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LMKilU zm WUki FImtszeitW Nr. 47. zu Nr. 25 des Hauptblattes. 1931. Beauftragt mit der Herausgabe RegterungSrat Brauße in Dresden. Lan-taMtrha»dl««gtn. (Fortsetzung der 2ö. Sitzung von Dienstag, den 27. Januar 1931.) Abg. vr. Wallner (Volksr.): Wir BolkSrechtler sind gegen die übermäßig hohen Gehälter sowobl in der Wirtschaft, als auch m der Leitung von Reich, Staat und Gemeinden. In den letzten zwölf Jahren hat sich eine Kluft zwischen Besitz und Nichtbesitz aufgetan, die Ferdinand Fried in der „Tat", Septemberheft, durch folgende Zahlen kennzeichnet. Bon 65 Millionen Deut schen ist fast genau die Hälfte erwerbstätig. Von den 32^ Millionen Erwerbstätigen, die Erwerbslosen mit gerechnet, verdienen 29 Millionen, also 90 Proz. weniger als 200 M im Monat. 3 Millionen verdienen zwischen . 200 und 3000 M im Monat; sie bilden also tue Über- aangsschicht, die sogenannte Mittelschicht, die schon, um vie Zahl nicht zu gering zu fassen, sehr weitgehend ge zogen worden ist. Millionen Änrommen haben in Deutsch land nur noch ganze 30000 Leute. Diese Kluft zwischen Besitz und Nichtbesitz gähnt nicht nur im Geldwert, sondern klafft sinnfällig im täg lichen Leben, und das ist schlimmer noch. Es herrscht eine Verständnislosigkeit in den Kreisen des Besitzes und derer, die die hohen Einkommen haben bzw. sich selbst verschafft haben, die einfach nicht mehr zu überbieten ist, eine völlige Verständnislosigkeit für die Sorgen und Bedürfnisse des Nichtbesitzes, die oft verrannte und völlig unpsychologische Maßnahmen hervorbringt, so daß wir kürzlich ja auch Angriffe gegen die Leitung der sächsischen Regierung zu rrchten gezwungen waren. Wir glauben, daß die Verhältnisse im deutschen Lande und das Verstänvnis für die Not der Zeit für die Not der Besitzlosen und der Entrechteten sich bessern wird, wenn insbesondere die leitenden Personen auch diese Notlage der Bevölkerung an ihrem eigenen Leibe zu spüren be kommen. Daher stimmt die Bolksrechtpartei der Herab setzung der Ministergehälter von 30000 auf 18000 M zu. Sie erhofft dadurch, daß die Leiter 'unseres Staats wesens durch das eigene Rechnenmüssen in ihrem Haus halt mehr Verständnis für die diejenigen bekommen, die zu vertreten ich hier beauftragt bin. Die Regierung hat absolut kein Verständnis für die Entrechteten und Enteigneten. Sie hat jetzt wieder eine Vorlage vorgelegt, nach der diejenigen, die den Ge meinden Darlehen gegeben haben, überhaupt nichts wieder erhalten sollen, wenn sie diese mit wertlosem Papiergeld in der Inflation zurückgezahlt erhalten haben. Die Regierung hat absolut kein Verständnis für die Notlage der Rentner gehabt. Im ganzen Lande finden Protestversammlungen der Rentner statt, ausdrücklich veranstaltet gegen die Behörden. Wir haben die Regierung gebeten, wenigstens diesen Leuten eine Weihnachtsbeihilfe zukommen zu lassen. Nichts von alledem l Die Finanzverhältnisse des Staates ließen es nicht zu, hat man gesagt, aber Industriebetriebe zu finanzieren, wo man später Verluste haben wird und haben muß, das geschieht. So werden die Gelder ver wendet, aber für die Notleidenden etwas zu tun, denen wenigstens eine Weihnachtsfreude zu machen, davon ist jedenfalls keine Rede. Noch eine andere Gehaltsfrage, die nn Etat eine Kolle spielt! In den „Leipziger Neuesten Nachrichten" teht ein Artikel des Meßamtspräsidenten vr. Köhler, iberschrieben „Der klägliche Zusammenbruch einer durch- ichtigen Hetze". Ich muß dieser Überschrift entgegen- reten, denn der Inhalt dieses Artikels, der vom Herrn Präsidenten vr. Köhler selbst stammt, widerlegt diese Überschrift. Wir BolkSrechtler unterstützen die Leipziger Messe in jeder Art und Weise, nicht nur im Interesse der Industrie, sondern auch im Interesse der Arbeit nehmerschaft, aber insbesondere auch im Interesse des Landes Sachsen und der Stadt Leipzig. Wir wünschen aber nicht, daß die Hilfsmittel, die der Messe gewährt werden, teilweise in Gestalt von Aufsichtsratstantiemen und übermäßig hohen Gehältern, statt daß die wirklich Bedürf tigen und Unterstützungsfordernden das erhalten. In dem Artikel schreibt Herr Präsident Köhler, seine Gesamtbezüge aus Gehalt undWohnungsgeldentschädigung betrügen netto 40000 M. Dazu käme eine Aufwandsentschädigung, deren Höhe er nicht angibt und von der er behauptet, daß sie restlos für den Aufwand aufaing. Zuerst die Aufwandsentschädigung. Es ist wohl schon entschieden, daß der Landtag die Ministerialzulage, also die be stimmten Aufwandsentschädigungen streichen wird, dar über braucht man ja nun kein Wort mehr zu ver lieren. Aber wenn die Ministerialzulage und bei den Ministern die Aufwandsentschädigung gestrichen wird, dann erfordert die Gerechtigkeit, daß bei diesen beamten ähnlichen Posten gleichfalls die Aufwandsentschädigung in Wegfall kommt. Dann bleiben immer noch 40000M Dann ist der Artikel etwas verschleiert gehalten. Es kommt nämlich dann ein Passus, daß er auf 20 Proz. seines Gehalts verzichtet hätte. Run weiß man nicht, gehen die 20 Proz. von den 40000 M oder von den 50000 M netto gerechnet ab. Es scheint mir so, als ob man glauben soll, daß sie von den 40000 M abaingen, während das Gegenteil der Fall ist. Man soll doch von seiten der WirtschaftSiührer nicht solche Gesten machen, die falsche Borstellungen im Volke erwecken können, um damit eine fadenscheinige Begründung da für zu finden, daß man den kleinsten Beamten 6 Pro-, ihres Gehalts kürzt und den Arbeitern 6 Proz. vom Lohn abziehen kann, die vielleicht in der Woche überhaupt nur noch 30 M oder, wenn es Arbeiterinnen sind, 20 M netto nach Hause krackten. Das sind also keine Kür zungen, und wir wünschen, daß die Regierung dahin wirkt, daß das Nettogehalt des Mehamtsdirektors ein schließlich aller Aufwandsentschädigungen, Aufsichtsrats tantiemen und sämtlicher Nebenbezüge nicht höher ist als das Nettogehalt des Landgerichtspräsidenten in Leipzig, und das ist ein sehr anständiges Gehalt. Das kann nicht von heute auf morgen durchgesetzt werden. Wir geben der Regierung deshalb ein Jahr Frist dafür. Nur unter dieser Bedingung werden wir den Messezuschuß diesmal bewilligen. Wir erwarten jedenfalls, daß in der Frist eines Jahres diese Verhält nisse geändert werden, damit die Zuschüsse, die Reich, Land und Gemeinden geben, auch wirklich der Messe, den Ausstellern und damit der Arbeitnehmerschaft voll und ganz zu gute kommen. (Abg. Neu: Das müssen Sie im Stadtverordnetenkollegium Leipzig sagen!) Da kommt es auch noch. Einige kurze Worte dann über den Justizetat! Es sind bei dem vorjährigen Haushaltplan Anträge an genommen worden, und man hätte wünschen können, daß die fachmännische Leitung des Justizministeriums es auch ermöglicht hätte, diese angenommenen Anträge in die Lat umzusetzen. Der Landtag beschloß damals, daß Mittel für den Erweiterungsbau des Landgerichts Leipzig, Harkortstraße, eingestellt werden. Soviel ich weiß, ist es nicht geschehen. Dann sollten die teilweise beschränkten Raumverhältnisse durch Umbauten und Neu bauten verbessert werden. Mich würde interessieren, wo in Leipzig bisher Verbesserungen eingetreten sind. Dann ist damals der Antrag angenommen worden, der über- bürdung der Richter, Staatsanwälte und mittleren Be amten durch Vermehrung der Stellen mehr als bisher entgegenzutreten und zur Verhütung weiterer Ab wanderung vieler tüchtiger Juristen m die aussichts reicheren Gebiete der Verwaltung die Beförderungs verhältnisse im Justizdienst durch Schaffung neuer Land- und Amtsgerichtsdirektorenstellen zu verbessern. Auch dieser Antrag ist nicht erfüllt worden, und es ist weiter festzuflellen, daß bewußt mit der Gesundheit nicht nur der Richter und Staatsanwälte, sondern auch der mittleren Beamten, die auch überlastet sind, Raubbau getrieben wird, der den Staat letzten Endes mehr kostet, als wenn er ein paar Hilfskräfte mehr einstellt. Dann folgendes: Es ist angenonunen worden, die Regierung zu ersuchen, den Staatsanwaltschaften und Gerichten zu empfehlen, von den in 8 153 der Straf prozeßordnung ihnen eingeräumten Befugnissen mehr als bisher Gebrauch zu machen Es handelt sich darum, daß Bagatellsachen, wenn kein großer Schaden ent standen ist und kein öffentliches Interesse an der Straf verfolgung besteht, nicht verfolgt bzw. eingestellt werden Ich habe immer empfunden, daß diese zu begrüßende Änderung der Strafprozeßordnung, eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips zugunsten des Opportunitäts prinzips, so eng wie möglich gehandhabt wird. Wenn ein Mittelbeamter von einer Gemeindebehörde irgend eine Sache durchgeführt wissen will, dann erfolgt kaum einmal eine Einstellung nach § 153, und wenn es auch noch so vernünftig wäre. Hier müßte bei Rückfrage der Chef der Behörde, aber nicht jeder Mittelbeamte von semem Ressortinteresse aus zu entscheiden haben, ob Richter und Staatsanwälte die Sache durchführen müs sen oder nicht. (Redner sührt hierfür einige Beispiele an.) Es wäre also sehr dankenswert, wenn die Leitung der Justizverwaltung nochmals auf den Landtags beschluß ganz besonders aufmerksam machen würde und einmal die Anwendung des § 153 in der anderen Richtung nachprüfte, nämlich in der Richtung, daß alles nicht Wesentliche nicht weiter verfolgt wird und ins besondere nicht durch die Instanzen hin- und zurück getrieben wird. Und der letzte Wunsch, den ich bezüglich der Justiz bei dieser Etatberatung noch vorbringen möchte — beim nächsten Etat wird sich noch ausgiebiger darüber reden lassen —, ist der, daß die Leitung der Justizverwaltung Wert darauf legen möchte, daß die Kollegialität in den Ämtern verbessert wird. Ich bin schon in verschiedenen Behörden gewesen, aber ich kann sagen, daß inbezug auf Kollegialität in den Verwaltungsbehörden und in den Justizbehörden Verhältnisse herrschen, die wie Tag und Nacht sind. Der Herr Minister wird mir zugeben, daß da manches geschehen könnte, und es würde sicher von der Justizbeamtenschaft aller Kategorien dankbar empfunden werden, wenn es dem Herrn Justizminister, der selbst aus der Beamtenschaft Hervorgeyangen ist, ge- länge, ein gutes kollegiales Verhältnis zwischen den ein zelnen Beamtenkategorien, aber auch innerhalb der Kategorien selbst herzustellen, (Abg. Neu: Sie sind ein glücklicher Mensch, wenn Sie keine anderen Sorgen haben!) Hierauf wird die Sitzung abgebrochen und auf nächsten Donnerstag 1 Uhr vertagt. (Schluß der Sitzung 19 Uhr 14 Min.) 2». Sitz«»-. Donnerstag, de« 2». Jan«ar 1931. Präsident Weckel eröffnet die Sitzung 13 Uhr 15 Minuten. Am Regierungstisch Ministerpräsident Schieck, die Staatsminister vr. Hedrich, vr. Mannsfeld und Richter sowie zahlreiche andere Regierungsvertreter. Es wird sofort in die Tagesordnung eingetreten. Punkt 1 der Tagesordnung: Einspruch des Abg. Dönicke gegen seine« Ausschluß. <8 50 Abs. 12 der Geschäftsordnung.) Der Einspruch lautet: Gegen den Ausschluß aus der Sitzung vom 27. Ja nuar durch den Präsidenten Weckel erhebe ich hiermit Einspruch. Begründung: Der Abg. Liebmann hat sich nicht mit der Tagesordnung beschäftigt (Lachen links), sondern hat die nationalsozialistische Bewegung und eine Reihe ihrer Führer auf das gemeinste beschimpft und verleumdet, ohne daß der Herr Präsident da gegen eingeschritten ist (Sehr richtig! b. d. Natsoz.) bzw. den Abg. Liebman zur Sache gerufen hat. Infolge dessen habe ich zur Selbsthilfe gegriffen (Lachen links) und die Unwahrheiten des Abg. Liebmann durch Zwischenrufe zurückgewiesen. Ich bitte daher, den Ausschluß aus der Sitzung für ungültig zu erklären. Der Einspruch wird gegen die Stimmen der National sozialisten und Kommunisten vom Landtag als nicht berechtigt erklärt. (Die Nationalsozialisten verlassen den Saal. — Zurufe links: Auf Wiedersehen! — Abg. v. Killinger: Ja, auf Wiedersehen wo anders! —Hammer des Präsidenten. — Zurufe b. d. Natsoz., u. a.: Ihr Lumpengesindel! — Der Abg. Lasch wird wegen dieses Ausdrucks aus der Sitzung verwiesen.) In Erledigung der Punkte 2 und 3 der Tagesordnung 2. Antrag des Untersuchungsrichters des Reichs gerichts beim Landgericht Dresden, Münchner Platz — 3 V 29/29 — auf Genehmigung der Vorführung des Abg. Renner. (Mündlicher Bericht des RechtSauSschusseS, Drucksache Nr. 223.) 3. Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden — 16 8t. 2123/39 — auf Genehmigung der Straf ¬ verfolgung des Abg. vr. Bennecke. (Mündlicher Bericht des Rechtsausschusses, Drucksache Nr. 224.) wird nach kurzer Berichterstattung durch den Abg- Neu (Soz.) die Genehmigung der Vorführung deS Abg. Renner (Komm.) und die Genehmigung zur Strafverfolgung des Abg. vr. Bennecke (Natsoz.) versagt. Nächster Punkt der Tagesordnung: Fortsetzung der Beratung der Tagesordnung vom Dienstag, de« 27. Januar 1931. (Etat für 193« und zugehörige Gegenstände.) Hierzu ist noch folgender Antrag des Abg. Arndt (Soz.) zur Vorlage Nr. 14 eingegangen. Der Landtag wolle beschließen: Ordentlicher Ttaatshaushaltplan: 1. zum Antrag der Nationalsozialistischen Fraktion (Anl. III) zu Kap. 12 — Steuern: die Worte für die „Erwerbslosenfürsorge" sind durch die Worte „zur Unterstützung und Be treuung der sogenannten WohlfahrtserwerbS^ losen" zu ersetzen. 2. zu Kap. 33 — Polizei —: die Regierung zu ersuchen, die Besetzung der Offizierstellen derart zu regeln, daß zu Offizieren nur Beamte befördert werden dürfen, die sich im praktischen Polizeidienst al- Wachtmeister usw. nach mindestens fünfjährigen Erfahrungen bewährt haben, und zu diesem Zwecke dem Landtag eine Vorlage über die Änderung des Polizeibeamtengesetzes vorzulegen. Es wird in der Aussprache, die in der letzten Sitzung abgebrochen wurde, fortgefahren. Abg. Lasse (Bolksnat.): Bereits in der 18. Sitzung haben wir unsere Stellungnahme zum Etat 1930 bekannt gegeben und dabei betont, daß der Etat bestimmt nicht allen Wünschen Rechnung trägt und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Notlage auch nicht Rechnung tragen kann. Wir behielten uns aber vor, zum Etat 1931, der, wie die Regierung zugesagt hat, bereit- in der ersten Hälfte de- Februar dem Landtag vorgelegt werden soll, verschiedene Anträge eiiuureichen. vor allem sollen sich unsere Anträge befassen mit Kav. 18 Tit. 13, Gesandtschaft in Berlin betreffend, di«