auch die erst im vorigen Herbst entlassene Jahresclasse 1878 zu den Waffen. Die Maßregel hatte ohne Zweifel viele wirthschaftliche Nachtheile im Gefolge und konnte Feiiillrton. Eva oder Anneliese? 3j Roman von Ernst Georg y. verboten. Bernd war zehn Jahre alt. Er wurde reifer, ver ständiger. Die Vorgänge um ihn herum, das Ehclcbcn der Eltern und ihre Qualen fing er an zn vegreifen! — Marien's Herz zog sich schmerzlich zusammen bei dem Ge danken an eine Trennung von ihrem maßlos geliebten, einzigen Kinde. Aber sie fühlte ihre Widerstandskraft zeitweise erlahmen. Wollte sie nicht seine Entwickelung hemmen, einen giftigen, verbitternden Hauch über seine Jugcnderinnernngcn, seine Liebe zum Vater kommen lassen, so mußte er aus dem Hanse. Je eher, je besser. Er durchschaute sic schon jetzt. „Latz Dir doch nicht Alles gefallen, Mutti! — Ich mag Papa nicht mehr, er ist nicht so gut wie Du! — Verstell' Dich nicht, Mutti, weine Dich doch einmal tüchtig ans nnd trample mit den Füßen, das hilft mir immer!" waren Reden, die sie jetzt häufiger ver nahm. — Wohin sollte das führen? — Er mußte fort; ober wohin? Die Masscnerzichung großer Pensionen oder der militärischen Anstalten waren ihr verhaßt. Der kleine Bursche war an Freiheit gewöhnt. Sic zergrübelte ihren Verstand nach einem Auswege. Heimlich zog sie Erkun digungen nach guten Pädagogen ein; aber immer wieder scheute sic zurück. Kein Professor der Welt schien ihr edel und tüchtig genug, um ihm ihren Bernd anznvertraucn. Zum Herbst aber, so gelobte sic sich feierlich, sollte eine Veränderung bestimmt cintrcten. Er mußte fort. Der Unterricht bei dem Pfarrer von Großbrandau und der CiLlehcrin genügten auch nicht für seinen strebenden Geist. — Julian, ihr Gatte, liebte in dem Knaben nicht den Sohn, sondern vor Allem den Ltammhalter des Ge- 'chlccht"s. Leit seiner Geburt war er von der Sorge be frei!, die großen Güter an eine Nebenlinie fallen zu sehen. An) seine Weise vergötterte er sogar die Schönheit nnd Kl.'ghe.t deS Knaben. Wenn er guter Laune war, verzog er ,hi- »urd wirkte ihr aus jede mögliche Art entgegen. Er pslonv.e Hochmuth nud Menschcnverachtuug iu das weiche Kinderherz — Es würde einen crbitftrtcn Kamps geben. ioc"i' sie ihn in die Fremde verbannte. Aber diesmal sollte Julian sie unerbittlich finden. Ihr Wille würde un- tvciLcrlich geschehen, das wußte sic schon heute. Es galt ja das Wohl ihres Kindes, nnd dafür schenke sic lein er laubtes Mittel. Diese Gedanken beschäftigten sic auch bis zum Ende des Frühstücks. Tann wurde der Graf in sein Zimmer gerollt und schlief ein bis zwei Stunden. Diese Zeit ge hörte -en Kindern nnd war für sie die schönste am Tage. Heute setzte sic sich mit Bernd und Anneliese, die drei Tage zuvor sieben Jahr alt geworden, auf den Valevn. Die Erzieherin zog sich in ihr Zimmer zurück. Sie wußte, daß die Gräfin ungestörtes Alleinsein mit den Kleinen ricbte. Marie setzte sich in einen Korbsessel. Die kleine Waise kletterte auf ihren Schooß und legte ihre Arme zärtlich »m ihren Hals, das Köpfchen an ihre Schultern schmiegend. Bernd lehnte sich, ans einem Fuß bänkchen hockend, gegen ihre Knice. Sie drückte einen Kuß in Anneliese s blondes Gelvck nnd strich mit ihrer schmalen weißen Hand kosend über die weichen, welligen Haare ihres Einzigen. „Mach' ein freundlicheres Gesicht, mein Bubi!" — sagte sie sanft — „Dn weist, ein Kind darf niemals über seine Eltern richten! Einem Kranken rech net man nichts an, das habe ich meinem Liebling schon häufig erklärt, gelt?" „Aber " fuhr er leiden schaftlich auf. „Kein Aber, Bubi! Wenn ein armer Mensch von Schmerzen geplagt wird, so verliert er stets das Verständnis! für gesunde Leute. Darum haben dic'e die Pflicht, ihm Alles zu vergeben und seine Schmerzen zu erleichtern. Dazu gehört Geduld und Liebe, Bubi! — Doch nun genug davon! Nun erzählt Ihr mir, was Ihr den langen Vormittag über getrieben habt. Anneliese fängt an!" „Wir haben gespielt. Mntti, laß Bernd weiter er zählen. Er kann es besser!" — meinte die Kleine zagend. „Ich hätte cs aber gar zu gern von meiner kleinen „Dern" gehört. Willst Dn nicht? - — Nein?! Na, Na, Bubi, dann beginne Tn als Aeltcster, und Anne liese fährt nachher fort. Sic muß sich für ihre Mutti auch ein bischen Mühe geben!" — — „Anneliese ist ein Tnmmelchcn." „Sv sollst Tn doch nicht sagen!" „Nein, Mutti, ich meine auch nur so. Vorhin bat vernicht gewußt, wer Napoleon ist, als wir sic auf einem Sand haufen cingesperrt haben. Ter sollte Wilhelmsböhe vor stellen. Tenk' nur, nicht zn wissen, wer Napoleon ist!" - — „Welche „wir" denn, mein Bubi?" fragte die Mutter leise lächelnd. „Unsere neuen Freunde, Franz und Paul Neubcrt!" — — „Ncubert?" wiederholte Marie gespannt. „Ja, ihr Papa heißt Wilhelm, ihre Mama Emma. Er ist, denk' nur, wie fein,Mntti,Professor, richtiger lebendiger Professor an einem Gymnasium in Berlin! Seine Jungen können eine Padde anfassen und dann noch einen Regenwurm zerreißen. Es sind sehr nette Jungen, Mutti!" — Eine Scenndc wendete er den Kopf und blickte die Gräfin an. Dann plauderte er weiter. Anneliese eommentirtc. Beide achteten nicht darauf, daß ihre Mutti heute gar nicht dazwischen sprach. So eifrig waren sie von den neuen Eindrücken und Spiel gefährten beeinflußt! Marie lehnte tvdtenblcich zurück. Sic hatte die Augen halb geschloffen. Und dennoch flimmerte die Lust vor ihr, als sähe sic in strahlenden Svnncnglanz. — Wilhelm Ncubert, Gnmnasialprofcssor! Baier zweier Söhne. Hier in dem entlegenen Dicvcnow, hier, wo sic weilte. Es war ein Märchen! Aus Qual und Trübsal stiegen in leuchtender Verklärung die vergangenen Tage auf. Da mals ivar die Welt eine gewaltige Schale für Jugend glück und Jugendhvffen. Und sic nnd er waren die Kerne, welche von dem friedengetrünkten, cinlullendcn Wonnegefühl umschlossen wurden. Tann barsten die Hüllen. Es folgten Kummer, Entsagung, Verzweiflung. - — Wilhelm Neubcrt! Sic erbebte. — Vorbei! — Sic rvar die Gräfin Brandau! Wenn sic ihn jetzt wiedcrsah, hotte die Stimme des Herzens zu schweigen. Er war ihr, sie ihm fremd. Marie war eine stolze, ehrenhafte Frau. In diesen wenigen Minuten gab sie sich, bebend und fast überströmend vor Freude, Pein und Angst, die Richtschnur für ihr ferneres Handeln. Nicht mit einer Miene wollte sie ihm zeigen, daß ihr ganzes Herz noch von ihrer Jugendliebe erfüllt war. Um selbst ruhiger zu werden, mußte sie vor Allem das erste Wiedersehen hinter sich bringen. — Entschlossen erhob sic sich nnd stellte die Kleine aus den 'Boden. „Wir wollen ein wenig spazieren gehen. Laßt Euch von Miß Seatvn die Hüte geben; diese weißen An züge könnt Ihr anbchalten. Ich werde gleich vor der HanSthür ans Euch warten!" — sagte sie heiser und schwer. Tie Kinder sahen sie betroffen an. Aber die Freude über den gemeinsamen Gang war so groß, daß sic ulnr das eigcnlhiimlichc AnSschen de' Mutter schnell svrtlameu. Sie sprangen davon. Marie blieb eine Minute sieben und legte die Hand über die Augen. Ei» schmerzliches Stöhnen entfuhr ihr. Dann ließ sic die Arme sinken und richtete sich zu ihrer stolzen Höhe auf. Langsam e.ing sic in ihr Schlafzimmer. Ihre Kammersrau brachte ihr den großen Flvrentincrhut mit den wallenden weißen Federn, die weiße Spitzenmantillc nnd den weißen Tpitzenschirm. Sic zog ihr geschickt die weißen Filethandschuhe über Hand und Arm. Die vielen kostbaren Ringe funkelten an den schmalen Fingern. Einen Augenblick trat die junge Fran, die im eiilunddreißigsten Lebensjahre stand, vor den Spiegel. — Sie war ganz weiß gekleidet, wie cs der Graf liebte und verlangte. Er haßte dunkle Farben. Ihr Gesicht war so blaß, daß cs zu dem lichten Anzuge paßte. Ihre schwarzen Brauen und Wimpern waren das einzige Dunkle in ihrer ganzen Erscheinung. Langsam schritt sie später mit den Kindern und ge folgt von Bob mit den Hunden den Strand entlang. Au fremden Menschen, an arbeitenden Fischern führte der Weg vorbei. In der Ferne, dicht am Rande des Meeres, lagerte eine ganze Gesellschaft. Geplauder und Lachen wuvde vom Winde hcrübergetragcn. „Paßt auf, ob Ihr Eure neuen kleinen Freunde seht, Annelies und Bubi!" sagte sic mit klopfendem Herzen, „Ihr müßt sie doch Eurer Mntti vvrstellcu!" Sic gingen weiter. In den Dünen, die an die Haide grenzten, tobten eine Reihe Kinder. Bernd riß sich los. Er hatte Franz und Paul erkannt. Etwas seitab von diesen saßen drei Herren und spielten auf einer umgcstürzten Tonne Karten. Vor ihnen im Sande lagerten mehrere Damen mit Näh- nnd Häkel arbeiten. Die schwatzten nach Herzenslust. Ein Neid guoll in Marie empor. Sie, die Einsame, die geplagte Krankenpslcgerin, kannte solche Lustigkeit nicht, hatte sie in ihrem ganzen Leben kaum gekannt! Jetzt schleppte Bernd die beiden Neubcrts mit beiden Händen herbei. Sie machten verlegen ihre Bücklinge, reichten der Gräfin die Hand und antworteten auf ihre Fragen. Sie schaute in die klugen frischen Gesichter, die treuen braunen Augen der strammen Kerlchen voller Entzücken. In Beiden fand sic die Züge des Vaters wieder. „Ist Eure liebe Mama da unter den Damen?" Oagte sie laut. „Sv führt mich bitte zu ihr!" Sic er stickte fast und zwang gewaltsam die treibende Unruhe nieder. — Tie Professorin sprang verlegen aus, als sie die elegante, vornehme Gräfin mit ihren Kindern ank sich zukommcn sah. Ihre Freundinnen thaten das Gleiche. Auch die Spieler legte» die Karten verkehrt aus den im- provisirten Tisch und erhoben sich. — Vor Neubcrt be gann der Strand in wilden Wirbeln zn kreisen. Jetzt hörte er die tiefe, weiche Stimme wieder, die seine Wonne gewesen. Damals! „Unsere Kinder haben Freundschaft geschlossen, ver ehrte Fran Professor! Da habe ich als Mutter den leb haften Wunsch, Sic, die Mutter der neuen kleinen Spiel»
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