Volltext Seite (XML)
MM« L MM Tharandt. DD. Menlkhn and die Umgegendek. Imtsblntt für die Agl. Amtshauptmannschast Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Inserate werden Montags, Mittwochs mH Freitags bis spätestens Mittags s2 Uhr angenommen. Insertionspreis sOpf. pro dreige spaltene Lorpuszeile. Erscheint « wöchentlich dreimal u. zwar DienS^ tags, Donnerstag und Sonnabends. Bezugspreis Viertels, j Mk. 30 j)f., durch die Post bezogen s Mk.55pf. I Einzelne Nummern sO Pf. Druck und Verlas von Martin Berger in Firma H A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. Donnerstag, Sen 17. Januar No. 8. 189S. Japanische Menschlichkeit und Unmenschlichkeit. Zwei sich widersprechende Bilder ihres Berichterstatters vom japanischen Charakter liefern die „Times". Das eine lautet: „Japanische Menschlichkeit," das andere „Japanische Unmensch lichkeit". Wie beide sich in derselben Volksseele zusammen finden, bleibt vorläufig unerklärlich, es sei denn, daß der alte, asiatische Adam den neuen europäischen Ueberzug zeitweilig durchbrochen. Das erste Bild von der japanischen Menschlich keit stammt aus Hiroschima. Dort hat der Vertreter der „Times" die Lazarethe des Rothen Kreuzes besucht, hat die chinesischen Verwundeten ausgefragt und ist zu dem Schluffe gekommen, das alles, was von feindlicher Seite über japanischen Blutdurst verbreitet worden, eitel Lüge sei. Die Verwundeten erfreuten sich der besten Verpflegung und schienen durchausglücklich und zufrieden mit ihrem Lose. Einer der in der Schlacht von Pingyang verwundeten Chinesen sprach mit unverkennbarem Vergnügen und großer Dankbarkeit von der Güte, die er bei den Japanern gefunden, und betonte, daß sie nicht allein gütig, sondern auch sehr geschickt in der Behandlung der Wunden seien. Ueber jedem Bett hing der Name des Kranken milder Beschreibung des Falles und der täglichen Messung der Körper wärme. In Hiroschima gab es gegen Anfang November vier Lazarethe mit 1637 Kranken und nach Maßgabe der Ent wickelung des Krieges sollten die Krankeneinrichtungcn ausge dehnt werden. An Aerzten, Wärtern und Wärterinnen ist kein Mangel; seit 1887 haben viele Damen, darunter Mitglieder der kaiserlichen Familie und des Adels sich als Krankenpflege rinnen ausgebildet und sich dem Beruf in sachgemäßer Weise gewidmet. Gleich den Wärtern tragen sie Uniformen nach eu ropäischem Muster und zugleich das Abzeichen des Rothen Kreuzes. Der Grund zu dieser Einrichtung wurde schon 1877 gelegt, und zwar unter der Mitwirkung des Bacons v. Siebold des jetzigen Sekretärs der japanischen Gesandtschaft in Berlin, der kürzlich mit dem Vikomte Aoki in London war, und 1886 erfolgte dann der endgiltize Anschluß an die Genfer Konven tion vom Rochen Kreuz. In Korea hat augenblicklich die Ge sellschaft zwei Krankenhäuser eingerichtet, bei Chemulpo und bei Pmgyang, mit emem Beamtenstabe von 40 Aerzten, Apo thekern und Wärtern. Und nun das andre Bild von der japanischen Barbarei; es sieht sich an wie di- Einleitung zu einen, Greuelfeldzuge. Wie sich vermutben läßt, handelt es sich um die Vorgänge nach der Einnahme von Port Arthur. Bis jetzt wußte man nur, daß die Japaner bei ihrem Einzug in die Stadt verschiedene greulich verstümmelte Leichname ihrer Landsleute vorfandcn, welchen die Leiber aufgeschlitzt, Hände und Köpfe abgehauen waren; einige hatte man sogar verbrannt. Außerdem fand man Anschläge, aus denen für japanische Köpfe und Hände Preise ausgesetzt waren. Infolge dessen schwuren die japa nischen Soldaten Rache und führten sie im astatischen Stil aus. Obiges wird von dem Vertreter der „Times", der die Einnahme von Port Arthur mitmachte, bestätigt, auch giebt er zu, daß nach einer Schlacht angesichts der chinefffchm Greuel der japanische Blutdurst einigermaßen erklärlich war. Indessen hätten die Japaner den Chinesin nicht einfach, sondern wenig stens hundertfach heimgezahlt und, was das Schlimmste sei, sie hätten vier Tage nach der Einnahme der Stadt gebraucht, bis ihr Rachedurst gelöscht war. Der Vertreter der „Times" sah dem Einmärsche der Japaner von einem hohem Hügel aus zu; Port Arthur lag vor ihm, wie London-Bridge, von der Höhe des Monuments auö gesehen. Neben ihm befanden sich die Militär-Attachäs von En,land und Amerika. Ihrem ein stimmigen Zeugnisse gegenüber seien alle japanischen Ableug- imvgen hinfällig. „Die Japaner", so erzählen diese Augen zeugen, „feuerten in die Straßen und Häuser hinein und löd- teten alles, was ihnen in Schuß- und Hiebweite kam. Ganze Schaaren von Chinesen wurden in Stücke gehauen; viele fielen auf die Kniee und baten um Gnade; andere versuchten zu fliehen; Pardon wurde nicht gegeben. Boote, schwer beladen mit Flüchtlingen, Männern, Weibern und Kindern, wurden mit Schüssen verfolgt; einem alten Manne, der mit zwei Kindern eine Furt durchwaten wollte, versetzte ein Reiter zwölf Schwerthiebe auf den Kopf. Angeekelt von dem gräßlichen Schauspiele, stiegen die europäischen Zuschauer in die Stadt diuunter und fanden auf dem Hauptporadeplatze den Marschall Oyama, umgeben von seinen Offizieren; eine Militärkapelle spulte die Nationalhymne und aus 20000 Kehlen ertönte der Julelrus: „Banzai Nippon!" Alles schwamm in begeistertem Panionsmus: der Journalist und die Militärattaches machten sich augewidert davon; die Liebeswürdigkeiten der Japaner ^schienen ihnen wie Liebkosungen von Höllenhunden. Indessen hätte sich das ^Blutbad am Tage der Schlacht ebenfalls sbe- schönigen lassen; aber leider fuhr die Soldateska anZden vier folgenden Tagen mit Raub und Mord vom Morgen bis Abend fort, erging sich in unsäglichen Grausamkeiten, „bis die Stadt ein grausiges Inferno wurde, dessen man sich bis zu seinem Sterbetage nicht ohne Schaudern erinnern kann." Da lagen Leichname von Weibern und von Kindern zu dreien und zu vieren auf den Straßen, Gefangene, die man in Haufen zu sammengebunden, mit Kugeln durchschossen und dann in Stücke gehauen hatte; überall menschliche Ueberbleibsel mit unnenn baren Verstümmelungen, ein Boot das gestrandet und dann mit Kugeln überschüttet worden war — kurz, der Beschreibe! schreckt vor weiteren Einzelheiten zurück. Nebenbei wurde die ganze Stadt aufs gründlichste geplündert; was werthvoll war wurde mitgenommen, das Uebrige zerstört oder weggeworfen. Bekanntlich haben die Japaner angeführt, daß sie beim Einzug in die Stadt mit Sprengkugeln empfangen und von den Häusern aus beschossen wurden. Solcher Sprengkugeln hat derBericht- erstatter der „Times" zwar mehrere gefunden, aber hat nicht gesehen, daß eine solche abgefeuert wurde. Freilich ist dies kein Beweis, daß die Behauptung der Japaner falsch wäre. Der Berichterstatter fragt zum Schluß, ob die von den Japanern in Port Arthur an den Tag gelegnen Grausamkeiten den Be weis lieferten, daß sie von Herzen eben solche Barbaren seien wie die Chinesen. Die „Times" widmen zugleich den beiden Schilderungen ihres Berichterstatters — die erste aus Hiroschima ist am 30. Oktober, die zweite über die Grausamkeiten in Port Arthur aus Kobe vom 3. Dezember datirt — einen Leitartikel, worin sie den Gegensatz der beiden hervorhebt und das Vergehen der ja panischen Armee folgendermaßen aufs strengste oerurtheil: „Am seltsamsten offenbart sich dos vollständige, wenn auch nur zeit weilige Verschwinden der europäischen Tünche bei den Ja panern darin, daß ihre Offiziere sich der Wirkung, welche die Rohheiten auf ihre abendländischen Gäste machten, gar nicht be wußt wurden. Inmitten ihrer berechtigten Begeisterung über ihren großen Waffenerfolg vergaßen sie 'nicht, in ergiebigster Weise aufmerksam und freundlich gegen sie zu sein, aber sie schienen nicht zu ahnen, daß ihre Gäste voller Ekel und Entrüstung waren In Hiroschima, wo die Japaner es mit einigen wenigen Gefangenen zu thun hatten, deren sie ohne eigene Mühe und eigenen Verlust habhaft geworden waren und die ihnen das willkommene Material lieferten, um ihre so wunderschöne Mensch lichkeitsmaschine in Bewegung zu setzen, waren sie die zärtlich sten Pfleger und erprobtesten Aerzte. In Port Arthur aber, nach einer wirklichen Schlacht und schweren Herausforderungen, vergingen die Kunststückchen von Hiroschima wie Schnee ander Sonne. Ihr Verfahren erinnert an die Fabel von der Katze, die durch Zauber in ein schönes Weib verwandelt worden war und ihre Rolle vortrefflich spielte, bis man während der Tafel eine Maus über den Tisch laufen ließ. Dieser Reiz ihrer eigentlichen Natur war zu stark, um die angequälten fremden Gewohnheiten beizubehaltcn: Das Weib wurde wieder Katze." Nach unserer Ansicht ist dieses strenge Urtheil ebenso vor eilig wie die weitere Behauptung des englischen Blattes, daß die Vorgänge in Port Arthur die japanischen Waffen für alle Zeiten geschändet hätten. Man muß billigerweise auch die ja panische Darstellung abwarten und darf nicht verschweigen, daß die kaiserliche Regierung eine strenge Untersuchung der Vorgänge angeordnet hat und deren Ergebniß zweifellos mittheilen wird. Auch hat sich gerade Marschall Oyama, sowohl als Kriegs minister wie als Heerführer in Tagesbefehlen über das Vor gehen in Feindesland, die Behandlung Verwundeter und das Verhalten bei Requisitionen als ein Feldherr gezeigt, der voll ständig von den Bedingungen der Menschlichkeit, wie sie die moderne Kriegsführung vorschreibt, durchgedrungen ist. Es liegt freilich kein Grund vor, die Richtigkeit der Schilderungen des Berichterstatters der „Times" zu bezweifeln, aber es ist darauf aufmerksam zu machen, daß er in seiner Beschreibung der Schlacht, die vom 26. November aus Port Arthur datirt ist und am 7. dieses Monats in der „Times" veröffentlicht wurde, von den einige Tage später von Kobe aus berichteten Grausamkeiten nichts sagt. Das wäre nur dann zu erklären, wenn der erste Brief durch die japanische Censur gegangen wäre. Tagesgeschichte. Ueber das „Schicksal der Umsturzvorlage" hat die sechs tägige Generaldebatte noch nicht viel Aufklärung gebracht, haupt sächlich darum, weil diejenige Partei, deren Entschließungen ebenso entscheidend, als noch immer undurchsichtig sind, das Centrum, den Schleier über seine weitere Stellungnahme nur wenig ^gelüftet hat. Thatsächlich wird die Entscheidung nun mehr in der Kommission erfolgen. Die „Schief. Ztg." zieht einen Vergleich zwischen der gejammten innerpolitischen Situ ation, wie sie im Jahre 1878 bei der Einbringung des So zialistengesetzes bestand, und derjenigen, unter welcher unser Volk gegenwärtig zu leben und zu leiden hat. Wir entnehmen dem interessanten und lehrreichen Artikel das Folgende: Am 11. Mai 1878 war unser Kaiser Wilhelm der I., der die Liebe und grenzenlose Verehrung unseres Volkes, wie kaum je ein anderer Herrscher besaß, der mörderischen Kugel entgangen, die von der Hand eines durch sozialdemokratische Trugbilder be- thörten Individuums auf ihn abgeschoffen war. Unmittelbar darauf wurde der Entwurf eines Gesetzes gegen die Sozialde mokratie dem Reichstag vorgelegt, der die Vorlage indessen ab- zehnte. Schon am 2. Juni erfolgte dann das Noiilingsche Attentat. Diesmal verfehlte das Mordgeschoß sein Ziel nicht. Da« Volk sah die ehrwürdige, von hoher Majestät umflossene Gestalt seines greißen Heldenkaisers zusammenfinken; es sah bas kostbare Blut fließen, das der alte Kaiser oft genug in furchtbaren Schlachten für des Vaterlandes Einheit und Größe eingesetzt hatte. Da erbrauste mit elementarer Gewalt der Ruf nach Rache und Vergeltung durch die deutschen Gaue, der Ruf nach Vernichtung der wüsten Agitation, deren Frucht der Kaiser mord war. Unter dem Eindrücke der Thränen und Ver wünschungen, welche dieses schreckliche Ereigniß im deutschen Volke entfesselt hatte, erfolgten die Auflösung des Reichstag« und die Neuwahlen mit der Wahlparole „Kampf gegen die Sozialdemokratie." Unter solchen Umständen, in solcher Zeit, in welcher jede Fieber der nationalgesinnten Deutschen auf das äußerste gespannt war, mußte ein Kampf gegen die Urheber des wilden Schmerzes, von dem das Vaterland ergriffen war, gleichbedeutend mit Sieg sein. Und als die Volksvertretung im September zusammentrat, da zog in die Pforten deS Reichs tagshauses eine Majorität ein, die fest entschlossen war, die heiligsten Güter der Nation und die Häupter ihrer Fürsten und des Kaisers zu schützen gegen die finsteren Gewalten, die allem den Untergang und Vernichtung geschworen hatten, was deutschen Herzen hoch und verehrungswürdig erschien. Sofort wurde das neue, verschärfte Sozialistengesetz eingebracht, als dessen macht vollster Befürworter sich die gewaltige Gestalt des ehernen Kanzlers erhob, der wie ein Rächer und Richter vor der Ver tretung des deutschen Volks niederschmetternde Anklage erhob gegen die inneren Feinde und Verderber des Vaterlandes. In diesen Debatten fühlte man den Werdegang der Geschichte, in ihnen spielte sich ein Stück Weltgericht ab, bas über den So zialismus dahinfuhr. Und das Resultat entsprach trotz einiger vom Parlamente vorgenommener Abschwächungen des ursprüng lichen Entwurfs im ganzen doch den großen Mitteln, die für sein Zustandekommen aufgeboten worden waren. Nicht in all gemeinen Wendungen erging sich diese Vorlage; sie nannte den Feind mit Namen, und es gelang, mit den Hilfsmitteln des neuen Gesetzes die sozialdemokratische Agitation auf Jahre zu lähmen. Alle sozialdemokratischen Zeitungen wurden unterdrück, alle sozialdemokratischen Versammlungen verboten oder aufgelöst. Wir erinnern uns noch einer Nachwahl während des ersten Jahres der Geltungsdauer des Sozialistengesetzes. Die Ab fassung eines sozialdemokratischen Wahlaufrufesverursachte solche Schwierigkeiten, daß das sozialdemokratische Wahlkomitee seine Ansprache an die Wähler in die Form einer Geschäftsanzeige kleiden mußte, aus welcher durch Sperrung einzelner Worte die Empfehlung des sozialistischen Kandidaten herauszulesen war. Später ist freilich infolge einer verkehrten Verwaltungspraxi« und einer gewaltsamen Interpretation der Gerichte das Gesetz so wirkungslos geworden, daß wir seiner Beseitigung gleich gültig zugesehen haben. Ursprünglich aber war eS wirklich ge eignet, die sozialdemokratische Agitation zu lähmen; und das es das vermocht hat, verdankte es der von patriotischem Schwünge gehobenen Stimmung, aus welcher heraus es geschaffen war. So war es einst, als das alte Sozialistengesetz zur Diskussion stanb. Und jetzt? Ist auch das neu vorgeschlagene Gesetz ge eignet, die sozialdemokratische Propaganda, welche doch nach wie vor als die eifrigste und erfolgreichste Vorbereiterin deS Umsturzes anzusehen ist, zu lähmen? Bilden patriotische Be geisterung und unbeugsame Entschlossenheit auch jetzt die Kenn zeichen der Reichstagsmehrheit? Und hat auch dieses Gesetz einen geistesgewaltigen Vorkämpfer und Befürworter, wie er dem damaligen Entwürfe eines Sozialistengesetzes in dem Fürsten Bismarck zur Seite stand? Empfindet die politisch denkende Bevölkerung des Vaterlandes auch jetzt wie damals etwas, waS sich wie das Wehen eines neuen Geistes, wie eine sich vorbe reitende Wendung der Geschicke des Vaterlandes wie ein be ginnendes Strafgericht üder den Sozialismus ausnehmen könnte?