Volltext Seite (XML)
Wieostag «r 37. 11 Mai 1869. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Weißerih-Zeidlng. Preis pro Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten-Zeile 8Pfg. Amts- und Anzeige-Matt der Königlichen Gerichts-Ämter und Itadträthe zu Dippoldiswalde und /rauensteiu. Verantwortlicher Rrdacteur: Lari Zehne in Dippoldiswalde. Tagesgeschichte. Dippoldiswalde. Das allgemeine Interesse wird in nächster Zeit besonders auch auf die am 4. Juni in allen Wahlkreisen Sachsens stattfindenden Landtag s- abgeordneten-Wahlen gelenkt werden, und dürfte es an der Zeit sein, auf die Bestimmungen des neuen Wahlgesetzes, insofern sie namentlich auch von dem alten abweichen, hinzuweisen. Die Stimmberechtigung ist von der Erfüllung des 25. Lebensjahres und vom Besitz der sächs. Staats angehörigkeit abhängig. Diejenigen sind nicht stimm berechtigt, welche nicht die genügende Selbstständigkeit haben, welche unter väterlicher Gewalt oder Vormund schaft stehen; ferner Almosenempfänger, von öffentlichen Aemtern Entsetzte oder Suspendirte, von der Communal- garde Ausgeschlossene; Solche, die zu Zuchthaus- oder Arbeitshausstrafe verurtheilt wurden, in Besserungs anstalten sich befanden; Personen, die wegen entehrender Vergehen vor Gericht standen, endlich solche, welche nicht das Recht zu den Gemeindewahlen besitzen. — Das Stimmrecht muß persönlich ausgeübt werden. Die Wählbarkeit setzt die Erfüllung des 30. Lebensjahres, sowie den dreijährigen Besitz der Staatsangehörigkeit voraus. Insoweit das Wahlrecht vom Census oder Grundbesitz abhängt, ist dem Ehemann der Grundbesitz seiner Frau und Kinder, ebenso wie die für beide zu entrichtenden Steuern anzurechnen. Die Annahme oder Ablehnung der Wahl ist dem freien Ermessen des Gewählten anheimzugeben; nur während der Landtagssession tritt die Beschränkung ein, daß ein Abgeordneter ohne Genehmigung der Kammer sein Mandat nicht niederlegen darf. Die besonderen Vorschriften über das active und passive Wahlrecht bestimmen zunächst hinsichtlich der ersten Kammer, daß von den 12 aus den Grund besitzern zu erwählenden Abgeordneten im Meißner Kreise und in der Oberlausitz je drei, im Leipziger, Erzgebirgischen und Voigtländischen Kreise je zwei Abgeordnete gewählt werden. Zur Wahl sind nur Besitzer von Gütern mit mindestens 3000 Steuerein heiten berechtigt, während die Wählbarkeit den Besitz eines Grundstücks von wenigstens 4000 Steuereinheiten voraussetzt. Für die Wahlen zur zweiten Kammer werden 35 städtische und 45 ländliche Wahlkreise gebildet, von denen jeder einen Abgeordneten wählt. Innerhalb sämmtlicher 80 Wahlkreise ist jeder im Allgemeinen dazu befähigte Ortseinwohner stimmberechtigt, welcher entweder Eigenthümer an einem mit Wohnsitz versehenen Grundstück ist, oder mindestens jährlich Einen Thaler Staatsabgaben entrichtet. Hier weicht unser Wahlgesetz vom Reichstagswahlgesetz, welches gar keinen Census aufstellt, wesentlich ab. Warum will man den ärmeren Staatsbürger ausschließen von der Wahl, warum soll er sein Interesse nicht kund geben dürfen? Man weiß ihn ja zu finden in bewegten Zeiten, wo gerade die ärmere Classe der Bevölkerung mit Gut und Blut für das Vaterland eintreten muß. Bei den Reichstagswahlen ließ man sie mitwählen, — warum nicht zu den Wahlen des Landtages, an denen sie doch ein noch regeres Interesse haben dürften? Diesen Punkt wird hoffentlich der nächste Landtag aus dem Gesetze streichen. Zur Wählbarkeit in die zweite Kammer ist erforderlich, daß der zu Erwählende an Grundsteuern von ihm zugehörigen Grundstücken oder an direkten Steuern, robp. an beiden zusammen, 10 Thlr jährlich entrichtet, wobei die Steuercataster zu Grunde zu legen und jede Steuereinheit zu 9 Pfennigen zu veranschlagen ist. Dahingegen fällt die Bedingung hinweg, daß der zu Erwählende seit drei Jahren bereits im Wahlbezirke ansässig, oder eben so lange wesentlich daselbst wohnhaft sein muß. Mit Aufhebung dieses bisher bestandenen Bezirkszwanges ist es daher jedem Wahlkreise freigestellt, den Mann seines Vertrauens innerhalb des Landes zu suchen, wo er will. Das Wahlverfahren betreffend, so ist die Anlegung übersichtlicher Wahllisten angeordnet, in denen sämmtliche Namen der Stimmberechtigten zu ver zeichnen sind. Diese Listen, die jeder Betheiligte ein zusehen berechtigt ist, werden in Betreff der Wahlen zur 2. Kammer von den Gerichtsämtern und Stadt- räthen geführt und sind alljährlich im Monat Juni zu revidiren und zu berichtigen. Jede Stadt und jedes größere Dorf macht für sich einen Bezirk aus, falls nicht von Seiten der Behörde größere Bezirke getheilt, kleinere zusammengelegt sind. Jeder Wahlvorsteher muß die Abgrenzung seines Bezirks, sowie Ort und Zeit für Abgabe der Stimmzettel, mindestens acht Tage vor der Wahl in ortsüblicher Weise bekannt machen. Der Wahlvorsteher und seine Gehülsen haben sich jeden Einflusses auf die Wähler zu enthalten. Diese gesetzlichen Bestimmungen allein thun's aber nicht, und wenn sie auch noch besser wären, als sie sind, und daß man sie kennt, das thut's auch nicht; Sache des Volkes ist es, nun auch das Seine zu thun, d. h. nicht mit Gleichgültigkeit, sondern mit Ernst und Eifer an das Wahlgeschäft zu gehen. Die Frage: „Wen soll man wählen?" tritt an jeden Stimmberechtigten immer näher und dringender heran, denn bis zum 4. Juni ist kein langer Zeitraum