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Friedrich Georg Wiecks Deutsche Die Freiheit, oder Licht und Schatten Von Adolph von Carnap. Königl. kommerzienrath. I. Ein geistvoller Monarch nannte England: „das Land der Erb- weisheit sonder Gleichen". War dieser Ausdruck nicht glücklich ge wählt? Doch ja, wenn wir das hervorragende Land von seiner Lichtseite beschauen. Werfen wir zunächst einen Blick auf diese Seite. Ein starkes Königthum, das die Volksfreiheiten beschützt; unab hängige königliche Gerichte, welche auch die Legalität gehörig ver kündeter Statuten prüfen, ein wahres volksthümliches Lslkgoveru- wsot, dessen schirmendes Dach ein Ober- und Unterhaus bilden, das find die Grundlagen seiner bürgerlichen Freiheit, seiner Rübe und seines Glückes. Wer fich dem Studium der englischen Rechtszustände ergiebt, den wird es mit Ehrfurcht erfüllen, daß die großen Grundsätze der Frei heit, welche die amerikanische Revolution als selbstverständlich auf stellte, welche dann ihren Weg über Frankreich als Erklärung der Menschenrechte nahmen, um in anderen Ländern eine neue Stätte zu suchen, schon vor Hunderten von Jahren gemeines Recht Englands waren. Niemand weiß genau, wann in England die gutsherrlichen Rechte zu Grunde gegangen, wann die Leibeigenschaft aufgehoben wurde. Seit Jahrhunderten existirt als Grundrecht die Steuerpflicht aller Engländer; das Eonnubium zwischen Adel und Gemeinen; die Ge richtsbarkeit des Königs; die gleiche Unterthancnpflicht aller seiner Bürger; Freiheit der Person gegen willkührlichc Verhaftung und das Gericht durch die Pares, die StandeSgenossen. In England hat seit der Eroberung kein Adel im continentalen Sinne bestanden. Bracton theilt die Engländer nur ein in Freie und Sklaven, während ein französischer Jurist das Volk in Edle, Freie und Sklaven zerlegt. Niemals kannte in England das Gesetz Mesalliancen zwischen Lords und Gemeinen, niemals gab es Ritter güter, welche ein Gemeiner nicht erwerbe» durfte. Die Paine ver leiht nur dem zeitweiligen Besitzer des erblichen Amtes und dessen Gattin das Vorrecht des eximirten Gerichtsstandes bei schweren Verbrechen, nicht aber bei Vergeben; sodann, weil die PairS stän dige Räthe der Krone find, Freiheit von der Schuldhaft, vom Ge- schworcnendienst. Aber damit sind auch fast alle wesentlichen Vor rechte erschöpft. Kein Pair hat trotz seines Ranges aus seinem Grund und Boden seit mehreren Jahrhunderten Polizei- oder Richter- ! gewalt, am wenigsten aber jemals Steuerfreiheit genossen. Der Sohn eines Pairs ist ein Gentleman, ein Eommener, ein Gemeiner. Hallam in seinem berühmten Buch über das Mittelalter, erklärt mit Recht die Gleichheit aller Engländer vor dem Gesetze als die Hauptgrundlage der englischen Verfassung. Diese Rechtsgleichheit wurde in England erzielt, weil das mächtige Königthum der nor mannischen Eroberer und der Plantagenets keine großen Grund herren mit königlichen Rechten duldete, weil alle Unterthanen durch den Treueid direkt dem Könige zur Treue und der König ihnen da durch zu gleichem Schutze verpflichtet. Das englische Verfassnngsrecht zeichnet sich noch durch eine Eigenthümlichkeit aus, die früher auch vielfach aus dem Eontinente galt, die nämlich eines Zusammenfallens vom öffentlichen und Pri vatrecht, die öffentlichen Freiheiten Englands sind ein LirtüriZirt ein durch Geburt erworbenes Recht jedes Engländers und die Ge richtshöfe find durch die mannigfachsten Beziehungen an die öffent lichen Zustände des Landes geknüpft. Eine Akte aus der Regierung Wilhelms III. erklärt ausdrücklich die Gesetze Englands als das „Geburtsrecht" eines jeden Engländers. Deshalb konnte in Eng land nie der Grundsatz aufkomme», sogenannte Competenz-Conflicte, Grenzstreitigkeite» zwischen Verwaltung und Justiz durch besondere Behörden einer derselben znweisen zu lassen. Die Gerichte entscheiden in allen Fällen selbst über ihre Compe- tenz und find in dem unbestrittenen Rechte, staatsrechtliche Bestim mungen und bloße Verfügungen, nicht gesetzgeberische Akte dcS Par laments vor ihr Forum zu ziehen, deshalb zeigt sich denn auch das juristische Element in der Entwickelung der Verfassung so stark überwiegend. Wie in England „tbe lrioZs lriKÜv»)-" durch alle Straßen der Stadt hindurch geht, wie Stadt und Land nicht äußerlich geschieden, so ist in England auch das Landvolk seit sechs Jahrhunderten nicht mehr in seiner Rechtssphäre gegen die Städter jo sehr zurückgesetzt ! gewesen, wie in anderen Ländern; seit Jahrhunderten schon haben die Könige auch ihre bäuerlichen Unterthanen, der Regierung der kleinen Grundherren, entrissen. Seit Jahrhunderten schützt der Sherts, der Friedensrichter und der Constabler den Bauer wie de» Lord. Die Zwölfmänner waren von jeher die einzigen Richter, welche dem Gent leman wie dem Farmer Freiheit und Leben absprechen konnten.