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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerationi- Preis 22j Szr. THIr.) vierteliährlick, Z THIr. für das gan;e Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieser Litcratur-Biatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslands bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 102 Berlin, Mittwoch den 25. August 1841. Frankreich. Die älteren Französischen Historiker und ihre Herausgeber. In früher Zeit schon beschäftigte man sich in Frankreich damit, historisches Material zu sammeln; eS war dies eine alte Lieblings-- Beschäftigung der Französischen Nation; ein Beweis davon sind die „Oranües Obronioues üo 1s b'ranre, selou gu'sHes sank couservees «i> I'kglise üe Ssinc Denis", — ein Buch, von welchem Herr Paulin Paris bis zum Jahre I8Z7 fünf Bände herausgegeden hat. Wir betrachten diese Ausgabe als ein literarisches Zeichen der Zeit und können dabei nicht verkennen, daß jetzt in Frankreich der Eiser vor herrscht, die historische Literatur zu befördern. Obgleich diese Aus gabe mit großer Sorgfalt bearbeitet ist, so müssen wir doch be dauern, baß Herr Paulin Paris keine ausführlichere Nachricht über die Manuskripte, die er dazu benutzte, unS mitgetheilt hat. Es scheint, daß ein Manuskript, das jetzt in der Königl. Bibliothek zu Paris liegt und für Karl V. geschrieben wurde, häufig zu Rathe gezogen worden ist; doch aus der Form des neuen Textes können wir nicht erfahren, bis zu welchem Grade dies geschehen ist. Diese Art Manuskripte herauszugeben, ist in keinem Falle genügend; we nigstens in Bezug auf ein Werk, das manches riksmmauro erfahren hat. ES wird nicht unwichtig sepn, hier zu erwähnen, daß ein großer Theil der „Okronigue üe Ssinr Denis" in dem Bureau der Stadtschreiber in der Guildhall zu London aufbewahrt wird; und es wäre wohl der Mühe werth, wenn Herr Paulin Paris für die folgenden Bände seines Werkes dieses Manuskript zu Rathe zöge. Es kann zwar nicht behauptet werden, daß in den früheren Zeiten der Französischen Monarchie die Abtei zu St. Denis rin Re- positorium zur Aufbewahrung von National-Chroniken war; doch nahm das Kloster allmälig diesen Charakter an. Die Annalen, welche kühne Heldenthaten erzählten, wuchsen unter dem ruhmreichen Schatten der Oriflamme empor. Der Abt Suger, welcher im I. lISl starb, verfaßte die Biographie Ludwig'S des Dicken. Etwas später erhielt Rigord, ein Mönch von St. Denis, das Ami eines Königlichen Historiographen, und dies ist vielleicht die früheste Er nennung dieser Art im mittelalterlichen Europa. Ohne Zweifel hatten viele Andere dasselbe Amt in anderen Perioden. Seine Chroniken wurden in den Archiven der Abtei niedergelcgt. Solche Schriftwerke erhielten, wenn sie in den Kloster-Bibliotheken nieder gelegt wurden, den genetischen Titel: „Chroniken von St. DeniS" und dürfen mit den „Drsmws Olirnninues" nicht verwechselt werden. Sie wurden so hoch geschätzt, daß sie für eine gesetzliche Autorität und in der That nicht mit Unrecht galten; denn die Geschichtschrei ber der Abtei prüften die einzelnen Erzählungen sorgfältig, ehe sie dieselben ihren Chroniken einverleibten; so prüfte der „b'rere denn Obarxier, Lsisntre ük 8iünt Donis en b'rsnoe et Obronigueur (le b>snev", Historiograph Karl's Vll., gewissenhaft die Aussagen der Pilgrime, welche die Nachricht von der Einnahme Belgrads und von der Niederlage der Ungläubigen überbrachten. Diese Chroniken wurden auch von den poetischen Verfassern Französischer Geschichten als zuverlässig gerühmt; sie sagen gewöhn lich, wie der Sänger des Fierabras: Denlü en krsnee für le rnule (ronver de eeut eiuljULute anr eeler." ES ist jedoch merkwürdig, paß in der ersten Quelle dieser Dichtungen ein entgegengesetzter Weg ringeschlagen wird; und der wahrhafte Turpin, Erzbischof zu Rheims, bekennt, sein Werk zur Zufriedenheit des Dechanten von Aachen, der in dem Repositorium von St. Denis nicht genug Erzählungen über die Thaten des Kaisers finden konnte, adgefaßt zu haben. Dies ist, beiläufig bemerkt, ein merkwürdiger Beweis von der Neuheit der romantischen Sagen Karl's veS Großen, als diese zuerst erschienen, und em Zeugniß davon, daß sie in keinem Buche damaliger Zeit, das auf Glaubwürdigkeit Anspruch machen wollte, enthalten waren. Doch als im I4wn Jahrhundert das Zeit alter des wirklichen Ritterthums — wenn es je wirklich eristirte — verschwunden war, wurde die Macht der Sagen Karl's des Große» unwiderstehlich. Eine Geschichte, welche sie verwarf, konnte auf keinen Erfolg rechnen, und deshalb ist ein beträchtlicher Theil von Turpin's Chronik der Chronik von St. Denis einverleibt wordeg. Paris nennt diesen Theil der Chronik von St. DeniS eine „üereszqble legende" und beweist mit triftigen Gründen, daß er Spanischen Ur sprungs sey. Wir dürfen jedoch diese Kompilatoren nicht verdammen oder ihre Leichtgläubigkeit tadeln. Skeptizismus oder kritische Genauig keit von ihrer Seite würde zu dieser Zeit eine Beleidigung und keine Wohlthat sür die historische Literatur gewesen sepn. Die Phantasie ist oft ein nützlicher Führer für den Verstand; und wir beurtheilen die mittelateerlichen Schriftsteller falsch, wenn wir sie mit dem schneidenden Messer der Kritik untersuchen. Die Popularität der Gesänge aus dem Karolingischen Sagenkreise erregte einen Appetit nach wirklicher Geschichte; und dieser Neaction, zu welcher die durch die Romane Walter Scott's hervorgcbrachte Wirkung keine un passende Parallele liefert, verdanken wir die Französischen „Obro- niques de 8uinc Denis". Die Mönche thaten Recht daran, daß sie den Turpin benutzten. Die Chroniken von St. DeniS erfuhren vier Revisionen. Wie das Buch uns jetzt vorliegt, besteht es aus Ueber- setzungen und ausgcwählten Stücken auö Aimoinus, FredegariuS und vielen anonymen Chronisten für die frühere Zeit, und aus Suger, Rigord und Nangis für die spätere Zeit. Dazwischen sind eingestreut zahlreiche Auszüge aus den Sagen von Dagobert und besonders von Karl dem Großen. Wir können diese „Okroniques de 8aint Denis", dieses Pro dukt von Mönchen, als die Vorläufer derjenigen Werke ansehen, durch welche die Franzosen einen so hohen Standpunkt in der histo rischen Literatur erlangt haben; wir meinen damit die Werke der 'Benediktiner und besonders der Mitglieder der Congregation des heiligen Maurus, welche sich mit unübertroffenem Eifer den histo rischen Studien widmeten. Aus den Sammlungen dieser gelehrten Benediktiner schöpfte die Französische historische Schule ihr reiches Material. Thierry sagt, daß die gelehrten Werke, welche unter der Regierung Ludwig'S XI V. herausgegeben wurden, fast den ästhetischen Schriften seines Zeitalters gleich sind. Doch die Benediktiner liefer ten mehr als bloßes Material. Sie waren mehr als Antiquare. Der Geist, der ihre Arbeiten leitete, hatte den Anstrich des Ernstes und der Nüchternheit und theilte sich der ganzen Klaffe der Literatur mit, zu welcher ihre Werke gehörten. Als die Xcademie des In- scriptiuns im Entstehen war, ging die Methode der Benediktiner in diese über. Und daher entsprang der Scharfsinn, die allgemeine Genauigkeit und der gesunde kritische Charakter der Französischen historischen Schule, welche mit diesen Attributen noch unübertroffen in Europa dasteht. Das Studium der Kirchenväter, das die Benediktiner mit Eiser betrieben, veranlaßte sic, sich mit orientalischer und klassischer Philo logie zu beschäftigen. Die Kirchengeschichte leitete sie bald aus die Politische Geschichte, oder besser Vie Benediktiner betrachteten beide in ihrem wahren Lichte, als die neben einander laufenden Entwickelun gen des Fortschritts des Menschengeschlechts. Ueher die patristischen Arbeiten der Congregation, die ihr vorzüglichster Ruhm sind, und über ihre paläographisLen Werke können wir hier nicht sprechen; wir erwähnen nur in der Kürze ihrer Beiträge zur Französischen Ge schichte. Die ungeheuren Sammlungen der Benediktiner, die ouvrages de lnngue daleine, wie die Franzosen sie nennen, wodurch so viele Werke des Mittelalters erhalten worden sind — als ob die Mönche in der Eile aus den Bibliotheken so viele Manuskripte, als sie tragen konnten, fortgeschleppt hätten — haben, in Bezug auf ihren Inhalt, einen negativen Charakter. Vaterländische Poesie, wenn sie nicht mit historischen Gegenständen in unmittelbarer Verbindung steht, ist gänz lich ausgeschlossen; eben so sind die Wissenschaften, Astronomie, Me dizin, Alchemie und Mathematik, streng daraus verbannt. Doch die ganze gemischte Literatur wurde von den Benediktinern ausgenom men. Das Specilegium des Dom Lucas D'Achery, das in dreizehn Quartbändcn (1655 — 1677) herausgegeben wurde, ist die erste Sammlung. Es mag hier bemerkt werden, daß D'Achery in dies weitläufige Werk einige merkwürdige Dokumente in Bezug aus Eng land eingewebt hat, unter anderen den moüus lenendi I'arlminenka- rium, welcher, obgleich ein Apokryph, dennoch eine wichtige Stelle in der Englischen constitutionellcn Geschichte einnimmt. Die Xcka 8s»crvrum Ordinis 8anck( Denedicli, in neun Folio bänden von Mabillon herausgegeden, enthalten in den Biographieen ein reiches Material sowohl für die Kirchen- als für die politische Geschichte vom sechsten bis zum elften Jahrhundert. Der XppLnwus zu diesem unschätzbaren Werk und besonders die Vorreden sind mit ver ständiger Kritik ausgearbeitet. Die Xnaleeia, ebenfalls von Mabillon herausgegeden, sind hauptsächlich der Theologie und der Kirchenge schichte gewidmet. Sie sind die llreme des ganzen Werkes, das er als eine leichte Beschäftigung nach einer gefährlichen Krankheit über-