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Zweites Blatt. Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne I Nummem 10 Pf. Tharandt. Ma, Sikbealrha md die UaiMaden. Imtsölutt Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionspreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. LorstrentamL zu Tharandt. No. 97. Aus einer kleinen Stadt. Novelle von Carl Cassau. (Nachdruck verboien.) (Fortsetzung.) »Ich ginge am liebsten zu Bette!" entgegnete Arthur. „Ein Glas nur! Ich kann vor Glückseligkeit nicht schlafen!" Sie traten ein. In der eleganten Gaststube saßen außer Herrn Muffert und Fritz, dem Kellner, nur zwei Personen, Herr Fink und Baron Leopold Berg, bei einem Glase Bier. Herr Muffert hatte schon den ganzen Abend insgeheim über den Wirth vom „Deutschen Hause" geschimpft, der heute wieder Konzert gebe und ihm die Gäste weglocke, trotz des fa mosen Löwenbräu." „Willkommen!" empfing die Ankömmlinge der Gerichts schreiber. „Es dauerte lange!" „Ja, mein Junge," beruhigte ihn Oswald jovial. „So etwas kommt nach einer Verlobung vor!" „Verlobt?" rief nun Herr Fink voll Freude. „Du Glücklicher!" „Verlobt? Ei, ei!" meinte nun auch Herr Muffert. „Wer ist denn die Glückliche, Herr Koberstein?" Er empfing zur Beruhigung seiner Neugierde die nöthige Aufklärung, während Baron Berg Arthur begrüßte. Nochmals bat er um Pünktlichkeit auf morgen, dann befahl er, sein Pferd vorzuführen. Jetzt bemächtigte sich Herr Muffert der Zeitung, die der Baron vorhin gelesen. „Da haben wirs!" nef er dann heftig aus, „die Un sicherheit nimmt zu; wohin soll das führen?" „Was giebt es denn?" fragte Arthur. „Da meldet man aus Bergkirchen einen Einbruch beim Förster. Kleidung, Waffen, Geld, alles ist gestohlen!" „Nichts Neues in dieser Gegend," zuckte Fink die Achseln. „Und hier wird obendrein der Ausbruch eines Züchtlings ge meldet," fuhr jener unwillig fort, eines schweren Verbrechers, der wegen Mordes saß! Er ist ein Kerl aus unserer Gegend; er heißt Jürgen Rink, sie nennen ihn aber nur den Jäger- jürgen!" Baron Leopold zuckte heftig zusammen, bestieg sein Pferd und jagte davon. „Die Erinnerung schien dem Herrn Baron auch nicht an genehm !" „Was hat denn das mit dem Baron zu thun?" fragte nun Arthur neugierig. „Das wissen Sie nicht? — Freilich, Sie müssen damals noch ein Kind gewesen sein! Seiner Zeit füllte die Geschichte alle Zeitungen! Baron Edgar, der Vater des eben anwesenden jungen Herrn, hatte noch einen Bruder Harry, dem das Gut eigentlich gehörte. Obwohl bereits Wittwer, rühmte man Herrn Harry doch allerlei galante Abenteuer nach. Der Jägerjürgen, ein schmucker aber jähzorniger Mensch, stand bei ihm in Diensten, er liebte leidenschaftlich ein Mädchen, welches die Bwkendörte genannt wurde. Nun soll er eines Tages Baron Harry in ihrer Hütte und in ihren Armen gefunden haben, kurz, er schoß den Baron nieder wie einen tollen Hund, lieferte sich dann selbst dem Gerichte und wurde für seinen Mord zu fünfund zwanzigjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt. Das ist alles!" „Man munkelte hiernach von Jntriguen, durch welche Baron Harry dorthingelocktsei; aber wer wollte das erforschen?" fügte Fink hinzu. Oswald brachte das Gespräch in andere Bahnen, indem er leise in Arthur raunte. „Weißt Du, was ich glaube?" „Nun?" „Du interessirst Dich für Helene!" Arthur lachte. „Wie närrisch Du bist! Ihr Verliebten seid doch in der That unzurechnungsfähig!" Ich und eine Kleinstädterin? Nie! nie!" Sie brachen auf und Arthur erklärte, sie noch ein wenig begleiten zu wollen. Im „Deutschen Hause" war noch Licht. Angesichts des schönen Abends saß fast ganz Bergheim noch unter den Oleandern und im Garten, in dem die kleine Stadtkapelle konzertirte. „Wollen wir auch hinein?" fragte Arthur. Ich bin jetzt wieder ganz munter und möchte einmal den Garten wiedersehen. In meinen Knabenjahren war hier eine Kegelbahn, auf der man partout keinen Pudel werfen konnte!" „Warum nicht?" fragte Fink lustig. Freitag, den 2. Dezember 1892. „Weil sie zu einer förmlichen Rinne ausgekegelt war!" entgegnete Arthur lachend. „Ländlich — schändlich! Echt kleinstädtisch!" „Das ist auch heute noch fast so!" meinte Oswald. „Siehe, dort ist das famose Institut!" Er zeigte auf ein entferntes Gebüsch, fuhr aber un willkürlich zurück. „Leopolden's Vater, Herr Pätsch!" flüsterte er dann schnell Arthur zu. „Wo?" „Der Herr, welcher dort allein am Tische sitzt, mit Brille und Habichtsnase." „Das ist Pätsch? Hm, hm! Komm, wir wollen uns in diese Laube setzen!" Arthur konnte von hier aus so recht das Gesicht des Agenten studiren. Fink suchte indeß nach Leopoldinen und flüsterte zuletzt: „Er scheint allein zu sein!" In diesem Augenblicke trat ein Chausseearbeiter in den Garten und rief nach einem Schoppen. Er trug eine Leder tasche über der Schulter und sah wie ein gewöhnlicher Arbeiter aus, der am Samstag heim geht. Als er das Bier vom Kellner erhalten, suchten seine Augen den kleinen Garten ab und blieben zuletzt an Herrn Pätsch haften. Darauf setzte er seinen Schoppen auf den Tisch desselben und ließ gleichzeitig unter einem „Mit Verlaub" ein Zeltelchen auf dessen Fläche niederfallen. Dann verschwand er. Herr Pätsch sah sich überall vorsichtig um, und las dann den Zettel verstohlen, der hiernach vernichtet wurde. Arthur beobachtete alles, und murmelte darauf: „Kein Wunder, hat doch der Mann eine nicht im besten Rufe stehende Agentur! Wer weiß, was für ein Schurkenstreich wieder ausgeheckt wird!" Die drei Bekannten machten nun im Garten die Runde und kamen bei dieser Gelegenheit an den runden Stammtisch, an dem es hieß: „Seht, Websters Arthur kommt als Krösus aus Mexiko zurück!" denn Herr Muffert hatte bereits geplaudert. Arthur wurde wiederholt angeredet und fühlte sich auch bald gefesselt; man setzte sich. „Verderben gehe nun Deinen Gang," deklamirte Oswald und ließ sich ebenfalls nieder. „Ich habe Ihren Herrn Papa sehr gut gekannt! rühmte sich der dicke Einnehmer. „Wir waren die besten Freunde," warf der Oberkontroleur hin. „War ein Prachtkerl!" sagte der Bürgermeister. Und nun wurden Geschichten erzählt, Anekdoten von dem lustigen Stadtmusikus, lustige Streiche vom Kantor, drollige Intermezzos von den Gesangsfesten der „Euterpe", und ehe man es dachte, schlug es auf dem Thurme 1 Uhr. „Was denkt und redet man denn drüben überm Ocean von dem neuen Steuersystem, Herr Webster?" fragte ein Guts besitzer der Umgegend den Gefeierten. „Daß der Fürst Bismarck sehr vernünftig und klug handelt, das eigene Produkt des Landes durch Eingangszoll auf fremde Waaren zu schützen. Schließlich hat das Land selbst doch den Vortheil davon. Ist es in den Vereinigten anders? Rechnet Alles in Allem zusammen, meine Herren, und Ihr könnt Euch nicht beklagen! Daß Euch der Ministerpräsident oft droht, das Staatsruder niederlegen zu wollen, habt Ihr selbst Schuld! Warum folgt Ihr nicht seiner größeren staatsmännischen Einsicht, nachdem ihr ihm schon seit Lebzeiten Denkmäler gebaut? Jeder Mensch ist zu ersetzen, so heißts drüben; hier liegts anders! Vermöge seiner eminenten Talente ist Fürst Bismarck allein im Stande, Deutschland dahin zu führen, wo es nach seinem Plane stehen soll. Aber einen Vorwurf kann ich den Deutschen nun nicht ersparen; ihre Fürsten und Staatsmänner haben sie immer verwöhnt!" „Das war doch einmal eine Abwechslung von dem all täglichen Thema, welches manches Bravo dem Redner lohnte, trotz der Bußpredigt, die er gehalten. Nur der alte Steuer- kontroleur brummte: „Auf Fürst Bismarck lasse ich auch nichts kommen; er ist ein Mann von Feuer und Eisen, ein Mann, der sich vor Vielen nicht fürchtet, so einer wie die alten Römer!" Die Aufregung wich der Ruhe, als sich das Gespräch im breiten Fahrwasser der Politik verlief. „Macht man nicht drüben jetzt auch einen Heppheppfeldzug?" fragte der Oberkontroleur., „Gott sei Dank, nein? Man ist dort nicht so närrisch, Juden sind auch Menschen, und wenn sie schlauer sind als wir, so hat das — unsere Dummheit schuld! Leben nud leben lassen! — Aber Temperenzler haben wir drüben; nun, so viel Land, so viel Tand! Säßen wir drüben im Wirthshause so lange, meine Herren, wer weiß, ob nicht ein Heer von Tem perenzlern uns aufhöbe! Doch es wird Zeit, daß wir heim gehen!" Man lachte und brach lärmend auf. Arthur hatte Vieles und Allerlei geredet; jetzt schlich er heim. Als er unter Helenens Fenster stand, sah er die heutige Kneiperei fast wie ein Unrecht an, dann murmelte er: „Sie lieben? — Oswald Du könntest Recht haben! Ist aber doch dummes Zeug!" Und er eilte vollends heim. 3. Kapitel. Auf Schloß Berg. Der schläfrige Hausknecht weckte Artbur am andern Morgen früh. Eilig sprang unser junger Freund aus dem Bette, ordnete seine Toilette und schritt dann munter in den schönen Morgen hinein auf Schloß Berg zu. Die Frühglocken läuteten eben den Sonntag ein, als Arthur in den großen Wald trat, den man recht nüchtern „Krähen horst" nannte. Die Finken schmetterten auf den Bäumen, große Woldriesen, ihr Sonntagslied, Krähen krächzten, der Hetzer ließ seine lachenden Töne erschallen und in der Ferne ließ eine Amsel ihren flötenden Gesang erklingen. Arthur marschierte lustig weiter, konnte aber den Gedanken an Helene nicht los werden; sein einziges Denken war sie, so daß er sich selbst unwillig wurde; aber immer wieder standen ihm ihre blauen Augen, stand ihm ihr goldiges Haar vor Augen, klang ihre süße Stimme an sein Ohr. Unwillig gedachte er der "schönen Texanerinnen, der Französinnen und Engländerinnen, deren keine ihm nur ein bischen Interesse hatte einflößen können. War er denn hierher gekommen, um sein Herz an eine Klein städterin zu verlieren? — Nimmermehr!" „Was ist das?" fragte Arthur. „Das Mausoleum Onkel Harrys! Du weißt vielleicht, daß er durch Mörderhand fiel? Der Kummer brach dann auch der Tante das Herz. Sie liegen dort beerdigt!" Und er schritt schnell weiter. „Es thut mir leid, unangenehme Erinnerungen geweckt zu haben, Kamerad Berg!" sprach Arthur. „Macht nichts!" Dabei winkte er abwehrend mit der Hand. Eben begegnete ihnen ein Jäger, der die Beiden forschend anblickte. Baron Leopold blieb einen Augenblick stehen. Aber er sann vergeblich darauf. Endlich meinte er ärgerlich: „Nun ja, wir werden ja sehen!" Die Jagd fiel günstig aus, die Jäger aber kehrten erst Nachmittags hungrig und ermüdet nach Schloß Berg zurück. Unterwegs hatte Baron Leopold Muße genug, sein H^z aus zuschütten, wozu es ihn immer mehr drängte. „Weißt Du, Kamerad, meinte er, ich beneide Dich recht sehr, daß Du drüben jenen großen Unabhängigkeitskampf hast miterleben dürfen; ich habe 1870/71 von den Thaten der Unseren nichts gesehen. Weiß Gott, ich wollte, ich könnte für eine große Idee — sterben! — Sollten nicht eines Tages jenseits des Rheins die Chauvins die Oberhand bekommen, und einen Reoanchekrieg entzünden? Ich bin gewiß, wir würden ihn sieg reich beendigen, aber ich — ich würde kaum wiederkehren, ich würde den Tod suchen!" „Aber Kamerad —!"' „Ja, laß mich! Ich hätte wohl die Pflicht zu leben, denn ich bin — doch später davon! Denke Dir einmal den Fall, leben zu müssen mit dem Bewußtsein, daß unverschuldet von Dir, auf Deinem Namen ein Makel liegt, auf Deinem Wappenschilde ein Flecken sitzt, daß Du vor anderen Menschen entwürdigt bist!" — Sage, ob Du dann noch leben möchtest!" „Aber Kamerad, ich verstehe Dich nicht! Schenke mir Dein Vertrauen, erleichtere Dein Herz!" Baron Leopold blieb stehen. „Ja Freund, zu Dir habe ich Vertrauen, Du sollst Alles wissen, heute, morgen, sobald ich sprechen kann!" „Doch, da ist das Schloß!" In dem bekannten Zimmer des Pavillons nahmen beide Jäger ein solennes Diner ein, dann führte der junge Baron seinen Gast in ein Zimmer des oberen Stockes im Pavillon, wo sich Arthur ein wenig auf's Sopba legte. Aber der Schlaf wollte ihm nicht kommen; er dachte darüber nach, was der Baron wohl für ein Geheimniß herumtragen möchte. Plötzlich Hötte er durch seine offene Rohrklappe unter sich folgendes Gespräch: „Was ist passirt, Jean?" fragte Baron Leopold.