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Mittwoch. EeiPziy. Die Ztiwng erscheint mit Ausnahme de« Montags täglich und wird Nachmittag- ä Uhr aus gegeben. Preis für das Vierteljahr 1'/, Lhlr.; jede einzelne Nummer 2 Rgr. Rr 285. —— 17 Deeemker 1886. DtiWc Mgemkim ZM»g. «Wahrheit und Recht, Freiheit and GesetzI» Zu beziehen durch all» Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Expedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Insertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Die Rechtsauffaffungen in der Neuenburger Frage. — Leipzig, 16. Dec. Seitdem der Neuenburger Conflict auf die Tages ordnung der europäischen Politik gekommen, hat uns die eigentliche Rechts frage dabei immer das Einfachste geschienen: — die Schwierigkeit einer Vcr- ständigung glaubten wir erst da beginnen zu sehen, wo es sich um die Aus gleichung deS nach unserer Meinung nicht zweifelhaften Rechts mit den zu faktischer Geltung gelangten Zuständen, mit dem Quasirecht „vollendeter Thatsache" handeln würde. Daß das Besitzrecht selbst deS Hauses Hohen- zollern auf Neuenburg bestritten werden sollte, dies anzunehmen lag keine Thatsache vor; ebenso wenig aber ward anfänglich nach der miSglückten royaMschen Schilderhebung vom 3. Sept, (selbst von Seiten der officiösen preußischen Presse) an jene Auffassung gedacht, welche erst später mehr und mehr in den Vordergrund getreten ist: daß die Theilnehmer der That des 3. Sept, in ihrem Recht und die schweizer Behörden gar nicht befugt seien, sie deshalb zur Verantwortung zu ziehen. Nichtsdestoweniger hat der Stteit neuerdings diese eigenthümliche und unerwartete Wendung genommen, daß man von beiden Seiten eine Rechts- auffaffung in den Vordergrund stillt, welche mindestens sehr bestreitbar ist, dagegen diejenige Seife der Frage zurückdrängt, über welche eine theoreti sche und praktische Verständigung gewiß viel leichter sein würde. So treibt man die Sache auf Sine Spitze hinan, von wo man am Ende kaum den Rück weg zu einem Vergleichspunkte wird finden können. Wenn eS wahr wäre, was man jüngst aus Berlin der Hannoverschen Zeitung schrieb: „Es handle sich für Preußen darum, daß die Schweiz das Princip anerkenne, wonach die Luhänger des legitimen RechlSzustandes in Neuenburg nicht nach schweize rischem Strafgesetz als Verbrecher behandelt werden können" — und wenn andererseits der Schweizerbund Wittlich, wie nach einer von dort aus ver öffentlichten Denkschrift allerdings der Fall zu sein scheint, darauf auSgjnge, da- Besitzrecht des Königs von Preußen selbst auf Neuenburg al- unstich- hastig auzugreifen, so sehen wir in der That nicht ein, wie eine Vermitte lung und Ausgleichung unter solchen sich so diametral entgegenstehenden Standpunkten möglich sein soll. Zu was kann es führen, wenn man schwei- z«rischerseitS den Beweis zu erbringen versucht, daß durch die bekannte Wahl der Neuenburger Stände 1767 der König von Preußen nur unter der aus- drücklichen Bedingung erkoren wvkden sei, „daß er Neuenburg niemals ver äußere oder sonstwie vergebe;", daß Friedrich Wilhelm Ul. diese Verpflich tung noch 1798 auf« neue beschworen, gleichwol aber 1806 freiwillig — nicht infolge deS Tilsiter Vertrags — gegen anderweitige Entschädigung Neuenburg cm Napoleon überlassen habe, daß in der Wiener Congreßacte Neuenburg irrtümlicherweise unter den Ländern aufgcführt sei, welche Preu- ßen durch den Tilsiter Vertrag verloren, durch den Krieg von 1813 und 1814 aber zurückerlangt habe: — wozu, sagen wir, könnte eS führen, wenn selbst dieser Beweis für erbracht gelten könnt», nachdem doch die Schweiz von 1815—48, also 33 Jahre lang, da- Recht de- Königs von Preußen als Fürsten von Neuenburg anerkannt hat, da sie ja sonst nothwendigerweise schon viel früher, und nicht erst 1848 infolge eine« gelungenen republika nischen .Aufstandes, die Gültigkeit der von jener Seite her thatsächlich aus- geübte« Rechte hätte bestreiten und einen Zustand, wie er 1848 Uv ssoto eintrat, lange vorher Uv jure, kraft ihrer völkerrechtlichen Souveränetäts- rechte, hätte Herstellen müssen? Auf der andern Seite freilich will es uns, nach allen bekannten und in Geltung bestehenden staatsrechtlichen Grundsätzen, nicht recht zu Sinne, wie man den Aufstand vom 3. Sept, für straflos erklären oder die Zu ständigkeit der schweizer Gerichte zur Aburtheilung der dabei Betheiligten bestreiten könne. Thatsächlich ist doch soviel, daß der neue RechtSzustand in Neuenburg seit 1848, mag sein rechtlicher Ursprung gewesen sein, wel cher er wolle, acht Jahre lang in faktischer Geltung und Wirksamkeit be- stand, dass preußischerscits zwar dagegen prötestirt ward, aber nichts Facti- scheS zu seiner Abänderung und Herstellung deS frühern Zustandes geschah. Nun ist es ein allgemein anerkannter und durch das Bedürfniß feststehen der Rechtsverhältnisse im Innern der Staaten gebotener Grundsatz deö Staat-recht-, daß in solchey Fällen auch der anfänglich einer zulänglichen Rechtsbasis ermangelnde, ja widerrechtlich entstandene Zustand dennoch eine faktische Geltung erlangt, welche mindestens den einzelnen Angehörigen de« betreffenden StaatS zur Respectirung desselben verpflichtet. Läßt man die!- sen Grundsatz nicht gelten, so hört alle innere Rechtssicherheit auf, so gibt cs nirgends eine» feststehenden staatsrechtlichen Zustand, umsomehr, als ja dann da- Unheil darüber, ob ein bestehender Zustand auf wirklich legitime Weise entstanden sei oder nicht, in da- Ermessen de- einzelnen Unterlha- nen geleat werden würde und schwerlich alle mal so klar und einfach sein wurde, altz gerade hier. Die Frankfurter PostzeituNg, die sich erst neuer- lichft zu der in der Hannoverschen Zeitung geltend gemachten RechtSauf- fassüng' bekehrt hat, früher aber dieselbe bekämpfte, machte in dem betref fenden Artikel ganz richtig darauf aufmerksam, daß das Recht der schwei- zer Behörden, den neuenburger Aufstand zu richten, kein anderes sei, al- z. B. das Recht der Napoleonischen Obrigkeiten sein würde, einen orlöani- stischen Aufstand zu unterdrücken und zu strafen, wiewol auch die Orleani- sten auf das gute Recht der Sache, für die sic aufständen, und auf die Illegitimität der auSrdem Sturze der Orleans hervorgegangenen Regierung, deren Erbe erst wieder die gegenwärtige ist, berufen möchten. Eine andere Frahe ist, ob nicht die Schweiz innere und äußere Gründe habe, den gefangenen'Royalisten Straflosigkeit im Wege der Amnestie zu erlheilen und dadurch'anzuerkennen, daß jener Aufstand allerdings unter Umständen stattgefunden, welche die moralische Schuld der dabei Compro- mittirten wesentlich zu mildern geeignet seien. Und umgekehrt wird man preußischerscits zwar nimmermehr einer Rechtsdedurtion Gehör geben, welche darauf auSgeht, das Besitzrecht Preußens auf Neuenburg von vornherein zweifelhaft zu machen — im Gegenlheil kann eine solche Behandlung der Sache nur größere Erbitterung erzeugen; eher aber dürfte man geneigt sein, nach vorausgegangener vollständiger Anerkennung des völkerrechtliche«: Besitztitels des preußischen Monarchen auf Neuenburg seitens der Schweiz, seinerseits der „vollendeten Thatsache" der inner« Umwandlung d«S staats rechtlichen Zustandes daselbst Rechnung zu tragen, wie di»s seinerzeit der König von Holland, Belgien gegenüber, unter Zustimmung der Großmächte, und auch Preußens gcthan hat. Es steht noch immer zu hoffen, daß durch ein solche- gegenseitige» Entgegenkommen und durch die Vermittelung befreundeter Mächte die Neuen burger Frage zu einem friedlichen und für beide Theile ehrenvollen AuS- trag gelangen werde. DsutLchkAWd. Preußen. -^Bersin, 15. Dec. Wit erhalten heute um von Mitthcilungen, die ein interessantes Licht aüf die große politische Si tuation werfen. Es ist bekannt, daß Frankreich in Betreff der Bölgrad- frage einen Vermittelungsvorschlag dahin gewacht hat, daß Bolgrad an die Moldau zwar abgetreten werden, Rußland aber für diese nachträgliche Ab tretung eine Terrilorialentschädigung erhalten solle. Die Frage blieb nun, was Frankreich unter dieser Territorialentschädigung näher verficht. Ob Frankreich in dieser Beziehung bereits einen nähern Vorschlag gemacht hat, wissen wir nicht; dagegen erfahren wir daS Nähere über die Stellung Oester reich- und Englands zu diesem Vorschläge. DaS nördliche Bolgrad liegt mehre Stunden von dem südlichen entfernt. Da die neue Grenze nun nach dem Art. 20 des Friedensvertrags südlich an Bolgrad vorbeilaufen soll, so würde, wenn man sich bei der neuen Grcnzrcgullrung strick an die österrei chische Interpretation hielte, die neue Grenze natürlich bis zum südlichen Punkt deS nördlichen Bolgrad vorgeschoben werden müssen. Hierdurch würde jedoch der von Rußland abzutretcnde Landescompltt bedeutend vergrößert werden, und hierauf war mit Rücksicht auf die mindestens zweifelhafte Fas sung des Art. 20 des Friedcnsvertrags der französische Vorschlag in Betreff an Rußland zu leistender Territorialentschädigung gegründet. Oesterreich und England haben sich nun, um gegen den französischen Vermittelung-^ vorschlag nicht ganz zu verstoßen, bcreiterklärt, daß die neue nicht bis an den südlichen Punkt des nördlichen Bolgrad gehen, sondern noch unz ein bedeutendes Theil südlicher gezogen werden soll, sodaß sie sich etwa iq der Mitte deS Wegs zwischen dem alten und dem neuen Bolgrad befinden würde. Dagegen machen Oesterreich und England andererseits auch wieder die Bedingung, daß, weil daS von Rußland zu bringende Opfer ühter sch chen Umstanden um Vieles geringer sein werde, als e» sonst hätte sein müs- en, voN einer Entschädigung an Rußland weiter keine Rede sein solle. Oh n diesem Sinne eine vorläufige Einigung bereit- stattgesunden hat, wissen wir Nicht; sollte eine Einigung indessen noch nicht stattgesunden haben, sy wäre da« übrigens Luch ziemlich unerheblich, weil d»k Gegenstand bei bet aiigtdeuttten Sachlage doch nicht mehr so beschaffen ist, daß er noch zu gro- ien Differenzen Veranlassung geben könnte. Da die Dinge nun so liegen, o hat man Recht, wenn Man sagt, daß die Evnferenzen nur. vön ganz urztt Dauer sein würden; denn da man eben nichts zu thun hat, als über Bolgpab und die Schlangeuinsel die nöthigen Erklärungen abzugtben, ft kann mau damit wol bald fertig sein. Indessen ist man, wenn die höchst geschraubte Eonfetenz aUS ist, noch lange nicht fertig, und das Folgende Mt, wie richtig unsere frühern Bemerkungen aber diesen Punkt warem Ast die Einigung über die Schlangeninsel und die Gttozregulirung da, so !Nd auch die Vorwände nicht mehr vorhanden, unter weichen Oesterreich md England die Occupation der Dönaufürstenthümer und des Schwarzen Meere- bisher fortgesetzt haben. Ein sehr wesentlicher Grund zu der öfter- reichischen Occupation war aber von vornherein die Frage in Betreff der politischen Organisation der Donaufürstenthümer, und darum war auch schot»