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und TllgMM. 9. Amtsblatt für die königlichen and Müschen Behörden zn Freiberg und Brand. , Verantwortlicher Redakteur Iuliu- Brasil tu Freiberg. > - 38. Jahrz«»^ , . .. Erscheint jeden Wochentag WrndS S Uhr für dm ! . Inserate werdm bis Bormittag« 11 Uhr angmom- Tomervag, dm 13. Jamm. 1881. Vie Modegadt Paris. Di« Debatten, welche jüngst im Gemeinderath zu Wien aus Anlaß der Anschaffungen für die künftige Hofhaltung deS demnächst in den Ehestand tretenden Kronprinzen Rudolph geführt wurden, sowie die Klagen über die Be günstigung der ausländischen vor der einheimischen In dustrie, welche bei jenem Anlaß laut wurden, haben die Aufmerksamkeit auch weiterer Kreise auf die Thatsache ge lenkt, daß jährlich Tausende von Gulden und Mark aus Oesterreich und Deutschland nach Frankreich wandern aus keinem anderen Grunde, als weil Frankreich und speziell Paris auf dem Gebiete der Mode den Ton angicbt. Die wirthschaftlichen Nachtheile, die uns Deutschen aus dieser Abhängigkeit vom Auslände erwachsen, sind allerdings so groß, daß es freudig zu begrüßen wäre, wenn die deutsche Industrie sich auf eigene Füße stellen könnte. Nicht nur, daß ein Theil derKundschaft unseren deutschen Industriellen dadurch verloren geht, weil sie den Franzosen nachhumpcln müssen, die Deutschen bezahlen auch schweres Geld für Modelle und Muster, die sie aus Paris beziehen. Es geht ihnen bei dieser ewigen Unselbständigkeit die Schaffensfreudigkeit und der rege Erfindungsgeist verloren. Endlich büßen sic auch zahlreiche tüchtige Mitarbeiter ein, denen in dem vom Auslande geschäftlich abhängigen Vater- landc kein genügend weites Arbeitsfeld geboten wird. So sicher diese Nachtheile vorhanden sind, so sicher ist cs auch, daß die Gaben, welche die Pariser Mode uns spendet, von sehr zweifelhafter Schönheit zu sein pflegen. Aber so wenig alle die Spöttereien gefruchtet haben, mit welcher die Männerwelt die Ausgeburten der Phantasie tonangebender Faktoren Frankreichs zu verfolgen Pflegt, so wenig läßt sich doch verkennen, daß die Bemühungen, die deutsche Mode unabhängig von Paris zu machen, zur Zeit kaum Aussicht auf Verwirklichung haben. Es wäre ja unstreitig sehr schön, wenn die Mode sich deutschen Gewohnheiten und deutschem Geschmack anpassen wollte; aber der Wunsch darf nicht der Vater des Gedankens sein. Nun denke man sich dieser Sachlage gegenüber, welche durch unseren Jahrhunderte langen Jammer nach dem dreißigjährigen Kriege und den Glanz Frankreichs zu jener Zeit ihre hinreichende Erklärung findet, den Versuch, eine selbständige Mode zu schaffen. Dieselbe entsteht dot nicht durch die Industriellen allein, sondern auch durch das Zusammenwirken der Gesellschaft mit den Industriellen. Wir haben nun aber in Deutschland gar keine solche Ge sellschaft, welche tonangebend werden könnte. Auch keine Stadt, die sich in dieser Beziehung mit Paris messen könnte. Berlin, an das man in dieser Hinsicht wohl zuerst denkt, ist alles Andere eher als eine Stadt des Luxus und des Ver gnügens. Es übt nicht einmal auf den Norddeutschen, geschweige noch auf Ausländer Reiz genug, um sie zu veranlassen, einen Theil des Jahres zum Vergnügen dort zuzubringcn. Auch nicht entfernt ist es die „Allerwelts- Herbcrge," wie Paris. Andere deutsche Städte mit an sehnlichem Fremdenverkehr — Dresden, Breslau, Fran furt a. M- re. — mögen für einzelne Zweige der Luxus-Industrie ganz geeignete Plätze sein und könnten allerdings in der Herstellung dieser und jener Branche von all' den Kleinigkeiten, welche man in Paris fabrizirt, mit der französischen Hauptstadt rivalisiren, aber unbe strittenes Ansehn als Sammelplatz der sogenannten „feinen Leute" genießt kein einziger deutscher Platz und keiner eignet sich also dazu, die Mode anzugeben. Vielleicht ge lingt es Berlin noch einmal, Paris auf diesem Gebiete zu überflügeln; bis dahin aber dürfte noch sehr viel Zeit vergehen, denn jetzt bietet die deutsche Reichshauptstadt noch herzlich wenig, um weitgereisten Fremden den Aufent- hal angenehm zu machen. So lange aber in diesem Punkte noch keine Wandlung sich vollzogen, werden auch alle Klagen über die Abhängigkeit der deutschen Industrie von der französischen Mode nicht- helfen. Paris ist nicht rein zufällig der Mittelpunkt alles »essen geworden, was zum Reiche der Mode gehört. Es liegt hier das Resultat einer historischen Entwicklung vor, das sich nicht ohne Weiteres beseitigen läßt. Die Rach- ahmungssucht der Deutschen und ihre Werthschätzung alles dessen, was vom Auslande kommt, haben dieses Ergebniß allein nicht herbeigcführt, sondern vor Allem der Umstand, daß Paris der Mittelpunkt des europäischen Fremdenver- ehrs ist. Hierin liegt das Entscheidende. Der Mittelpunkt ür die Mode läßt sich nicht einfach dektretiren; weder Beschlüsse der Fabrikanten noch Zeitungsartikel haben da großen Einfluß. Die Mode wird dort gemacht, wo Leute ich zusammenfindcn, welche Neigung und Geld genug »esitzen, ihre Zeit auf möglichst elegante Weise todtzuschlagen. Diese Leute mögen moralisch so wenig Werth sein wie sie wollen, in Bezug auf Kleidung werden Andere, die viel klüger, geistreicher und bester sind, immer auf sie hören. Der Punkt nun, wo diese eleganten Leute sich zusammen finden, ist Paris, dessen Fremdenverkehr denjenigen aller großen Städte des Kontinents übertrifft. Nach der Schweiz geht, wer sich einmal im Jahre von seinen Geschäften auf ein paar Wochen losreißen will, um die Natur zu genießen; Italien sucht Derjenige auf, der sich am südlichen Himmel und an den Resten einer alten Kultur ergötzen will; wer jedoch „leben" will und das nöthigc Geld dazu hat — geht nach Paris. Jedes Mitglied der eleganten Lcbewclt, die sich in der Seinestadt ein .Rendezvous giebt, ist bei der Heimkehr ein Missionar für die Pariser Mode und lehrt mit Wort und That, was man „trägt". Die Erleichterung des Verkehrs hat diese Alleinherrschaft der französischen Hauptstadt aus leicht erklärlichen Gründen nur noch befestigt. Der Reichstag und -ie Parteien, ui. k. ll Die eigenartigste unter unsern politischen Parteien ist die deutsche Reichspartei, deren ur sprünglichen Kern die preußischen Frcikonservativen bilden. Während in Preußen die freikonscrvativc Partei unter diesem Namen noch fortbestcht, haben sich im Reichstage die Frcikonservativen und die Reichspartci zu einer einzigen Partei unter dem Namen „Deutsche Reichspartci" verschmolzen. Doch hat diese Partei eine Existenz wesentlich nur im Reichstage; sie ist nicht, wie dies bei den Konservativen und Liberalen der Fall ist, der handelnde Ausschuß einer auch außerhalb des Parlaments vorhandenen Partei, sondern sie wird, soweit sie im Volke überhaupt vorhanden ist, durch ihre parla mentarischen Vertreter nicht sowohl repräsentirt, als ge schaffen. Der Grund hierzu liegt darin, daß die deutsche Reichspartci halb konservativ, halb liberal sein will — und dies ist ein Ding der Unmöglichkeit! Der prinzipielle Gegensatz zwischen Liberalismus und Konservativismus beherrscht heute und noch für lange Zeit so sehr die Masse unseres Volkes, daß eine feste Stellungnahme nach dieser oder jener Seite unbedingt nöthig ist, wenn eine Partei im Volke Wurzeln schlagen will Die deutsche Reichspartci hat im Volke so gut wie gar keine Anhänger; wenn sie dennoch im Reichstage eine politisch nicht unbe deutende Rolle spielt, so liegt dies darin, daß die meisten Mitglieder dieser Partei im Staate eine hohe Stellung bekleiden. Man hat sie daher oft „Botschafterpartei" und weil sic dem Reichskanzler fast nie Opposition macht, alle seine Vorschläge akzcptirt, „Partei Bismarck «ans xbrnss" genannt. Da die deutsche Reichspartei nicht aus einem volksthümlichen Bewußtsein entsprungen ist, entbehrt sie auch der derben Kraft, welche nur aus diesem Boden ge wonnen werden kann; sic ist nur eine parlamentarische Fraktion, aber keine eigentliche politische Partei. Jolly zieht nun aus dem Wesen der politischen Par teien, wie es sich nach seiner Forschung herausgcstcllt hat, Konsequenzen, welche für unsere politische Gesammt- situation und die Beurthcilung dessen, was überhaupt als möglich und wünschenswerth zu betrachten ist, von größter Bedeutung und Wichtigkeit find. Wir geben dieselben nur referirend wieder. Zunächst ist nach Jolly das parlamentarische RegierungSsystem in Deutschland eine Unmöglichkeit, wöbet darunter .die» jenige Form des KonstitutionaliSmus verstanden wird, bei welcher das jeweilige Ministerium, wenn nicht formell rechtlich, so doch tatsächlich mehr oder weniger der geschäftslettende Ausschuß des Parlaments, bH. der Majorität in demselben ist, so daß dieses zwar nicht direkt regiert, aber doch dm bestimmenden Einfluß äuf die von ihm abhängige Regierung ausübt". Unmöglich ist bei uns daS parlamentarische Regierungssystem, weil 1) die preußische Krone, mit welcher bei uns die Kaiser- Würde verbunden ist, nie im Entferntesten eine Schmä lerung ihrer Machtftille erfahren hat, wie sie im parla mentarischen System gelegen ist, und keine Veranlassung für sie vorlicgt, eine solche Schmälerung in dem von ihr selbst geschaffenen Reich auf sich zu nchmm; weil sich dasselbe 2) nicht mit den zwei mächtigsten Stützen und Werkzeugen, welche das deutsche Königthum für sich und den deutschen Staat geschaffen hat, unserm Heer und unserm Beamtenthum verträgt; weil endlich 3) das innere Wesen unserer politischen Körperschaften selbst, welches' durch die Art und Beschaffenheit unserer politischen Par teien bestimmt wird, für uns das parlamentarische System ausschließt. Zunächst stößt dasselbe auf die Schwierigkeit, daß wir zu viele Parteien haben, von denen bisher keine jemals über die absolute Mehrheit im Reichstag verfügte und von denen auch keine Aussicht hat, m absehbarer Zeit zu solcher Majorität zu gelangen. Ferner haben wir keine Partei, welche als solche regierungsfähig wäre; diese Behauptung wird freilich (meint der Verfasser) besonders in liberalen Kreisen, auf sehr entschiedenen Widerspruch stoßen. Doch müssen wir Jolly vollkommen zustimmcn, insofern es sich um den jetzigen Stand unseres Partciwesens handelt. Ist aber jede einzelne unserer Parteien, für sich betrachtet, wenig geeignet, einer parlamentarischen Regierung zu dienen, so paßt zu der selben noch weniger ihr gegenseitiges Vcrhältnzß; die Gegensätze zwischen ihnen sind so scharf, die Grundlagen, auf denen sic ruhen, so verschiedenartig, daß ein Wechsel des Regiments zwischen ihnen, die Leitung des Staates abwechselnd nach dieser und jener Partcinchtung, unver meidlich zur Verwirrung führen uno dem Volkswohl die schwersten Wunden schlagen müßte. Ein weiteres Resultat der Betrachtung des Wesens unserer Parteien und unserer Gcsammtlage führt zu der Erkenntniß, daß die Regierung bei uns der Volksvertre tung durchaus selbständig und unabhängig gegenüber steht. Sie ist rein und ausschließlich Dienerin der Krone und leitet ihre Macht nicht nur formal, sondern auch materiell von dieser, nicht vom Parlament, ab. Die Regierung steht nicht im Parlament, wie in England, der Heimath des parlamentarischen Systems, sondern demselben gegen über. Nichtsdestoweniger gilt in Deutschland seit Ein führung konstitutioneller Verfassungen der Satz als un zweifelhaft, daß die Regierung der Volksvertretung gegen über verantwortlich ist, und auch der Reichskanzler — einer so überlegenen Autorität er sich auch zu erfreuen hat und so leicht es für ihn sein mag, weitgehende An sprüche des Reichstags abzulehnen — hat doch seine politische Verantwortlichkeit immer vorbehaltslos aner kannt. Der Reichstag hat — wie nur der Pessimismus verkennen kann —.in Rücksicht auf seine jetzige Staats stellung immer sehr' bedeutenden Einfluß auf unser Staats leben ausgeübt, und es ist Angesichts der Gesetzgebung des deutschen Reichs, die auf jeder Seite die Spuren einer starken Einwirkung des Reichstags ausweist, unbegreiflich, wie man von Bedeutungslosigkeit des deutschen Konstitu- tionalismus sprechen mag. Es werden „nicht viel Perioden in der parlamentarischen Geschichte Englands zu finden sein, in welchen die herrschende Partei so viele Maßregeln in ihrem Sinne durchsetzte, wie es seit der Gründung des norddeutschen Bundes der nationallibcralcn Partei, ob gleich sie niemals die absolute Mehrheit im Reichstage besaß, gelungen ist, in ihrem Sinne auf die Gesetzgebung des Reiches cinzuwirkcn". Dagegen hat der Reichstag, abgesehen von den Gebieten, in welchen die Regierung verfassungsmäßig an seine Zustimmung gebunden ist, auf die Gesammthaltung derselben bisher einen sehr geringen Einfluß ausgcübt,^geringer noch als in den meisten deutschen