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Gershwins bleibender Ruhm gründet sich vor allem auf die nicht sehr umfang reiche Reihe von sinfonischen, konzertanten und dramatischen Werken, die er zwischen 1924 und 1935 schrieb und mit denen er selbst gegenüber der Fülle seiner Schlagerlieder, Musical Comedies, Revuemusiken und Filmmusiken zu repräsentieren wünschte. Der Durchbruch gelang 1924 mit der New Yorker Ur aufführung der „Rhapsody in Blue". Bis dahin lebte und wirkte der junge Gershwin noch weithin unbekannt im Getriebe des ungeheuren amerikanischen Musikmarktes und im Schatten solcher favorisierten Komponisten wie Irving Ber lin oder Jerome Kern. Die sinfonischen Stücke Gershwins wurden rasch in den Konzertsälen der Welt heimisch. So konnte es nicht ausbleiben, daß das Bedürfnis entstand, auch sein weitaus anspruchsvollstes und engagiertestes Werk, die Oper „Porgy and B e s s " , in einer nach der Praxis der Suite oder des Potpourris gefaßten Nummernfolge für Orchester allein zu bearbeiten. Der frühe Tod Gershwins 1937 hat dies in authentischer Weise verhindert, aber das sinfonische Arrange ment der populärsten Lieder, das Robert Russell-Bennett sehr geschickt und in weitestgehender Anlehnung an den Originalklang vornahm, würde zweifelsohne seine Anerkennung gefunden haben. Diese Suite besteht aus sieben Teilen. In klug disponierter, steigernder Kontrastdramaturgie folgen nach der turbulent lärmenden Introduktion Claras Wiegenlied „Summertime", Porgys Banjo-Song „I got plenty o'nuttin'", das klangselige Liebesduett Porgy/Bess „Bess, you is my woman now", der fröhlich-elektrisierte Marschchor der Bewohner von Catfish Row „Oh, I can't sit down", der erotische Verführungssong Sporting Life’s im raffiniert adaptierten Broadway-Stil „There s a boat that's leavin’ soon for New York" sowie als hymnisch gesteigerter Abschluß das Chorspiritual „Oh Lawd, l'm on my way“. Der fünfundzwanzigjährige Gershwin war ein anerkannter Komponist von popu lären Schlagerliedern und zündenden Musical-Nummern. Selbstkritisch hielt er auch ehrgeizige Pläne in den Grenzen dieser Genres. Als daher Paul White- man, der mit seinem Orchester zum führenden Vertreter der „Sweet Music" avanciert war und sich als „King of Jazz" feiern ließ (was höchstens für die Variante des bequem polierten und kommerzialisierten Jazz zutreffend sein mochte), die Idee einer sinfonischen Musik „in a jazz idiom" entwickelte und Gershwin um ein solches Werk bat, lehnte dieser das Angebot zunächst ab. Weder schien es ihm seinem derzeitigen Können angemessen, noch hielt er die sinfonische Behandlung der Eigenarten des echten Jazz für möglich. Den noch setzte sich in seinem Kopf die Aufgabe fest, eine vom Gehalt des Jazz inspirierte Musik „gleichsam als musikalisches Kaleidoskop Amerikas — unse res ungeheuren Schmelztiegels, unserer typischen nationalen Eigenheit, unserer Blues, unserer großstädtischen Unrast" zu schreiben. Und als er (wenige Wo chen vor diesem Termin) völlig überrascht aus einer von Whiteman lancierten Anzeige in der „New York Herold Tribüne" erfuhr, daß am 12. Februar 1924 in der New Yorker Aeolin-Hall bei einem großen Whiteman-Konzert ein sinfoni sches Werk von Gershwin uraufgeführt werde, mußte der wohl oder übel die Arbeit in Angriff nehmen. Es sollte zunächst ein sinfonischer Blues werden, aber dann wählte Gershwin die Form der Rhapsodie, um seinen zahlreichen thema tischen Einfällen mehr Raum und improvisatorische Freiheit der Entwicklung zu geben. Den Vorschlag für einen breiten, melodischen Mittelteil übernahm er von seinem Bruder Ira, ebenso den Titel „in Blue" (in Anlehnung an Gemäl de-Unterschriften des nordamerikanischen Impressionisten Whistler), obwohl Gershwin ursprünglich die Bezeichnung „American Rhapsody" vorgesehen hatte. Er hatte das Werk für Klavier und sinfonisch besetzte Jazzband vorgesehen, schrieb es aber für zwei Klaviere, weil auftragsgemäß und wegen des enor men Zeitdrucks Ferde Grofe, der Pianist und Arrangeur des Whiteman-Orche- sters, die Instrumentierung übernahm. Nichtsdestoweniger nahm Gershwin Ein ¬ fluß auf die klangliche Realisierung, und beispielsweise ist das eröffnende Klarinetten-Glissando einer seiner kühnen instrumentalen Einfälle. Acht Tage vor dem Whiteman-Konzert war die Rhapsody in Blue fertiggestellt. Die Uraufführung mit Gershwin als Solisten gestaltete sich zu einem sensationellen Triumph für den Komponisten. Die Presse überbot sich an Superlativen: Ger shwins genialer Wurf habe der amerikanischen Musik ein Profil gegeben; der Tag gehe in die Geschichte der amerikanischen Musik ein. Mit einem Schlag war Gershwin zum nationalen Idol erhoben und ein weltbekannter Komponist geworden. , Gershwin verbrachte im Frühjahr 1932 einen Urlaub auf Kuba. Von der rhyth misch vitalen und klangprächtigen Musik dieses Landes war er so fasziniert, daß er sofort mit den Skizzen seiner Kubanischen Ouvertüre begann und in wenigen Sommerwochen die Partitur beendete. Der ursprüngliche Titel lautete „Rhumba". Das Werk ist dreiteilig, in grellen und saftigen Farben in strumentiert und betont das folkloristische Kolorit durch Tanzrhythmen von Rumba und Habanera im Einsatz eines ungewöhnlich reichen und differen zierten Schlagzeugensembles. 1928 unternahm Gershwin eine Eropareise. Vor allem in Paris hoffte er seine musikalischen Fertigkeiten zu erweitern, und so ersuchte er, allerdings vergeb lich, unter anderem Strawinsky, Prokofjew und Ravel um Unterricht. Sie rea gierten, von seiner Musik begeistert, alle ähnlich wie Ravel: „Weshalb wollen Sie ein zweitklassiger Ravel werden, da Sie ein erstklassiger Gershwin sind?" Angeregt durch die Atmosphäre der Weltstadt, konzipierte er das Orchester stück „Ein Amerikaner in Paris", das im Dezember des gleichen Jah res in der New Yorker Carnegie Hall unter der Leitung von Walter Damrosch uraufgeführt wurde. Der Komponist bemerkte zu diesem „eigentlich rhapsodi schen Ballett", es sei seine „Absicht, die Eindrücke eines amerikanischen Rei senden wiederzugeben, der durch Paris schlendert, der auf den Straßenlärm hört und die französische Atmosphäre in sich aufnimmt". Das einsätzige drei teilige Stück mit seinen originellen Themen, effektvollen Entwicklungen und ge schickten Klangmontagen basiert auf den Modellcharakteren von Ragtime, Blues und Charleston. Dr. Frank Schneider »Nllnainnnionii Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1978/79 - Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Bildvorlage: Deutsche Fotothek Dresden Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 3 T. ItG 009-51-78 EVP 0,25 M 1. SONDERKONZERT 1 978 79