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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. Pränumerations-Preis 22^ Sildergr. Thlr.) viertehährüch, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhnng. in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumeriri aus diese» Literatur- Blatt in Berlin in der Nrpedition der AUg. Pr. Staats-Zeitung sFriedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohilödl. Post - Aemtcrn. Literatur des Auslandes. «W' 16. Berlin, Montag den 6. Februar 1843. Frankreich. Physiognomie der Schreckcnszeit. Gefängnisse. — gouquier Tinviile. — Eoljmhal. Man kann sich nichts EigenthümlichereS und Außcrordentlichercs denken, als den Anblick von Paris in der SchreckenSzcit; man sah keine reiche Equi pagen, keine Livreen, keine bürgerliche Wagen mehr; alle LuruS-Pferde waren in Requisition gesetzt für die vierzehn Armeen der Republik ; die Fiaker waren fast ganz verschwunden, und wenn noch einige in den Straßen der Haupt stadt, die sonst so lärmend, so belebt und jetzt so still waren, sich sehen ließen, so mußten sie im Schritt gehen; da» souverainc Volk, aus zügellosen Sans- cülotten und liederlichen Dirnen bestehend, nahm die Mitte der Straße ein,, und wehe dem Kutscher, der einen von diesen zerlumpten Potentaten nur an gestoßen hätte! DaS Revolutions-Tribunal war sogleich bei der Hand, ihn auf dem Schaffst sein Aristokraten-Verbrechen büßen zu lassen, wenn nicht der unsaubere und unbeschuhte Souverain es für gut fand, selbst den Henker zu machen und mit seinen nicht sehr feinen Händen den Beleidiger der Nation an die erste beste Laterne des Viertels auszuhängen. Die männliche Kleidung war im Allgemeinen sehr einfach: sie bestand aus einem Pantalon, einer Jacke mit Acrmcln und einer rothwollenen Mütze; man trug gewöhnlich einen enormen Stock in der Hand. Die Frauen hatten die Hüte, die Blumen und Bijoutcrieen abgelegt; ihr Kostüm bestand aus einem einfachen leinenen Rock, einem Halstuch von Musselin und einer Linon- Haube, die mit einer ungeheuren dreifarbigen Kokarde besetzt war. Alle Hotels standen leer, und an der äußeren Wand eines jeden las man die In schrift: kropriöre »»eimml« ä vomlro; wie man auf dem Thor der Kirchhöfe, deren es damals viele gab, las: du repo«. Es gab in der That für den Gerechten keine andere Ruhe als im Grabe. Die Hungersnoth nahm zu; aber wenn das Volk kein Brod hatte, so wurde es dafür desto reichlicher durch Schauspiele entschädigt ; es wurden jede Woche GratiS-Vorstellungen in allen Theatern gegeben. Folgendes ist eine Probe des Stpls, in welchem die Theater-Zettel abgefaßt waren; Auf Befehl und zum Vergnügen des Volks (Oe pur et pour le peupl«). Die Schauspieler des Theaters der Republik werden heute, an der ersten SanScülottide, aufführen: Das jüngste Gericht der Könige, und hierauf Die Ehe des Kapuziners. Das Gras wuchs in den Vorstädten Saint-Honore und Saint-Germain, und der Tuileriecn - Garten war mit Kartoffeln bepflanzt. Endlich, damit sich Alles in diesem Zustand gliche, erschien die Pariser Kommune in corpore vor dem Konvent und beschwor ihn, durch ein Dekret die sofortige Verbren nung aller Bibliotheken zu verordnen. Am folgenden Tage verlangte der Bürger JavoqucS, da die Guillotine noch nicht schnell genug arbeite, so solle man täglich dreihundert Gefangene nach der Ebene Grcncllc führen und sie daselbst niederschießen. Hierauf ruft Collot d'Herbois: „JavoqueS ist nur ein elender Moderirter; ich, ich verlange, daß man unter jedes der fünf- undficbzig Gefängnisse von Paris eine heilsame Mine grabe und diese sofort anstecke." In der That waren, trotz der zahlreichen Hinrichtungen, welche täglich stattfanven, die fünfundsicbzig Gefängnisse von Paris überfüllt, und zwar in dem Grade, daß epidemische Krankheiten unter den Gefangenen ausbrachen und so die Pest den Henkern zur Hand ging. Der Despotismus, die Grau samkeit einiger Kerkermeister waren furchtbar: man weigerte den Gefangenen Licht; man wehrte ihnen, mit ihren Verwandten, ihren Freunden, sep es auch nur durch das Sprachgitter, zu tommunizircn; selbst einen Arzt für die sterbenden Kranken zu holen weigerte man sich- Alle Nahrungsmittel, die man den Gefangenen von außen brachte, wurden in denselben Kübel gewor- fcn, alle Weine in dieselbe Tonne gegossen, und wer sich über diese ekelhafte Vermischung beklagte, bekam die Antwort: „Hund von Aristokrat, weißt du nicht, daß du das Glück hast, unter dem Regiment der Gleichheit und Brüderschaft zu leben?.... Glaubst du, man wird die Stücke für einen Verbrecher, wie du, aussuchcn? Das verlohnte die Mühe nicht, denn morgen wird »ir vielleicht schon der Brodgcschmack verdorben seyn; unsere heilige Mutter, die Guillotine, wird sich beeilen, die Republik von all diesen verschworenen Schurken, den Agenten Pitt'S und Kobnrg's, zu reinigen." Aus die Anklage, daß er arme wiverspänstige Priester unterstützt habe, wurde der Marschall de Mouchy verhaftet und in das Gefängniß la Force ge führt; als er bald darauf mit seiner Fran nach dem Luxembourg gebracht wurde, wurde er hier, eben so wie die Marschallin, von allen Gefangenen mit besonderer Rücksicht behandelt. Alles sprach von ihnen nur mit einer Art Ver ehrung. Jnveß sollte Herr de Mouchp sterben, sein Tod war beschlossen ; der verhängnißvollc Tag erschien. Als man ihn abholen ließ nach der Concier- gerie, die gleichsam der Vorhof des Revolutions-Tribunals war, bat er den, welcher ihm ankündigte, daß er in die Gerichtsstube hinabsteigen müsse, höflich, er möchte kein Geräusch machen, damit die Marschallin sein Weggehen nicht bemerke. „Sie war die letzten Tage sehr krank", sagte er, „und ist noch sehr leidend." — „Krank oder nicht", antwortete der Schließer, „sie muß doch auch kommen; sic steht auf der Liste, und ich werde sie gleich holen." — „Rein", crwicderte der Marschall, „da sie einmal kommen soll, so werde ich cs ihr sagen." Mit festem Schritt steigt der achtzigjährige Herzog von Mouchy herauf iu das Zimmer seiner Frau. „Madame", sagt er, „Sie müssen herunterkommen; Gott will es, und Sie sind eine zu gute Christin, um sich nicht mit Ergebung in den göttlichen Willen zu fügen. Ucbrigens gehe ich mit Ihnen; ich verlasse Sie nicht." Die Nachricht, daß Herr von Mouchy nach dem Tribunal gehe, verbreitete sich im Nu durch alle Zimmer ; der Rest des TagcS war für die Gefangenen eine Traucrzeit. Die meisten entfernten sich von den Punkten, wo mau diese berühmten Opfer konnte vorübergehen sehen, denn sie fühlten nicht die Kraft, dieses Schauspiel zu ertragen; andere dagegen bildeten eine Reihe auf ihrem Wege, um ihnen einen letzten Beweis ihrer Achtung und Theilnahme zu geben. Einer von den Gefangenem; erhob seine Stimme und sprach: „Muth, Herr Marschall!" Herr von Mouchp sah ihn an und antwortete mit einer Stimme, in der man nicht die geringste Be wegung bemerkte: „In meinem fünfzehnten Jahre bin ich für meinen König Sturm gelaufen; in meinem achtzigsten Jahre werde ich für meinen Gott das Schaffst besteigen, und der Muth wird mir hier nicht mehr fehlen als damals." In dem Gefängniß du PlessiS war der Hof, wo die Männer ein wenig Luft schöpfen konnten, durch eine Mauer von der weiblichen Seite getrennt, und eine Goffe bildete die einzige Communication zwischen ihnen. Dahin begab sich jeden Morgen der Sohn der Madame Äollp. Dieses fromme Kind, welches in das Jünglingsalter trat und schon alle Leiden des Lebens kannte, kniete vor dieser Gosse nieder, und indem er den Mund an das Loch legte, wechselte er mit seiner Mutter einige zärtliche Worte. Dahin kam einst sein jüngerer Bruder, der drei Jahr alt und bei der Mutter geblieben war, um ihm zu sagen: „Mama hat diese Nacht weniger geweint; sie hat ein wenig geruht und wünscht dir guten Morgen; Lolo, der dich sehr liebt, sagt dir dies." Durch diese Rinne endlich ließ die unglückliche Mutter, als sie in den Tod ging, ihrem älteren Sohn ihr langes Haar zukommen, als das einzige Erbtheil, das sic ihm hinterlassen konnte. In dem Gefängniß la Bourbe trat eines TagcS ein Schließer in das Zimmer, das der Marquis de Lavalctte, ein ehemaliger Garde-Offizier, mit seiner Frau bewohnte. Dieser Gefangene spicltc gerade Ball im Garten. Da das Fenster in den Garten hinausging, so bemerkte der Schließer sofort den Marquis. „Rufe deinen Mann, sagte er zur Marquisin. — „Meinen Mann! und wozu?" — „Keine Fragen; eile dich, zu gehorchen." — „Lieber Freund, sagt mir, warum, ich beschwöre euch." — „DaS sind mir Umstände! er soll nach dem Revolutions-Tribunal, wo man ihn erwartet." Madame Lavalette fiel bewegungslos zu Boden- Von dem Schließer herbeigerufen, hat Lava- lettc nicht den Muth, sich zu entfernen, bevor er der Marquisin geholfen und sie geküßt hat. Da umschlingt diese Unglückliche den Hals ihres Mannes und ruft, ihn fest an sich drückend: „Mit ihm! mit ihm!" Man trennt sie mit Gewalt, und die Unglückliche verliert den Verstand, um ihn nicht wieder zu bekommen. Man sucht im Gefängniß Port-Libre den tugendhaften Malcshcrbcs und seine Familie, um sie vor das blutige Tribunal, das schon seinen Schwieger sohn, Herrn von Rosambo, aufs Schaffst geschickt, zu führen. Frau von Rosambo, die seit der Hinrichtung ihres Mannes den Verstand verloren, wird desselben plötzlich wieder mächtig, als sie sieht, daß man sie mit ihrem Vater zugleich holt; sic läuft zu Fräulein von Sombreuil, die in demselben Ge fängniß war, und sagt zu ihr:. „Bei dem Blutbad im September hatten Sie das Glück, Ihren Vater zu retten; ich werde so glücklich seyn, mit dem meinigen zu sterben." -