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Große Mehrheit für Strefemm« Das Mißtrauensvotum abgelebnt SIS sogen 98 <Von »nserer Vcrllnrr Lchrlstleltungj Berlin. 20. Nov. Das INihlrauensvotum gegen vr. Stresemann wurde mit 219 gegen 98 Stimmen bei drei Enthaltungen abgelehnt. Dafür haben nur die Nationalsozialisten, die Christlich-Nationale Bauern partei. die Kommunisten und ein Teil der Deutschnakio- nalen gestimmt. « Die außenpolitische Aussprache, heute matter geführt als am ersten Diskussionstag. und bisweilen sogar vor einem vor Leere gähnenden Saale, hat zu diesem Ergebnis geführt. Man sollte, will man einen DtskussionStag einigermaßen interessant und packend gestalten, nicht in die besten Stunden, nämlich am Anfang, einen Kommunisten loslassen. WaS da Herr Manzenberg mit sanatisch verfärbtem Gesicht, in das milde schwarze Haarsträhnen hingen, eine Stunde lang dem Hause gleich zu Anfang erzählte, war so abgestanden und so bar jeder Geistigkeit, daß eS kaum der pflichtgemäß der Sitzung Zuhörende ertrug Erträglich wurde cs erst, als der distinguierte frühere Staats sekretär Strcscmanns, Herr v. N h e i n b a b c n von der Deutschen Volkspartei, das Wort ergriff. Etwas Neues konnte freilich gerade von dieser Seite nicht vorgetragen werden, zu der der Neichsanßenmintstcr als Parteiführer und Fraktionskollegc gehört. To blieb Herrn von Nhcinbabcn im wesentlichen nichts anderes als die Abwehr wirklicher und vermeintlicher Oppvsittonsredcn. Zunächst setzte er sich mit Gras Westarp auseinander und antwortete sodann in recht humorvoller Weise aus die Zweideutigkeiten, die der Zctttrumsabgeordnete Kaas gestern vorgetragcn hatte. Das Haus fiel nach dieser von Niveau zeugenden Rede wieder in seine Lethargie zurück, als sich Dr. Brettschcid daran machte, gegen etwas abgestandene Zeitungsartikel vieler und lener Richtung zu polemisieren. Der ehemalige Burschen schafter Breitschcid gilt nicht nur als der gepflegteste Mann, sondern auch als der gebildetste Redner seiner Partei. Am Sonnabend war ihm die wenig angenehme Ausgabe zuteil- geworden, seinen Kollegen Wels herauSzureißen. Heute brach er eine Lanze für all das. was cs an Linksschlagworten in der Außenpolitik gibt. Dte Auguren im Saale, insbesondere jene, die an der letzten BölkerbundStagung tetlgenommcn hatten, zwinkerten sich indessen zu, als Breitschcid die dcutschnattonalen Angriffe zurückzuweisen versuchte, die ihn als unverantwortlichen Knltsscnspiclcr im Umkreis der Völkerbundsintrigen brand marken. Nein, das waren gewiß mehr als nur „private Unterhaltungen", dte da geführt wurden. Tatsache ist, daß eben Herr Breitschcid und mit ihm Georg Bernhard von der „Russischen Zeitung" alles daran setzten, um dem Reichs kanzler Müller, dem das Intrigenspiel aus der letzten Tagung schließlich zu viel wurde, das kaum gestraffte Rückgrat wieder zu brechen. Mit dem Abg Emmtnger beginnt dann die Nedner- rcihe der kleinen Parteien. Graf Reventlow sprach für die Nationalsozialisten. Herr o. S y b e l für dte Chrtstlich- nativnaleu Bauern, deren Parteifreund Hcpp, früherer Volköpartetler. das Mißtrauensvotum gegen Stresemann mitverantwortlich zeichnet und sich dafür einen scharfen An- griss Rheinbabens zuzieht. Nach dem Vvlksrechtpartciler Best noch einmal so etwas wie «ine AnfwärtSkurve. Den undurchsichtigen Erklärungen des Prälaten Käas fügt auch der Zentrumsabgeordnete Schreiber noch einige Eindeutigkeiten hinzu. Schreiber spielt bekanntlich tn der Reihe der Gegenspieler Stresemannö keine ganz unerheb liche Rolle, und auch fetzt wiederholt er. wenn auch mit etwas gemäßigteren Ausdrücken seine letzte Rede, tn der er personalpolitischc Konzessionen für bewährte Zentrumöleute im Auswärtige» Amt fordert. Fatal freilich, daß Schreiber für seine kvnsessivneüen Ansprüche immer wieder als Dcckungsschild das Grenz- und Auslandsdeutschtum benutzt. Es ist richtig, daß er aus diesem Gebiet manches geleistet hat, und cs ist nicht minder richtig, daß die kultur- und realpoli- lischc Problematik des Auslandsdeutschlums tu dem mehr staatsrechtlich tm alten Sinne denkenden heutigen Aus wärtigen Amt noch nicht genügend anerkannt wird. Würden derartige Wünsche nicht gerade von eindeutig konscssionell be stimmter Sette vorgetragcn. fürwahr, sie wären der Sache dienlicher . . . lNctchStagsbcricht siehe Lette 2.) Kanr-Mt WmmmM m Stnstmaim „Die Entente trotzt allen Intrigen" Paris, 20. Nov. Die Ncichstagörede Dr. Strcscmanns, über deren internationale Tragweite sich die französischen Blätter einig sind, wird von dem größten Teil der Abend- prcsse scharf kritisiert. Als MildcrungSgrund führt man je doch an, daß der deutsche Außenminister seine Rede in der Hauptsache für seine Landsleute gehalten habe. Sollte er. so meint der „T c m p s". dieselbe Sprache bei den Nntcrhaltnngen mit den an der Lösung der Friedenssragcn interessierten Regierungen führen, so könnte man über die Ergebnisse der kommenden Vcr, Handlungen sehr pessimistisch sein. Stresemann werde dann wohl eine größere Schmiegsamkeit a» den Tag lege» und sich bemühen. Formeln zu finden, die eine Versöhnung der dent'chcn Eigenliebe und gewisser Rechte der Alliierten znlicßen. Es sei natürlich, daß die Deutschen einmütig die Befreiung ihres Gebietes verlangten. Jedes andere Volk, das sich in ähnlicher Lage befände, würde zweifellos dieselbe Haltung einuchinc». Eine andere Sache sei eS, z» wissen, i» welchem Maße das deutsche Verlange» mit der Wirklichkeit in Uebcreinstimmung gebracht werden könne, zumal die Verpflichtungen des Reiches noch nicht ein mal endgültig festgesetzt seien. Stresemann spekuliere in seiner Rede offen auf eine» Gegensatz zwischen der fran zösischen und der britischen Anschauung über die Rheinland- räiiniung. Die französisch-britische Entente werde aber allen Intrigen und zweideutigen Manövern trotzen. Eine weit schärfere Tonart schlägt das „Journal des D«' b a t s" an, das von Briand verlangt, die Rede Strcsc manns in d-'r französischen Kammer zu iniderlegen. Der deutsche Außenminister verhalte sich ständig wie ein Partei gänger d-r konservativen deutsche,, Fy>de>„naen. Weder Frankreich noch die üli'-aen interessierten Mächte könnten zu lasten. daß äußerst wichtige Vcrhandlnnac» unter dem Ein- d,„-t eiiiacleitet würden, daß Frank'e'ch und die Alliierten juristisch im Un-echt feie» und daß das Deutsche Reich nur aus Gefälligkeit verhandeln wolle. Ter „I » t r a n s i g e a » t". der ebenfalls die Möglichkeit intterstellt. daß Stresemann seine Rede in der Hauptsache von dem Gesichtspunkte ans gehalten habe, die schwierige Stellung seines Ministeriums nicht weiter z» gefährde», weist den deutschen Anspruch, die Rheinlandräumnng aus Grund deS Artikels 481 des Versailler Bcrtragcs zu verlangen, zurück, da Deutschland die Hauptforderungen, Abrüstung slj und Reparation, nicht erfüllt habe. Die „Liberia" sagt, die Rede laste an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Die kommenden Verhandlungen er- ösfncten für Frankreich keine günstigen Aus sichten. Der Einsatz bei der Partie sei nicht mehr und nicht weniger, als zu wissen, ob Frankreich der endgültige Verlierer in diesem Kampfe um das Geld sei, „La Presse" meint, Stresemann sei ein ViS- marckianer der besten Schule. Paris verzögert -ie Entscheidung Paris, 20. Nov. In Pariser politischen Kreisen ist eS allgemein ausgefallen, daß sich der französische Mintstcrrat, der am heutigen DtcnStagvormittag stattfand, so wenig mit der außenpolitischen Lage beschäftigt hat. Wie hierzu ver lautet, ist man der Ansicht, daß vor allem dte Rede Strese- mannS, die nach französischer Auffassung tn mehreren Punkten der französischen These und dem Versailler Vertrag entgegen gesetzt sei, eine besonders eingehende Aussprache erfordere. Außerdem werde Poincar- mit den Botschaftern der alliierten Länder n»d mit Parker Gilbert neue Unterhaltungen haben müssen, bevor endgültige Entscheidungen über die bevor stehenden Verhandlungen zur Revision deS Dawesplanes fallen könnten. Günstige Beurteilung tn Rom Nom, 20. Nov. Die Strcsemannrede wird von allen Blättern an erster Stelle tm Wortlaut ivicdcrgegebcn und findet eine günstige Beurteilung. Der Chefredakteur der „Tribnna" sicht in der Rebe Strcscmanns das Endglied der Kette der Stcltnngnahmcn der europäische» Mächte und der Vereinigten Staaten zu dem englisch-französischen Flottc»- ablommen und zieht eine Bilanz für die Politik Englands. Aus die Rede Slrescmanns selbst geht die „Tribnna" iinr in direkt ein und hebt dabei hervor, daß Deutschland setzt ohne Gegenleistung kategorisch die Nänmnng des Rhcinlandes, die Abrüstung «nd die Festsetzung der Endsumme der Repara- «ionSIcistitngcn verlangen könne. Das „Lavore d'Jtnlia" nennt Ttrescmnnn de» b e st e n S ch ü l r r der Bismarck- schc» diplomatische» Tradition. Fünf Lase Reichstag Es ist wohl der Mühe wert, daß man sie unter die kri tische Lupe nimmt. Zwei Tage Panzerkreuzer, ein Tag Sozialpolitik, zwei Tage Außenpolitik. Erst frisch-fröhliche Holzerei der Opposition mit der Negierung und der Regie- rnngsparicicn nnlcreinander, dann verbissener Ningkampf um ein Komprvnub in der Frage der Unterstützung für die Ausgcspcrrtc», und schließlich Einmütigkeit von rechts bis links in der Enttäuschung über die Mißerfolge der Außen politik. Das Wesentliche darüber ist in der Berichterstattung gesagt worden, aber einiges Grundsätzliche bleibt noch herans- zustellen, um cs der verzeihenden Vergessenheit zu entreißen, die sich nur allzu schnell über unser politisches Erleben breitet. Zuerst ein erfreuliches Ergebnis: der Panzer kreuzer schwimmt. Das denkwürdigste Schiff der deut schen Marine hat den parlamentarischen Stapcllauf glücklich übcrstandcn, und es ist zu hoffen, daß damit die Zukunft der neuen deutschen Kriegsflotte endgültig gesichert ist, daß die jenigen, die am Freitag A gesagt haben, nun auch B, C und D sage» werden. Wenn die zunächst sehr fragliche Mehrheit für diese Entscheidung zu der für deutsche Verhältnisse immer, hin imposanten Ziffer 50 anwuchö, so gebührt der Dank dafür in erster Linie der Sozialdemokratie, die als ewiger Geist der Verneinung in Wehrfragcn stets das Böse will und manch mal das Gute schasst. Cie hatte sich in ihren AgitationS- mcthodcn etwas übernommen. Unter den polternden Aus fälle» Ihres Tcbattcredners Wels schmolz in mancher Zen trums- und Temokralcnbrust das Eis der Panzerscindschaft. 30 Saulnsse wurden z» Paiilusscn. Wobei freilich die Nach- Hilfe des Wehrministers zu solcher Wandlung nicht vergessen werden soll. Er hat mit seiner mannhaften Haltung gezeigt, daß eine wirkliche Fiihrcriiatur auch diesem Reichstag noch imponieren kann. Im richtigen Augenblick hat er de» schwankende» Parlamentariern eindeutig die Konscqueu- zcn klargemacht, die ihre Ablehnung des Panzerkreuzer- haben müßte, und die Wirkung blieb nicht aus. Wenn eS seinerzeit bei dem Sccsicg der Engländer über dte spanische Armada hieß: Daus »kklavit et ciiscnpati sunt — Gott blies sic an und sic zerstreuten sich —, so kann es von dem deutsche» Sccsicg vom lg. November 1028 im Reichstag heißen: Grüner blies sie an und sic fielen um. Alle, Demokraten, linke Zcittrumsleittc und bayrische Bauernbündler. Und dte Hetzer von der Sozialdemokratie haben ihre Niederlage weg. Sie haben keinerlei Folgerungen gezogen,' im Gegenteil, sie sind hctlsfrvh, daß vier heftig schwankende Ministersitze allmählich wieder in die Ruhelage zurückkchren. ReichsauSschuß und Vorstand der Partei haben der sozialdemokratischen Reichs- tagssraktivn für die saubere Aufführung des Kasperletheater- „Vvlksnvt und Marincfimmel" die Zensur „sehr gut" erteilt. „Etwas Unehrlicheres habe ich in diesem Hause noch nicht gehört", hat Gras Westarp zu der Vorstellung gesagt. Der Reichskanzler, von dem der Volkswttz wirklich zu unrecht sagt, das Panzern sei des Müllers Lust, schlug wütend mit der Faust auf den Tisch — aber dasUrteilsitzt Nicht tausend Leitartikel werden diesen Schandfleck aus der Geschicht« der Sozialdemokratie wcgwaschcn. Wenn trotzdem die Debatte über das Niveau der heuch lerischen Eicndslheorie des Herrn Wels hcrausgehvben wurde, so ist eS das Verdienst derjenigen Redner von rechts und links, die de» Mut hatten, den Stier bel den Hörnern zu packen und die Anssprache unter de» Gesichtswinkel der „Krise des Parlamentärismus" zu stellen. TrcviranuS von de» Deulschnalioiialen, der LinkSdeinokrat Lemmer und nicht zu letzt der Abgeordnete Wirth vom Zentrum haben es mit Ge- schick getan. Krise des Parlamentarismus! Da horcht man aus. Bisher klang es nur ans der Kritik der Rechten, jetzt aber haben Zentrum und Demokraten mit ein» gestimmt. Sie haben die parlamentarische Unmöglichkeit der Vorgänge um den Panzerkreuzer bestätigt. Ter Sachverhalt ist klar. Wir haben eine Verfassung, und in ihr einen Artikel S6, der bestimmt, daß der Reichskanzler für sämtliche Minister die Richtlinie» der Politik bestimmt und dafür dem Reichstag gegenüber die Verantwortung trägt. Am 16. No. vcmber haben wir eS aber erlebt, daß der Reichskanzler und mit ihm drei sozialdemokratische Minister gegen die „Negie rung" gestimmt haben. Und die übrigen Minister, insbeson dere der in Frage stehende Ressortminister, der nach Artikels« Satz 2 an die Richtlinien des Reichskanzlers gebunden Ist, sind für die „Negierung" gegen den Reichskanzler eingctrcten. Das ist verfassungsrechtlicher Unsinn. Die Sozialdemokratie hat. indem sie ihre Minister dazu zwang, die Verfassung verletzt und den Sinn des Parlamentarismus — ihres Herrschaftssystems — vergewaltigt. Leider läßt sich die gerichtliche Feststellung nicht durchführen, da nach dem ein schlägigen Arlttcl 5» der Rcichsvcrsassung lMtnisteranklagej formal gegen den Reichsivchrmtnister und seine für die Ne gierung eintrelcnden Kollegen geklagt werden müßte, mit der Begründung, daß sie sich bewußt gegen die Richtlinien deS verantwortliche» Kanzlers vergangen haben. Man ersieht auch daraus die Unmöglichkeit des ganzen Verfahrens. Die Stütze» der Dcmokraiie haben sic ihrerseits klar erkannt.