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Wöchentlich erschein«, drei Nummern. PrSnumeration«. Prei« 22 j Siibcrgr. (s Thlr.) vierteijähriich, Z Thlr. für dnS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußische» Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von feder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comv., Jägerstraße Nr. 28), so wie ron allen König!. Post-Aemlein, angenommen. Literatur des Auslandes. 77. Berlin, Sonnabend den 28. Juni 1845. England. Briefe von der Reise. IV. Der Jahrestag von Waterloo. — deutsch-Englisches — Ei» allgemeine« deutsches KransenhauS in London. — Zur Statistik der Krankenbetten in den Hauvtstädicn Europa'«. — Deutsche in der kritischen Hauptstadt. — Sympathiecn England« mit Deutschland. London, 2v. Juni. Der vorgestrige Jahrestag der Schlacht von Belle-Alliance ist hier auf eine recht würdige Weise gefeiert worden — würdiger des großen, von Deutschen und Briten gemeinschaftlich erfochtenen Sieges, als eS wohl seit Abschluß des Friedens geschehen, der die Frucht jenes Sieges war. Ich meine damit natürlich nicht das alljährliche Waterloo- Banquet, bei dem die üblichen Toaste aus den englischen, d. h. auf den echten Siegeshcrzog ausgebracht werden, sondern eine Versammlung, eine Public weelinx, die vorgestern im Saale der I^omlon - J'avei-N unter dem Vorsitze des greisen Herzogs von Cambridge gehalten und in welcher die Be- gründung einer zur Aufnahme von armen Deutschen bestimmten Kranken- Anstalt — eines Kerman Uospüsl — beschlossen wurde. Engländer und Deutsche hatten sich zu diesem Zwecke bereits seit einiger Zeit zu einem provi sorischen Lomite verbunden, und zwar nachdem die Anregung des Gedankens vor etwa zwei Jahren von zweien Männern, nämlich von dem damals hier anwesenden Prediger Herrn Spdow aus Potsdam und von einem hier prakti- zirenden deutschen Arzte, Herrn Dr. Freund, ausgegangen war. An der Spitze des provisorischen Eomite'S, das demnächst zusammentrat und zu welchem auch die Gesandten von Bayern, Hannover, Sachsen und Dänemark (Schleswig- Holstein) gehören, steht nächst dem Herzog von Cambridge der Königl. Preuß. Gesandte, Herr Bunsen, der nebst dem bekannten Parlaments-Mitglieds Lord Ashley in der vorgestrigen Versammlung auch die Resolutionen vortrug, die von der Versammlung berathen wurden und als leitende Prinzipien der neuen Anstalt dienen sollen. Die Berathung dauerte von I bis gegen Uhr und gewährte namentlich dem Schreiber dieses, der erst vor wenigen Tagen vom Kontinent in London angekommen war, einen doppelten Genuß, indem erstlich eine Reihe trefflicher, zum Theil von dem ausgebildetsten rhetorischen Talente zeugender Reden gehalten wurde, und zweitens sämmtliche britische Redner mit einer so großen Achtung von Deutschland und besten Bewohnern sprachen, daß deutsche Zuhörer den Gedanken nicht unterdrücken konnten, man sey jetzt in dem sonst für so selbstsüchtig und ungastlich verschrieenen England viel bereitwilliger, die guten Seiten Deutschlands anzuerkennen, als man in unserem Vaterlande ist, England zu lieben oder auch nur zu loben. Aller dings haben wir keinen Grund, das Verhältniß zwischen Deutschland und England, wie eS sich seit dem Jahre I8I8 gestaltete, in dem Maße befriedi gend zu nennen, wie eS die Engländer können, aber wir thun unrecht, wenn wir nicht uns selbst, sondern Jenen die Schuld geben, daß eS so und nicht anders ist. Wäre Deutschland in seinen Handelsbeziehungen — und diese find es doch hauptsächlich, an die wir bei unserm Verhältnisse zu England denken — seit dem Jahre 1818 so einig, wie ein großes Land seyn muß, wenn es eine HandelSmacht bilden will, dann würden wir den Sieg bei Waterloo und die dreißig Jahre, die seitdem verstossen, den Engländern gegenüber gewiß eben so befriedigend finden als fie, die, uns gegenüber, ihre Zeit so vortreff lich benützt haben. Sep dem jedoch, wie ihm wolle — außer allem Zweifel scheint, daß in den Engländern die Erinnerung an das, was fie der geistigen Energie der Deutschen im 16. Jahrhundert und ihrer Tapferkeit in den ge meinschaftlichen Kämpfen gegen die französische Weltherrschaft im 19. Jahr hundert verdanken, noch lebendig fortlebt, und daß fie wahrhafte Poesie in ihre Reden bringen, so oft diese Erinnerung sie, wie es bei der vorgestrigen Versammlung geschah, begeistert. Ader auch die Rednergabe unserer Lands leute war bei dieser Gelegenheit auf würdige Weise vertreten; ja, wenn man bedenkt, daß es um so viel schwerer ist, sich in einem fremden Idiom ge- danken- und bilderreich auszudrücken, als in der Muttersprache, dann feierten sogar, wie eS auch von den Engländern bereitwillig und oft genug anerkannt wurde, die deutschen Redner einen größeren Sieg als die einheimischen. Herr Bunsen namentlich sprach länger als eine Stunde voll Feuer und Be geisterung, ohne sich auf andere Weise unterbrechen zu lassen, als durch den stürmischen Beifall der zahlreichen Versammlung (Uear, bear! abwechselnd mit Händeklatschen und dem üblichen Pochen, an dem sogar die anwesenden Damen mit ihren Sonnenschirmen Theil nahmen). Er suchte zunächst durch vergleichende statistische Angaben über die Hospitäler in London, Paris, Ber lin, Wien, Warschau und St. Petersburg darzuthun, wie ungenügend die Vorsorge für arme Kranke in der kolossalen britischen Hauptstadt sey. Wäh rend z. B. Paris bei 900,000 Einwohnern 10,000 Betten in seinen Hospitälern zählt, Wien bei 330,000 Einwohnern 8700 Betten und Berlin bei 300,000 Einwohnern etwa 3000 Betten für arme Kranke besitzt (überall ohne Einschluß der Militair-Lazarethe und der Privat-Krankenhäuser), giebt eS für die Ein wohner Londons, die bald zwei Millionen betragen dürften, nur 3000 Betten in seinen verschiedenen Krankenhäusern. Jedenfalls also thut es hier noth, die Anzahl der Krankenbetten auf irgend eine Weise zu vermehren. Dem nächst wies der Redner auf den verlassenen Zustand hin, in welchem sich be sonders der arme kranke Ausländer hier befinde, der, abgesehen davon, daß es oft schwierig für ihn sey, Aufnahme in einer öffentlichen Anstalt zu finden, weder vom Arzt noch vom Wärter verstanden werde und in den letzten Stunden ohne den Trost eines Geistlichen seines Bekenntnisses sey. Haupt sächlich aber treffe dieses die Deutschen in der britischen Hauptstadt, denn diese bildeten die große Mehrzahl (etwa sechs Siebentel) aller hier wohnenden Fremden und gehörten zum größten Theil dem Stande der arbeitenden Klaffen an, die durch ihre Beschäftigungen — wie namentlich Zuckerfieder, Gerber, Papiermacher, Saffianfärber re. — mehr als andere Stände unvorhergesehenen Unfällen, Krankheiten re. ausgesetzt sepen. Im Ganzen giebt eS hier über 30,000 Deutsche mit vier lutherischen Kirchen, einer reformirten und einer katholischen Chapel. Auch die Prediger dieser Gemeinden waren zum Theil in der Versammlung anwesend und bestätigten das, was Herr Bunsen über den verlassenen Zustand der armen Kranken so beredt vorgctragen hatte. Letzterer fügte übrigens auch hinzu, daß in dem projektirte'n Krankenhause alle Armen deutscher Zunge — Schweizer und Liev- und Kurländer nicht aus genommen — ohne Unterschied des Glaubens ausgenommen werden sollten; zwar habe man dir Abficht, einigen evangelischen Diakonissen, die Herr Pastor Fliederer aus Düsseldorf zu senden versprochen, die Wartung der Kranken an- zuvertrauen, doch werde damit natürlich keinerlei Gewissenszwang verbunden seyn, und auch den Katholiken solle es freistehen, barmherzigen Schwestern aus Deutschland die Pflege ihrer Konfessionsverwandten zu übertragen, so wie denn auch Juden deutscher Abkunft stets bereitwillige Aufnahme und Pflege finden würden. Die Versammlung votirte einstimmig die vorgetragenen Resolutionen und demnächst auch auf den Antrag des Marquis von Westminster ihren Dank dem Herzog von Cambridge, der die Functionen eines Präsidenten definitiv an- nahm, so wie Herrn Bunsen und Lord Ashley, als erwählten Vicepräfidenten. Herr Friedrich Huth ist zum Schatzmeister der Gesellschaft ernannt, und Herr vr. Freund hat die Stelle eines Oberarztes übernommen, unter der Btdin. gung, daß ihm weder jetzt noch in Zukunft ein Gehalt dafür angebotcn werde. Einstweilen ist, und zwar in einem der bestgclegenen Theile der Stadt, ein Gebäude, das früher bereits zu menschenfreundlichen Zwecken, nämlich zu einem Waisenhause, gedient hatte, sür die neue Stiftung erworben worden, die natürlich ohne bedeutende Schenkungen und Beiträge nicht wird bestehen können. Für jetzt sind an Geschenken 3000 Pfv. und an jährlichen Beiträgen 1000 Pfd. zugesichert. Unter Anderem hat Sc. Maj. der König von Preußen ein Geschenk von 300 und einen jährlichen Beitrag von 100 Pfund, ferner zur Unterhaltung der Geistlichen beider christlichen Bekenntnisse 50 Pfd. jährlich und zum Ankäufe des Hospital-Gebäudes 1000 Pfd. bewilligt; die Königin Victoria schenkte 100 Pfd., der König von Bayern ebenfalls 100 Pfd., der König von Hannover 150 Pfd. nebst einem jährlichen Beitrag von 50 Pfd. Nicht minder haben andere deutsche Souveraine, so wie sämmtliche Mitglieder der Königl. Familie von Großbritanicn, verhältnißmäßige Schenkungen und Beiträge zugesichert. Aber auch die hiesigen vermögenderen Deutschen haben eS an ansehnlicher Bethciligung nicht fehlen lassen; wir nennen darunter beson- derS die Herren Friedrich Huth und C. A. Preller. Herr Bunsen hat ein Geschenk von 50 Pfd. und einen eben so großen jährlichen Beitrag gezeichnet. Die Basis der Anstalt ist also jedenfalls gesichert; es ist jedoch zu wünschen, daß sowohl hier als in Deutschland, wo ja so Mancher einen Verwandten oder andere freundliche Beziehungen in der britischen Weltstadt hat, die Theil- nähme für das ausschließlich unseren Landsleuten gewidmete Institut sich noch vermehre, damit dasselbe würdig dastehe neben so vielen anderen Stiftungen der Menschenliebe in England und wirklich ein Asyl für die armen Kranken deutscher Zunge in London werde. Ich habe Ihnen aus England zunächst über einen Gegenstand berichtet, der mehr einen gemischten als eine» nationalen Charakter hat, aber ich glaube, eS wird die Leser dieses Blattes nicht minder interesfiren, als eS mich inter-