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Nr. 2. Friedrich Georg Wiecks 1863. Das Patentwesen. Von Or. H. Rentzsch. Die kleine Schweiz ist der einzige industrielle Staat von Be deutung, welcher keinen staatlichen Patentschutz kennt. Vor nicht langer Zeit wurde von einer Commission an den Bundesrath ein Gutachten dahin abgegeben, daß der Mangel eines Patentgesetzes na» keiner Seite hin nachtheilig gewirkt habe. In der Schweiz seien vcrhältnißmäßig nicht weniger Erfindungen gemacht worden, als in Staaten mit dem ausgedehntesten Patentschutze; die Erfinder hätten sich nicht schlechter gestanden, als an andern Orten, nur seien die Erfindungen, was doch jedenfalls als ein Bortheil zu be trachten sei, schneller Gemeingut des Volks geworden; der Staat fühle sich befreit von den schwierigen, oft nicht durchzuführcndcn Prüfungen über die Güte oder mindestens über die Neuheit einer zu patentirenden Verbesserung; die Gerichte wären von einer großen Anzahl der schwierigsten Proceßcntscheidungen erlöst, und von keiner Seite habe sich der Wunsch einer Patcntgcsctzgebung bemerkbar ge macht — das ist etwa die Onintcsscnz der Beobachtungen in der Schweiz. In andern Staaten hat man ganz den entgegengesetzten Weg verfolgt. Anstatt die Patentgesetze aus den Gesetzgebungen zu strei ken und den Verwaltungsbehörden die schwerste aller Functionen, die Patentverwaltung abzunehmen, hat man die alten Gesetze durch umfassendere, durch wo möglich noch speciellcre Vorschriften ver stärkt, um schließlich mit großer Mühe die einheimische Industrie gerade so weit zu fördern, wie cS der Schweizer Negierung ohne Patentgesetz möglich ist, vielleicht sogar um der freien Entwicklung in gut gemeinter aber falsch verstandener Absicht Fesseln dnrck eine unnöthigc Monopvlifirung anzulegen. Eine solche Ansicht wird zur Zeit nicht viele Vertheidigcr finden, sie wird sich aber — und das ist die Hauptsache — rechtfertigen lassen. Lange bevor die Frage für den praktischen Boden der Gesetzgebung reis geworren ist, haben sich die Theoretiker mit ihr beschäftigt, und brauchen nur die Namen *) Wcinlig, Mohl, Basiiat, Jobard, Krauß genannt zu werden, um Gewißheit zu geben, daß die Erörterungen mit allem Scharfsinn und reichem aus der Erfahrung geschöpften Wissen geführt worden sind. Geht man zuerst auf das Princip der Patentgcsctzgcbung ein, *) Bon den neuern Schriftstellern sind Stolle, Kleinschrod, Emming- Haus u A. zu nennen. so theilen sich schon die Ansichten. Am verbreitetsten scheint die Mei nung zu sein, daß dem Erfinder ein förmliches EigentbumSrecht an seiner Erfindung zuzuerkennen sei und ist diese Ansicht mehreren Gesetzgebungen zu Grunde gelegt worden. Der Staat schützt dann die Erfindung ganz in derselben Weise, wie er das bewegliche Eigcnthum seiner Angehörigen vor unberechtigten Eingriffen ver- thcidigt, und zwar entweder mir ans eine bestimmte Zeit oder als uncrlöschliches vererbliches Eigenthum. Wie gefährlich die letztere Ansicht für die Entwicklung ter Industrie werden kann, braucht kaum noch erörtert zu werden; denn nach dem in Frankreich mit aller Strenge dnrchgeführten Satze: „uns äesouvsrts sst la proxrists cks l'autsur kann die Erfindung nur dann Gemeingut werden, wenn der Eigenthümer ohne Erben stirbt und der Staat als freigebiger Universalerbe die Erfindung freigibt. Es ist wohl überhaupt nicht möglich, das Eigenthumsrccht einer Erfindung ju ristisch zu construircn. Die Meisten verwechseln das Eigcnthum an dem Stoffe, welcher zur Realiflrung der neuen Idee diente, mit dem Eigcnthum an der Idee selbst, den Besitz dcS Erfundenen mit dem Besitz der Erfindung. Schwerlich wird jemals ein Gedanke praktisch vcrwcrtbet worden sein, welcher ganz unabhängig von den Arbeite», dem Denken, Sinnen, Prvbircn und Erfinden der Vergangenheit ge faßt worden wäre. Jedes Zeitalter stützt sich auf die Schultern der vorhergegangencn Generationen, doch kcins ist so vermessen, die Summe allerEinrichtungcn. den ganzen Inbegriff seiner Civilisuiion, seiner Industrie, seiner Kunst als ein Werk hinznstellcn, daö ibm allein angehört —die ganze Menschheit bat daran bauen helfen. To bat auch der Erfinder bewußt oder unbewußt die Schöpfi'Wen seiner Vorgänger auf demselben Gebiete benutzt, und wenn er sein ver meintliches EigentbumSrecht aus dem strengen Nechlsboden durch fechten wollte, wenn er veranlaßt würde, alle die Vorstudien zu nennen, welche er gemacht, so würde sich sehr bald ergeben, daß der Erfinder neben dem wcnigNcuen, das er binzugcfsigt, den alleinigen Besitz von Erfahrungen beansprucht, welche Gemeingut seiner Mit Menschen waren. Wäre die Erfindung ferner als Eigcnthum des Erfinders anfzufasscn, wozu brauchte es dann eines besonder» Ge setzes, um ihn vor unberechtigten Eingriffen Dritter zu schützen? Der Staat dürfte ebenso wenig eine besondere Entschädigung dafür bean spruchen, daß er den Schutz zu leisten verspricht, so lange für die Urbarmachung und die Garantie des Besitzes von andern beweg lichen Gütern keine besondere Steuer erhoben wird. Wie kommt es endlich, daß der Schutz des vermeintlichen EigcnthnmS nur auf 3,5,