Volltext Seite (XML)
SächsischeSlaatszeitung Staatsan^eiger für den Zreiftaat Sachfen 1924 Dresden, Mittwoch, 16. Januar Nr. 13 Ankündigungen: Die 32 mm breite Grundzeile oder deren Raum 30 Pf., die 66 mm breite Grundzeile oder deren Raum im amtlichen Teile 60 Pf., unter Ein« gesandt 90 Pf. Ermäßigung auf Geschäflsanzeigen. Familiennachrichten u. Stellen gesuche zur Halste. — Schluß der Annahme vormittag- 10 Uhr. Zeitweise Nebenblätter: Landtags-Beilage, Ziehungslisten der Verwaltung der Staatsschulden und der Landeskulturrentenbank, Jahresbericht und Rechnungsabschluß der Landes.Brandversicherungsanstalt, BerkaufSliste von Holzpflanzen auf den Ttaatsforstrevieren. Verantwortlich für die Redaktion: Hauptschriftleiter Bernhard Zolles in Dresden. ErscheintWerktagS nachmittags mit dem Datum des Erscheinungstages. Bezugspreis: Monatlich 5 Mark. Einzelne Nummern 20 Pfennig. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 21298 — Schriftleitung Nr. 14 874. Postscheckkonto Dresden Nr. 2486. — Stadtgirokonto Dresden Nr. 140. Die Schicksalsstunde Englands. Die Thronrede. London, 15. Januar. Heute vormittag begab sich der König in Be- gleitung der Königin und des üblichen Hofstaates vom Buckinghamer PalaiS nach Westminster zur Eröffnung des Parlaments. Eine ungeheure Menschenmenge füllte die Straßen, durch die der außerordentlich pompöse Hvfzug fuhr. Tie An- kunft des Königs im Unterhaus wurde mit 41 Ka- nonenschüssen bekanntgegeben. Nach Erledigung der üblichen Formalitäten verlas der König die Thronrede, die folgenden Wortlaut hatte: Meine Beziehungen zu den auswärtigen Mächten sind weiter freundschaftlich. Ich freue mich, einen ausgesprochenen Fortschritt in der Lösung jener Fragen feststellen zu können, die bisher den «eg zum wechselseitigen Ver. ständnis verschlossen und di, Wie dergenesung der Welt verzögert hatten. Tie R epa ra tio nskom m i ssion hat zwei Ausschüsse eingesetzt, in denen Sachverständige aus den Vereinigten Staaten mit anderen Sachverständigen aus Großbritan nien, Frankreich, Italien und Belgien zu- sammrnwirken werden bei der Prüfung der sehr ernsten finanziellen Fragen, die die Lage Trutschlands berühren. Tas künftige Statut der Tanger« Zone, die lange Zeit eine Quelle von Unruhen war, ist zwischen den Delegierten der hauptsächlich interessierten Mächte einer Regelung unterzogen worden, welche die Schaffung eines internationalen Regimes und die Förderung des Verkehrs und des Handels vorsieht. Ein Gesetz wird eingcbracht werden zwecks Inkraftsetzung des Lau sann er Friedens vertrages. Sobald dieses Gesetz angenommen sein wird, wird der Vertrag ratifiziert und eine neue Ara friedlicher Beziehungen mit der Türkei eröffnet werden. Meine Minister sind im Zusammenwirken mit den Vertretern Eanadas darauf bedacht gewesen, die Schwierigkeiten bezüglich der ge- setzwidrigen Einfuhr von alkoholischen Getränken in die Vereinigten Staaten zu beseitigen und haben Vorschläge für ein Ab kommen gemacht, das dicht vor der Annahme steh! und die künftigen glücklichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern und Volkern festigen dürften. Es wird weiter mein Ziel sein, den ständig wachsenden Einfluß des Völkerbundes mit allen Mitteln, die in meiner Macht liegen, zu fördern. Tie jüngste Serie von Mordtaten an der Nordwestgrenze Indiens durch Verbrecher, die ein Asyl auf afghanischem Boden gefunden haben bez. afghanische Untertanen sind, hat mich stark beschäftigt. Meine Regierung ist energisch bei der Regierung des Emirs vorstellig geworden und sic erwartet auf das bestimmteste, daß diese Pe- svnen bestraft und daß befriedigendere Beziehungen an dieser Grenze baldigst hergcstclli weiden. Tie kürzlich abgehaltene Konferenz des britischen Reiches wies sehr deutliche Fort schritte in bezug auf das Zusammen wirken der Reichsteile auf. Es war ins besondere möglich, den Wünschen der Tominions entgcgcnzukommen, ohne von dem bestehenden Steuersystem dieses Landes abzukommen, indem der von der Reichskonferenz im Jahre 1917 be schlossene und sei, 1919 in Kraft getretene Grund- satz der gegenseitigen Meistbegünstigung wesentlich erweitert wurde. Es werden ihnen Vorschläge zwecks Durchführung der Ergebnisse dieser Reichskonferenz unterbreitet werden. Ich heiße die Gelegenheit willkommen, die durch die Welt ausstellung des Britischen Reiches geboten werden wird, die Kenntnis der mannigfaltigen Hilfsquellen meines Reiches zu erhöhen und den Handel innerhalb des britischen Reiches zu steigern. Auf die innerpolitischen Fragen über gehend führt die Thronrede aus, daß der jüngste Wahlkampf sich um die Frage der Schutz- zollreform gedreht habe. „Indessen bin ich froh, festzustellen, daß die Pläne für die Sicherung von Arbeits- gelegenheiten, die gegenwärtig durchgesührt werden, eine schätzenswerte Wirkung im Lause des letzten Jahres gezeitigt haben, indem sie die Zahl der wirklichen Erwerbslosen herab gemindert haben. Tie Zahl derer, die noch immer nicht in der Lage sind, Arbeit zu finden, verursacht mir große Sorge. Meine Minister haben kürzlich vor dem Lande Vorschläge ent wickelt, die nach ihrer Überzeugung zu der Lösung dieses Problems wesentlich beigetragen haben würden, indem sie der Industrie ein größeres Maß von Sicherheit auf dem eigenen Markl ge- sichert und den Absatz ihrer Erzeugnisse in meinen überseeischen Kolonien und in fremden Ländern verstärkt hätten. Aber diese Vorschläge sind vom Lande nicht angenommen worden. Unter diesen Umständen wird die Zu stimmung der Mitglieder des Parlaments zu einer Ausdehnung und Verbesserung der Bestimmungen über den Handelskredit, wie sie von der Reichskonferenz vorgeschlagen Das Regierunffsproqramm zur Sauierunfl der staatlichen Finanzen. Paris, 15. Januar. Ter kaiastrophalc Zusammenbruch, den die französische Währung am Montag auf den internationalen Gcldplotzen erlitten hat, hat nicht nur in den finanziellen und wirtschaft lichen, sondern auch in politischen Kreisen eine panikartige Stimmung erzeugt. Selbst die Regierung mußte sich angesichts des unerbitt- lich rasclcn Tempos, das dec Sturz des Franken seit kurzem angenommen hat, davon überzeugen, daß einer Krise wirtschaftlicher Naiur mit poli tischen Maßnahmen nicht bcizukommen ist. Sie ist heute zu einem außerordentlichen Mini st er rat zusammengetreten und hat in langen Be- ratungen ein Programm zur Sanierung der staatlichen Finanzen entworfen, das dem Parlament bereits in den nächsten Tagen vor- gelegt werden soll und dessen lückenlose Annahme die Regierung durch Stellung der Vertrauensfrage zu erzwingen beabsichtigt. Tiefes Programm ent hält folgende Punkte: 1. Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerflucht und der Steuerhinterziehungen; 2. Ersparnis mit Ausgaben für die öffentliche Ver waltung; 3. Vertagung aller Gesetz- entwürfe, die mit neuen finanziellen Lasten verbunden sind; 4. ein Zuschlagvon 20 Pro z. auf sämtliche Steuern. In Aussicht genommen sind weiter Maßnahmen zur Be kämpfung von Baissespekulation gegen den Franken und gegen die französischen Staats- papiere. Nach einer Mitteilung offizieller Natur erwartet die Regierung aus der 20pro;entigen Er- Höhung der Steuern eine Einnahme von 4,7 Mil- liarden Fres., aus dem Gesetzentwurf zur Unter- drückung der Steuerdefraudalion eine solche von 2 Milliarden. Darüber hinaus glaubt man aus der Ersparnis eine weitere Milliarde stössig machen zu können, sodaß rund 7 bis 8 Milliarden verfüg bar würden, mit denen die Regierung das Repa- rationsbudget, für das bisher im Etat keinerlei Deckung vorhanden war, ins Gleichgewicht zu bringen hofft. In unterrichteten politischen Kreisen stößt dieser Optimismus allerdings aus starke Skepsis, ganz abgesehen davon, daß es selbst bei glatter Annahme der Vorlage durch die Kammer noch Monate dauern wird, ehe die neuen Quellen zu fließen beginnen werden. Außerdem befürchtet man, daß die wirklichen Einnahmen hinter den offiziellen Schätzungen sehr stark zurückbleiben werden. * Sturm iu der Kammer. Paris, 15. Januar. In der heutigen Kammersitzung verlangte der Abaeordnete Lacott« die sofortige Be ¬ würben, nachgesucht werden. Es soll insbesondere gewissen öffentlichen Unternehmungen im britischen Reiche finanzielle Kredite aus öffentlichen Mitteln erhallen und eine Ausdehnung der Beteiligung an den Kosten für gemeinnützige Arbeiten ent- weder durch die Lokalbehöidcn oder durch private Gesellschaften vorgencmmen werden. Sodann enthält die Thronrede einen Hinweis auf die Pläne der Regierung zwecks Be schaffung von Arbeitsgelegenheit in der Schisfsbauindustrie durch sofortigen Bau von Kreuzern und Hilsseinheiten, zwecks Entwicklung der allgemeinen und tech nischen Fortbildung der jugendlichen Arbeitslosen usw. Insbesondere wird die Ausdehnung der Luftflotte für Zwecke der Landesver teidigung angekündigt. Bezüglich der Krise in der Landwirtschaft wird auf den Vor schlag der Regierung Bezug genommen, eine Kon- ferenz aller interessierten Kreise und sämtlicher Parteien einzuberufen zwecks Ausarbeitung einer Agrarpolitik, durch welche die an baufähige Fläche zu erhöhen und durch sprcchung einer Interpellation über die Devisen Hausse. Tie Kammer be schloß demgemäß. Ter Finanzminister machte gellend, daß die Regierung am Tonners- taz die heute be chloffenen Gesetzentwürfe ein bringen werde und verlangte, daß auch die Interpellation auf Tonners tag ver tagt werde. Ter Sozialist Blum bestand ledoch auf sofortiger Erörterung. Tie Regierung ermahne die Kammer zur Ruhe. Aber diese mochte, daß auch die Regierung Ruhe und Kaltblütigkeit bewahre. Nach dem Protokoll des heutigen Ministerrats scheine es, daß der Regie rung jede Kaltblütigkeit fehle. Tas Sinken des Franken werde nicht durch das heroor- ge rufen, was in London, Amsterdam, New d-K und Brüssel gescheite, sondern durch das, was sich >n Paris vorb ereile. (Zwischenruf des Kommunisten Eachin: Türck die Ruhrbe- iex.ung.) Ter Finanzminister rief dazwischen: Auch durch die Artikel gewißer Blatter. Ter Ab- geordneie Blum erklärte nach Wiederherstellung der Ruhe, das Sinken des Franken sei das Ergebnisderganzen Regierung; Politik, die von den Sozialisten so ofl bekämpf: wurde. Ter Abgeordnete Tardieu verlangte ebenfalls die sofortige Be prechung der Interpellation La- eottes. Ter radikale Abgeordnete R - nard stellte fest, daß de jetzige Lage de Folge der bisherigen Verschlepp ungspolitik der Kammer sei. Schließlich wurde die Inter pellation Lacotte mit 388 gegen 189 Stimmen auf Donnerstag verschoben. * Urteile der Londoner Presse. London, 15. Januar. Fast alle Blätter beschäftigen fick mit dem Tturze des französischen Franken. So schreibt „Tailn News" in einem Leitartikel: Tie Wirkung der Ruhrinvasion, das Verschwinden Deutschlands als einer wirtschaftlichen Einheit und der beunrubmendc Sturz des französischen Franken sei jetzt klar zu über sehen. Wenn Poincarö oder sein Nachfolger be schließen würden, daß Deutschland, um Frank reich vor der vollständigen finanziellen Katastrophe zu retten, in die Lage versetzt werden müsse, seine Schulden auf einer vernünftigen Grundlage zu bezahlen, so würde die Gesamt- läge in Europa eine bemerkenswerte Umwandlung erfahren. „Daily News" schreib:: Tie Ursache des französischen Frankensturzes müße in den auswärtigen Beziehungen Frankreichs ge sucht werden. Man erwähne in diesem Zu- sammenhange die britische Haltung nach derErschießung de-Separatisten führerS Heinz in Spever und Lord Curzons Be harren auf einer unabhängigen Unter suchung der Lage in der Pfalz. Stabilisierung der Löhne der Land arbeiter eine regelmäßige Beschäftigung auf dem Lande zu sichern sein würde. * Tie in der ganzen Welt mit Spannung er wartete Erklärung des englischen Königs zur Eröffnung des neuen Parlaments war in Wirk lichkeit eine Aufregung nicht wert. Tie Rede bildet diesmal nickt, wie üblich, das maßgebende englische Regierungsprogramm, sondern den Schwanengesang einer aus der Regierung ver- drängten Partei. Vereinzelte Redewendungen tragen ausgesprochenen parteipolitischen Eha- rakier, während andere wicktige Vorkommnisse innerhalb der englischen Politik aus den letzten Wochen und Tagen scheinbar mit Absicht besonders farblos gehalten sind. Vor allem die Schutz - zoll frage, die im Verläufe des letzten Wahl- kampfes die Hauptrolle spielte und den Anlaß zu der konservativen Wahlniederlage bot, wird mehr als dilatorisch behandelt. Mit einer Aus dehnung und Verbesserung der Bestim mungen über den Handelskredit soll ver sucht werden, die Niederlage wettzumacheu, ob wohl selbst der König und seine vor dem Abgang stehenden Minister nicht glauben dürfen, daß sich das Parlament damit zufriedengeben wird. Mit Handel: kreduen allein kann die Arbeitslosigkeit in England nicht behoben werden. Sckon deshalo ist die Arbeiterpartei gerwunaen, das von ihr be absichtigte Mißtrauensvotum gegen die Regierung Baldwin emrubringen. Tenn nickt zuletzt wurde ihr bei den letzten Wahlen ein Erfolg zu:eil, weil in breiten Teilen der englvcken Bevölkerung die Ausfassunz besteht, daß sie ickließlick in der Lage ist, auf d e Tauer der Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Bekann'lick glaubt die Labour Partv, das vor allen Tingen durch eine Anerkennung Rußlands und die Erweiterung der Handelsbeziehungen zu diesem Lande zu erreichen. Dieser Auffassung wird in der eng lischen Thronrede kein Wert gewidmet. § Tas ist parteipolitisch insofern erklärlich, al- die > konservative Partei, deren Sprecher der Kon a ! am Tien-iaz war, wahrickeinlick glaub', den Li«, be alen d.e Abstimmung für da- von der Ar beiterpartei inzwischen anzelündia:: M; trauens- volum erschweren und sie Mit der Veraniwortunz belasten zu können, der Arbe: crpanei in den Sattel geholfen zu baden. Tas sonst noch in der > Tb onrede gekennzeichnete innerpolnische Pro gramm ist ebenfalls weder inhaltsreich noch par teipolitisch scharf umstiinen. Tie einzige, aber beieickncnde Ausnahme bildet die Ankündigung neuer Rüstungen zu Waner und in der Luft. Diese Frage wird bei der Ardeitcrpariei auf starken Wider'pruck stoßen und -weisellos auch bei der Begründung des Nißtrauensanirags gegen die Regierung Baldwin eine Rolle spielen. * Tie Aussprache im Unterhause. London, 15. Januar. Tas Unterbaus war bei der heutigen Eröffnung in Erwartung der Aussprache über die Thronrede dicht besetzt. Tie Regierung war voll vertreten. Auf der Oppositionsbank saßen Asguith, Macdonald und Llod George neben einander. Ramsau Macdonald führte u. a. aus: Tie Lage Europas gleiche der von lS12 mit rivalisierenden Armcen und rivalisierender nationalistischer Politik. Tie alliierten Nationen betrachtete» einander mit halb verhohlener Feindseligkeit. Ter Sinsluß Großbritanniens müsse wie der h, »gestellt werde» Großdritarnien habe heute keine entschlossene, bestimmte oder wirksame Politik aus dem Kontinent. Es sei Zeit, hierin Wandel zu schasse». Tie Ne gierung habe das Vertrauen des Hauses und des Landes verloren. (Lanter Beifall bei der Arbeiterpa tel.s Macdonald schilderte sodann die beklagcnswer:« Lage Mitteleuropas und sagte, England sollte rund und deutlich erklären, daß es hier Einhalt tun wolle und bereit sei, seinen Anteil zu über nehmen, eine Politik zu beginnen und eine Ler Ummbrulh der MzWen Währung.