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Schönburger Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster, scheinende Nummer bis nachmittags 3 Uhr des vorhergehenden Tages. Expedition: Waldenburg, Kirchgasse 255. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich L Mk. LS Pf. Einzelne Nummern 5 Pf Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Filial-Expedition in Altstadtwaldenburg: bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Dienstag, den 9. Dccember rrr«. 1884. Bekanntmachung. Wegen des Rechnungsabschluffes bei hiesiger Sparkasse werden in der Zeit vom 1. bis mit SS. Januar 1885 weder Einlagen angenommen noch Rückzahlungen geleistet werden. Dagegen wird vom 24. bis mit 31. Januar 1885 täglich expedirt. Fürstliche Sparkassen-Berwaltung Waldenburg, am 8. Decem ber 1884. Oswald Müller. *Waldenburg, 8. December 1884. Für nahezu alle Seemächte stehen überseeische Fragen gegenwärtig im Vordergrund des Interesses. Gemeinsam ist zunächst Allen die wichtige Angelegen heit der Erschließung des Congo- und Nigergebietes für europäische Civilisalion und Cultur, zur Aus breitung des Welthandels, von dem wieder die Nationen ihren Vortheil ziehen. Die Bedeutung der in Berlin tagenden Congoconferenz wird deshalb erst dann voll und ganz anerkannt werden von der großen Volksmenge, wenn das Werk, welches jetzt erbaut wird, in Thätizkeit ist, wenn seine praktischen Wirkungen sichtbar hervortreten. Weiter aber hat jede einzelne Macht noch ihre Detailfragen. England hat mit Egypten und Südafrika seine Sorgen, Frankreich mit China, wir Deutschen müssen uns in unseren neuen Erwerbungen in Westafrika ein richten, Italien verfolgt aufmerksam die Verhältnisse in Nordafrika, Oesterreich erkennt, daß seine maritime Wehrkraft zu schwach ist und in Rußland ist man bereits eifrig in der Vermehrung der Flotte be griffen. Allenthalben wird den mächtigen Kolossen, die die Flagge des Staates weit über das Meer hinaustragen sollen, erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt, überall werden neue Kriegsschiffe gebaut — zum Angriff und zur Vertheidigung. Daß auch bei uns hervorragende Thäligkeit im Marinewesen herrscht, ist bekannt. Hat der Reichstag doch im letzten Sommer erst 18 Millionen für diese Zwecke bewilligt. Ganz besonders eifrig ist man in England mit der Vemehrung der Flotte beschäftigt. Alt-England's Element ist die See; das Meer Hal es groß ge macht, dort hat es seine gewaltigsten Siege errungen und seit den Tagen der Elisabeth bis hin zu Nelson und unseren Tagen hat die englische Marine Helden im wahren Sinne des Wortes aufzuweisen gehabt. England besaß, wie s. Z. Athen im alten Griechen land, die Oberherrschaft zur See thatsächlich, nicht blos dem Namen nach, und das stolze Gefühl, welches dadurch hervorgerusen wurde, zeigt sich auch in den britischen Liedern, es lebte und webte im Volke und macht sich auch heute noch geltend. Allein wie Athen's Glanz nicht ewig währte, so ist auch von dem stolzen Nimbus der Königin des Meeres Vieles geschwunden, und sagen wir es nur mit einem Wort, England Hal seine Oberherrschaft zur See verloren. Seit Wochen und Monden schon beschäftigt sich die englische Presse wieder und immer wieder mit dem Zustand der Flotte. In stürmischster Weise wird eine Vermehrung der Kriegsflotte ver langt nnd der sparsame Gladstone hat sich ent schlossen, eine gewaltige Summe für diese Zwecke flüssig zu machen. Als dirccten Grund für dies Verlangen nach dem Bau neuer Panzerschiffe und Vergrößerung der Seemacht führt man in erster Reihe das rasche WachSlhum der französischen Marine an. In der That, Frankreich hat viel gethan, aber bis jetzt ist seine Flotte der englischen nicht gewachsen. Diese offizielle Begründung der Bewegung ist aber nicht die wahre und ursprüngliche. Sucht man die, so begegnet man dem Wunsche, für England die Ober herrschaft zur See wieder zu erlangen, die seit der Begründung der deutschen und italienischen Einheit ausgehört hat; denn bis dahin war der einzige in Betracht zu ziehende Gegner Frankreich. Seit 1866 und 70 entstand aber sowohl die deutsche, wie die italienische Seemacht, als auch erhielt Rußland wieder größere Freiheit der Bewegung auf dem Meere. Keine Seemacht Europa's und ebenso wenig die vereinigten Staaten werden heute noch einen Anspruch Englands auf die unbedingte Ober herrschaft zur See anerkennen, und daß sie es nicht thun, beweist die afrikanische Conferenz in Berlin. England ist und wird sicher für eine ganze Zeil noch die erste Seemacht der Welt bleiben, aber die Oberherrschaft zur See, die es nicht besitzt, wird es auch nie wieder erlangen, mag es so viele neue Schiffe bauen, wie es will. Die übrigen Mächte wissen zu genau, daß ihre vereinten Flotten der englischen weit überlegen sind und daß sie ungerecht fertigte Ansprüche Englands leicht zurückweisen können. Wenn der Grundsatz „Wer die Macht hat, hat das Recht", gelten soll, so muß die Macht eben vorhanden sein und das ist sie nicht. Europa hört heute nicht mehr, wie vor 25 Jahren, nach Paris, ebenso wenig aber auch nach London. Wir haben Eingangs dargelegt, daß die vermehrten überseeischen Interessen alle Seemächte zur Ver mehrung ihrer Flotten anspornen. Nicht zum blutigen Streit untereinander sollen aber diese schwimmenden Festungen dienen, nein, zum sicheren Schutze von Handel und Handelsintereffen. Ueber Streitfragen zur See entscheidet hoffentlich nicht mehr der Krieg, sondern eine höchste Instanz der gesammten interessirten Mächte, wie sie jetzt in der Berliner Conferenz sich darstellt. Darin erblicken wir die beste Oberherrschaft zur See, eine Ober herrschaft, die den Frieden auch auf dem Meere verbürgt. *Waldcnburg, 8. December 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser empfing am Sonntag u. A. den Fürsten zu Putbus, sowie den Kriegsminister. Nach mittags fand kleinere Familientafel statt. Der Zusammentritt des preußischen Land tages wird in den Tagen vom 14.—16. Januar, wahrscheinlich am 15., erfolgen. Das ReichF-Ve.rsicherungsamt hat entschieden, daß alle diejenigen Betriebe, die sich lediglich mit der Verpackung fertiggestellter Waaren befassen, eine Be- oder Verarbeitung von Gegenständen aber in keiner Weise ausführen, als Fabrik im Sinne des 8 1, Absatz 4, des Unfall-Versicherungsgesetzes nicht anzusehen und solche Betriebe daher von der Ver sicherungspflicht ausgeschlossen sind. Durch das Reichsgesetz vom 6. Mai 1880 ist be kanntlich die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres an Mannschaften für die Zeit vom 1. April 1881 bis 31. März 1888 auf 427,274 Mann fest gesetzt. Im vorliegenden Etat nun finden wir in der Hauplübersicht über das Reichsheer angesetzt 51,496 Unteroffiziere, 789 Zahlmeister-Aspiranten, 13,443 Spielleute, 347,887 Gefreite und Gemeine, 3532 Lazareihgehilfen, 10,097 Oeconomiehandwerker. Die Zahl der Offiziere des deutschen Heeres giebt der Etat im Ganzen auf 18,140 an. Preußen zählt 14,034, Sachsen 1124, Württemberg 772, Bayern 2210 Offiziere. Die „Nordd. Allg. Ztg." veröffentlichte vor Kurzem das Schreiben eines Bauern Valentin Rollar in Roxheim bei Kreuznach an den Kanzler, in welchem über die Schädigung des Bauernstandes durch den Zwischenhandel geklagt und höhere Getreide- und Weinzölle gefordert wurden. Jetzt stellt sich heraus, daß der genannte Name gemißbraucht ist. Valentin Rollar ist ein 17jähriger junger Mann, der von dem Brief absolut keine Ahnung hat. Von dem Expatriirungsgesetze, dessen Auf hebung der Abg. Windchorst im Reichstag gefordert und die der Reichskanzler verweigert halte, sind gegenwärtig noch 15 katholische Geistliche betroffen, die aus größeren resp. kleineren Theilen der Provinz Posen ausgewiesen sind. In Berlin hat sich am Sonnabend ein Provinzial verband der brandenburgischen Communalspar- kassen gebildet. Bezüglich des Postsparkassengesetzes wurde folgender Antrag angenommen: „Die Ver sammlung spricht die Erwartung aus, daß der Vor stand die Interessen der communalen Sparkassen gegenüber den Postsparkassen, event. auch gegenüber den gesetzgebenden Factoren zu wahren gedenke." Die Uebertragbarkeil der Spareinlagen im Bezirke des Verbandes wurde im Prinzip beschlossen. Den preußischen Staatseisenbahndirectionen ist von dem Minister der öffentlichen Arbeiten bedeutet worden, daß das in einzelnen Bezirken, bez. Werk stätten erlassene Verbot der Annahme von Arbeitern, welche eine bestimmte Altersgrenze (35—40 Jahre) überschritten haben, ganz ungerechtfertigt und sofort aufzuheben sei. Dagegen ist auf das Vor leben, die körperliche Tüchtigkeit, Brauchbarkeit und Leistungsfähigkeit der Bewerber vor deren Annahme zu achten. Ueberall Defizit! Im österreichischen Staats haushaltsetat für das nächste Jahr fehlen 15 Mill., Rußland hat in diesem Jahre einen Ausfall von 25 Millionen zu beklagen und Frankreich kommt vielleicht auf 60—70 Millionen. Graf Herbert Bismarck begiebt sich dieser Tage auf seinen Posten nach dem Haag zurück und kommt Weihnachten wieder nach Berlin, angeblich um bas Unlerstaatssekretariat des Reichsamtes des Auswärtigen zu übernehmen. Die Commission der afrikanischen Conferenz in Berlin hielt am Freitag und Sonnabend sehr lange Sitzungen ab. Es handelt sich jetzt haupt sächlich um die Frage der Einrichtung einer inter nationalen Schifffahrtscommission für den Nigerfluß, von der England nichts wissen will, weil es die Oberhoheit über das Gebiet dieses Stromes bean sprucht. Beiderseits wird man wohl etwas nach geben. Der socialistische Antrag, Mitgliedern freier Krankenkassen, deren Statuten noch nicht definitiv genehmigt sind, zu gestatten, bis zur endgiltigen Ent scheidung einer Zwangskasse nicht beizutreten, wird in der Commission genau geprüft werden, und wenn auch nicht in dieser Form, so wird man doch in anderer die Angelegenheit zu Gunsten der be treffenden Arbeiter regeln. Bis Dienstagibereilet nun die Budgetcommission neues Etatsmaterial vor und Dienstag Mittag nimmt dann der Reichstag die Sitzungen wieder auf. Die deutschen Colonialerwerbungen in West afrika werden noch vor Weihnachten im Reichstage Gelegenheit zu einer großen Debatte geben, an der auch der Reichskanler sich betheiligen wird. E» wird dies bei Berathung der Forderung von 180,000 Mk. der Fall sein, für welche für den neu zu er-